Traditionsschiff wird abgewracktMarstal-Schoner “Zuversicht” – der Koloss von Kiel

Matthias Beilken

 · 21.09.2023

Der ehemalige Fracht­segler  während eines seiner vielen Törns vor der deutschen Ostseeküste
Foto: YACHT/Morten Strauch
Die „Zuversicht“ war einer der ältesten noch fahrenden, legendären Marstalschoner. Gebaut im Jahre 1905, legte das imposante Schiff eindrucksvolles Zeugnis ab vom Bootsbau früherer Tage. Doch nun muss der Traditionssegler abgewrackt werden. Grund genug, noch einmal auf einen Besuch an Bord zurückzublicken.

Seit 2000 hatte der Kieler Verein Jugendsegeln den 30 Meter langen Marstalschoner „Zuversicht“ bereedert und Fahrten mit Schulklassen und Jugendgruppen durchgeführt. Doch weil das Schiff seit zwei Jahren in der Werft liegt und keine Geldmittel für die dringend notwendige, umfangreiche Sanierung vorhanden sind, muss die „Zuversicht“ nun abgewrackt werden.

Die YACHT war 2014 an Bord, als die “Zuversicht” noch in voller Pracht segelte. Die Reportage von damals gibt einen Eindruck von der Geschichte und der Aura des Schiffes:

Kein Zweifel, sie ist das schönste Schiff im Hafen – im Museumshafen. Und mit 30 Meter Länge auch das größte. An Deck zwei Masten, stark wie Baumstämme. Dar­über Stengen, die fast zierlich aussehen, wie Grünholz. Die übrigen Spieren – Scho­nerbaum und Gaffeln – wirken knorrig und zierlich zugleich, die Äste des alten Baums. Dessen Name: „Zuversicht“.

Der Holzrumpf des 1905 gebauten Schiffs ist fein schwarz gepönt, abgesetzt mit weißen Scheuerleisten. Zwischen den Davits hängt zudem ein weißes Klinkerdingi in Taljen. Die erwecken zumindest aus der Distanz den Eindruck, als bestünde ihr Leinengespul aus cremefarbenem Manilahanf.

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Das Schandeck glänzt naturlackiert. Unter diesem beulen die schwarzen Flanken etwas nach außen aus. Unter dem Löffelbug gehen die Vorschiffslinien gleich in die Breite. Moderne Yachtsegler würden eine solche Bauchform wohl „Tumblehome“ nennen. Aber es geht nicht um Modernität, hier im Museumshafen Kiel.

Einst wurden Hunderte Marstal-Schoner mit dem herzförmigen Heck gebaut

Der typisch weiß umrandete Heckspiegel in Herzform schließlich weist die „Zuversicht“ als das aus, was sie ist: als einen hölzernen Marstal-Schoner, und zwar einen mit weit über 100 Jahren zwischen Kielschwein und Eichenspanten. Er dürfte eins der ältesten Exponate der legendären Frachtsegler sein, die noch in Fahrt sind. Dänen aus dem Städtchen Marstal auf Ærø befuhren vor gut 150 Jahren die See auf ihren berühmten Schonern, von denen Hunderte gebaut wurden.

Der Verein Jugendsegeln in Kiel versucht, die „Zuversicht“ instandzuhalten. Ende Herbst zeugt das abgewetzte Deck von der bevorstehenden Arbeit während des nahenden Winters. Die wirft schon jetzt ihre Schatten voraus, obwohl das Schiff noch auf Törn geht. Zumindest verschwindet Skipperin Meike Holland lange im Maschinenraum, als sie an Bord kommt. Dort drückt sie sich an allen möglichen Aggregaten vorbei, peilt Öl- und Wasserstände, checkt Antriebsriemen. Dann erst brüllt der Diesel auf.

Holland, von zarter Statur, war Jollen­regattaseglerin vom Biggesee – und ist es im Herzen immer geblieben. Bewahrt hat sie sich ihr Faible für ebenso scharfes wie gekonntes Manövrieren. Auch wenn sie jetzt als Mutter von zwei Kindern in der Nähe von Kiel wohnt, vereint sie den im Sauerland gelernten Jollenpragmatismus mit handfester Seemannschaft und charismatischer Kapitänsverantwortung. Sie ist Törns auf der Brigg „Roald Amundsen“ und anderen Traditionsseglern gefahren. Mit ihrem Mann, der als Arzt die Bordapotheke der „Zuversicht“ managt, segelt sie privat einen Schärenkreuzer. Als Bootsfrau und Deckshand steht der Skipperin Sonja Endres zur Seite.

