Charleston an der Ostküste Nordamerikas: Am 22. Mai 1819 sticht die 30,5 Meter lange „Savannah“ Richtung Liverpool in See. Es soll die erste Atlantiküberquerung eines Dampfschiffes werden. Doch kein Passagier geht an Bord, und niemand vertraut dem neumodischen Qualmer Ladung an, zu groß ist die Skepsis. Die Überfahrt klappt, die aufholbaren Schaufelräder kommen aber nur 80 Stunden während Flauten zum Einsatz. 8 Knoten Fahrt sind mit Maschinenkraft möglich, die restliche Zeit wird gesegelt, die „Savannah“ ist traditionell geriggt. Vor Liverpool wird noch einmal kokett eingeheizt, an Land glaubt man, ein brennendes Schiff würde einlaufen.
Genau 200 Jahre später lag die 30,5 Meter lange „Energy Observer“ in Hamburg. Deren Macher hoffen, dass die beiden messerscharfen Buge in ein neues Zeitalter ohne qualmende Schornsteine weisen. Eine Brennstoffzelle speist die beiden Elektroantriebe. Um deren Sprit – Wasserstoff – zu speichern, ruhen acht dalbendicke, mehr als zwei Meter lange Tanks auf den Vordecks. Sie fassen je 322 Liter oder knapp 8 Kilogramm Wasserstoff bei einem Druck von 350 bar. Der Wasserstoff wartet dort auf die sogenannte kalte Verbrennung, eine elektrochemische Reaktion, bei der Strom und Wärme entstehen – sowie Wasser als einziges Abfallprodukt. Mit diesem Setting ähnelt der Katamaran einem Brennstoffzellen- oder Wasserstoff-Auto. Doch wird hier der Wasserstoff auch an Bord erzeugt, das ist der Clou dieses Katamarans.
Alle Energie für dessen Produktion, zum Kochen, für das Warmwasser und für die umfangreiche Elektronik, entsteht an Bord, bislang durch 165 Quadratmeter Solarzellen. Sonne in Vortrieb zu verwandeln, das gelang allerdings bereits der „Turanor Solar“, einem auf der Kieler Knierim-Werft gebauten 31- Meter-Motorschiff. Sie umrundete die Erde von 2010 bis 2012 auf der sonnigen Barfußroute. Heute heißt sie „Race for Water“, und nach einem Umbau gibt es auch hier bordeigene Elektrolyse und 200 Liter Wasserstoff in Drucktanks. Beide Projekte nehmen also in gleicher Richtung Fahrt auf. Der Unterschied liegt jedoch in der Windnutzung. Außerdem ist die „Energy Observer“ das Boot mit Segelvergangenheit.
Deren Rümpfe wurden 1983 als „Formule Tag“ in Kanada gebaut, dem damals größten Kat der Welt. Skipper Mike Birch ersegelte mit dem Kohlefaser-Monstrum als Erster ein 500-Meilen-Etmal. Robin Knox-Johnston und Peter Blake verpassten ihm ein neues Rigg, die Segelfläche wurde von 440 auf 526 Quadratmeter erweitert. Außerdem erhielt das Unterwasserschiff eine zweite Haut – zur Sicherheit. Im zweiten Anlauf, 1994, gelang mit ihr als „Enza“ die Weltumrundung im Rahmen der Jules Verne Trophy in 74 Tagen und 22 Stunden.
Tracy Edwards erwarb den Kat 1996, er hieß fortan „Lady Endeavour“, später „Royal Sun Alliance“. Mit einer Frauencrew startete sie bei der Trophée Jules Vernes 1998, am 43. Tag brach der Mast. Toni Bullimore kaufte und verlängerte die Rümpfe, umrundete damit in „The Race“ als „Team Legato“ 2001 die Erde und 2005 gleich noch einmal während der „Oryx Quest“, wieder nach Umtaufe, diesmal in „Team Deadalus“. In einer Verkaufsanzeige von 2008 wurden 585.000 Britische Pfund aufgerufen, rund 670.000 Euro. Offenbar fand sich aber kein Abnehmer. Bei einer Überführung kenterte das Schiff 2009 in der Biskaya bei 4 Beaufort durch, niemand kam zu Schaden. 2013 erwarb das „Energy Observer“-Team den Kat und baute ihn ab 2015 für neue Aufgaben um.
Auf seine vierte Weltumrundung ging das Schiff mit Wind- und Sonnenkraft. Victorien Erussard ist der Initiator des Projekts. Zehn Jahre lang war der 44-Jährige in der französischen Langstrecken-Szene aktiv. Regattasegeln sei spannend, aber auch recht egozentrisch und bringe dem Rest der Welt eigentlich nichts, so Erussard. „Als ich während der Transat Jacques Vabre mitten im Atlantik einen elektrischen Blackout hatte, fühlte sich die Situation blöde an, während es ringsumher nur so vor Energie durch Wind und Sonne strotzte.“ Der Stromausfall an Bord war die Geburtsstunde des Projekts „Energy Observer“.
