Michael Good
· 22.09.2022
Die Gaffel ist ein Relikt aus alten Tagen. Wirklich? Die kleine, smarte Bihan 5.80 aus Frankreich kombiniert das nur vermeintlich verstaubte Riggkonzept mit ultramodernem Yachtdesign. Spannend!
Der Golf du Morbihan ist eines der bekanntesten und beliebtesten Segelreviere an der französischen Westküste. Hier in der Bretagne pumpen die Gezeiten des Atlantiks zweimal täglich Unmengen von Wasser durch eine schmale Landpassage in ein weitverzweigtes, nahezu unübersichtliches Binnenmeer mit mehr als 50 kleinen Inseln. Der Tidenhub beträgt im Schnitt vier Meter, die Strömungen sind unberechenbar und fiese Untiefen allgegenwärtig. Wer hier mit einem Segelboot unterwegs ist, braucht fundierte Revierkenntnisse oder zumindest eine sehr genaue Seekarte. Ein Boot, das trockenfallen kann, gilt fast schon als Grundvoraussetzung, zumal auch die meisten Häfen bei Ebbe leerlaufen.
Dementsprechend ist das anspruchsvolle Gewässer für größere Yachten zwar befahrbar, aber eigentlich gänzlich ungeeignet. Populär und für das Revier genau richtig sind vielmehr kleine Segler mit variablen Tiefgängen: Jollen, Sportboote oder Kleinkreuzer. Dergleichen stammt unter anderem aus der kleinen, aber feinen Werft Marine Composite in Arzon, direkt am Golf du Morbihan gelegen. Seit 1996 baut hier Werftchef Bertrand Aumont zusammen mit einer Handvoll Mitarbeiter kleine Boote aus GFK, welche die Anforderungen des Reviers punktgenau treffen. Bekannt sind die kleinen und überaus hübschen Schiffe vom Typ La Gazelle mit Gaffelrigg, von denen Marine Composite schon mehr als 80 Stück gebaut und ausgeliefert hat – die meisten davon direkt vor der eigenen Haustür.
Mit der Bihan 6.50 hat die Werft 2016 eine moderne Variante des Gazelle-Konzepts vorgestellt, ebenfalls mit Gaffelrigg, Schwenkkiel und einer kleinen Kajüte mit zwei einfachen Kojen. Das Boot hat sich ebenfalls sehr gut verkauft. Immerhin sind bereits 35 Stück im Einsatz. Für die Werft ein großer Erfolg.
Den soll die neue, etwas kleinere Bihan 5.80 jetzt noch übertreffen. Wie bei ihrem Schwestermodell stammt auch hier die Konstruktion aus dem für seine schnellen Hochsee-Rennyachten bekannten Studio Finot-Conq aus Vannes, das seinerseits am Golf du Morbihan liegt. Kein Wunder, dass auch Chefarchitekt David de Premorel dort sein Boot liegen hat. Regional gesehen schließt sich also der Kreis.
Bei der Neuentwicklung blieb die DNA der Marke unverändert: Auch die Bihan 5.80 trägt ein Gaffelrigg und verfügt über aufholbare Rumpfanhänge. Dadurch kann man sie wie eine Jolle über die Sliprampe ein- und auswassern, denn ihr Schwenkkiel verschwindet in der oberen Stellung fast vollständig im Rumpf.
Nur etwa fünf Zentimeter der Flosse ragen aus dem Kielkasten – eine Art Auflaufschutz beim Anlanden am Strand, um Schäden im GFK-Boden zu vermeiden. Fürs Trockenfallen ist die Bihan konstruktiv ausgelegt, selbst regelmäßig im Tidengewässer. Die Strukturen wurden eigens dafür entsprechend stark dimensioniert.
Die größere Besonderheit aber stellt die Takelungsart dar. Um die Bihan mit wenigen Worten zu beschreiben, reicht als Charakterisierung „die mit dem Gaffelrigg“. Tatsächlich sticht dieses im Wettbewerb der Sportboote und Kleinkreuzer weithin sichtbar hervor. Werftchef Bertrand Aumont baut die Riggs für alle seine Boote selbst zusammen. Und er macht es sich und seinen Kunden dabei recht leicht: Für Mast, Gaffel und Großbaum verwendet er einfache Kohlefaser-Rundrohre verschiedener Durchmesser, die er als Meterware einkauft und auf Länge zuschneidet.
Die einfache, zugleich recht kostengünstige Herstellung ist nur ein Vorteil des vermeintlich antiquierten Gaffelriggs. Entscheidender ist seine sehr gute Trimmbarkeit. Wer mit Piek und Klau umzugehen weiß, kann das Segelprofil und die Spannung am Achterliek sehr genau einstellen. Gelingt dies, steht das Gaffelgroß der Leistungsfähigkeit eines herkömmlichen Segels am konventionellen Mast in nichts nach, zumal die Carbonrohre obendrein helfen, das Toppgewicht zu begrenzen.
Und es gibt noch einen Pluspunkt: Frischt der Wind kurzzeitig auf, kann man viel Druck aus dem Großsegel nehmen, indem man einfach das Klaufall etwas auffiert; dadurch öffnet das Achterliek sehr effektiv. Man kann so das aufwändigere Einbinden eines Reffs hinauszögern.
Trotz aller funktionalen und auch optischen Vorzüge bietet die Werft für die Bihan 5.80 auf Wunsch auch ein herkömmliches Hochrigg als Option an, das ebenfalls aus Kohlefaser gewickelt ist.
