Mistral 33 “Piano”Vom Seekreuzer zum Retro-Klassiker – ein Schmuckstück

Lasse Johannsen

 · 26.02.2023

Eigner Frank Schamuhn (l.) und Freund Peter Lansnicker an Bord der frisch refitteten „Piano“
Foto: YACHT/Nico KraUSS
Die Mistral 33 im Detail
Weil er von einem Retro-Klassiker träumte, verwandelte ein Eigner seine betagte Hallberg-Rassy Mistral 33 in einem radikalen Refit, bis sie dem begehrten Vorbild entsprach

Es ist einer dieser Sommerabende, die Segler unwill­kürlich dazu animieren, Tagträumen nachzugehen. Frank Schamuhn liegt gerade mit seiner „Piano“ in der Dyvig auf Alsen, als ein Retro-Klassiker einläuft. Klassische Linien über Wasser, schön eben das Deck mit den eingelassenen Luks und Beschlägen, das über die Silhouette der schlanken Slup mit langen Überhängen wandernde Auge bleibt nur am Eigner hängen, der ganz lässig im Regiestuhl auf dem Achterdeck sitzt.

Ein Schlüsselerlebnis als Startschuss

Bei Schamuhn macht es klick – er kann gar nicht anders und baut die Szene umgehend in seine Tagträume ein. Heute sagt er, dass dieser Augenblick der Auslöser war für das, worauf er nun zufrieden zurückblickt: die Restaurierung seiner Anfang der siebziger Jahre auf Ellös bei Hallberg-Rassy gebauten Mistral 33. Eine fast zweijährige Kur, bei der er in mehr als 1.000 Stunden nicht nur Substanz und Kosmetik wieder in den Neuzustand zurückversetzt, sondern auch das Design des Klassikers seinen Träumen aus der Dyvig angepasst hat.

„Ich hoffe, dass sich Olle Enderlein nicht im Grabe umdreht“, sagt Schamuhn und lacht. Es ist Saisonbeginn, der erste nach Beendigung der Arbeiten. Schamuhn und seine Familiencrew haben die „Piano“ bereits aus Bremen an den Sommerliegeplatz in Gelting verholt. Nun steht die Ernte der Mühsal an, und als der Eigner über seinen Klassiker führt, staunt er selbst darüber, was er in den vergangenen zwei Jahren angefasst hat: „eigentlich alles“.

Fast war der Klassiker auf der Verkaufsliste der Familie

Der Entschluss, seinen Tagtraum in die Tat umzusetzen, kam zu passender Zeit. Seit Jahren war der Verkauf des schwedischen Seekreuzers geplant, der für die ganze Familie zu klein zu werden schien. Doch je länger sich die Verkaufsbemühungen hinzogen, desto älter wurden die Kinder und desto bewusster die Erkenntnis, dass die „Piano“ eines Tages völlig ausreichen würde.

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Ein gebrochener Knöchel seiner Frau bringt im Sommer 2019 den Stein endgültig ins Rollen. Für Schamuhn ist die Saison vorbei. Er erklärt die Verkaufsbemühungen für beendet, verholt die „Piano“ nach Bremen, lässt Mitte August aufslippen und geht mit Feuereifer daran, den Klassiker im umfassenden Refit seinen Vorstellungen anzupassen.

Schamuhn hat konkrete Vorstellungen und den Retro-Klassiker Spirit 50 vor seinem inneren Auge. „Die werde ich mir nie leisten können, aber so in die Richtung wollte ich kommen“, sagt er rückblickend. Vor allem aber kennt der Eigner seinen Klassiker und dessen Schwachstellen und weiß, was zu tun ist, um nicht nur die Optik auf ein zweites Leben der „Piano“ vorzubereiten.

Die Spirit 50 aus England inspirierte den Eigner seinerzeit zum RefitFoto: Mike Jones /Waterline MediaDie Spirit 50 aus England inspirierte den Eigner seinerzeit zum Refit

Seit 2006 sind die Schamuhns nämlich schon an Bord zu Hause, ihr Sommerliegeplatz ist bis kurz vor der Restaurierung im Hafen von Grömitz. Von hier aus besegeln sie an den Sommerwochenenden die Lü­becker Bucht, auf Sommertörn geht es rund Fünen oder nach Südschweden. Die Söhne werden an Bord groß. Es ist das typische Dasein einer Seglerfamilie, und dazu gehören auch die Wintermonate.

Schamuhn hat in diesen schon vieles in die Hand genommen. „Als wir es kauften, war der Klassiker in einem recht desolaten Zustand“, sagt er rückblickend. Die Schamuhns erneuern mit der Zeit die Polster und das Teakdeck, ziehen sämtlichen Lack ab, aber, wie der Eigner betont, damals noch „unter Winterbedingungen und recht laienhaft“. Sie lackieren den Rumpf, furnieren die Bodenbretter, erneuern Bordelektrik und die technische Ausstattung und ergänzen Kühlschrank und Warmwasserboiler.