Am Ruder. Skipperin Meike Holland entdeckte das Schiff vor über 15 Jahren in DänemarkFoto: YACHT/Morten StrauchAm Ruder. Skipperin Meike Holland entdeckte das Schiff vor über 15 Jahren in Dänemark

Die “Zuversicht” ist das Boot zu Carsten Jensens Roman “Wir Ertrunkenen”

Die stylische Faltbrücke über die Hörn öffnet gleich. Die Crew holt die Festmacher ein, erwachsene Taue, die sie zu ordentlichen Kollis aufkringelt. Auch die Fender fallen an Bord der „Zuversicht“ etwas größer aus, sie wohnen unter der Back. Dort ist Krabbelei angesagt. Vorbei an der Ankerwinsch, entlang an der Kette und zur Klüse, die sich in der hintersten Ecke befindet.

Apropos Ecke. Der Romanautor Carsten Jensen fährt fast in jedem Winkel dieses alten Marstaler Frachtschoners mit. Sein Werk „Wir Ertrunkenen“ hält die Geschichte des berühmten Seefahrerstädtchens omnipräsent lebendig, die „Zuversicht“ ist quasi das Boot zum Buch. Jensens Protagonist, Kapitän Albert Madsen, zerrt gefühlt mit an den Leinen.

Auf diesen alten Planken wird neben Schönem auch einiges Unschöne passiert sein.

Seefahrt mag zu Madsens Zeiten genauso notwendig gewesen sein wie heute. Eines war sie garantiert nicht: lustig. Jensen erzählt von Schrumpfköpfen, von U-Boot-Attacken, von gesetzlosen Halunken und von mal mehr, mal weniger glücklichen Heimkehrern nach Marstal. Meint: Auf diesen alten Planken wird neben Schönem auch einiges Unschöne passiert sein. Seemannsglück, aber eben auch Hunger, unmenschliche Arbeit, Elend und Tod.

Die „Zuversicht“ ist zwar ein vergleichsweise kleines Arbeitsschiff. An Bord sind aber auch nur eine Handvoll Leute. Und so müssen sich alle ganz schön ins Zeug legen, um das einteilige Marstal-Schonergroßsegel mit seiner schweren Gaffel zu setzen.

Taue und Schäkel sind derber, die Wege sind länger

Unter Segeln ist es dann regelrecht erstaunlich, wie sensibel der Riesentrog auf die Hebelwirkungen des Großsegels am achteren Mast sowie der vier Vorsegel reagiert – als ob das Schiff zwischen ihnen pendele. Abfallen, ohne das Groß zu fieren, ist nicht. Wenden, ohne die Vorsegel backzuhalten, ebenso wenig. Dem mittleren Schonersegel ist die Hebelwirkung versagt, es steht fast exakt über dem Drehpunkt.

Auf Kurs. Selbst unter Vollzeug segelt die „Zuversicht“ nicht allzu schnell, aber beständigFoto: YACHT/Morten StrauchAuf Kurs. Selbst unter Vollzeug segelt die „Zuversicht“ nicht allzu schnell, aber beständig

Ein zweites Buch fährt ebenfalls im Geiste mit: John Leathers famoses „Gaff Rig Handbook“, das in Wort und Bild so ziemlich alles erklärt, was zu nichtdreieckigen Segeln und den Schiffstypen, die sie führen, zu sagen ist. Transferdenken macht sich breit. Zwar gefällt der Yachtseglergedanke, dass so ein Stück Stoff am Topp ja eigentlich auch bloß eine Art Gennaker oder ein sehr hoch angebrachtes Luggersegel ist und dass das Ganze dann gefälligst auch so zu funktionieren hat. Jedoch sind die beteiligten Taue und Schäkel dann doch alle etwas derber und die Wege etwas länger.

So behindert beispielsweise das Groß­stengenstag, das schräg nach oben von der Saling des Schonermasts zum Topp der Stenge am Großmast steigt, den Lauf des Toppsegelfalls. Klarieren geht nur direkt vom Eselshaupt am Schonermast aus. Also Aufentern, gefühlt 18 Meter hoch über Deck.

Der Rumpf der “Zuversicht” hat etwas Ponton-artiges

Das Fall ist klariert, Zeit für einen Rundumblick. Von oben offenbart sich das Geheimnis um die Frachteffizienz des Marstal-Schoners, die sich reziprok zu „Zuversichts“ Schrittgeschwindigkeit verhält, denn: Zackig segeln geht anders. Die linealgeraden Rumpfseiten umfrieden einen sechs Meter breiten Schiffskörper, der lediglich an den Enden in Bug und Heck übergeht. Das Ganze hat etwas Ponton- oder Trogartiges; die von Yachten gewohnte Eiform fehlt.

