Michael Good
· 24.03.2023
Der Nautitech 44 Open aus Bavarias französischer Tochterwerft wurde als guter Allrounder mit seglerischen Qualitäten zu Europas Yacht des Jahres 2023 gekürt. Zu Recht? Der Test
In diesem Artikel:
Große Fahrtenkatamarane sind nicht bekannt dafür, bei ambitionierten und sportlich aktiven Seglern große Mengen von Glückshormonen auszuschütten. Was die Segeleigenschaften betrifft, gelten die fülligen Zweirumpfer gemeinhin als eher schwerfällig, wenig dynamisch und anspruchslos. Dafür bieten sie fundamentale Vorteile in Sachen Raumangebot und Wohnlichkeit, bei denen Einrumpfboote wiederum nicht mithalten können. Die Argumente für und wider die Katamarane sind hinlänglich bekannt.
Freilich gilt dies nicht per se für alle Fahrtenkatamarane. Bei einigen Booten sind die Schwerpunkte insgesamt ausgewogener verteilt. Ein aktuelles Beispiel für einen besonders stimmigen Kompromiss zwischen Leistungsvermögen, erfreulichen Segeleigenschaften und Komfort an Bord stellt der neue 44 Open von Nautitech in Frankreich dar. Das Schiff aus der zu Bavaria Yachtbau gehörenden Werft in Rochefort an der französischen Atlantikküste wurde dafür jetzt mit dem Titel als Europas Yacht des Jahres 2023 in der Kategorie der Mehrrumpfboote geehrt. Nahezu unumstritten sogar der Entscheid der internationalen Jury mit Vertretern der zwölf führenden Yachtsport-Magazine in Europa, und das trotz einer überaus starken und attraktiven Konkurrenz mit nicht weniger als sechs für die diesjährige Auszeichnung nominierten Katamaranen.
Lob bekommt der Nautitech vor allem für seine starken Segeleigenschaften. Für den YACHT-Test vor La Rochelle sind die Bedingungen ideal. Es weht zwischen 12 und 15 Knoten, das heißt mit 4 Beaufort. Zunächst überrascht die Konstruktion von Marc Lombard mit einer guten Performance hart am Wind und vor allem mit einer beeindruckenden Höhe. 6,8 Knoten läuft das Zweibein gegenan auf einem Winkel von 45 Grad zum wahren Wind, und das auch ohne kneifen zu müssen. Für einen Katamaran sind das schon mal bemerkenswert gute Leistungswerte. Umso mehr, als diese mit der Standard-Besegelung erbracht werden, also mit dem herkömmlichen durchgelatteten Großsegel und der relativ kleinen Selbstwendefock.
Fällt man auf einen Raumschotskurs ab, fehlt dem eher bescheidenen Segelplan aber schnell die Energie, und die Leistungswerte fallen ab. Ab 60 Grad Windwinkel sorgt dann wahlweise und optional ein Code Zero oder ab halbem Wind ein Gennaker für ausreichend Kraft und Speed. Für tiefe Kurse ist mindestens eines dieser zusätzlichen Segel unerlässlich. Als Variante zur kleinen Selbstwendefock und für ein zusätzliches Leistungsplus in Leichtwindrevieren kann die Werft das Boot zudem mit einer überlappenden Genua und Holepunkten auf dem Kajütdach ausliefern. Auch ein höherer Kohlefasermast mit mehr Segelfläche findet sich daneben auf der Liste der Optionen.
Typisch für Nautitech sind zwei Steuerräder, die weit achtern und mit Absatz zum Laufdeck vertieft angebaut sind. An den Rädern steht der Steuermann ganz hinten fast auf dem Niveau der Heckplattformen. An den Steuerständen arbeitet man aber sehr gut geschützt und mit viel Sicherheit, auch bei rauem Wetter. Und anders als man dies vermuten könnte, ist die Übersicht nach vorn und in die Segel einwandfrei, auch weil der Steuermann beliebig von Luv nach Lee wechseln kann. Die Steuerung arbeitet einwandfrei, und das Schiff gefällt vor allem in den Manövern mit einer hohen Regsamkeit. Im Vergleich zu vielen anderen Katamaranen zeigt sich der 44 Open äußerst drehfreudig, was dem Boot spürbar schnell durch die Wenden hilft.
Auch reagiert der mit einem Gewicht von 10,9 Tonnen relativ leichte Kat zügig und unmittelbar auf die Steuerbewegungen. Mehr noch: Der Rudergänger kann am Wind sogar einen leichten Ruderdruck spüren, was es ihm leicht macht, den Katamaran mit viel Gefühl und Freude am Wind zu dirigieren. Das liegt auch an der Steueranlage. Beide Räder und beide Quadranten sind mit einem einzigen, durchgehenden Drahtseilzug miteinander verbunden, nicht mit einer langen Schubstange, wie sonst bei Kats üblich. Damit ist das System zwar sehr leichtgängig, aber es fehlt die Redundanz im Fall eines Defekts.
