Das vordere, spitz zulaufende Ende eines Schiffes – so wird der Bug gemeinhin erklärt. In aller Regel trifft diese gleichermaßen banale wie prägnante Umschreibung den Sachverhalt auf den Punkt. Allerdings: keine Regel ohne Ausnahme, so auch im Yachtbau – es gibt bekanntlich Schiffe ohne Bug im geläufigen Sinne, sie werden Scows genannt. Diese sind weder neuartig noch besonders aufregend, sondern hierzulande einfach nur selten. Das optisch auffälligste Merkmal der Scows ist die breite, extrem abgeflachte Bugpartie ohne scharf geschnittenen Steven.
Vor über zehn Jahren hat der Franzose David Raison die Idee der Scows in die innovative Klasse der Mini 6.50 eingebracht und mit seiner legendären „Magnum“ 2011 auch gleich den anspruchsvollen Einhand-Klassiker, das Mini-Transat, gewonnen. Seither haben sich die nur 6,50 Meter langen und 3,00 Meter breiten Seezwerge generell stark in Richtung Scow entwickelt. Mehr noch: Die Minis mit der platten Nase gelten heute als das Maß aller Dinge bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit und der Siegchancen, sowohl bei den Prototypen als auch bei den Serienbooten.
Aktuell besonders erfolgreich und deshalb auch gefragt sind die Serien-Minis vom Typ Maxi 650 aus der Werft von IDB Marine in der Bretagne. Die Boote der Klasse Mini 6.50 scheinen aber auch für Segler interessant zu sein, die damit nur Spaß haben wollen und nicht zwingend eine große Offshore-Karriere vor Augen haben. IDB-Chef Pascal Benois berichtet von überraschend häufig geäußerten Nachfragen nach einem touren- und familientauglichen Pendant zur reinen Rennflunder, die gänzlich ohne Innenausbau geliefert wird.
Darauf hat die Werft nun reagiert und kurzerhand für den schnellen Rumpf der Maxi 650 ein neues Deck mit einem höheren Kajütaufbau und einer durchgehenden Rundum-Fensterfront konstruiert. Dazu wird der feste Ballast durch einen hydraulisch aufholbaren Schwenkkiel ersetzt und das Boot unter Deck voll tourentauglich ausgebaut. Herausgekommen ist unter der Typbezeichnung Mojito 650 die weltweit wohl kleinste echte Deckssalonyacht mit Sitz- und Kojenplätze für bis zu vier erwachsene Personen. Und das alles in einem Rumpf, der nur wenig länger ist als beispielsweise der einer Regattajolle vom Typ Flying Dutchman (FD).
Allerdings sind die Minis in Relation zur Rumpflänge auch übermäßig breit, nämlich stattliche 3,00 Meter, so auch die Mojito 650. Das entspricht einem Streckungsfaktor von gerade mal 2,16. Normale Boote sind dagegen in der Regel etwa dreimal so lang wie breit, der durchschnittliche Wert für die Streckung beträgt 3,0.
Die Nachteile liegen auf der Hand: limitierte Platzauswahl in den Häfen sowie eingeschränkte Transportfähigkeit auf der Straße und dies nur mit Sonderbewilligung. Immerhin könnte die Mojito 650 mit aufgeholtem Schwenkkiel, den zwei kurzen Stummelrudern und einem reduzierten Tiefgang von nur 80 Zentimeter auch über eine geeigneten Sliprampe ein- und ausgewassert werden. Und weil der Mast auf dem Kajütaufbau steht, würde er sich mit optional erhältlichen Scharnieren am Mastfuß auch leicht von Hand stellen lassen.
Nicht weniger als 47 Hübe auf der einfachen Pumphydraulik sind nötig, um den Schwenkkiel vollständig aufzuholen. Das ist relativ anstrengend und dauert. Eine elektrisch betriebene Hydraulik mit Bedienung auf Knopfdruck ist optional machbar, etwa zum häufigen Ein- und Auswassern, zum Segeln in Flachwasserrevieren oder zum regelmäßigen Trockenfallen in Tidengewässern.
Zu diesem Zweck rüstet die Werft das Boot auf Wunsch mit teleskopisch ausfahrbaren Wattstützen aus. Die Beine aus Aluminium können dabei durch beidseitig im Rumpf integrierte Rohre ausgestoßen und in dieser Position arretiert werden. Darauf und auf dem hochgeschwenkten Kiel kann das Boot dann problemlos stehen bleiben, auch länger. Auf diese smarte, innovative Idee hält die Werft ein Patent. Bei unserem Testboot, dem Prototyp, waren die Stützen aber leider noch nicht eingebaut.
