“Vlieland”Der Kutter des Künstlers – Trennung unvermeidlich

Nils Theurer

 · 30.07.2023

Peter Lenk an der Pinne seiner 3,5  Tonnen schweren „Vlieland“, die aus strukturiertem Stahlblech besteht
Foto: YACHT/ T. Störkle
Seine Leuchtturm-Skulptur „Imperia“ am Bodensee war ein Affront, seine Yacht ist ein umgebautes Strandrettungsboot. Der satirische Bildhauer Peter Lenk liebt und lebt das Andersartige. Unterwegs mit Originalen

Obwohl der Sockel des Konstanzer Molenfeuers nachts mit einer grünen Leuchtstoffröhre markiert ist, zählt der obere Teil augenscheinlich zum Rotlichtbezirk. In 14 Meter Höhe leuchtet alle sechs Sekunden ein Festfeuer. Einheimische mögen sich an den Anblick des eigentümlichen Turms gewöhnt haben, Ortsunkundige könnten beim Anblick rot werden. Das Ansteuerungslicht stellt sich als Topplicht einer Narrenkappe heraus. Getragen wird sie von einer neun Meter aufragenden Dame aus Beton, Epoxidharz und Kalksteinmehl mit, nun ja, harmonischen und durchweg exponierten Linien.

„Imperia“, so der Name der Statue, ist hübsch wie hoch, und sie scheint mit horizontalen Diensten zu locken. Stolz blickt sie über Konstanz, und sie hat offenbar wenig Angst vor Erkältungen, ihre Bekleidung ist in entscheidenden Partien durchaus überschaubar. Gänzlich nackt hingegen sind die beiden im Vergleich winzigen Figuren, die Imperia auf erhobenen Händen trägt. Deren Konturen zeugen von erhöhter Kalorienzufuhr und deutlichem Faltenzuwachs im Alter. Der Kopfschmuck der Steuerbordfigur ist eine Kaiserkrone, die andere trägt eine Tiara, vulgo Papstkrone.

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Wäre es nach dem Konstanzer Gemeinderat oder dem katholischen Dekanat gegangen, die provozierende Imperia wäre niemals auf diesem prominenten Platz aufgestellt worden. Touristen fertigen jährlich 2,8 Millionen Fotos von der tags und nachts eindeutigen Ansteuerungsmarke, das toppt wohl kein anderes Leuchtfeuer. Ersonnen und erschaffen hat die Statue Peter Lenk. Der heute 76-jährige satirische Bildhauer sitzt in seiner Küche in Bodman am äußersten Nordwesten des Bodensees und blickt froh in den Niesel vor dem Fenster. Es ist sein liebstes Segelwetter, wenige Boote seien unterwegs, er freue sich auf die heutige Ausfahrt.

Ein exklusives Vergnügen

Noch nie durfte ein Journalist auf seine Yacht. Auch heute muss während des Aufklarens auf dem Steg ausgeharrt werden. „Ich bin gewohnt, allein zu segeln, da geht es so am schnellsten“, begründet er. Mit Zeisern knotet er Abweiser für die Fock- und Klüverschoten von den sechs Vorschiffsklampen zum Mast. Bald tuckert der Diesel, wenig später liegt die Hafeneinfahrt achteraus, Großsegel, Fock und Klüver stehen. Die Wolken haben sich ausgeregnet, der See ist leer, der Künstler bestens gelaunt. Das imposante Stengen-Toppsegel ist nicht geriggt, zu tückisch seien die Böen im fjordähnlichen Überlinger See. Im Augenblick streicht lediglich eine Brise über das See-Ende.