Bei mäßig hohem Wellengang glänzt der 44 Open obendrein mit seinem ausgezeichneten Seeverhalten. Die spürbar steife und verwindungsarme Struktur setzt gut in die Wellen ein und zeigt weniger von den unangenehmen Schlingerbewegungen, die man von Katamaranen kennt. Dafür verantwortlich ist auch die Form der ohnehin schon vergleichsweise ranken Rümpfe, die sich mit den stark abgesetzten Kimmkanten zur Wasserlinie hin noch deutlich verjüngen.
Alle Fallen, Schoten und Trimmleinen werden sehr elegant über das Dach und die Seitendecks bis direkt zu den Steuerständen umgelenkt. Damit ist der Nautitech auch konsequent einhandtauglich. Die Großschot und der bei Katamaranen besonders wichtige Traveller auf dem achteren Beam sind leicht und auf ergonomisch guter Arbeitshöhe über die Winsch zu bedienen. Wer will, kann übrigens für alle vier Winschen auch elektrische Antriebe bekommen.
Die Güte und die Größe der Beschläge an Deck sind übrigens schon ab Werft einwandfrei. Weil die Lasten auf den Schoten und Fallen relativ hoch sind, lohnt sich für eine effiziente Trimmbarkeit auf jeden Fall die Ausstattung mit Leinen aus Dyneema, die es als Extra im Paket gibt.
Nautitech baut die Decks und die Rümpfe seiner Kats als GFK-Sandwichkonstruktionen im aufwändigen Vakuum-Infusionsverfahren. Die Kiele sind in entsprechende Rezesse im Rumpf fest eingeklebt. Die Flossen sind stark genug, dass man das Boot problemlos darauf abstellen kann, auch beim Trockenfallen. Anders als bei vielen vergleichbar großen Katamaranen sind die Ruderblätter beim Nautitech 44 Open ganz weit achtern hinter den Saildrive-Antrieben eingebaut. Damit verbessert sich das Ansprechverhalten beim Manövrieren auf engem Raum im Hafen. Übrigens lassen sich beide Ruderstände mit Motorschalthebeln ausstatten, damit der Steuermann von beiden Seiten aus die Anlegemanöver mit guter Übersicht fahren kann.
Die zwei Steuersäulen achtern bringen zudem den Vorteil mit sich, dass der Großbaum relativ dicht über dem Kajütdach angeschlagen werden kann. Das ist gut für die Performance unter Segeln, aber auch für das Handling beim Auftuchen des Großsegels in die Lazy-Bags. Diese Arbeiten auf dem Dach sind in guter Höhe leicht zu verrichten, und waghalsige Kletterpartien am Mast wie etwa auf Katamaranen mit Flybridge bleiben aus.
Der Namenszusatz Open steht für die Art der Raumausnutzung, die Nautitech Catamarans als innovative Neuerung schon 2014 mit dem kleinsten Modell der Reihe, dem 40 Open, vorgestellt hatte. Die Idee: Der Salon als Wohnzelle fällt generell etwas kleiner aus und bleibt im Wesentlichen auf die Bereiche Pantry und Navigation reduziert. Davon profitiert das komplett überdachte Außencockpit, das damit geräumiger und mit einer großen Sitzecke und Esstisch zu einer Art offenen Salonerweiterung wird. Mit den weit zu öffnenden Schiebetüren aus Glas werden der Innen- und der Außenbereich auch funktional gekoppelt.
Das Open-Konzept hat sich durchgesetzt. Mittlerweile haben auch andere Hersteller von Fahrtenkatamaranen dieselbe Idee für ihre Modelle adaptiert. So gesehen ist das Open-Konzept auf den Schiffen von Nautitech kein besonderes Alleinstellungsmerkmal für die Marke mehr, sondern entspricht vielmehr dem Standard bei Katamaranen. Mit den flexiblen, am Bimini angeschlagenen Seitenteilen lässt sich das Außencockpit auf den Schiffen von Nautitech bei Bedarf auch komplett schließen und der Raum zusätzlich beheizen. Diese Annehmlichkeit für den Einsatz in nördlichen Revieren bietet die Werft als Option an.
Eine Besonderheit beim neuen 44 Open ist der vorn zentral angebaute Stehtisch im Salon, der sich zum Beispiel als Bar für den Morgenkaffee genauso gut eignet wie für eine gemeinsame Routenbesprechung mit der Mannschaft. Auch dient er als Raumteiler zwischen der riesigen Pantry auf der Steuerbordseite und der Navigation backbords. Zudem wird das Wohnangebot im Salon durch eine kleine Sitzgruppe ergänzt, wo man sich auch unterwegs im Schutz vor Sonne und Wind gern mal hinsetzt, ohne den Kontakt zum Cockpit zu verlieren. Der Tisch der Polstergruppe lässt sich absenken und die Fläche mit Einlegepolstern schließen. So kann der Bereich auf langen Schlägen auch ganz prima als Koje für die Freiwache genutzt werden.
Was im Salon aber definitiv fehlt, sind brauchbare Handläufe oder Griffmulden. Gerade auf Katamaranen mit ihrer offenen und weiten Raumgestaltung sind gute Festhaltemöglichkeiten bei rauem Wetter und Wellengang unentbehrlich.