4 Beaufort, dazu eine kurze und steile Welle sowie ungetrübter Sonnenschein: Die Bedingungen für den Test vor Concarneau in der Bretagne sind perfekt. Davon ausgehend, dass es auf der kleinen Flunder bei diesen Bedingungen so richtig nass wird, schien die Ölzeughose die richtige Wahl. Aber nein! Hart am Wind kracht das kleine Schiff mit seiner platten Nase zwar ziemlich heftig in die Wellen, dennoch bleibt es hinten im Cockpit erstaunlich trocken. Nicht einmal ein kleiner Spritzer schafft es bis zum Steuermann, der seitlich direkt auf dem Laufdeck sitzt.
Die Kurse gegenan sind bekanntlich nicht gerade die Paradedisziplin der Scows. Auch auf der Mojito 650 bleiben die Leistungswerte hart am Wind zunächst in einem bescheidenen Rahmen. 5,8 Knoten schafft die Kleine dennoch auf einem Kurs von 45 Grad zum wahren Wind. Deutlich mehr Temperament entwickelt das Boot, sobald man es mit geschrickten Schoten tiefer steuern kann. Mit seiner übermäßigen Breite, den radikal abgesetzten Kimmkanten sowie dem flachen Unterwasserschiff verfügt der Mini über eine enorme Formstabilität. Der Druck aus dem Rigg wird unmittelbar in Geschwindigkeit umgesetzt, nicht in Krängung.
Sportlicher noch wird die Fahrt mit zusätzlichem buntem Tuch. Der Gennaker ist rund 50 Quadratmeter groß und wird an einem 1,40 Meter ausfahrbaren Bugspriet gesetzt sowie bis ganz in den Masttopp gezogen – reichlich Motorisierung also. Und zack, steht die Logge in voller Gleitfahrt auf über 9 Knoten; gelegentlich, mit Wellenunterstützung, weist sie sogar zweistellige Werte aus.
Direkt und extrem lebhaft lässt sich der Seezwerg dabei nach Druck steuern, so wie eine Gleitjolle. Dabei wird der Steuermann von einer fast schon erschreckenden Dynamik überrascht. Weil der Bug nicht durch die Wellen geht, sondern vielmehr das Boot als Ganzes darüber hinweg, zeigt die Flunder nur wenig Kursstabilität und eiert förmlich zwischen den Wellen hin und her, so wie ein Korken auf der Wasseroberfläche. Das ist sehr anspruchsvoll und verlangt nach viel Konzentration an der Pinne, wenn man das Schiffchen optimal und schnell steuern will. Schon nach kurzer Gewöhnung aber hat man sich mit den besonderen Bewegungen angefreundet, und der Spaßfaktor schnellt exponentiell wieder in die Höhe.
Der Segelplan ist sportlich ausgelegt und sieht ein oben weit ausgestelltes Squarehead-Großsegel sowie eine kurz überlappende Genua vor. Die Segeltragezahl (Verhältnis Segelfläche zu Verdrängung) liegt bei einem weit überdurchschnittlichen (dimensionslosen) Wert von 5,8, obwohl die Mojito 650 mit einem segelfertigen Gesamtgewicht von 1,2 Tonnen im Vergleich zur Konkurrenz nicht gerade ein ausgewiesenes Leichtgewicht ist.
Der Aluminiummast mit zwei stark gepfeilten Salingspaaren ist in seinen Dimensionen identisch mit dem Rigg, welches auch beim Maxi 650 zum Einsatz kommt. Nur ist das Profil auf dem Tourenboot Mojito 650 etwas dicker und das Rigg insgesamt steifer, womit das Schiff ohne die doppelten Achterstagen auskommen kann. Das erleichtert zwar das Handling in den Manövern, geht jedoch auch mit Defiziten beim Trimmen des Riggs einher – es ist eben ein Kompromiss. Speziell hart am Wind ist der Durchhang der Genua im Vorstag leider gar nicht oder eingeschränkt nur über die Großschot einstellbar. Natürlich würden sich aber Achterstagen nachrüsten lassen, falls der Kunde dies wünscht.
Ober- und Unterwanten stehen getrennt an Deck, was einen ungehinderten Durchgang vom Cockpit auf das Vorschiff ermöglicht. Für zusätzliche Sicherheit und guten Halt auf dem Vordeck sorgen Holzleisten als Fußreling sowie eine äußerst griffige Decksstruktur, auf der jeder Schuh hält, aber leider auch jede Hose kaputtgeht.
Gebaut wird die Mojito 650 bei IDB Marine in Tregunc, und zwar von A bis Z; nur einige wenige Anbauteile werden zugekauft. Zudem möchte sich die Werft jetzt eine ökologisch nachhaltige Produktionsweise auf die Fahnen schreiben. So werden die Boote künftig mit natürlichen Flachs- statt Glasfasern gebaut. Als Kernmaterial für die Sandwichkonstruktionen von Rumpf und Deck kommen Matten aus PET-Recyclingmaterial zur Anwendung. Aufgebaut werden die Strukturen dann im Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyester.
