“Troll”-RestaurierungSeekreuzer von “Gorch Fock”-Konstrukteur Harry Wustrau

Lasse Johannsen

 · 24.08.2023

Schmuckstück "Troll": Nach 14-jähriger Restaurierung ist der Seekreuzer von 1925 wieder eine Augenweide
Foto: YACHT/Nico Krauss
In 14-jähriger Restaurierung wurde der Seekreuzer “Troll” aus der Feder von Harry Wustrau gerettet. Die bewegende Geschichte eines schwimmenden Familienmitglieds

“‘Troll‘-Segeln macht glücklich!“ Brigitte Lehmann sitzt an der Pinne und strahlt mit der Sonne um die Wette. Es ist ein Segeltag wie aus dem Bilderbuch. Ein frischer Südwestwind weht der Besatzung entgegen, die sich, aus Arnis kommend, auf den Weg gemacht hat, die Schlei in Richtung Lindaunis aufzukreuzen.

Dabei ist „Troll“ wahrlich keine Kreuzmaschine. Der Spitzgatter lief 1925 auf der Kieler „Reichswerft“ vom Stapel, so hieß die vormalige Kaiserliche Werft im Baujahr und war von ihrem Konstrukteur, dem Marinebaurat Harry Wustrau, der dort die Yachtbauabteilung leitete, für komfortables Fahrtensegeln entwickelt worden. Dass der Seekreuzer von seiner Eignerfamilie Lehmann bald hundert Jahre später noch genau dafür genutzt wird und dabei aussieht, als liege der Stapellauf eher hundert Tage zurück, ist eine Geschichte, die viel von Glück, viel mehr aber noch von Fleiß, Durchhaltevermögen, Opferbereitschaft und tiefer Zuneigung erzählt.

Das Platzangebot ist von außen kaum zu erahnen

Sie beginnt für die Lehmanns, als sich 1989 das dritte Kind ankündigt. Doch für das neue Crewmitglied fehlt auf dem damals genutzten Untersatz die Koje. Die Suche nach einem größeren Familienschiff führt zu „Troll“. Der zehn Meter lange Rumpf ist gut drei Meter breit, geht 1,70 Meter tief und ist ausgerüstet rund zehn Tonnen schwer. Er wurde aus 28 Millimeter starken Planken aus Pitchpine und eingebogenen Eichenspanten gebaut und beherbergt einen Ausbau aus Teak.

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Der Klassiker ist damals kein glänzend lackierter Oldtimer, sondern einfach ein hübsches altes Schiff, liegt in Glückstadt an der Elbe und gefällt mit seiner Ausstrahlung unbedingter Solidität und dem von außen kaum zu erahnenden Platzangebot unter Deck auf Anhieb. Als Lehmanns einziehen, sind die Töchter fünf Jahre, zwei Jahre und drei Monate alt.

Zehn Jahre lang diente „Troll“ als Familienschiff, dann begann sein Eigner mit der Restaurierung

In den folgenden zehn Jahren erobert „Troll“ die Herzen der Lehmanns und wird zum Familienmitglied. Das Schiff ist am Wochenende und in den Ferien ihr Zuhause und bringt sie vom Heimathafen Maasholm aus in die Gewässer Dänemarks und an die Küsten Westschwedens.

Glückliche Familienzeit auf der “Troll”

„Es war eine glückliche Zeit“, sagt Dirk Lehmann mit einem Lächeln im Gesicht. Nachdem er „Troll“ unter Maschine aus dem Hafen und durch das enge Fahrwasser an Arnis vorbei manövriert hat, hat der rüstige 70-Jährige an der archaischen Mastfallwinsch die 50 Quadratmeter Tuch des Großsegels und anschließend das 25-Quadratmeter-Vorsegel gesetzt. Große Segelflächen, die es ebenso zu bedienen gilt wie die Backstagen, als es nun auf die Kreuz geht.

„Die Motivation war für mich die Entspannung“, sagt Lehmann, der damals geschäftlich viel auf Reisen ist. Das Wochenende aber gehörte der Familie, und die fuhr mit ihm zum Boot. „Ich habe es immer versucht, so einzurichten, dass wir Freitagabend an Bord sind.“ Sein größtes Glück ist, dass seine Frau und die drei Töchter sich dort genauso wohlfühlen wie er. „Es gab für uns nur das Schiff“, sagt Lehmann und meint damit den Verzicht auf Landurlaube.

