Michael Good
· 28.07.2024
Wer bei Bavaria Yachts auf die Webseite geht, findet oben in der Navigation die Links zur Linie der Segelyachten, zum Programm der Motorboote – aber auch zum Angebot von Katamaranen. Katamarane von Bavaria? Dies mag manch einem vielleicht nicht weiter geläufig sein, und wer deshalb interessehalber weiterklickt, wird ganz automatisch auf die Webseite von Nautitech Catamarans in Frankreich weitergereicht. Fehlleitung? Systemproblem? Oder ein kaputter Link?
Nichts von dem: Seit 2014 gehört die namhafte und mittlerweile 30-jährige Marke Nautitech Catamarans zur Firmengruppe Bavaria Holding, ist also eine Schwester von Bavaria Yachtbau in Giebelstadt. Allerdings ist die familiäre Beziehung zwischen den beiden Marken viel mehr ökonomischer als operativer Natur. Das bedeutet: Nautitech und Bavaria haben bis auf ihr loses Bündnis unter einem Dach nur wenig gemein und kooperieren auch nur bedingt miteinander, wenn überhaupt. Beide Firmen arbeiten und produzieren weitgehend unabhängig voneinander.
Trotzdem dürften sich auch die Yachtbauer in Giebelstadt über alle Maßen gefreut haben, als der Nautitech 44 Open im Januar 2013 auf der Messe in Düsseldorf als Europas Yacht des Jahres in der Kategorie der Mehrrumpfboote ausgerufen worden ist. Die begehrte Auszeichnung hat das Boot der jüngsten Nautitech-Generation für sein ausgewogenes und ideenreiches Konzept und insbesondere für seine exzellenten Segeleigenschaften erhalten. Trotz einer überaus starken Konkurrenz war sich die internationale Jury diesbezüglich weitgehend einig.
Jetzt baut Nautitech mit dem 48 Open das erfolgreiche Konzept vorerst in einem kleinen Schritt aus. Der neue Kat ist nur knapp 1,40 Meter länger als sein kleiner Bruder bei einem nahezu identischen Verhältnis von Länge zu Breite. Die Baupläne kommen wieder aus dem Büro von Marc Lombard Yacht Design. Trotz vermeintlich identischer Optik zeigt die Konstruktion vom neuen Boot doch einige wesentliche Weiterentwicklungen im Vergleich zum kleineren Bruder 44 Open. So sind die Rümpfe im vorderen Bereich deutlich voluminöser, dafür achtern im Vergleich etwas schlanker geworden. Und der Kielsprung ist mit einem flacheren Unterwasserschiff ebenfalls weniger ausgeprägt.
Der Nautitech 48 Open soll, so erklärt es Lombard-Konstrukteur Lionel Huetz, vorn mehr Auftrieb haben, damit bei schneller Fahrt beide Buge ein gutes Stück weit aus dem Wasser kommen – so wie bei einer Jolle in Gleitfahrt. Die Ziele dieser Konstruktion: mehr Drehfreudigkeit in den Manövern, ausgewogenere Segeleigenschaften vor allem bei Wind und viel Speed sowie weniger Stampfen in der Welle. Auch haben die Konstrukteure von Lombard das Rigg noch ein Stück weiter achtern positioniert und zudem ein Mastfall (Rake) von 4,5 Grad einberechnet. Diese neue Maßnahme soll den Segeldruckpunkt weiter nach hinten bringen und über den Hebel ebenfalls helfen, beide Rümpfe vorn schneller anzuheben.
Freilich, das ist ein komplexer Vorgang und basiert auf diversen Berechnungen und computerunterstützten Strömungsanalysen. Wichtig ist, dass der Nautitech 48 Open im YACHT-Test vor La Rochelle die Zielvorgaben der Konstrukteure ziemlich eindrücklich unter Beweis stellen kann. Bei variablen Testbedingungen mit anfangs 3, später 4 bis 5 Beaufort zeigt der Franzose eine auf allen Kursen überaus starke Leistung. Hart am Wind kann das Testboot mit der Standard-Garderobe (durchgelattetes Großsegel mit Squaretopp, dazu Selbstwendefock) ganz leicht bis gegen 45 Grad an den wahren Wind gesteuert werden und erreicht dabei bis zu acht Knoten Speed.
