"Gjøa"Roald Amundsens legendäre Expeditionsyacht

Stefan Schorr

 · 10.06.2023

Die Hardangerjakt im Frammuseum auf Oslos Halbinsel Bygdøy. Mit nur sieben Mann an Bord entdeckte Amundsen die richtige Passage
Foto: YACHT/S. Schorr
Die "Gjøa" im Detail
Dem Norweger Roald Amundsen gelang 1906 die Durchquerung der Nordwest-Passage. Seine robuste Expeditionsyacht „Gjøa“ ist in Oslo zu besichtigen

Wo vor mehr als hundert Jahren mutige Männer für viel Ehre und wenig Lohn ihr Leben aufs Spiel setzten, sorgt sich heute die Regierung um kleine Beulen: „Passen Sie auf Ihren Kopf auf! Klettern Sie nicht ins Rigg! Gehen Sie nur unter Deck, wenn Sie diesen Balken hier überschreiten können! Steigen Sie die Niedergänge rückwärts hinab!“ Wer im Fram­museum in Oslo an Bord von Roald Amundsens Hardan­gerjakt „Gjøa“ (gesprochen Jöa) möchte, soll eine Menge Regeln befolgen, die auf leuchtend gelben Schildern aufgeführt sind.

Mittschiffs an Steuerbord gelangen die Besucher an Deck des rund 22 Meter langen Holzschiffes und stehen zunächst vor einer massiven Winde. Dahinter befindet sich, flankiert von zwei Holzfässern, die Maschinenraumluke mit ihren Holzklappen vorm Aufbau der Kapitänskammer. Wie schon zu Zeiten Amundsens hängt heute noch ein Bild seines Idols Nansen am Schott der Kammer. Zwei Kojen, ein Tisch, ein Ofen, eine Sitzbank und – selbstverständlich – die norwegische Flagge.

Die Anfänge von Roald Amundsen

Lange bevor Roald Amundsen mit seiner Expeditionsyacht „Gjøa“ zu Ruhm und Ehre segelte, verschlang er als Jugendlicher bereits Berichte von Polarforschern und beschloss, selbst einer zu werden. Vor allem die Expeditionen des Sir John Franklin fesselten ihn. Bei dessen letztem – dem gescheiterten – Versuch, die Nordwestpassage zu knacken, kamen 1845 alle 129 Teilnehmer ums Leben.

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Die beiden verwendeten Schiffe „HMS Erebus“ und „HMS Terror“ wie auch die Mannschaft waren eindeutig zu groß, so Amundsens Schlussfolgerung. Außerdem erkannte er bei mehreren Arktis-Expeditionen einen Schwachpunkt darin, dass mit der übli­­­chen Arbeitsteilung durch einen Expeditions­­leiter und einen Schiffskapitän diese beiden Führungskräfte durchaus unter­schied­licher Meinung sein konnten. „Darum war ich entschlossen, mich nicht früher an die Spitze einer Expedition zu stellen, ehe ich nicht diesen Fehler umgehen konnte. Mein ganzes Streben war jetzt darauf gerichtet, mir selbst die nötige Erfahrung in der Schiffsführung anzueignen und mich zum Kapitän auszubilden, um meine Expedition nicht nur als Forscher, sondern auch als Schiffer leiten zu können“, schrieb er im späteren Bericht über seine Fahrt mit der „Gjøa“.

Amundsen und seine Expeditionsyacht

Nach dem Tod der Mutter brach der junge Amundsen sein Medizinstudium ab und fuhr auf Wal- und Seehundfängern zur See. Er machte sein Steuermannspatent und begleitete den Belgier Adriaan de Gerlache auf der „Belgica“ bei dessen eher stümperhafter Antarktis-Expedition. Als der damals 28-jährige Amundsen am 28. März 1901 den Kaufvertrag für die „Gjøa“ unterschrieb, hatte er sein Kapitänspatent.

Im 19. Jahrhundert segelten Hunderte Hardangerjakten an der norwegischen Küste. Als Frachtsegler transportierten die kleinen, wendigen Schiffe meist gesalzenen Hering aus dem Norden in den Süden des Landes und auf dem Rückweg in die andere Richtung Getreide. Amundsens Jakt trägt den Vornamen der Frau des ersten Eigners, Gjøa Sexe.

Asbjørn Sexe gab die Expeditionsyacht 1872 bei der Werft von Knut Johannesson Skaala Nes in Auftrag. Von April bis Oktober 1873 wurde die „Gjøa“ auf der Werft von „Jøra-Knut“ in Rosendal am Hardangerfjord gebaut, so steht es in den alten Schiffspapieren. Amund­sen gab als Baujahr stets 1872 an. Ihm gefiel der Gedanke, ein Schiff zu segeln, das genauso alt war wie er selbst, vermutet Morten Hesthammer, stellvertretender Leiter des Hardanger Fartøyvernsenters.

