Fridtjof Gunkel
· 02.05.2023
Keine andere Expeditionsyacht drang weiter nach Norden vor, keine weiter nach Süden. Sie erreichte Forschungs-Meilensteine. Heute ist sie ein Museum
Die Vorgabe war konkret: „Ich beabsichtige, ein Schiff fertigen zu lassen, so klein und so stark wie möglich; dasselbe soll gerade groß genug sein, um Kohlenvorrath und Proviant für zwölf Mann auf fünf Jahre fassen zu können … Das Wichtigste bei diesem Fahrzeug ist, daß es nach einem Princip gebaut wird, wonach es den Druck des Eises aushalten kann. Es muß so schräge Seiten erhalten, daß das Eis bei seinen Pressungen keinen festen Halt gewinnen kann …, sondern das Eis soll es statt dessen in die Höhe heben.“ So schrieb Fridtjof Nansen in seinem 1897 erschienenen Expeditionsbericht „In Nacht und Eis“ über die Grundidee für sein Polarforschungsschiff „Fram“.
Diese Idee war 13 Jahre zuvor aus einer Zeitungslektüre entstanden. 1884 stellte der Meteorologieprofessor Henrik Mohn in einem Artikel seine These einer Ost-West-Strömung über den Arktischen Ozean vor. Mit einem geeigneten Schiff wollte Nansen, im Eis eingeschlossen, über den geografischen Nordpol treiben und diesen so als Erster erreichen. Von Bord aus sollten darüber hinaus wissenschaftliche Beobachtungen und Messungen durchgeführt werden.
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Der 1861 geborene Nansen hatte 1882 als Zoologiestudent auf dem Robbenfänger „Viking“ erstmals die arktischen Gewässer zwischen Grönland, Jan Mayen und Spitzbergen befahren; danach arbeitete er als Kurator der zoologischen Abteilung des Bergen- Museums. 1888 durchquerte er als Erster das grönländische Inlandeis auf Skiern und überwinterte anschließend in Godthåb. Zurück in Norwegen, wurde er zum gefeierten Helden, nahm die Stelle als Kurator der zoologischen Sammlung der Universität von Kristiania an und schrieb ein Buch über seine Grönland-Expedition.
1890 stellte er der Norwegischen Geografischen Gesellschaft seinen neuen Plan vor: mit einem Schiff, wie es bisher noch keines gegeben hatte, im Eis eingeschlossen über den Nordpol driften. Das Parlament bewilligte 280 000 norwegische Kronen. Darüber hinaus gab es zahlreiche private Spender. So konnte Fridtjof Nansen dem renommierten Schiffskonstrukteur Colin Archer (1832–1921) aus Larvik den Auftrag erteilen, ein Polarforschungsschiff nach seinen Vorstellungen zu bauen. Engster Vertrauter war sein Freund Otto Sverdrup. Der Kapitän war schon bei der Überquerung des grönländischen Inlandeises dabei gewesen.
Archer hatte drei Modelle und vier Pläne für die Expeditionsyacht erstellt, bevor der Bau begann. Trotzdem veränderte und verbesserte das Dreiergespann Nansen-Archer-Sverdrup während des anderthalbjährigen Baus ständig noch Details. Letztlich entstand ein Schiff mit einer Rumpflänge von 39 Metern und einer Verdrängung von (beladen) 80 Tonnen. Es hat einen unüblich runden Rumpfquerschnitt, damit es vom Eisdruck angehoben und nicht zerdrückt wird. Die Segeleigenschaften litten darunter jedoch sehr. Bei rauer See soll es an Bord der „Fram“ schier unerträglich gewesen sein.