Ab 2013 suchte Erussard zwei Jahre lang Sponsoren, zwei weitere dauerte der Umbau. Die Verdrängung verdoppelte sich dabei auf 31 Tonnen, die Rümpfe erhielten deswegen Auftriebswülste. Geblieben sind die wellenabweisenden Hutzen über den Niedergängen in die beiden Rümpfe. Auch die Beams sind die alten. Die Gondel, seinerzeit eher eine Navigationskapsel zwischen achterem und mittlerem Beam, wurde durch ein vergleichsweise opulentes, von vorn bis achtern reichendes Mittelschiff ersetzt. Dessen aerodynamische Form gleicht einem gewaltigen Reiskorn.
„Bitte wieder schließen“, appelliert Jean Baptiste Sanchez beim Betreten des Reiskorns, den Hamburger Regen nicht hineinwehen zu lassen. Er ist einer der drei Kapitäne der „Energy Observer“, die sich alle paar Wochen auf der Brücke abwechseln. Sieben Monate pro Jahr ist der Kat unterwegs, in der übrigen Zeit wird gebastelt. Durch die flugs wieder geschlossenen Schiebetüren geht es in den elektrisch erwärmten Salon. Backbord die Kombüse mit Induktionsherd und Geschirrspülmaschine, durch Leuchtbänder optisch über dem Kajütboden schwebend, steuerbord der Salon. Nach vorn geht es zur Toilette, den fünf Kammern und zum Duschabteil. 500 Liter Warmwasser stehen zur Verfügung. Das Kühlwasser der Elektrolyse heizt mit 45 Grad, das der Elektromotoren mit 59 Grad, aus der Brennstoffzelle kommen 72 Grad Abwärme.
Auf zwei Bildschirmen wird wie in einem Kraftwerk kontinuierlich der Energiefluss dargestellt. Im oberen Viertel sind die zehn Gruppen Solarzellen symbolisiert, die über zehn Ladegeräte einen 400-Volt-Bus befeuern. Der speist entweder direkt die 41 000 Watt leistenden Elektromotoren oder auch die beiden Batteriebänke: Mit 400 Volt stehen zweimal 56 Kilowattstunden Speicher zur Verfügung. Außerdem gibt es noch zwei je 8 Kilowattstunden fassende 24-Volt-Akkus. Auf 12 Volt gerechnet kommen so über 10.000 Amperestunden zusammen: 100 Autobatterien nebeneinander. Noch ein Vergleich: Die Wasserstofftanks speichern zusätzlich die 20-fache Energie, alles protokolliert auf den beiden Monitoren. „Das ist mein erster Blick, wenn ich aufstehe – und mein letzter vor der Koje.“
Vom Bus kann die Energie auch direkt in die Elektrolyse fließen. Der Katamaran schwimmt dazu bereits im Element. Allerdings muss eine Membranpumpe das Elbwasser zunächst entsalzen. Das Filtrat genügt für Nudeln und Nasszelle; für die Elektrolyse wird jedoch destilliertes Wasser benötigt. Dazu wird es nochmals in einer Membranpumpe gefiltert. Von dieser Anlage im Backbordrumpf gelangt das Wasser über eine fingerdicke Edelstahlleitung zur Elektrolyse steuerbords, im Prinzip wird Strom ans Wasser angelegt, dabei spalten sich die Wassermoleküle in je ein Wasserstoffmolekül und eines aus Sauerstoff. Sollen spalten.
Die „Energy Observer“ ist kein Serienbau. Andauernd wird etwas optimiert, es gibt auch Defekte. „Die zweite Stufe des Kompressors benötigt eine neue Membran, die zwölfte in zwölf Monaten“, stöhnt Hugo Devedeux, einer der vier Bordingenieure. Er hofft, bis zum Ablegen das neue Teil eingebaut zu haben, denn sie wollen mit gefüllten Wasserstofftanks auslaufen.
Zwar liefern die Solarzellen im Optimalfall 24 Kilowatt, 14 Kilowatt mehr als für den Vortrieb benötigt, aber das genügt nicht, um die Nächte, Morgen und Abende zu puffern. Bis Anfang des Jahres waren deswegen noch zwei Windturbinen und ein Kite installiert. „Das Problem war aber, dass die Turbinen zwar gute Leistungen erzielten, beim Fahren gegen den Wind allerdings auch gewaltig bremsten“, erläutert Sanchez. Der Kite-Drache des französischen Herstellers Beyond the Sea ist mittlerweile ebenfalls abgeschlagen, er sei schwer zu bändigen gewesen, berichtet Devedeux.