Für „Troll“ sind diese Jahre eine Zeit der Entbehrungen. „Das Schiff war kein Schmuckstück“, sagt Dirk Lehmann rückblickend und berichtet von Sommern mit viel Wasser in der Bilge und Wintern im Freilager, als die Farbe am Pinsel fror und der Schneeregen sich in das Antifouling mischte. Irgendwann wird dem Eigner damals klar, es muss etwas passieren, wenn das Schiff das Familienmitglied bleiben soll, als das es treu und brav Jahr für Jahr die ihm abverlangte Pflicht erfüllt.

Eine Restaurierung der “Troll” wurde höchste Zeit

Die Lösung findet sich eher zufällig. Auf einer Sommerreise liegen die Lehmanns mit „Troll“ in Grenå. Am nächsten Morgen soll früh ausgelaufen werden, der Wind ist günstig für Westschweden. Die drei Mädchen stehen zähneputzend an Deck, als sich zwei Holzmasten dem Hafen nähern und die penibel gepflegte Spreizgaffelketsch „Stella“ einläuft, die sie heranwinken und längsseits nehmen.

Der Eigner ist begeistert von „Troll“ und seiner Besatzung. Im Gespräch erfährt er von den Sorgen um den Erhalt und vermittelt den Kontakt zu Stephan Ernst-Schneider und Niels Engel, die in Grödersby Hallenplätze für traditionell gebaute Yachten vermieten und die Eigner mit Rat und Tat bei Pflege und Restaurierungsarbeiten unterstützen.

“Wir sind bis dahin immer nur gesegelt. Es waren herrliche Sommerreisen, aber immer mit viel Abenteuer. Mal ging die Maschine, mal ging sie nicht. Wir konnten das händeln und fanden es so normal wie das Wasser im Schiff. Aber es war höchste Zeit, sich für unseren ‚Troll‘ etwas zu überlegen“, sagt Lehmann, denn das wäre nicht mehr lange gut gegangen.

„Wenn wir Grödersby nicht gehabt hätten, gäbe es das Boot nicht mehr“, fährt er fort und erzählt vom Herbst 2000, in dem er dort erstmals eintaucht in eine Welt, wo die alten Schiffe als Klassiker wertgeschätzt werden und Bootsbaumeister Niels Engel mit ihm zur Bestandsaufnahme schreitet, um festzustellen, was an „Troll“ zu machen ist, damit auch der Spitzgatter in dieser Welt ein Zuhause findet. Was Lehmann damals nicht ahnt, ist, dass dieser Rees der Auftakt von 14 Jahren Restaurierung ist.

Wochenenden in der Werft statt auf dem Wasser

„Mittschiffs waren vier Spanten gebrochen, mit deren Reparatur ging es 2004 los“, sagt Lehmann und erzählt, wie er seinerzeit ganz vorsichtig damit beginnt, die Schadstellen freizulegen. Irgendwann aber steht die gesamte Einrichtung neben dem Boot, und der Rumpf ist völlig leer.

Lehmann hat keinen Plan und kein Budget. „Aber wir sind dann mit dem Schiff gewachsen“, beschreibt er das, was nun in 14 Jahren passiert. Die Wochenenden verbringt die Familie fortan im Maasholmer Haus der Schwiegereltern, während Vater Lehmann am Schiff arbeitet. Was er nicht schafft, wird in der Woche von Niels Engel fortgesetzt.

Zu Hause beginnt Dirk Lehmann, inspiriert vom Erhalt des „Troll“, die Geschichte seines Klassikers zu ergründen. Und dabei wird ihm nun auch bewusst, was für ein yachtgeschichtliches Juwel er in seiner Obhut hat.

Die “Troll” ist ein yachtgeschichtliches Juwel

„Troll“ lief 1925 als Baunummer 600 in Kiel vom Stapel und wurde als „Sturmvogel“ bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von seinem ersten Eigner unter dem Stander des Hamburger Segel-Clubs auf Elbe und Ostsee gesegelt. Mitten im Krieg kam das Schiff in die Hände der Hamburger Familie Bruhn, die es „Troll“ nannte und durch den Krieg rettete. Noch einmal wurde „Troll“ im heimatlichen Elbrevier verkauft, bis der Seekreuzer 1995 dann zur heutigen Eignerfamilie kam.