Für den Ausbau in den Rümpfen des 44 Open sieht Nautitech die klassenüblichen Varianten mit drei (Eigner-Version) oder vier Kabinen (Charter) vor. Allerdings bleibt es in beiden Varianten bei insgesamt lediglich zwei Nasszellen, wobei der WC-Raum jeweils abgetrennt ist. Die Mehrheit der Fahrtenkatamarane im gleichen Längensegment bietet diesbezüglich schon größeren Komfort mit je einem separaten Bad für jede Kabine.
Als weitere, attraktive Ausbauvariante für Eigner kann die vordere Kabine im Steuerbordrumpf auch als offener Raum ohne Koje zur multifunktionalen Nutzung als Werkstatt, Waschraum oder als begehbarer Umkleideraum ausgebaut werden. Die Werft nennt den Zusatzraum „Smart-Room“ und zeigt sich bezüglich der Ausbaumöglichkeiten flexibel je nach Bedarf.
Die Kojen in den Kabinen sind breit genug zur Doppelnutzung, allerdings sind die Liegeflächen mit 1,95 Metern achtern beziehungsweise 1,93 Metern im Vorschiff auch recht kurz, und das ohne erkennbare Notwendigkeit. Dafür überzeugt der 44 Open mit vielen gut erreichbaren und dazu durchdacht eingeteilten Stauräumen an und unter Deck. Und: Die Lüftungsmöglichkeiten sind sowohl im Salon wie auch in den Kabinen und Nassbereichen tadellos.
Die Dieseltanks für die zwei Motoren mit einer Kapazität von jeweils 300 Liter bestehen aus Aluminium und ruhen an guter Stelle tief in den Rümpfen unter den Bodenbrettern. Zwei Speicher aus PVC für Frischwasser mit ebenfalls 300 Liter Inhalt pro Stück sind in der vorderen Plattform integriert. Nautitech bietet damit bereits ab Werft größere Füllmengen als bei vielen Konkurrenzbooten. Für die lange Fahrt ist das ein wichtiges Thema.
Bleibt letztlich noch ein Blick auf die Preise. 687.000 Euro kostet die Grundversion des 44 Open als Eignerversion mit drei Kabinen und einer recht umfangreichen Ausstattung. Die im Vergleich mit der Konkurrenz auf den ersten Blick ziemlich selbstbewusste Preispolitik von Nautitech relativiert sich angesichts der hohen Standards bei den technischen Installationen und der hochwertigen Qualität der Anbauteile. Auch sind die Schiffe der Werft nicht nur sehr solide gebaut, sondern überzeugen zudem mit ihrem schönen, tadellos gefertigten Innenausbau.
Die Konstruktion des Nautitech 44 Open macht Kompromisse, die andere Fahrtenkatamarane nur schwer mitgehen können. Das erhebliche Plus an Sportlichkeit und Leistungsvermögen sind überzeugende Argumente dafür, im Gegenzug kleinere Abstriche in Sachen Wohnlichkeit und Komfort in Kauf zu nehmen. Insgesamt präsentiert sich das Boot deshalb rund, durchdacht und auf die zeitgemäßen Ansprüche von Fahrtenseglern sehr gut abgestimmt.
Den Titel als Europas Yacht des Jahres 2023 hat das Schiff jedenfalls verdient – und zwar in jeder Hinsicht.
Michael Good
Klassenüblich gibt es das Boot als Dreikabiner mit großem Eignerbereich (s. Abbildung) oder mit einem symmetrischen Ausbau und vier Kabinen für den Einsatz im Charter. Es bleibt aber in beiden Varianten bei zwei Toilettenräumen
Preise Stand 03/2023
Im Comfort-Paket dazu enthalten Davits, Mooring-Kit (Fender, Festmacher), Elektro-Upgrade mit fünf Service-Batterien 140 Ah AGM, USB-Anschlüsse in allen Wohnbereichen, Delta-Anker, Moskito-Netze für die Luken, Fusion-Audiosystem, Cockpittisch aus GFK
Durchdachtes, stimmiges Konzept für einen Fahrtenkatamaran mit viel Sportlichkeit und Leistungsvermögen. Der Nautitech 44 Open begeistert insbesondere mit seinen sehr guten Segeleigenschaften. Aber auch die Wohnlichkeit hat einen hohen Stellenwert
Konstruktion und Konzept
Segelleistung und Trimm
Wohnen und Ausbauqualität
Ausrüstung und Technik
Das nächste Neubauprojekt der Katamaranbauer in Rochefort wird das neue Flaggschiff sein, der Nautitech 48 Open. Im Vergleich zum 44 Open bleiben das generelle Konzept und die Layouts nahezu unverändert, auch die Optik sowie die Konstruktion. In den zirka 1,30 Meter längeren Rümpfen ist jedoch mehr Platz für zwei deutlich geräumigere Nasszellen mit jeweils abgetrenntem Duschbereich. Zudem ist auch beim größeren Schiff ein Ausbau mit Smart-Room möglich.