An dieser Grenze muss der Steuermann allerdings aufmerksam lenken. Wer versucht Höhe zu kneifen, wird sehr schnell mit einem deutlichen Leistungsabfall bestraft, muss die Segel fieren und nochmals neu Schwung holen. Bei einem mäßig hohen Wellengang überzeugt der 48 Open obendrein mit einem prima Seeverhalten. Die spürbar steife und verwindungsarme Struktur setzt sanft in die Wellen ein und zeigt generell deutlich weniger von der unangenehmen Schlingerbewegung, die man sonst von vielen Katamaranen kennt.
Ab 90 Grad Windeinfall kann dann der Code Zero zum Einsatz kommen und liefert den erwarteten Leistungs-Booster. Unmittelbar beschleunigt der Kat auf zwölf Knoten und mehr. 13,5 Knoten werden am Testtag als Rekordwert festgehalten, was für einen Fahrtenkatamaran dieser Größe schon viel ist. Die Werftvertreter an Bord berichten überdies glaubhaft von einer Überführung, auf welcher der 48 Open bei reichlich Wind und Welle problemlos einen erstaunlichen Speed von über 19 Knoten erreicht haben soll.
Der 48 Open reagiert äußerst drehfreudig und lässt sich zügig durch die Wenden dirigieren. Der Rudergänger kann am Wind einen leichten Ruderdruck spüren, was es ihm einfach macht, den Kat mit viel Gefühl und Freude am Wind zu steuern. Das liegt auch an der qualitativ sehr hochwertig ausgeführten Steueranlage. Beide Steuerstände sowie die Ruderquadranten sind über einen einzigen, durchgehenden Drahtseilzug miteinander verbunden, nicht mit einer langen Schubstange wie sonst bei Mehrrumpfbooten oft üblich. Das reibungsarme System erlaubt ein sehr feinfühliges Steuern.
Der Autopilot greift direkt auf den Quadranten an und sorgt so für Redundanz im Fall eines Defekts der Anlage. Die kostenintensive Selbststeueranlage gehört deshalb bei Nautitech generell zur Basisausstattung ab Werft. Die doppelten Steuerstände, welche weit achtern vertieft und mit Absatz zum Laufdeck angebaut sind, charakterisieren die Boote der neuen Modellgeneration von Nautitech. Dazu gehört nebst dem 44 Open und dem neuen Flaggschiff 48 Open auch das kleinste Boot der Reihe, der 40 Open.
An den Steuerständen arbeitet man sehr gut mit viel Bewegungsfreiheit. Dazu ist die Übersicht nach vorn und in die Segel weit besser, als man dies aufgrund der vertieften Position des Rudergängers erwarten könnte, auch weil der Steuermann durch das fast lückenlos umlaufende Fensterband am Kajütaufbau durchgucken kann. Für die Manöver im Hafen sind die zwei Räder ebenfalls vorteilhaft, weil so beide Seiten bis zu den Bugen einsehbar sind. Dazu kann die Werft auf Wunsch und optional auf beiden Steuerständen Gashebel für beide Motoren anbauen.
Bei zunehmend Wind und Welle im YACHT-Test vor La Rochelle zeigt sich aber auch schnell ein Schwachpunkt des Layouts mit den zwei Steuerständen. Der Rudergänger steht in seinem Arbeitsbereich nur schlecht geschützt. Gischt und überkommendes Wasser schießen ungebremst über das Laufdeck nach achtern. Und: Das Konzept sieht keine Möglichkeit vor, eine Sprayhood vor den Steuerständen zu installieren. Immerhin besteht die Option, den Katamaran bei schlechtem Wetter auch von innen aus der Navigation und mit Hilfe der Fernbedienung vom Autopiloten zu steuern.