Bei seinen Recherchen erhielt Dirk Lehmann von einem der früheren Besitzer wertvolle Fotos aus den 1930er Jahren. Sie zeigen das damals gaffelgetakelte Schiff in Schwarz-Weiß durch glückliche Zeiten segeln. Des Schiffers Mütze so weiß wie die Hemden und die Tischdecke der Kaffeetafel in der Plicht. Das Heck noch etwas höher im Wasser, weil der alte Motor leichter ist oder im Vorschiff mehr zollfreie Spirituosen gestaut sind – wer weiß das heute schon noch.

Eine Yacht aus der Feder von Harry Wustrau

Überliefert aber ist die Entstehungsgeschichte des „Troll“ auf der ehemals Kaiserlichen Werft in Kiel. Marinebaurat Harry Wustrau (siehe Porträt unten) leitete nach dem Ersten Weltkrieg deren Yachtbauabteilung und avancierte dabei zu einem der bedeutendsten deutschen Konstrukteure jener Zeit. Die Umstände dieser von Kriegsfolgen, Inflation und Weltwirtschaftskrise geprägten Jahre führten zur Entwicklung kleiner, wertstabiler Fahrzeuge zum Wasserwandern und Fahrtensegeln.

Wustrau segelte selbst seit frühester Jugend aus tief empfundener Leidenschaft

Wustrau, beruflich bis dato für eher größere Tonnagen zuständig, segelte selbst seit früher Jugend aus tief empfundener Leidenschaft. Nun lieferte er nicht nur entsprechende Konstruktionen, sondern auch das Buch „Vom Kanu zum kleinen Kreuzer“, in dem er „Zeichnung, Bau und Handhabung kleiner Yachten und Boote“ beschrieb.

Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs entstanden auf seinem Zeichenbrett die Werftklasse „Frohsinn“ und ihre größere Schwester „Lilly“. In der YACHT wurden diese für den „Reihenbau“ geschaffenen Konstruktionen schon im Jahr 1920 als „neue Yacht-Typen“ vorgestellt. „Vier Fahrzeuge dieser Art sind im Laufe des Sommers bereits fertiggestellt und abgeliefert, eine Reihe weiterer Boote ist jetzt in Arbeit.“

Bau und Hölzer nannte die YACHT erstklassig, der Konstrukteur sah in seinem Werk das idealtypische Familienboot

Die Serienfertigung sollte Geld sparen, die Boote konnten als „Frohsinn“ mit neun Metern und „Lilly“ mit zehn Metern gebaut werden. Die Mallen wurden dabei für den Bau einer „Lilly“ lediglich mit weiteren Abständen aufgestellt.

Ziel: Ein wohnliches Schiff ohne Risiko

Wustrau schreibt über das Schiff in seinem Buch: „Der Wunsch war, das wohnlichste Fahrzeug zu schaffen, welches der Eigner noch allein mit Frau und jungen Kindern ohne bezahlte Hand in jedem Ostsee-Sommerwetter ohne besonderes Risiko segeln konnte.“ Eine Plicht von zwei Meter Länge, wahlweise selbstlenzend, sah Wustrau als ebenso essenziell an wie „Stehhöhe von mindestens 1,90 Meter“ und „fünf bequeme Kojen, reichlich Kocheinrichtung und Pantry sowie bequeme Waschgelegenheit und W.-C. an Bord“.

Seglerisch schwebte ihm vor, ein „möglichst scharfes und schnelles Schiff zu gestalten“. Auch die Besegelung wählt der Marinebaurat mit Bedacht. „Sie ist so bemessen, dass man infolge des vorn weit weggeschnittenen Lateralplans bei jeder Windstärke auch ohne Vorsegel fahren kann; mit dem Großsegel allein fällt ,Frohsinn‘ unter allen Umständen ab, selbst mit dichter Schot, und kann alle Manöver ausführen.“

Das Ideal eines Familienbootes

Es dürfe wohl gesagt werden, so Wustrau, dass mit diesem Fahrzeugtyp das lange gesuchte Ideal des billigen, geräumigen, absolut seetüchtigen Familienbootes entstanden sei, dessen Innenräume für ein wochenlanges Wohnen von vier bis fünf Personen wirklich bequem ausreichten.

