Autark über den AtlantikDieser Windelo 50 soll ohne fossile Brennstoffe auskommen

Pascal Schürmann

 · 13.01.2024

Der neue Windelo 50 unter Segeln. Der nachhaltig gebaute Kat soll ganz ohne fossile Brennstoffe auskommen
Foto: Werft
Den Energiebedarf einer Yacht allein mit Hilfe von Solar- und Wasserkraft decken, funktioniert das in der Praxis, insbesondere auf Langfahrtschiffen mit zig Verbrauchern? Die Eigner eines Windelo 50 wollten es wissen – und nahmen Kurs auf die Karibik

Stéphane Groves und seine Kollegen von der noch jungen französischen Werft Windelo wussten anfangs wohl eher nicht so recht, wie sie mit der augenscheinlichen Sorglosigkeit ihres neuesten Kundenpaars umgehen sollten.

John Bibb, 54, und Barry Vial, 66, zwei US-Amerikaner, schickten dem Werftteam eine fröhliche WhatsApp-Nachricht von Bord. Da waren sie mit ihrem brandneuen Windelo 50 „Joule“ – nomen est omen – gerade auf dem Weg von Lanzarote zum über 100 Seemeilen entfernten Las Palmas, der Inselhauptstadt von Gran Canaria.

Nun berichteten sie, dass sie den Wassermacher angestellt hatten. Und die Waschmaschine. Gleich zweimal nacheinander. Der Gefrierschrank arbeite zudem auf Hochtouren, man habe ihn kurz vor der Abfahrt abgetaut, mit reichlich Proviant befüllt und nun wieder eingeschaltet. Ach ja, und der Wäschetrockner laufe auch. Geduscht habe die Crew, und nicht zu vergessen die zwei warmen Mahlzeiten, die J., wie John von allen genannt wird, auf dem Elektroherd zubereitet habe. Anschließend wurde selbstverständlich auch noch die Spülmaschine in Betrieb genommen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Zahlreiche Geräte sorgen für immensen Stromverbrauch

Selbst ein Laie, der den Stromverbrauch diverser Haushaltsgeräte nicht konkret zu beziffern vermag, wird ahnen, dass hier eine stattliche Anzahl Kilowattstunden zusammengekommen sein dürften. Mindestens zehn, wenn nicht mehr. Und dabei ist noch gar nicht der Energiebedarf eingerechnet für die Navigationselektronik, den Autopiloten und die zwischendurch mangels ausreichendem Wind für zweieinhalb Stunden laufenden Elektromotoren.

„Bei alledem hatten die beiden nicht mal mit vollen Batterien abgelegt. Der Akkustand betrug im letzten Hafen 73 Prozent“, sagt Windelo-Geschäftsführer Groves beim Gespräch einige Tage später im Hafen von Las Palmas. Da sitzt er an Bord der „Joule“, zusammen mit dem Paar, das gerade erst seinen Lebensmittelpunkt auf den Katamaran verlegt hat.

Schon zuvor hatten die beiden Männer gemeinsam auf einem Zweirumpfer gelebt. Doch: „Das war nicht dasselbe. Das war ein Boot, das wir in Amerika von einem großen Charterflottenbetreiber gekauft hatten – mehr ein Motorsegler, ein Wohnboot. Segeln konnte das eigentlich nicht“, erzählt J. Vier Jahre sind sie damit von der Karibik nordwärts die gesamte amerikanische Ostküste hinauf und wieder hinunter getingelt, berichtet er.