Das Konzept bringt aber auch den Vorteil mit sich, dass der Großbaum ziemlich dicht über dem Kajütdach angeschlagen werden kann. Das steigert die Performance unter Segeln und erleichtert das Handling beim Auftuchen des Großsegels in die Lazy-Bags. Diese Arbeiten auf dem Dach sind auf guter Höhe leicht zu verrichten, waghalsige Kletterpartien am Mast wie etwa bei Kats mit erhöhten Steuerständen oder einer Flybridge bleiben aus. Wer beim Nautitech auf das Dach will, muss den Umweg über das Vordeck in Kauf nehmen, wo eine breite und sichere Treppe zur Verfügung steht. Vom Laufdeck sind keine Zugänge vorgesehen.
Der bei Katamaranen besonders wichtige Traveller ist auf dem hinteren Beam montiert. Großschot und Schotwagen sind von beiden Seiten leicht und auf ergonomisch guter Höhe über die Winsch zu bedienen. Die Fallen, Schoten und Trimmleinen werden vom Mast über das Dach und die Seitendecks bis direkt zu den Steuerständen geführt. Damit ist das Handling sowohl für Solisten wie auch für eine aktive Mannschaft ausgezeichnet. Die Güte und die Größe der Beschläge an Deck sorgen ihrerseits für reibungslose Abläufe in den Manövern. So baut Nautitech schon ab Werft die sehr hochwertigen, aber teuren Performa-Winschen von Harken an. Und auch beim laufenden Gut spart die Werft nicht, Leinen aus Dyneema gehören ebenso bereits zur Standard-Basisausstattung.
Mit dem kleinen Nautitech 40 haben die Franzosen vor zehn Jahren das sogenannte Open-Konzept vorgestellt. Die Idee: Der Salon fällt kleiner aus und bleibt im Wesentlichen auf die Bereiche Pantry und Navigation reduziert. Davon profitiert das Außencockpit, das mit einer großen Sitzgruppe geräumiger ausfällt und zu einer Art offenen Salonerweiterung unter dem großzügig überspannenden Bimini-Dach wird. Mit den weit zu öffnenden Schiebetüren werden die beiden Bereiche Innen und Außen funktional verbunden.
Das Außencockpit lässt sich mit flexiblen Seitenteilen komplett schließen und beheizen. Dieses Wohnraumkonzept liegt im Wesentlichen auch dem größeren 48 Open zugrunde. Nur haben die Entwickler beim neuen Schiff wieder mehr Raum und Platz dem eigentlichen Salon zugeschanzt. Das bereichert die Sitzgruppe im Salon, die mit einer Länge von knapp 2,10 Metern und dank absenkbarem Tisch schnell in eine zusätzliche Koje für die Freiwache umgebaut werden kann. Auch die Pantry fällt in U-Form deutlich größer aus als beim 44 Open, es gibt üppig große Arbeitsflächen und viele Stauräume für große und kleine Küchenutensilien. Zwei geräumige Kühlschubladen gehören ebenfalls zur reichhaltigen Basisausstattung.
Was im Salon sowie in den Rümpfen fehlt, sind gute Festhaltemöglichkeiten, Handläufe oder Griffmulden. Das ist ein Thema, das bei Mehrrumpfern ganz generell leider nur zu oft stiefmütterlich behandelt wird, weil die Boote nicht krängen und der Stand vermeintlich besser ist. Aber gerade bei Katamaranen mit ihrer offenen und weiten Raumgestaltung sind gute Festhaltemöglichkeiten bei rauem Wetter und Wellengang unentbehrlich. Hingegen punktet das Nautitech-Konzept mit seinen ausgezeichneten Optionen zur Ventilation. Sowohl im Salon als auch in Kabinen und Nasszellen stehen ausreichend Fenster und Luken zur Verfügung, sodass fast alle Wohnbereiche auch quer belüftet werden können.