Große Baustelle bei der “Piano”: der Motor

Ein ewiges Thema ist anfangs der alte Volvo Penta aus dem Baujahr der Mistral. „Der machte hin und wieder mal Mucken“, erinnert sich Frank Schamuhn, der viel Zeit in Reparaturen steckt. „Bis wir den dann irgendwann mal getauscht haben.“ Schamuhn entscheidet sich seinerzeit für einen baugleichen Motor. Der ist generalüberholt und auf Zweikreiskühlung umgerüstet.

Auch heute Morgen springt der alte MD 11 C ohne langes Orgeln an und schafft mit solidem Klang und typischem Odeur ­eine schiffige Atmosphäre, als es aus dem Hafen geht. Die Segel sind schnell gesetzt, und bei dem leichten Wind läuft die Mistral wie auf Schienen. Die große Plicht lädt dazu ein, es sich ausgestreckt bequem zu machen, und der Retro-Klassiker strahlt aus, dass es nun ruhig ein paar Tage geradeaus gehen könne.

Nicht nur aufgrund dieser Eigenschaft ist die Mistral eine typische Vertreterin der westschwedischen Seekreuzer aus den sechziger Jahren. Auch ihre Linien weisen sie als solche aus. Denn Konstrukteur Olle Enderlein prägte damals das Wesen dieser „Havskryssare“. Ihre Linien erinnern über Wasser an die Konstruktionen von Sparkman and Stephens, unter Wasser sind Enderleins Entwürfe traditionell geblieben.

Die Zeit markiert den Übergang des traditionellen Bootsbaus zur GFK-Serienfertigung. Harry Hallberg hatte seine seit 1943 in Kungsviken auf Orust betriebene Werft verlassen und einen großen Neubau in Ellös bezogen. Hier sollten die seit 1955 gebaute P 28 mit Kunststoffrumpf und die 24 Fuß lange Misil ganz aus GFK entstehen. Und es wurde möglich, ein größeres Modell zu bauen.

Die kluge, moderne Konstruktion ist die Stärke der “Piano”

Hallberg wandte sich an Olle Enderlein, der ihm 1966 die 33 Fuß lange Mistral kon­struierte. Rumpf, Deck und Plicht aus GFK, der Decksbelag aus Teakstäben und der Aufbau aus Mahagoni. Das ergab, so das Kalkül, die Verbindung des Besten aus zwei Welten. Einen pflegeleichten und strukturell kaum anfälligen Rumpf und die Anmutung der klassischen Seekreuzer.

Konstrukteur und Werft landeten mit der Mistral 33 einen Volltreffer. Unter Wasser hat der Klassiker einen geteilten Lateralplan mit großem Skeg vor dem Ruder. Ein von Enderlein vorgesehenes Trimmruder wurde zwar nie gebaut, und der massive Schraubenbrunnen war im Baujahr schon altmodisch, trotzdem ging die Konstruktion als modern durch und wurde auch so beworben.

Der Mast steht weit vorn, was ein für die Topptakelung relativ kleines Vorsegeldreieck und ein entsprechend breites Großsegel ergibt – das erklärt die sprichwörtliche Luv­gierigkeit der Mistral. Tatsächlich haben manche Eigner den Riggplan verändert oder den Lateralplan zwischen Kiel und Ruder modifiziert, um das Problem abzumildern.

Die Mistral 33 wird Kult, aber ihr Bau ist zu aufwändig

Das gefällige Design erwarb sich schnell einen regelrechten Kultstatus, von dem die mittlerweile 40 bis 50 Jahre alten gebrauchten Klassiker heute noch zehren. Insgesamt 216 Einheiten verließen in den Jahren 1966 bis 1975 das Werftgelände, mehrere wurden in die USA exportiert. Es war der Höhepunkt des Erfolges Harry Hallbergs, der seinen Betrieb 1972 an Christoph Rassy veräußerte. Der firmiert fortan als Hallberg-Rassy und produziert die Mistral in Ellös noch drei weitere Jahre lang.

Doch mit dem Erfolg der von Rassy seit 1967 vollständig aus GFK gebauten Rasmus 35 kann sie nicht mithalten. „Sie zu bauen hat mehr Arbeitsstunden verlangt als bei einer Rasmus 35, obwohl es nie möglich war, für die deutlich kleinere Mistral 33 das zu berechnen, was die Rasmus 35 bringen konnte“, sagt Christoph Rassys Sohn Magnus, heutiger Chef der Werft.