Aber genau geschaut: Richtung Heck verjüngen sich die Flanken dann doch etwas. Zusammen mit Deckssprung und ausfallenden Wänden ergibt sich so das Bild eines dennoch eleganten Schiffs, dessen Li­nien vor Kraft strotzen und das viel Seetüchtigkeit vermuten lässt.

Marstal hatte nach Kopenhagen die zweitgrößte Handelsflotte Dänemarks

Dem muss wohl so sein, auf Marstal-Schoner stieß man früher schließlich nicht grundlos fast überall: Der Ort hatte nach Kopenhagen die zweitgrößte Handelsflotte Dänemarks vorzuweisen. Vor allem auf die vernebelten Fischgründe jenseits des Atlantiks fuhren die Dänen bevorzugt im Dutzendpack, Kabeljau holen.

Marstal-Schoner könnte man also mit Fug und Recht als europäische Ausgabe der Neufundlandschoner bezeichnen. Überhaupt: Bristol Trawler, Thames Barges, Bisquinen, Finkenwerder Kutter – herr­liche Ausgeburten lokalen Seefahrertums. Berühmte Schiffstypen mit kraftvollen Bezeichnungen, die aus einer Zeit stammen, als die Welt noch kleiner war und Regionalität zuließ. Wie das Phänomen Marstal eben.

Sie kann nicht fliegen. Aber sie wird immer ankommen.

Die „Zuversicht“ erzittert nur leicht, wenn sie gegen eine Welle bolzt. Sie bremst nicht. Sie beschleunigt aber auch nicht ruckartig in Böen. Das Schiff ist eine segelnde Tatsache, eine Konstante. Sie kann nicht fliegen. Aber sie wird immer ankommen.

Weil die Frachtkapazität der Marstal-Schoner legendär war, ist die umgebaute „Zuversicht“ heute das perfekte Kellerschiff. Salon Fehlanzeige, es gibt nur „oben“ oder „unten“. Da ist ein Niedergangsluk im ehemaligen Lukendeckel über einer fast senkrechten Eisenleiter, die in den ehemaligen Frachtraum führt. Wer dort weilt, bekommt vom Betrieb an Deck nicht mehr viel mit. Es sei denn, er lugt durch die sehschlitzartigen Fenster, die aber auch nur einen Blick auf die Holzreling gewähren.

Der Innenraum der “Zuversicht” ist kaum unterteilt

„Zuversichts“ Innenraum ist kaum unterteilt. Es gibt eine Kombüse und die Messe samt Kojen an den Wänden, umrahmt von groben, weiß getünchten Enden von Eichenspanten. Separate Kammern: Fehlanzeige. Nur vorn finden sich kleinere Schlafräume. Und als Skipperin genießt Meike Holland das Privileg, achtern im Kartenhaus in der Kapitänskajüte wohnen zu dürfen.

Arbeitsplatz. Kartentisch samt Funk- und Navigationsgeräten  in der rustikalen KapitänskajüteFoto: YACHT/Morten StrauchArbeitsplatz. Kartentisch samt Funk- und Navigationsgeräten in der rustikalen Kapitänskajüte

Schleimünde, Maasholm, die schwe­ren Festmacher fliegen wieder an Land. Die Decksplanken schimmern so, wie Pitchpine das in der Abendsonne eben kann. Keinerlei „Creature comfort“ hier, gegessen wird auf den Lukendeckeln. Alle hauen rein wie die Scheunendrescher. Nach Landgang steht niemandem der Sinn, viel zu müde ist die Crew. Und außerdem: Die Rücken zwicken. Eine Abendbrise weht über Deck, Sturmkerzen flackern in Einweckgläsern. Der ehemalige Vereinsvorsitzende Matthias Heuer und seine Frau Anke kommen zu Besuch und erzählen von den Anfängen.

Die “Zuversicht” ist auch schon mal auf Tiefe gegangen

Zur Keimzelle, die den Verein 1996 gegründet hat, gehört Schlimbach-Preisträger Christoph Bauch. Er hatte drei Jahre zuvor in einer Mammutaktion mit einem Wibo-Stahlknickspanter erstmals ganz Skandinavien (Sankt Petersburg–Archangelsk–Nordkap–Spitzbergen–NOK) umrundet. Meike Holland war seinerzeit mit dabei.

Bauch wollte danach mit der Kirchen­jugend des Nordelbischen Pfarramts Traditionssegeln gehen. Daraus ergab sich der heutige Verein. Zunächst holte man die ebenfalls historische Marstal-Galeasse „Carola“ nach Kiel. Später hörte Holland während eines Dänemark-Urlaubs von dem schwarzen Schoner „Zuversicht“, der in Sonderburg an der Kette lag. Bauch und Co. kauften ihn flugs und überführten ihn im Herbst 2000 zu einer deutschen Werft – wo er tags darauf erst einmal auf Tiefe ging. Über dem Deck, auf dem jetzt die Labskausschüsseln stehen, stand mithin schon einmal Hafenwasser. Dennoch gelang es, das Schiff wieder in Fahrt zu bringen.