„Wir haben dann irgendwann mal nachgerechnet und festgestellt, dass wir ungeheure Mengen Diesel in die Luft jagten“, ergänzt sein Partner Barry. „Also begannen wir, uns mit dem Thema Elektrifizierung auseinanderzusetzen. Die aber auf einem schon existenten Boot umzusetzen, ist nicht einfach, eine Nachrüstung enorm kostspielig und im Grunde auch kaum zufriedenstellend machbar.“

Das Ziel: ein Boot, das ohne fossile Brennstoffe auskommt

Also sollte ein neues Boot her. Eines, das möglichst ganz ohne fossile Treibstoffe auskommt. „Als J. und Barry dann schrieben, dass sie sämtliche Verbraucher laufen ließen, wurde mir doch ein wenig mulmig“, gibt Groves offen zu. „Das war ein Härtetest für das gesamte Energiesystem an Bord, den wir in dieser Form eigentlich nicht geplant hatten.“

Das Schiff hat ihn bestanden, mit Bravour. „Die Solarzellen und die Rekuperation über die beiden E-Motoren haben die Batterien tatsächlich so gut nachgeladen, dass wir hier mit demselben Akkustand angekommen sind, wie wir ihn bei der Abfahrt einen knappen Tag zuvor am Batteriemonitor abgelesen haben“, erzählt J. und fügt hinzu: „Das allein hätte gereicht, noch ein paar Stunden lang nur mit den E-Motoren weiterfahren zu können, wäre plötzlich der Wind ausgeblieben.“

Wir haben nach einem Katamaran gesucht, der mit elektrischen Antrieben ausgestattet ist – und der darüber hinaus gut segelt!”

Als sie nach einem neuen Kat suchten, seien ihnen zwei Aspekte wichtig gewesen: „Das Boot sollte einen elektrischen Antrieb haben. Und es sollte segeln können“, berichtet Barry. „Wir hatten die Nase voll vom ewigen Herummotoren.“

Nachhaltiger Schiffsbau war den Eignern wichtig

Mehrere Modelle hätten sie in der engeren Auswahl gehabt, am Ende ist die Entscheidung für den 50-Fußer von Windelo gefallen. Abgesehen von einer Art Prototyp, der 2021 fertiggestellt worden war, ist die „Joule“ eines von drei Schiffen der neuen Werftserie. Daneben gibt es noch den größeren 54-Fußer, der ebenfalls verbessert und neu aufgelegt wurde und von dem der erste Ende November ins Wasser gekommen ist. Windelo wurde 2019 gegründet, die Werft befindet sich in Canet-en-Roussillon bei Perpignan nahe der französisch-spanischen Grenze.

Ausschlaggebend für J. und Barry war neben dem Energiekonzept und der versprochenen Segelleistung ein dritter Aspekt, den es in dieser Kombination anderswo nicht gab: der Nachhaltigkeitsgedanke beim Schiffsbau. „Wir fertigen Rümpfe und Deck aus Basaltfaser, und zwar in Form einer Sandwichstruktur. Die inneren Lagen der Rümpfe bestehen dabei zu 56 Prozent aus PET-Schäumen, die aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden“, erklärt Stéphane Groves. Für die restlichen 44 Prozent der Sandwichstruktur müsse aufgrund der besseren Festigkeit noch konventioneller PVC-Schaum verwendet werden. Beim Deck hingegen komme für die Zwischenlage ausschließlich recyceltes PET zum Einsatz.

“Energieautarkie, Segel-Performance und umweltschonende Bauweise, das zusammengenommen hat uns überzeugt. Auch wenn uns klar war, dass wir die Ersten sein würden, die das Konzept nicht nur beim Küstensegeln ausprobieren würden“, sagt J. Und weiter: „Zu segeln, dauerhaft auf einem Boot zu leben, hat ja nicht nur mit Freiheit zu tun. Sondern auch mit Verantwortung. Der Natur gegenüber. Den Mitmenschen gegenüber.“

Die Eigner lernten das Boot von Grund auf kennen

Weil es infolge der zurückliegenden Corona-Krise auf der Werft zu Verzögerungen gekommen war, kamen die beiden in den Genuss, die Baufertigstellung zu begleiten. „Das war letztlich sogar hilfreich, weil wir so noch sehr viel mitbekommen haben, wo und wie welche Technik verbaut ist. Davon sieht man auf einem fertigen Boot als Käufer meist nichts mehr“, erzählt J.