Die Handgriffe sitzen, obwohl Peter Lenk im nun zu Ende gehenden Sommer wenig Übung hatte. Das Wetter war wohl zu gut, es ist September und erst seine zweite Ausfahrt. Erster Fehler der Besatzung: das Wort „Well­blech“ verwenden im Zusammenhang mit dem Rumpf seiner „Vlieland“. „Also nee, so kann man das nicht sagen, das ist kanneliertes Stahlblech“, so Lenk über die klinkerartigen Falten in der Oberfläche. Es handelt sich um ein Strandrettungsboot aus den 1880er-Jahren, vermutlich hergestellt auf der Werft Havighorst in Bremen.


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Die “Vlieland” war einst ein Rettungsboot

Der 8,5-Meter-Rumpf wog seinerzeit lediglich 1.350 Kilogramm, wesentlich weniger als Vollholzexemplare. Das erleichterte den Transport mit dem Pferdefuhrwerk zum Strand, das Zerren ins Wasser, das Stoßen durch die Brandung und das Pullen zum Havaristen. Aber auch mit dem Leichtbau blieb es eine Herkulesaufgabe für die zehn Mann Besatzung, von denen acht ruderten. Bei ihrem letzten Einsatz am 5. März 1942 schleppten 40 Mann die „Reichspost“ über Packeis vor Langeoog bis zur Wasserkante, danach waren Ruderrettungsboote in der deutschen Seenotrettung endlich Geschichte.

1980 fand Peter Lenk den Gaffelkutter über eine Anzeige auf Fehmarn und legte ihn an den Bodensee. Seine Liebe zum Revier war nach vier Jahren jedoch vorbei. „Der Prüfer des Landratsamtes bemängelte, dass das Verhältnis von roter und weißer Farbe am Rettungsring nicht korrekt sei. Da hatte ich gemerkt, dass ich gehen muss.“ Er verlegte die „Vlieland“ nach Port Cogolin in der Bucht von Saint-Tropez, segelte und wohnte dort fortan in der Nebensaison mit Gattin Bettina.

Der Eigner ist so besonders wie sein Kutter

Lenk positionierte sich seinerzeit als mutiger Künstler, der sich nicht um Despektierlichkeiten oder Aufstellgenehmigungen schert, über den „Zeit“ und „Spiegel“ berichteten. Auf mehrere Stockwerke hohen eisernen Stelzen balancierend installierte Peter Lenk die „Mauerkieker“ an der Berliner Innengrenze. Auch hier gab es keine Genehmigung, die Umsetzung im Handstreich hatte das Zeug zum Staatszerwürfnis. „Lachende Grenzschützer schießen nicht“, gab sich Lenk seinerzeit zuversichtlich. Maximale Aufmerksamkeit und dünnes Eis, damit verschaffte er sich Bekanntheit, strikte Ablehnung wie Anerkennung.

Vorbei war für ihn in jenen Achtzigern auch die neun Jahre dauernde Episode als angestellter Kunstlehrer im Nellenburg-Gymnasium im nahen Stockach. „Pädagogen, gerade die für Nebenfächer, sollten alle zehn Jahre ohnehin etwas anderes machen“, befindet er heute, „ansonsten sinkt der Unterhaltungswert.“ Der war bei Lenk zweifellos gegeben, Noten durften sich die Schüler selbst erteilen, Anfangszeiten wurden als Empfehlung betrachtet – für Schüler wie für den Lehrer. „Ich hatte ihm mitgeteilt, dass er pünktlich kommen müsse“, erzählt sein heute pensionierter Rektor, „aber Peter Lenk antwortete, das müsse man nicht ihm sagen, sondern seinem Pferd.“ Lenk ritt jeden Morgen die acht Kilometer zur Schule.

Ein Umbau in Eigenregie

Auch mit seinem Boot ging Lenk unkonventionell um. Er hatte seiner „Vlieland“ vor der Verlegung ans Mittelmeer einen Eisenkiel untergebolzt und den Kasten für das vorherige Steckschwert entfernt. Für die Strandrettung war der Tiefgang von gerade mal 30 Zentimetern optimal. Die Formstabilität war jedoch aufs Rudern ausgelegt und bestenfalls auf den Winddruck eines kurzen Riggs, nicht aber auf die Hebelwirkung des jetzigen Toppsegels. Der Voreigner hatte bereits auf das heutige Kutterrigg umgerüstet, der Mastfuß des Besan dient seitdem als Fundament für den neu hinzugekommenen Motor. Tiefgang jetzt: 140 Zentimeter.