Der Dreimast-Gaffelschoner mit Dreifach-Expansionsdampfmaschine lief am 26. Oktober 1892 auf der Werft von Colin Archer vom Stapel, nachdem Nansens Frau Eva das Schiff auf den Namen „Fram“ (mit kurzem „a“ gesprochen, „vorwärts“ auf Norwegisch) getauft hatte. Von 1893 bis 1896 war Fridtjof Nansen mit seinen zwölf Crewmitgliedern zur Driftfahrt unterwegs (siehe Infokasten). Obwohl sie den Nordpol nicht erreichten, zog der Expeditionsleiter am Ende seines Berichts „In Nacht und Eis“ ein durchweg positives Fazit. „An der Hand unserer Erfahrungen werden Forscher in der Lage sein, sich noch besser auszurüsten. Eine zweckentsprechendere Methode zur wissenschaftlichen Untersuchung unbekannter Regionen als die unserige läßt sich jedoch nicht denken. An Bord eines Schiffes dieser Art können Forscher sich ebenso behaglich niederlassen wie auf einer feststehenden wissenschaftlichen Station. Sie können ihre Laboratorien mit sich nehmen und die feinsten Untersuchungen jeder Art aufstellen.“
Otto Sverdrup plante bald eine zweite Reise mit der „Fram“. Es hatte sich allerdings gezeigt, dass das Schiff im Besitz des norwegischen Staates zu sehr schlingerte, viel Wasser übernahm und zu enge Kammern für die Crewmitglieder hatte. Also wurde auf der Werft von Colin Archer ein neues Vordeck vom Maschinenraum aus nach vorn eingezogen. Darunter entstand ein weiterer geräumiger Salon, je drei Kabinen an Steuerbord und Backbord sowie zwei Arbeitsräume. Die Wärmedämmung der Kammern wurde durch eine zusätzliche Beplankung und eine 30 Zentimeter dicke Korkschicht verbessert. Zwischen den beiden Kammerquartieren mittschiffs und achtern wurde eine großzügige Kombüse eingebaut. Unter dem Kiel wurde ein sogenannter Loskiel montiert, der den Tiefgang etwas erhöhte, um die Steuerung zu verbessern. Außerdem wurde der Fockmast erhöht und das Ankerspill durch ein stabileres aus Eisen ersetzt.
Mit der umgebauten Expeditionsyacht „Fram“ startete Otto Sverdrup zur Erforschung der kanadischen Arktis westlich von Grönland. Obwohl die wissenschaftliche Ausbeute dieser zweiten von drei Expeditionen des Polarforschungsschiffes enorm war, ist es doch die am wenigsten bekannte. Experten behaupten, dass die „Fram“ auf jener Reise im besten Zustand war, weshalb dieser heute im Frammuseum gezeigt wird.
Vom zweiten Stock des Nur-Dach-Gebäudes gelangt man auf den Schoner. Der Niedergang an Steuerbord führt unter Deck. Am Herd steht eine Figur, die Adolf Lindstrøm darstellt, jenen Schiffskoch, der wohl am weitesten in den Polargebieten herumkam. Er begleitete nicht nur die zweite und dritte Expedition der „Fram“, sondern war auch mit Roald Amundsen auf dessen „Gjøa“ (YACHT 8/18) und „Maud“ unterwegs.
Nach achtern geht es in den sogenannten Nansen-Salon, an den die vier Einzelkammern und zwei Vier-Bett-Kammern angrenzen, die lediglich auf der ersten Fahrt an Bord gewesen waren. Hier im Salon feierten die 13 Crewmitglieder am 25. Dezember 1893 ihr erstes Weihnachtsfest unterwegs, bei einer Außentemperatur von minus 38 Grad Celsius. Die „Julemeny“-Speisekarte hängt am Schott neben der Sitzbank mit den geschnitzten Drachenköpfen.
Geheizt wurde mit einem Petroleumofen. 16 Tonnen des Brennstoffs waren zu diesem Zweck und für die Lampen an Bord. Wobei es im Salon und in den Kammern auch schon elektrisches Licht gab. Seit 2017 ist Fridtjof Nansen zurück auf der „Fram“. Die schwedische Künstlerin und Modellmacherin Cathrine Abrahamsson hat ein sehr realistisches Abbild geschaffen, das auf der Koje seiner Kammer 1 sitzt.
Weiter vorn gelangt der Besucher in den größeren Salon mit Grammofon und Klavier. In den sechs Einzelkammern und zwei Arbeitsräumen sind persönliche Habe der Crewmitglieder und Ausrüstung wie medizinische Instrumente oder Werkzeuge zu sehen.
Im Vorschiff ist der mächtige Bugspriet zu bestaunen – wobei an diesem Schiff alles mächtig ist. Der Bug etwa besteht aus drei Lagen Eiche und ist 1,25 Meter stark. Der Vorsteven ist zusätzlich durch Eisenprofile geschützt. Vorm Vormast laufen innen die Ankerketten hinab in die tiefste Ebene des Schiffs, die über eine breite Treppe erreicht wird. Hier im Laderaum lagerten die Kohlen für die Dampfmaschine. Um den ausgewogenen Trimm trotz Kohlenverbrauchs zu gewährleisten, gab es Ballastwassertanks. An ihrem Einbauort ist die massive Bauweise der „Fram“ eindrucksvoll zu erkennen. Bedenkt man, dass Colin Archers Werft nie mit Elektrizität ausgestattet worden war, ist der Bau dieses Schiffes kaum zu glauben.