Im September und Oktober sind sie dann im Mittelmeer gesegelt, um das Boot kennenzulernen. „Die Lernkurve war steil, aber nun fühlen wir uns für den Atlantik gewappnet“, sagt Barry. Insbesondere auf der letzten Etappe nach Las Palmas seien sie ordentlich gebeutelt worden. „Da hatten wir enorm starke Böen, die uns doch haben unruhig werden lassen. Das Boot hingegen hat das alles wegsteckt, als ob nichts wäre. Das hat uns imponiert.“

Bis über 15 Knoten Speed haben sie bereits geloggt. „Es ist aber gar nicht unser Ehrgeiz, schnell segeln zu wollen. Und schon gar nicht wollen wir gegen die Elemente antreten“, erklärt Barry, der von den beiden der Bedächtigere ist. Segeln sei schließlich kein Kämpfen gegen die Natur. Die würde am Ende eh stets siegen. Barry: „Segeln ist ein Miteinander – mit dem Wind, den Wellen, dem Wasser.“

Am Ende war mit ausschlaggebend, dass der Nachhaltigkeitsaspekt beim Bau des Bootes eine so große Rolle spielt”

Am 19. November sind J. und Barry gemeinsam mit drei Freunden mit der „Joule“ Richtung Saint Lucia gestartet. Sie haben die alljährliche Atlantic Rally for Cruisers genutzt, um nicht ganz auf sich allein gestellt den weiten Ozean überqueren zu müssen. „Das ist schließlich unser erstes Mal, dass wir über den Atlantik wollen. Das Segeln in der großen Gruppe gibt uns ein Gefühl der Sicherheit“, sagt Barry am Tag vorm Start über ihre Beweggründe, an der ARC teilzunehmen. „Außerdem ist hier unter den anderen Seglern und beim Veranstalter, dem World Cruising Club, ein ungeheurer Erfahrungsschatz vorhanden. Die Leute vermitteln dir Wissen hinsichtlich aller Aspekte, auf die es beim Langfahrtsegeln ankommt.“

Die Ziele: Karibik, US-Ostküste und wieder zurück ins Mittelmeer

Wie es danach weitergeht, darüber haben sich die zwei noch nicht den Kopf zerbrochen. Vielleicht vor der Hurrikansaison wieder die US-Küste rauf. „Auf jeden Fall aber wollen wir irgendwann zurück nach Europa, ins Mittelmeer. Dort haben wir so vieles noch nicht gesehen. Und die kurze Zeit, die wir im Sommer dort verbracht haben, hat uns wahnsinnig gut gefallen. Vor allem die griechischen Inseln haben es uns angetan“, schwärmt Barry.

Zunächst aber nun 2.700 Seemeilen nonstop bis Saint Lucia. Sollte unterwegs doch einmal der Wind ausbleiben und die Sonne nicht scheinen, ist zur Sicherheit ein Dieselgenerator an Bord. „Gebraucht haben wir den bisher aber noch nicht. Und ich gehe jetzt mal davon aus, dass das auch so bleibt“, sagt J. Lediglich für den Dingi-Außenborder benötigen sie noch Benzin, erklärt er. „Aber auch nur, weil der Elektro-Außenborder, den wir gern haben möchten, auf die Schnelle nicht lieferbar war. Das ärgert mich sehr. Spätestens in den USA kommt der Benziner von Bord!“

Mit an Bord – und darauf ist J. dann schon ein bisschen stolz – ist trotz der ganzen modernen Navigationselektronik sein Sextant. J.: „Als mich mein Vater in meiner Kindheit mit zum Segeln nahm und währenddessen selbst erst seine ersten Scheine machte, habe ich das alles von ihm gelernt. Ob ich allerdings heute noch nach den Sternen navigieren könnte, wage ich zu bezweifeln. Da müsste ich mich erst wieder einarbeiten. Das Grundverständnis aber ist immerhin vorhanden.“

Es scheint, als wollten sich die beiden also doch nicht gänzlich abhängig machen von all der Technik – was für sie spricht.