Rund sechs Wochen brauchen die Bootsbauer zuletzt für die Fertigung, knapp 80.000 Mark – ohne Mehrwertsteuer – kostet sie 1975 den Käufer. Und als 1974 die ebenfalls von Olle Enderlein entworfene, vollständig aus Kunststoff gebaute Monsun 31 auf den Markt kommt und sich aus dem Stand als Kassenschlager entpuppt, ist klar, dass die Zeit der Komposit-Konstruktion zu Ende geht.

Heute sind Liebhaber bereit, hohe Preise für ein gut erhaltenes Exemplar zu bezahlen oder – wie die Schamuhns – viel Zeit und Geld hineinzustecken. „Zunächst habe ich mich mit dem Rumpf beschäftigt“, erinnert sich Schamuhn an den Sommer 2019, als er mit Elan ans Werk geht. Mit Rolle und Schlichtpinsel trägt er Awlgrip auf, ein Freund hilft beim Endanstrich.

Zwei Jahre Arbeit und am Ende große Zufriedenheit an Bord

Peter Lansnicker ist heute mit an Bord, zückt sein Smartphone und zeigt Vorher-nachher-Fotos. Nach diesem Erfolgserlebnis machen sich die Schamuhns daran, alles, was an Deck unter Lack steht, bis aufs rohe Holz abzuziehen. „Und dann überlegten wir uns das mit den Fenstern“, sagt Schamuhn. Er sitzt an der Pinne und schaut zufrieden auf die Aufbauwände.

Denn „das mit den Fenstern“ war ein Hauptanliegen, und es stellte sich auch als eine der aufwändigsten Operationen des gesamten Refitprojekts heraus. Die neuen Ausschnitte reißt Schamuhn an, nachdem er die alten mit Vollholzscheiben verschlossen hat. Schließlich furniert er den Aufbau und setzt die neuen Fenster ein, die einen beträchtlichen Teil des gesamten Refit-Budgets verschlingen.

Das Teakdeck ist erst ein paar Jahre alt und kann mit wenig Aufwand überarbeitet werden. Beim neuen Farbaufbau der Holzflächen an Deck mit Owatrol D1 und D2 hilft wieder Freund Lansnicker, der die Ober­flächenveredelung auf Yachten mittlerweile beruflich betreibt.

Der Klassiker-Refit betrifft alle Bereiche des Schiffs

Auch unter Deck geht es munter an den Refit des über die Jahre bereits liebevoll überarbeiteten Klassiker. So werden die Bilgen komplett neu gestrichen, die Beleuchtung fachmännisch neu konzipiert – Schamuhns betreiben ein Lichtstudio in Bremen –, die Decksbalken von weiß auf natur getrimmt. „Ich habe immer gesagt, wenn, dann machen wir es richtig“, sagt der Eigner. Und so nimmt er schließlich auch die nie wirklich geliebte Navigationsecke auseinander, um sich dort einmal mit zeitgenössischer Elek­tronik einzurichten.

In der Plicht verlegt der Eigner neues Stabdeck auf den Duchten. Dann finden neue Beschläge, ein modifizierter Bugkorb und neue Relingsstützen ihren Platz, der Heckkorb wird ausrangiert. Das Rigg zu zerlegen und die alten Aluprofile pulverbeschichten zu lassen ist dann noch ein Klacks, doch auch dabei geht viel Zeit in die Neukonzeption der Beschlagsausstattung.

Krönender Abschluss ist die Montage des versenkten Luks auf dem Achterdeck. Schamuhn hat dafür einen Nirorahmen konstruiert, der als Wasserablauf fungiert und in den der alte Lukendeckel eingelassen ist.

Es seien in den zwei Jahren viele Ideen umgesetzt worden, die er immer im Hinterkopf gehabt habe, sagt Schamuhn und schaut dabei mehr als zufrieden aus. Das Achterdeck gehört dazu. Nun ist es flush, und kein Heckkorb versperrt den Blick auf andere Schiffe. Ob der Eigner dabei erneut in derartige Tagträume versetzt wird wie ehe­dem in der Dyvig, bleibt abzuwarten. Den Platz für einen Regiestuhl auf dem Achterdeck hätte er jetzt selbst an Bord.

Technische Daten Retro-Klassiker Mistral 33:

yacht/hallberg-rassy-mistral-33-pr-mistral-sailplan_7e41662d9e47dfafdaf5119400701f81Foto: Werft
  • Werft: Harry Hallberg/Hallberg-Rassy
  • Konstrukteur: Olle Enderlein
  • Gesamtlänge: 10,18 m
  • Wasserlinienlänge: 7,65 m
  • Breite: 3,02 m
  • Tiefgang: 1,47 m
  • Verdrängung: 5,2 t
  • Ballast: 2,4 t
  • Segelfläche: 50 m²

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