Der Mast steht bei der Bihan 5.80 relativ weit hinten im Boot. Damit kann die rollbare Fock über eine Selbstwendeschiene auf dem Vordeck gefahren werden und immer noch vernünftig groß sein. Einhandsegeln geht mit der kleinen Französin also problemlos. Zudem wird der Gennaker aus einer sogenannten Trompete gefahren, also aus einem im Vorschiff eingebauten Kanal mit einer großen Öffnung im Vordeck. Das Gennaker-Fall, die Halsleine sowie die Ausholleine des Bugspriets sind dabei gekoppelt, sodass das Setzen und Bergen des 30 Quadratmeter großen Raumwindsegels mit einem einzigen Ende funktioniert. Mit etwas Übung kommen auch Solisten damit gut zurecht.
Ob einhand, sportlich oder gemütlich mit der Familie – die Bihan eignet sich für ganz verschiedene Einsatzzwecke
Wer lieber mit Crew segelt, kann bis zu drei Mitsegler zusätzlich einladen. Das Cockpit ist groß genug, dass alle auf der hohen Kante ausreichend Platz finden. Serienmäßige Fußgurte geben Halt beim Ausreiten. Die Bihan kann optional aber auch mit einer Reling ausgestattet werden.
Für die Tests auf dem Golf du Morbihan hat das Wetter leider nur wenig Spektakuläres zu bieten. Es weht schwach mit zwischen 6 und 8 Knoten, was das kleine Boot hart am Wind auf immerhin 4,8 Knoten Fahrt bringt, bei einem Wendewinkel von 90 Grad, gemessen zu einem Zeitpunkt, an dem die Tide gerade kentert und die Strömung deshalb schwach ist. Mit Gennaker kommt der nur 560 Kilogramm leichte Segelzwerg auf gute 6 Knoten Fahrt. Erwan Gourdon, der für die Konstruktion der Bihan 5.80 verantwortliche Mann bei Finot-Conq, berichtet glaubhaft von Gleitfahrten mit bis zu 15 Knoten Speed unter Gennaker bei deutlich mehr Wind.
Trotz breitem Heck und flachem Spant kommt die Konstruktion mit nur einem hinten angehängten Ruderblatt aus. Dieses vermittelt ein gutes Gefühl an der Pinnenverlängerung. Das Boot lässt sich mit wenig Druck präzise steuern. Das hat schon etwas von Jollensegeln. Es fällt jedenfalls leicht, die Bihan schnell an ihr Leistungspotenzial zu führen.
Alle Boote von Marine Composite werden komplett in Arzon gebaut und ausgerüstet. Rumpf und Deck entstehen als GFK-Sandwichkonstruktionen im aufwändigen, aber dafür gewichtsparenden Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyesterharz. Der Kanal für den Gennaker ist als separates Bauteil komplett abgeschottet eingebaut. Das Vorschiff auf der Steuerbordseite bleibt als Stauraum für Ausrüstung, Außenborder und persönliche Gegenstände zugänglich und wird mit einer Luke dichtgemacht. Damit ist das Boot de facto unsinkbar, auch wenn es diese Bezeichnung als Norm nicht mehr gibt.
Bei der Konstruktion des Schwenkkiels macht es sich die Werft einfach und baut eine nicht profilierte Stahlplatte mit unten angebolzten Ballastkörpern aus Blei ein.
Für Konstrukteur Gourdon spielt die fehlende Profilierung am Kiel bei Booten dieser Größe keine entscheidende Rolle in Sachen Lift und Leistung. Gleichzeitig räumt die Werft ein, mit dieser sehr simplen Kielkonstruktion Kosten sparen zu können; dieser Vorteil werde an die Käufer weitergegeben.
Tatsächlich ist die Bihan 5.80 mit einem Grundpreis von 34.710 Euro inklusive eines einfachen, aber vollständigen Segelsatzes kein ausgewiesenes Schnäppchen. Zieht man die hochwertige und robuste Bauweise sowie die gute Grundausstattung mit ins Kalkül, erscheint sie jedoch ausgesprochen fair kalkuliert. Das Gesamtpaket jedenfalls hinterlässt einen stimmigen Eindruck, und das Quantum Individualität macht die Bihan zudem hochattraktiv. Wer sich für ein kleines, sportliches und trailerbares Boot interessiert, sollte sich die Gaffelkonstruktion vom Golf du Morbihan auf jeden Fall genauer ansehen.
Attraktives und vielseitiges Konzept zwischen Daysailer, Wander- und Sportboot. Im Test zeigt die Konstruktion eine tadellose Leistung bei Leichtwind und verspricht auch bei mehr Druck jede Menge Segelspaß. Die GFK-Arbeiten überzeugen, das Rigg macht die Bihan zur Ausnahmeerscheinung.
ohne Abdrift/Strom; Windgeschwindigkeit: 6 bis 8 kn (2–3 Bft), Wellenhöhe: glattes Wasser
Die kleine Bihan 5.80 ist recht leicht gebaut. Die Segelfläche ist nicht üppig, aber dennoch ausreichend
GFK-Sandwichkonstruktion mit Schaumkern (Airex), gebaut im Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyesterharz
Gaffelrigg aus Kohlefaser im Standard, dazu Selbstwendefock. Ein einfacher Satz Segel (Groß und Fock aus Dacron) sowie der Gennaker gehören zum Lieferumfang
Schwenkkiel mit einer einfachen Flosse aus Stahl und einem angebolzten Ballastanteil aus Blei. Das Ruderblatt ist hinten angehängt und aufholbar
Außenbordmotor (Benzin) mit bis zu 6 PS Leistung. Wahlweise auch Elektro-Außenborder möglich. Die Antriebe können im Stauraum im Vorschiff gelagert werden
Marine Composite, 56640 Arzon (Frankreich); www.marine-composite.fr