Mithilfe der Vorspring, ausnahmsweise, zirkelt Holland am nächsten Morgen den 110 Jahre alten Holzbatzen von der Pier weg. Zum Glück ragt der etwas über den Steg hinaus, Bugspriet sowie Wasserstag können frei schwenken, während das Heck abklappt. Drehte die Skipperin dagegen erst den Bug vom Land weg, würden Davits, Flaggenstock und Beiboot den Steg wohl mitsamt Stromkästen besenrein fegen.

Noch bevor sich alle an Deck ein paar Brötchen schmieren können, wandern unter Sonjas Endres Leitung erst einmal sechs schwere Segel an den Mast. Da Winschen an Bord nicht vorhanden sind, kann die Crew nur so viel Last auf Taue bringen, wie ein paar Hände reißen können.

200 Leute für Aufgaben, für die wir nur 20 haben.“

Unwillkürlich kommt einem da wieder eine Stelle aus Carsten Jensens Buch in den Sinn. Der lässt seinen Protagonisten Albert Madsen auf seinem Marstal-Schoner beim Anblick eines Linienschiffs und dessen Heerscharen an Matrosen etwas nörgelig bemerken: „Typisch Kriegsmarine. 200 Leute für Aufgaben, für die wir nur 20 haben.“

An Bord fühlt man sich wie der König der Landstraße

Irgendwann ist Ruhe. Die Segel stehen und ziehen, der Diesel schweigt. Auf der Wochenend-Rennstrecke zwischen Schlei und Kiel, auf der Dutzende Fahrtenyachten unterwegs sind, fühlt man sich an Bord der „Zuversicht“ wie der König der Landstraße.

Viel zu schnell ist die Förde erreicht, muss die Maschine wieder mit ran. Zeit fürs Klarieren. Die Bootsfrau verübt vorn im Klüvernetz einen einsamen Job beim Segel­packen. Sie zurrt das Tuch mittels der Vorsegel-Niederholer fest, das sieht aus wie Häkeln. Bis alles andere auch gepackt ist, steht das Schiff wieder an der Hörnbrücke.

Die am Liegeplatz herrschende Damenbrise kann den unbesegelten Schoner nicht beeindrucken – was in etwa so viel wiegt wie zwei Waggonladungen voll Holz, vertreibt nicht gleich bei einem Hauch Wind. Und die Dame am Ruder beeindruckt das laue Lüftchen erst recht nicht.

Ein paar Motorschübe, dann treibt der Schoner rückwärts auf seinen angestammten Platz, die Vorspring folgt einer Wurfleine auf die Pier, Holland manövriert zentimetergenau in die Lücke. Das Besangetakel vom achteren Nachbarn ist nur eine Zigarrettenschachtellänge von „Zuversichts“ Flaggenstock entfernt.

Ein Minischub mit dem 240-PS-Diesel noch, dann wandert auch der Tritt auf dem Schandeck genau auf Höhe des Kettendurchlasses im Piergeländer. Feierabend.


Technische Daten “Zuversicht”

yacht/zuversicht_5ae5ee54cae93c91fae058456393df0fFoto: Yacht / B. Rothenberg
  • Schiffstyp: Marstal-Schoner
  • Baujahr: 1905
  • Länge über alles: 30 m
  • Rumpflänge: 24 m
  • Breite: 6 m
  • Tiefgang: 2,20 m
  • Gewicht: 60 t
  • Segelfläche am Wind: 320 m²
  • Motor: MAN-Diesel, 240 PS
  • Kojen/Tagesfahrtenplätze: 16/30

Verein Jugendsegeln e. V.

Gegründet vor 20 Jahren, derzeit rund 80 Mitglieder aller Altersklassen. Ziel ist der Erhalt und Betrieb historischer Schiffe und die Weitergabe des dafür erforderlichen Wissens an junge Menschen. Die Mitglieder – dazu gehören aktive Skipper, Bootsmänner und -frauen – fahren regelmäßig als Bootsleute auf See. Zu ihrer Schulung bietet der Verein regelmäßige Ausbildungs- und Sicherheitstrainings an. Ein Bootsobmann leitet und koordiniert die anfallenden Überholungsarbeiten gemeinsam mit dem Werftteam, in dem jedes Vereinsmitglied eingeladen ist, sich zu engagieren. Die „Zuversicht“ steht auch Nichtmitgliedern für Tagesfahrten und auch längere Törns zur Verfügung.


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