Auch von den Kritikern erhielten „Frohsinn“ und „Lilly“ Bestnoten. „Das Baubesteck entspricht den Vorschriften des Germanischen Lloyd für die höchste Klasse der Seeyachten. Da die Reichswerft noch über große Bestände an erstklassigen Bauhölzern verfügt, können diese für die Bauten verwendet werden. Die Bauausführung ist erstklassig, die Werft verfügt über einen Stamm alteingearbeiteter Bootsbauer.“

In Grödersby eifert Eigner Dirk Lehmann ihnen fast hundert Jahre später nach. Und so wird aus dem alten Spitzgatter in jahrelanger Kleinstarbeit Stück für Stück, was Liebhaber heute unter einer klassischen Yacht verstehen.

Diverse Spanten werden ebenso ersetzt wie der Mastfuß, Teile vom Balkweger, der Schlinge und von Vor- und Achtersteven. Schotten werden repariert, das Motorfundament erneuert und versetzt, das Teakdeck saniert. Die Plankengänge der Außenhaut werden neu kalfatert und die Verbände zu großen Teilen ersetzt. Lehmann baut ein Skylight und bezieht das Aufbaudach mit Leinentuch. Den Salonboden erneuert er unter Verwendung alter Eichenhölzer. Die gesamte Einrichtung wird aufgearbeitet und wieder eingebaut, Polster ausgetauscht und die Pantry modifiziert. Zwischendurch kommt das Schiff regelmäßig ins Wasser, damit der Rumpf nicht austrocknet.

Der 100. Geburtstag der “Troll” ist in Sicht

Die Familie unterstützt ihren Skipper bei seinem Tun. Die Töchter werden in diesen Jahren flügge und immer selbstständiger, doch das Geschehen am „Troll“ verfolgen sie zur Freude des Vaters lebhaft.

Auch als das Schiff nach 14 Jahren Restaurierung wie neu wieder im Wasser liegt, ist die Familie zusammen an Bord. Mehr noch. Seit dem vergangenen Sommer hat Tochter Sophie, die einst der Anlass für die Anschaffung war, selbst die Schiffsführung übernommen und segelt ihre eigenen Reisen im Wechsel mit den Eltern.

Den hundertsten Geburtstag ihres schwimmenden Familienmitgliedes wollen die Lehmanns gebührend feiern. Ein Vorgeschmack war im vergangenen Sommer schon die Auszeichnung mit dem Restaurierungspreis des Freundeskreises Klassische Yachten in Laboe. Ohne die viele Unterstützung, so Lehmann mit seiner Frau im Arm und dem Preis in der Hand, hätte er die 14 Jahre nicht durchgehalten.


Marinebaurat Harry Wustrau

yacht/wustrau-3_7a19d60ca55e1e6334aad33abfb4c154Foto: YACHT

Geboren 1878 in Berlin, lernte Wustrau das Segeln dort von seinem Vater. Nach dem Gymnasium studierte er Schiffbau, wurde beim Akademischen Segler-Verein aktiv und beschäftigte sich mit dem Entwurf kleinerer Jollen und Yachten, die im Auftrag für Freunde auf Berliner Werften gebaut wurden. Nach dem Studium kam Wustrau an die Kaiserliche Werft in Kiel, wo er bis 1912 wirkte. In dieser Zeit gründete er seine Familie, mit der er ebenfalls segelte, und – gemeinsam mit Admiral Barandon – die Kieler Yachtschule.

Seit 1913 setzte sich Wustrau im technischen Ausschuss des DSV für kleine und billige Bootsklassen ein, um Segeln als Volkssport zu etablieren. Von 1913 bis 1917 war Wustrau im Reichsmarineamt tätig, 1918 wurde er Leiter der Yachtbauabteilung der ehemals Kaiserlichen Werft in Kiel. Im Jahr 1933 übernahm Wustrau die Schiffbau-Ausbildung an der Marineschule Mürwik. Bei Kriegsausbruch wurde er nach einem Schlaganfall dienstuntauglich. Harry Wustrau starb im März 1945. Seine berühmteste Konstruktion ist die „Gorch Fock“.


Technische Daten “Troll”

Ex “Sturmvogel”

yacht/img-20220802-134044-hdr_1bde6ebd857ea40d94d4bb03dc5b56eaFoto: Privat
  • Baujahr: 1924
  • Werft: Reichswerft Kiel
  • Konstrukteur: Harry Wustrau
  • Länge: 10,05 m
  • Breite: 3,06 m
  • Tiefgang: 1,68 m
  • Verdrängung: 9,61 t
  • Ballast: 4,0 t
  • Segelfläche: 75 qm
  • Motor: Volvo Penta 2003

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