“Beim nächsten Mal ganz ohne Diesel”

Epilog: Am 10. Dezember hat die Crew der „Joule“ das Ziel auf der Karibikinsel Saint Lucia wohlbehalten erreicht. 21 Tage haben die beiden benötigt, um 3.039 Seemeilen zurückzulegen. Ihr Durchschnitts-Speed betrug etwa sechs Knoten. Damit zählten sie weder zu den ganz Schnellen noch zu den Nachzüglern im Feld der knapp 160 Boote, die mit der ARC zeitgleich von Las Palmas aufgebrochen waren.

Jedoch haben sie dem nur schwach ausgeprägten Passat Tribut zollen müssen. J. Bibb berichtete nach der Ankunft : „Ich muss gestehen, dass wir zwischendurch den Dieselgenerator angeworfen haben. Wenn auch nur für acht Stunden. Wir hätten es ohne geschafft, aber als alle anderen um uns herum ihre Motoren genutzt haben, hatten wir Sorge, den Anschluss zu verlieren.“

Es sei ja erst ihre erste Atlantiküberquerung gewesen. „Das nächste Mal“, so J., „schaffen wir es dann hoffentlich ganz ohne Diesel.“


Das ist das Energiekonzept des Kats

Man muss zwar kein Elektroingenieur sein, ganz trivial ist es aber auch nicht: Das Energiekonzept des Windelo basiert auf mehreren Komponenten, deren Zusammenspiel gesteuert und überwacht wird

Kajütdach und vordere Decks wurden mit flexiblen, begehbaren Solarzellen versehen. Da sie weniger effizient sind als starre Module, wurden sehr viele verbaut. Windgeneratoren sind optional
Foto: Werft
Die Grafik zeigt die verschiedenen Komponenten, die im Zusammenspiel die Energieversorgung des Kats sicherstellen sollen. Der Dieselgenerator ist hierbei als Backup vorgesehenDie Grafik zeigt die verschiedenen Komponenten, die im Zusammenspiel die Energieversorgung des Kats sicherstellen sollen. Der Dieselgenerator ist hierbei als Backup vorgesehen

So lange dauert es, die Bordbatterien des Kats wieder aufzuladen

Um laut Berechnungen der Werft die leeren Bordbatterien zu 80 Prozent wiederaufzuladen, ist es entweder erforderlich, dass

  • 24 Stunden lang bei einem Bootsspeed von mindestens 10 Knoten die Hydrogeneratoren mitlaufen
  • 17 Stunden lang Sonnenschein auf die Solarzellen fällt oder
  • 8 Stunden lang das Schiff am Landstrom hängt oder
  • 3 Stunden lang der Dieselgenerator läuft.

Technische Daten Windelo 50 “Joule”

  • Länge: 15,24 m
  • Breite: 7,95 m
  • Tiefgang (Schwerter): 1,03–2,32 m
  • Gewicht: 11,2 t
  • Großsegel: 92 m²
  • Genua: 43 m²
  • Gennaker: 161 m²
  • E-Motoren: 2x 20 kW
  • Preis (inkl. 19 % MwSt.): ab 1,3 Mio. Euro

Weitere nachhaltige Boots-Konzepte

Nicht nur die Windelo-Werft verfolgt vielversprechende Ansätze, um den CO2-Fußabdruck beim Bau von Segelyachten zu minimieren. In unserem Nachhaltigkeits-Special stellen wir verschiedene Projekte und Ansätze für mehr Umweltbewusstsein im Segelsport vor!


Mehr zum Thema:

Meistgelesen in der Rubrik Yachten