Beim Blättern in seinen Unterlagen entdeckt Peter Lenk einen gewissenhaft mit Maschine getippten Bußgeldbescheid. Der Hintergrund: Zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 veranstaltete der Senat einen Schiffskorso mit Ehrentribüne. Lenk wollte teilnehmen, durfte aber nicht. „Wir schmuggelten das Narrenschiff auf einem Tieflader im dichten Feierabendverkehr auf den Breitscheidplatz vor der Gedächtniskirche. Der Teleskop-Panzerturm wurde ausgefahren, die Seitenwände haben wir abgesenkt, der Tieflader war damit unsichtbar, die Berliner Polizei suchte ihn erfolglos mit dem Hubschrauber.“

Aber auch im Hafen Cogolin gab es Schwierigkeiten. Die Kosten stiegen, „man durfte dort nicht mehr selbst am Boot arbeiten“, 2005 schien für Lenk die Zeit mit seiner „Vlieland“ in Frankreich beendet. Er verkaufte sie, aber der neue Eigner änderte das Flaggenzertifikat nicht auf seinen Namen. Es gab einen Weiterverkauf an verdutzte Neueigner und einen aufreibenden Zwist um den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum. Schließlich schenkte er seine zurückgekaufte „Vlieland“ einem Bekannten. Lenk hatte keine Lust mehr auf windige Interessenten.

Ein Kreis schließt sich

Und der Beschenkte brachte den Kutter vor wenigen Jahren zurück. Mittlerweile hatte sich Lenk mit der Bodenseeschifffahrtsordnung ausgesöhnt und sie sich mit ihm. „Die Prüfer sind heute nicht mehr so scharf. Es geht mehr um die Sache, da hat sich Wesentliches geändert.“

Tja, Vorschriften. Wie gelangte nun 1993 die 18 Tonnen wiegende Imperia auf ihren Sockel, das „Pegelhäuschen“ im Konstanzer Hafen? Trotz Widersachern? In einer Nacht-­und-Nebel-Aktion und mit List. Peter Lenk erzählt, während er eine weitere Wende vor Bodman steuert. „Vlieland“ schickt er dabei mit dem am Spitzgatt angehängten Ruder durch den Wind, das Schiff folgt willig. Die Schot fährt Lenk aus der Hand, „das mache ich bei jedem Wetter“. Bekannt war damals, dass die Gegner im Gemeinderat abends am Hafen Wache hielten. „Als die ins Bett sind, konnten wir beginnen.“

Zuvor wurde der bisherige Gittermast des Ansteuerlichts abgetrennt und der Yachtwerft Josef Martin in Radolfzell geschenkt. Alle Teile Imperias waren für den Coup bereits auf der anderen Seeseite am Friedrichshafener Bundesbahnhafen auf eine Fähre geladen worden. Für eine stabile Wasserlage hatte das in Kressbronn ansässige Kiesunternehmen Meichle und Mohr, Besitzer der heutigen Marina Ultramarin, einen mit Kies beladenen Lastzug besorgt. Hinter dem Konstanzer Hörnle musste die Fuhre dann ausharren, bevor sie später mit dem Aufstellen beginnen konnten. Die besonders anstößigen Teile Imperias waren sorgfältig mit Planen verdeckt.