Die „Gjøa“ wird umfangreich saniert

Dieses Zentrum für Schiffserhalt führte 2017 die umfangreiche Sanierung der „Gjøa“ durch. Hesthammer leitete die Arbeiten. Aus verschiedenen Archiven trug er Informationen zum Schiff zusammen. Wie die meisten Hardangerjakten wurde auch „Gjøa“ von ihrem ersten Eigner Asbjørn Sexe als Frachtschiff eingesetzt. In den Wintermonaten ging es nach Nordnorwegen. Sobald dort der gefangene Dorsch auf den Klippen getrocknet war, segelte Sexe seine Fracht in süd­lichere Häfen in Norwegen oder Schweden, lief aber auch schon mal Riga und Brest an.

1882 setzte Sexe seine Hardangerjakt bei Kabelvåg auf den Lofoten auf Grund. Das Wrack erwarb zwei Jahre später der Trom­søer Kapitän Hans Christian Johannesen für 700 norwegische Kronen. Er rüstete das Schiff nach der Reparatur als Seehundfänger aus und be­fuhr die nächsten 16 Jahre den arktischen Ozean nördlich von Norwegen und Russland.

Der 1846 geborene Johannesen hatte mit 16 Jahren als Crewmitglied auf der „Lydianna“ seines Vaters begonnen, die arktischen Gewässer zu besegeln. Längst Kapitän, unterstützte er 1878 Adolf Erik Nordenskjöld am Anfang seiner historischen Fahrt durch die Nordostpassage. Fridtjof Nansen buhlte (erfolglos) um ihn als Kapitän für die legendäre Driftfahrt mit der „Fram“ im arktischen Eis. Johannesen wie auch sein Schiff genossen einen tadellosen Ruf, als er die „Gjøa“ zum Kauf anbot.

Amundsen zahlte 1901 für die zur Seehundjagd ausgestattete Hardangerjakt 9500 norwegische Kronen und brach gemeinsam mit Johannesen zu einer letzten Fangsaison auf – um Geld zu verdienen und von dem erfahrenen Eismeerskipper zu lernen.

Der größte Erfolg mit der „Gjøa“

Roald Amundsen war zufrieden mit seiner Expeditionsyacht. Er ließ den Rumpf weiter verstärken und 1902 einen 13 PS starken DAN-Glühkopfmotor – einen der ersten, die in Norwegen auf ein Schiff kamen – einbauen. Von 1903 bis 1906 gelang Amundsen gemeinsam mit sechs Besatzungsmitgliedern trotz Grundberührung, Feuer an Bord und dem Tod eines Crewmitglieds die erste komplette Durchfahrt der Nordwestpassage (siehe Info unten). „Wenn ich einem kleinen Schiff wie diesem den Vorzug gebe, dann geschieht das deshalb, weil die Wasserläufe, die wir benutzen werden, sehr oft seicht und schmal sind. Da empfiehlt es sich, ein Fahrzeug zu haben, dessen Tiefgang nicht groß ist und das sich gewissermaßen auf dem Fleck manövrieren lässt“, schrieb er im Expeditionsbericht.

Ja, die Expeditionsyacht „Gjøa“ ist relativ klein. An Deck steht mittschiffs ein karger Aufbau. Anhand alter Außenaufnahmen baute das Restauratorenteam aus Norheimsund die zerlegbare Kombüse nach. Der Koch Adolf Henrik Lindstrøm musste in dieser Puppenstube mit kaum 1,50 Meter Höhe und knapp 1,80 Meter Breite kniend die Mahlzeiten für sieben Personen zubereiten.

Roald Amundsen wollte seine Expeditionsyacht „Gjøa“ nach Durchquerung der Passage 1906 zurück nach Norwegen segeln. Das redete sein Mentor Fridtjof Nansen ihm jedoch aus, weil er die Rundung Kap Hoorns für zu gefährlich hielt (der Panama-Kanal wurde erst 1914 eröffnet). Also blieb die Hardangerjakt in der Marinestation von San Francisco zurück.

Die weiteren Jahre der Expeditionsyacht

Am 5. Juli 1909 wurde sie an Land gehoben und im Golden Gate Park ausgestellt. Dort war sie eine große Attraktion. Das Schiff litt allerdings erheblich unter Wettereinflüssen, Vandalismus und Souvenirjägern. Es wurde über das Verbrennen der Jakt nach­gedacht, dann dank diverser Spenden im Jahr 1939 aber doch mit einer Restaurierung begonnen, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg beendet wurde. Historische Authentizität spielte dabei keine große Rolle. In den folgenden Jahrzehnten verfiel das Schiff erneut zusehends und war massiv von Trockenfäule befallen.

Um das Nationalmonument langfristig zu erhalten, wurde 1971 ein norwegisches „Gjøa“-Komitee gegründet. Norwegen kaufte das Schiff 1972 zurück und ließ es an Deck des Frachters „Star Billabong“ nach Oslo bringen. Dort wurde es offiziell an das Norwegische Maritime Museum (NMM) übergeben und auf der Museumsinsel Byg­døy vor das Museum gestellt. Die Djupevåg-Schiffswerft aus Hardanger restaurierte bis 1974 alles oberhalb der Wasserlinie. Der inzwischen pensionierte Werftchef Kristian Djupevåg war an der Sanierung 2017 als Berater beteiligt.