Für den Ausbau in den Rümpfen ist die klassenübliche Vielfalt mit drei Kabinen und drei Nasszellen oder ein symmetrisches Layout mit vier Kabinen und vier Bädern vorgesehen. Als attraktive Variante können Eigner die vordere Kabine im Steuerbordrumpf auch als offenen Raum ohne Koje zur multifunktionalen Nutzung als Werkstatt, Waschraum oder begehbaren Umkleideraum ausbauen lassen. Die Werft nennt diese Option „Smart-Room“ und zeigt sich bezüglich der Ausbaumöglichkeiten flexibel.
Mit dem neuen Flaggschiff scheint Nautitech auch seine Preisgestaltung umgestellt zu haben. Mit einem Basispreis ab Werft von knapp 1,19 Millionen Euro ist der 48 Open rund 360.000 Euro teurer als sein nur gerade 1,40 Meter kürzerer Bruder 44 Open (831.690 Euro), ein erheblicher und übersteigert erscheinender Preisunterschied. Allerdings muss man differenzieren. Der 48 Open ist ab Werft umfangreicher ausgestattet als sein kleiner Bruder. Es werden Annehmlichkeiten schon ab Werft mitgeliefert, die sonst nur als Optionen und gegen Aufpreis angeboten werden, auch bei den Konkurrenzbooten. So ist etwa die kostenintensive Navigations-Elektronik bereits im Basispaket enthalten, der Autopilot oder ein guter Satz Amwind-Segel von Incidence. Auch die Auslieferung und die segelklare Übergabe gehören zum Lieferumfang genauso wie der Antifouling-Anstrich im Unterwasserbereich.
Fazit: Nautitech hat für den 48 Open ein Rezept angereichert, das schon beim kleineren 44 Open zum Erfolg geführt hat. Das gute Konzept ist im Wesentlichen dasselbe, die Konstruktion auch sowie ebenfalls die aufwändige und solide Bauweise. Mit einem erheblichen Plus an Sportlichkeit und Leistungsvermögen kann sich der smarte Franzose überdies von der Konkurrenz absetzen. Ja, das Angebot ist exklusiv und der Preis gehoben – aber aus gutem Grund.
Alle Komponenten sind GFK-Sandwich-Konstruktionen im Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyesterharz und Divinycell-Schaumkern. Die äußeren Lagen vom Rumpf sind mit osmosebeständigem Vinylesterharz aufgebaut. Die Hauptschotten bestehen aus Sperrholz, verstärkt mit Kohlefaser
Stand 7/24. Wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Standard ist das Aluminium-Rigg mit Diamant-Takelung und zwei Salingen von Sparcraft. Ein Satz einfache Dacronsegel (Groß und Selbstwendefock) von Incidence-Sails sind im Grundpreis inbegriffen. Upgrade (Boost your Sail Pack) für 93.415 Euro brutto
2x Volvo Penta D2-60 (44 kW/60 PS) mit Saildrive und Dreiblatt-Faltpropeller. Das Leistungs-Upgrade (2x 75 PS) kostet 7.950 Euro brutto. Elektro- oder Hybrid-Antriebe werden von der Werft nicht angeboten
Standard 6x 140 Ah AGM (Service), 2x 95 Ah AGM (Motoren-Starterbatterien). Optional Lithium-Paket anstelle AGM, Aufpreis für alle Akkus: 24.800 Euro, brutto
Nautitech Catamarans, F-17300 Rochefort, nautitechcatamarans.com
Stimmiger Kompromiss zwischen gehobenem Reisekomfort und aktivem Segelsport. Der Nautitech 48 Open überrascht mit seinem Leistungspotenzial unter Segeln, bietet aber auch für anspruchsvolle Blauwasser-Touren alles. Hoher Grundpreis im Vergleich