Während der Sockel platziert wurde, erschien nachts um zwei Uhr der aufgeregte Kulturbürgermeister Wilhelm Hansen auf der Mole, erinnert sich Peter Lenk an die Minuten, die allen den Atem stocken ließen. „Der fragte mich, was ich denn da um Himmels Willen triebe. Es gäbe einen eindeutigen Beschluss vom Stadtrat, dass diese Figur auf gar keinen Fall aufgestellt werden dürfe. Ich beruhigte ihn, das sei nur eine statische Probe, und die beiden montierten Teile würden am nächsten Tag wieder abgebaut. Na, dann könne er ja in Ruhe weiterschlafen, meinte er. Ich wünschte ihm noch eine gute Nacht.“ In der darauf folgenden Nacht wurden die restlichen Teile aufeinandergestellt.

Fünf Tage später lösten vom Fremdenverkehrsverein beauftragte Sportstudierende in Abseiltechnik die Planen und entblößten damit alle besondere Aufmerksamkeit erregende Körperteile. „Was war das für ein Zirkus“, erinnert sich der damalige Oberbürgermeister Horst Eickmeyer. Er war ein Befürworter des Projekts gewesen, hatte aber auch nur eine Stimme im Gemeinderat. „Ich habe mir dann von Peter Lenk ein Angebot machen lassen, was die Versetzung zu einem weniger prominenten Ersatzstandort kosten würde. Das belief sich auf einen Betrag von 120.000 Mark, und das wollte der Rat nicht genehmigen.“ Damit entstand eine heute noch anhaltende Pattsituation.

Horst Eickmeyer aber sieht jeden Morgen die Statue vor seinem Fenster und freut sich darüber.

Schmallippig fällt dagegen auch nach 26 Jahren die Antwort des katholischen Dekanats Konstanz aus, ob man sich arrangiert habe mit der Imperia: „Ich muss leider mitteilen, dass dieses Thema zurzeit nicht diskutiert wird. Wir wünschen Ihnen alles Gute und Gottes Segen.“ Diplomatischer ist man im übergeordneten Ordinariat Freiburg. Zur Aufstellung habe man deutlich Kritik geäußert, das Kunstwerk entzweie auch heute, „aber die Freiheit der Kunst sollte geachtet werden, auch wenn sie provozieren und Tabus brechen kann“.

Eine Trennung steht bevor

Ob es seinem aktuellen Kunstprojekt ebenso ergehen wird wie der Imperia? Peter Lenk führt in sein Atelier, in einem knappen Jahr soll das Werk fertig sein, bereits jetzt füllt es als Tonmodell die mehrere Stockwerke hohe Halle. Wir dürfen nicht verraten, wer abgebildet ist. Peter Lenks Skulptur muss noch mit Silikon abgenommen werden, ein Formenbauer wird ihm die weichen Negative verstärken. In den Negativformen werden die Skulpturen aus Glasmatte, Epoxidharz und Calciumcarbonat zu einem neuen Positiv laminiert, wie im GFK-Bootsbau. Als sich an seiner „Vlieland“ vor einigen Jahren ein Pütting lockerte, legte er selbst Hand an, das Laminat hält bis heute.

Peter Lenk benutzt seine „Vlieland“ heute nur noch als Motorboot, Mast und Segel sind eingelagert. Grund sei eine Schulter-OP, welche ihm nicht mehr gestatte, die Gaffel hochzuziehen. Und er möchte das Boot verkaufen. Denn der Tiefgang von 1,40 Metern sei für die aktuellen und immer wieder eintretenden niedrigen Wasserstände des Sees zu groß, um das Boot noch sinnvoll zu bewegen.

Dieser Artikel erschien zuerst in YACHT 01/2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.


Technische Daten “Vlieland”:

  • Werft Havighorst/HB (vermutl.)
  • Rumpflänge 8,50 m
  • Breite 2,55 m
  • Tiefgang 1,40 m
  • Gewicht 3,5 t
  • Baujahr um 1880
  • Groß/Fock 40,0 m²
  • Toppsegel 10,0 m²
  • Maschine (Diesel) 25 PS

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