Ausschließlich handverlesene gewachsene Spanten aus Eiche wurden verwendet. Je zwei wurden miteinander verschraubt, um noch mehr Festigkeit zu erzielen. Der Spantenabstand beträgt lediglich 60 Zentimeter. Der Zwischenraum wurde mit einer Mischung aus Pech, Teer und Sägemehl verfüllt. Nach innen wurden die Spanten durch schräge Streben sowie massive Knie aus Holz und Eisen zusätzlich versteift. Außen kamen zwei Lagen Eichenholz auf die Spanten und darüber die Eishaut aus Grünherzholz (aus der Gattung der Lorbeergewächse). Innen wurden Planken aus Pitch Pine aufgebracht. An den Kammern kamen noch eine Lage geteerter Filz und die Isolation dazu. So haben die Bordwände eine Dicke von unglaublichen 71 bis 81 Zentimetern. Die Kielsohle besteht aus zwei Lagen Pitch Pine, das einen natürlich hohen Harzgehalt hat, der vor Fäulnis schützt. Für die dritte Expedition, während der Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol erreichte, wurde die Dampfmaschine durch einen 180 PS starken schwedischen Dieselmotor ersetzt.
Nach zweimaliger Passage des neu eröffneten Panama-Kanals kehrte die „Fram“ 1914 nach Norwegen zurück. Die Expeditionsyacht war nach 22 Jahren in einem solch schlechten Zustand, dass die Instandsetzung 150 000 norwegische Kronen verschlungen hätte. Deshalb entschied Roald Amundsen, für seine weiteren Expeditionen die sehr ähnliche „Maud“ neu bauen zu lassen. Die norwegische Regierung erlaubte dem Polarforscher, alle verwendbaren Teile der „Fram“, wie etwa das komplette Rigg, auf dieses Schiff zu übernehmen.
Die ausgeschlachtete „Fram“ begann danach, im Dock zu zerfallen. 1916 gründete sich ein Fram-Komitee, das sich – wenig erfolgreich – für den langfristigen Erhalt der bedeutenden Polar-Expeditionsyacht einsetzte. Erst Kapitän Otto Sverdrup gelang es ab 1925 als Vorsitzender des Komitees, die nötigen Gelder für eine Sanierung zu sammeln. An den Kosten (nach heutiger Kaufkraft rund eine Million Euro) beteiligten sich Segler und Polarforschungsfans aus der ganzen Welt durch Spenden.
Am 20. Mai 1936 wurde das Frammuseum im Beisein von König Haakon VII. als „ewiges Monument für norwegischen Tatendrang und Willen sowie für norwegische Stärke“ eröffnet. Vier ehemalige Crewmitglieder waren ebenfalls dabei: Sigurd Scott-Hansen (erste Reise), Gunnar Isachsen (zweite), der Koch Adolf Lindstrøm (zweite und dritte) und Oscar Wisting, der während der dritten Expedition mit Amundsen am Südpol war. Bedenkt man die Ladung bei dieser Reise, relativiert sich der heute freie Platz auf dem gewaltigen Deck. Neben 22 Männern waren damals auch zehn Schlitten, 97 Hunde, vier Schweine, sechs Brieftauben und ein Kanarienvogel an Bord.
Die Ausstellung im Frammuseum wird kontinuierlich erweitert und verbessert. Im Februar 2018 wurde die Takelage überprüft und ergänzt. Das neue Rigg kam 1929/30 auf das Schiff und wurde nicht verändert, seit die „Fram“ im Museum steht. So gewann das Riggingteam des Hardanger Fartøyvernsenter in Norheimsund auch zahlreiche Erkenntnisse darüber, wie vor mehr als 80 Jahren gearbeitet wurde. Interessant, weil mit der „Maud“ das dritte bedeutende Polarforschungsschiff Norwegens vor einigen Monaten zurück ins Heimatland kam, nachdem es in der kanadischen Cambridge Bay geborgen worden war.
An den Ruhm der legendären Expeditionsyacht „Fram“ wird sie aber nie heranreichen. Wie sagte doch Thorvald Nilsen, Kapitän der „Fram“ während der dritten Expedition, nachdem er einen Sturm am Kap Hoorn abgewettert hatte, schlicht und ergreifend: „Das ist das beste Seeschiff der Welt!“
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 2/2019.