Das französische Konstruktionsbüro VPLP aus Vannes und Paris entwickelt Flügelriggs für Fahrten- und Frachtschiffe, getestet zunächst auf einem kleinen Daysailer- Tri. Die „Energie Observer“ ist seit zwei Wochen mit dem ersten Paar je 30 Quadratmeter großer „Ocean Wings“ bestückt. Die Masten wirken nur im Vergleich zur Bootslänge niedlich, sie sind zwölf Meter hoch. Jeder Wing besitzt zwei bewegliche Segmente. Damit erinnern sie einerseits an America’s- Cup-Riggs, aber auch an die seinerzeit polarisierenden Riggs der von John Walker konstruierten Planesail- und Wingsail-Yachten, von denen 1997 bis 2001 vier Stück gebaut wurden. Diese hier fertigte die Groupe Constructions Industrielles de la Méditerranée (CNIM).
Zwar sind auch an den beiden Masten Bedienknöpfe für einen manuellen Betrieb angebracht, gewöhnlich wird aber aus dem erhöhten Steuerstand gesetzt. Tatsächlich besteht die Bespannung aus konventionellem Polyester-Segeltuch. Hydraulikkolben stellen die Flügelteile automatisch auf Kurs, Geschwindigkeit und Windstärke ein, der Mast dreht elektrisch betrieben. Auf der bisher einzigen Segelpassage von den Niederlanden nach Hamburg wurden bei 20 Knoten Wind 10,5 Knoten erreicht. Der Wendewinkel soll bei sagenhaften 70 Grad liegen, der Kat besitzt ja noch seine Schwerter aus Segelzeiten.
Um überhaupt mit der selbst erzeugten Energie auszukommen, liegt die E-Motor- Marschgeschwindigkeit des Kats bei 5 Knoten. Die Segel erhöhen nun die Geschwindigkeit und die Reichweite, eine Art energieautarkes „dänisches Kreuzen“.
„Kommende Woche sollen die Parameter im Ladegerät angepasst werden, dann können wir die Motoren auch als Generatoren verwenden“, schwärmt Hugo Devedeux von der geplanten Rekuperation. Erwartet werden Geschwindigkeitseinbußen von bis 4 Knoten, bis zu 5000 Watt fließen dann wahlweise in die Akkus oder die Wasserstoffproduktion.
Ziel ist, die Durchschnittsgeschwindigkeit zu erhöhen. Das Boot war sonnenverwöhnt auf Mittelmeer-Tournee, machte Station bei Sankt Petersburg, ums Nordkap nach Spitzbergen – und ging dann um die Erde.
Drei Lastwagen bringen das „Village“ an viele der hundert geplanten Häfen. Es beinhaltet Schautafeln, ein Büro, halbkugelförmige Zelte für Videovorführungen, Vorträge und eine Ausstellung. Möglich machen dies das jährliche Budget von 2,5 Millionen Euro. Die Lkw eines Sponsors würden zu den effizientesten verfügbaren Modellen gehören, versichert Sanchez. Auch das Dingi, bislang mit Verbrennungsmotor, soll bald auf Brennstoffzelle mit Elektromotor umgerüstet werden, ein deutscher Hersteller sei im Gespräch.
2019 ist Toyota Europa als Partner eingestiegen. Durch das Serien- Brennstoffzellenfahrzeug der Japaner würden sie gut ins Portfolio passen, erläutert die sechsköpfige Medienabteilung. Toyota seinerseits erhofft sich mehr Aufmerksamkeit für die im Vergleich zu Akkufahrzeugen als vorteilhafter gesehenen Brennstoffmodelle. Seit 2020 hat sich das Projekt auch die Aufklärung zum Klimawandel auf die Agenda gesetzt. Maßgeblich hierfür war das Erreichen Spitzbergens, wo die Auswirkungen erlebbar sind.
Die „Savannah“ unternahm nach ihrer Atlantiküberquerung eine Rundreise mit den Stationen Stockholm, Sankt Petersburg, Kronstadt, Kopenhagen und Arendal in Norwegen. Doch das Konzept fand seinerzeit keine Anhänger, finanziell war es ein Schlag ins Wasser. Die Dampfmaschine wurde ausgebaut und verkauft, die „Savannah“ segelte als maschinenloser Frachter, bis sie 1821 vor Long Island strandete und an Ort und Stelle zerlegt wurde. 20 Jahre später entwickelte sich ein regulärer Dampfschiffverkehr, auch über den Atlantik. Die „Savannah“ war ihrer Zeit vorausgedampft.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 13/2019 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.