Die Doppelkoje im Vorschiff und die beiden achtern eingebauten Einzelkojen bieten bequeme Schlafplätze mit ausreichend komfortablen Abmessungen für vier erwachsene Personen. Kinder können zudem auf den Sitzbänken übernachten. Selbst die große Familie könnte mit dem Cruiser im Taschenformat auf Törn. Platz für eine Nasszelle gibt es selbstredend nicht, eine tragbare Chemietoilette kann in einem eigens dafür ausgewiesenen Stauraum unter dem Niedergang gestaut werden. Und ein kleines Pantrymodul mit Gaskocher könnte auf Wunsch innerhalb des Salontischs integriert werden, eine smarte Lösung.
Stauräume gibt es innen viele, unter den Kojenbrettern, aber auch in offenen Ablagen seitlich. Schapps oder Schränke sind jedoch nicht eingebaut. Ausrüstungsgegenstände aller Art sowie zusätzliche Segel lagern im großen Stauraum unterhalb des Cockpitbodens, der durch eine große Klappe im Cockpit prima zugänglich ist. Allerdings fehlen darin einfache Raumtrenner, damit das Staugut bei Krängung oder in der Welle nicht wild durcheinander purzeln kann.
Motorisiert wird der Mini übrigens mit einem Außenbordmotor (Elektro oder Benzin), der an einer aufsteckbaren Halterung am Heck montiert wird.
Kleine Makel und teils unschöne Detailverarbeitungen beim Innenausbau sind offensichtlich und gehören zum Prototypen, den die Werft nur zu Testzwecken nutzt und nicht verkauft. Werftchef Pascal Benois versichert, dass alle Mängel erkannt und auf der Baunummer 2 als erstem Serienboot ausgemerzt sind. Ansonsten gibt die Qualität kaum Anlass zu Kritik. Die Grundausstattung ist erstklassig, und viele technische Anbauteile erscheinen größer und robuster, als sie für ein solch kleines Boot vielleicht sein müssten, zum Beispiel die Mechanik der Steuerung.
Mit einem Basispreis von 92.225 Euro ist die Mojito 650 im Vergleich zur Konkurrenz recht teuer. Dabei sind die Segel noch nicht einmal mit eingerechnet; bis das Boot segelklar am Steg liegt, addieren sich die vielen Extrapositionen, das ist viel für eine Yacht dieser Größe. Die exklusive Preispolitik von IDB Marine trübt die Begeisterung für ein Boot, das ansonsten fast fehlerfrei daherkommt und vor Individualität und Innovation nur so strotzt. Schade.
Der Franzose David Raison ist einer der gefeierten Stars in der Szene der Minis 6.50 und der Konstrukteur vieler erfolgreicher Boote mit Scow-Bug, so auch vom Maxi 650 von IDB Marine und seinem Ableger Mojito 650.
Raison erklärt die Vorzüge der eigenwilligen Rumpfform so: Scows erzeugen weniger Wellen und geben so weniger Energie ins Wasser ab. Das zusätzliche Volumen am Bug bewirkt zudem viel Formstabilität sowohl in der Längs- wie auch in der Querachse. Mit der steiferen Schwimmlage kann der Druck aus dem Rigg effizienter in Geschwindigkeit umgesetzt werden – das Potenzial ist effektiv auf allen Kursen zum Wind höher. Scows segeln nicht nur aufrechter als Boote mit herkömmlichen Rumpfformen, sondern neigen auch deutlich weniger zum Abtauchen über den Bug, vor allem auf Raumschotskursen mit viel Wind und viel Segelfläche. Die Balance ist demnach auch in dieser Fahrtrichtung ausgewogener. Und nicht zuletzt bieten die Rumpfformen mehr Volumen für den Ausbau unter Deck, so wie bei der Mojito 650.
David Raison kennt aber auch die Nachteile der Scows, er nennt in erster Linie die deutlich größere, benetzte Oberfläche im Vergleich zu konventionellen Konstruktionen. Mehr Rumpffläche im Wasser heißt mehr Widerstand und damit mehr Bremswirkung. Und mehr Volumen bedeutet letztlich auch mehr Gewicht in der Konstruktion. Bei gleicher Bauweise können herkömmliche Rümpfe leichter gefertigt werden als diejenigen der Scows – ein nicht unerhebliches Handicap, vor allem bei echten Racern der Klasse Mini 6.50.
Sandwichkonstruktion mit Flachsfaser und PET-Recyclingplatten. Gebaut im Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyester
Stand 9/2023, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
IDB Marine, 29910 Tregunc (Frankreich); +33/608 93 01 14; www.idbmarine.com
Die guten Segeleigenschaften eines Offshore-Minis und der Komfort eines tourentauglichen Kleinkreuzers: Die Mojito 650 schafft die Kombination mit einem stimmigen und runden Gesamtpaket. Leider teuer
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 10/2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.