Die „Gjøa“ kommt ins Museum

Im Mai 2009 übernahm der direkte Nachbar Frammuseum die „Gjøa“ vom Maritimen Museum, um ein noch vollständigeres Polarmuseum zu werden. Hier steht das 145 Jahre alte „maritime Monument nationaler Bedeutung“ nun im eigens errichteten Gebäude, neben Nordpolkarte und ausgestopften Eisbären. Anfang Januar 2017 begann das zwölfköpfige Team des Hardanger Fartøyvernsenters um Morten Hesthammer damit, die „Gjøa“ wieder möglichst nah an ihren Zustand während der Fahrt durch die Nordwestpassage heranzubringen. „Wir entfernen nichts, sondern ergänzen nur neues Material, damit sie sich nicht ver­formen wird“, beschrieb Hesthammer seinen Sanierungsansatz. Die Bootsbauer des Fartøyvernsenters waren die Idealbesetzung für die Arbeiten – entstand das Zentrum doch 1984 aus der Rettung der rotten Hardangerjakt „Mathilde“ mit Baujahr 1884. „Mathilde“ ähnelt der „Gjøa“ so sehr, dass sie in der britischen Fernsehdokumentation „The search for the Nordwest Passage“ als Double diente.

An Bord führt ein Niedergang von der Kombüse hinab in den Laderaum, in dem viel Kiefernholz aus Höhenlagen zur Verstärkung verbaut wurde. Spanten, Balkweger und mächtige Knie wurden ergänzt und von innen beplankt. Im Laderaumboden gewährt Plexiglas freie Sicht auf Originalspanten von 1873 und solche, die während der früheren Sanierungen eingebaut wurden. Von außen erhielt „Gjøa“ ihre „Eishaut“ zurück. Dafür wurden insgesamt vier zusätzliche Lagen Planken auf den Rumpf gebracht – gehalten von rund 10 000 Schrauben und unzähligen Nägeln. Dann wurde der charakteristische grüne Anstrich erneuert.

Die Expeditionsyacht kann vielseitig bestaunt werden

Der originale 13-PS-DAN-Glühkopfmotor der „Gjøa“ war im Norwegischen Maritimen Mu­seum eingelagert. Die Maschine von 1902 kam zurück an Bord. Sie steht an ihrem ursprünglichen Platz im Rumpf der Expeditionsyacht. Hinter einer Plexiglas-Trennwand ist der Motor neben Fellen, Werkzeugen, Blechkannen und einer Seekiste zu bestaunen.

Durch das Vorschiff, in dem sich die Crewkojen befinden, führt eine steile Treppe hinauf an Deck. An der Original-Ankerwinde, die ebenfalls im Archiv des NMM lagerte, wurden die pilzbefallenen Holzteile ersetzt. Auf dem glatten, durchlaufenden Deck steht das einfache Plumpsklo. Bugspriet und Klüverbaum ragen weit über den Bug hinaus. Fock, Innen- und Außenklüver sind ordentlich gepackt und versperren so den Betrachtern kaum den Blick an Deck. Das übliche Vierkant-Gaffeltoppsegel, das Krähennest und die Mars-Rah fehlen, da der Mast aufgrund des Gebäudedachs nicht seine ursprüngliche Länge hat. Das gereffte Gaffelgroßsegel, die Breitfock-Rah, Tauwerk und hölzerne Blöcke vermitteln dennoch den Eindruck, dass „Gjøa“ tatsächlich noch einmal ablegen könnte.

„Es war uns ein Vergnügen, diese Ikone wieder nahezu in jenen Zustand zu bringen, in dem sie war, als sie noch Amundsen gehörte“, zog Morten Hesthammer am 15. September 2017 Bilanz. Seither steht die Expeditionsyacht „Gjøa“ den Museumsbesuchern offen: für einen Blick zurück in ein beeindruckendes Kapitel Seefahrtsgeschichte. Roald Amundsen blieb seinem ersten Schiff übrigens zeitlebens verbunden. Am 17. Juni 1928 feierte er das 25-Jahre-Jubiläum des Starts zur Fahrt durch die Nordwestpassage.

Am nächsten Tag brach er zu seiner Rettungsaktion für den verschollenen italienischen Polarforscher Umberto Nobile auf – und kehrte nicht mehr zurück.


Technische Daten Expeditionsyacht „Gjøa“

  • Baujahr: 1873
  • Werft: Knut Johannesson
  • Typ: Hardangerjakt
  • Bauweise: Kraweelbeplankt
  • Rumpflänge: 21,85 m
  • Gesamtlänge: 30,55 m
  • Breite: 6,40 m
  • Tiefgang: 2,20 m
  • Masthöhe über Deck: 24,00 m
  • Segelfläche: Knapp 400 m²
  • Segel: Gaffelgroß u. Toppsegel, Mars, Breitfock, Fock, Außen- und Innenklüver
  • Maschine: (DAN) 13 PS
  • Standort: Oslo (www.frammuseum.no)

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