Schiffbau der ZukunftStudierende aus Kiel bauen nachhaltiges Skiff

Max Gasser

 · 14.02.2024

Das nachhaltige Skiff der Kieler "Förderacer" auf der diesjährigen boot in Düsseldorf
Foto: YACHT/N. Günter
Das von den Studierenden konstruierte und gebaute Skiff im Detail
Studierende der Fachhochschule Kiel haben ein nachhaltiges Skiff gebaut und wollen mit diesem bei einem internationalen Hochschulwettbewerb an den Start zu gehen. Auf welche Finessen die Nachwuchs-Schiffbauer dabei zurückgegriffen haben, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten und und was sie sich beim Wettbewerb erhoffen

Längst sind Nachhaltigkeits- und Umweltschutzprojekte in der Segelwelt keine Seltenheit mehr, allen voran fordert Vendée-Globe-Bezwinger Boris Herrmann zu mehr grünem Denken auf. Für fast alle Segler steht mittlerweile fest: Die Bootsbranche muss nachhaltiger werden. Die Basis dafür bilden die Ingenieure und Konstrukteure der Zukunft. Unter anderem an der Fachhochschule Kiel bereiten sich die Schiffbau-Studierenden daher auf diese Problematik und die damit verbundenen Aufgabenfelder vor. Dafür haben sie ein nachhaltiges Skiff für den internationalen 1001 Vela Cup konstruiert und gebaut.

Die Kieler “Förderacer” – eigentlich eine Tretbootmannschaft der Hochschule – wurden 2019 auf den Wettbewerb aufmerksam und wollen im September 2024 am Comer See ein erfolgreiches Debüt feiern. Der Regatta-Wettbewerb wird seit 2005 an wechselnden Orten in Italien zwischen Hochschulmannschaften ausgesegelt. Das strenge Reglement gibt neben einigen Maßen und der auf 33 Quadratmeter begrenzten Segelfläche vor, dass beim Bau nicht weniger als 75 Prozent nachwachsende Rohstoffe verwendet werden dürfen. Das wird hart durchgesetzt und ist auch für den Wettkampf auf dem Wasser entscheidend, der nach offiziellen Wettfahrtregeln ausgetragen wird. Denn pro Regelverstoß müssen 5 Kilogramm Blei am Heck angebracht werden.

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Ein rund 30-köpfiges interdisziplinäres Team aus Schiffbau-, Maschinenbau-, BWL- und Medien-Studierenden arbeitet daher aktuell daran, das Boot für erste Tests fertigzustellen. Beim Projektstart vor knapp fünf Jahren wurde das Skiff innerhalb von sechs Wochen designt, gerechnet und hydrodynamisch analysiert. Dann begann die Bauphase, doch die Corona-Pandemie zwang die Studierenden zwischenzeitlich zu einem zweijährigen Baustopp, weshalb es erst jetzt zur Vollendung kommt. Von den ursprünglichen Gründern ist mittlerweile niemand mehr an der FH. Diese Wissenslücken stetig zu schließen zählt zu den großen Herausforderungen des Projekts.

Besonderheiten von Flachsfaser: So lief der Bau ab

Nach der Wiederaufnahme des Vorhabens mit zahlreichen Umstrukturierungen und Neuzugängen konnte der Bau fortgesetzt werden. Aus Spanten war eine Positivform gebaut worden, auf diese wurden Balsaholzleisten aufgebracht, die schlussendlich überlaminiert wurden. Dafür nutzte das Team aus Kiel Flachsfaser und Bio-Epoxidharz. Zwar ist das Ergebnis etwas fester als herkömmliches GFK, bei der Verarbeitung gibt es allerdings auch einige Nachteile. So ist Flachsfaser nicht nur schwerer formbar, weshalb Radien nicht so eng gelegt werden können, sondern die Faserlänge ist auch durch die Pflanze bedingt natürlich begrenzt. Das muss bedacht werden, um die Festigkeit des Rumpfes zu sichern.

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Außerdem zieht die Naturfaser mehr Harz, weshalb die “Förderacer” im Vakuum-Pressverfahren arbeiteten. Hierbei werden die Fasermatten von Hand gelegt und geharzt, dann wird per Vakuum überschüssiges Harz entfernt und so Gewicht eingespart. „Wir haben mittlerweile auch schon versucht, mit Infusion zu arbeiten, das spart noch deutlich mehr Harz und Gewicht“, so Projektleiter Justin Bednarek. Segelfertig soll das nachhaltige Skiff schlussendlich 100 Kilogramm wiegen, der Bio-Anteil liegt derzeit bei 77 Prozent.

Rumpfform, Messelektronik und mehr

Die Rumpfform unterscheidet sich dabei grundlegend von anderen bisherigen Wettbewerbern. Diese hätten sich größtenteils stark am 14-Footer orientiert, so der 22-jährige Bednarek, der Schiffbau und maritime Technik studiert. „Sie haben also ein voluminöses Vorschiff und sind sehr stark auf Leichtwind ausgelegt”, erklärt er. Hintergrund ist der frühere Austragungsort der Veranstaltung auf Sizilien, wo es zur Zeit des Wettbewerbs eher windarm ist. Das dürfte am Comer See in diesem Jahr anders werden, außerdem wollen die Kieler Studenten auch auf der heimischen Förde unterwegs sein, weshalb ihr Design mehr auf Allround-Bedingungen zugeschnitten sei.

Konkret zeichnet sich das Boot zumindest optisch vor allem durch einen abgerundeten negativen Steven aus, der einem flachen Vordeck entspringt. Der Bug läuft dabei sehr spitz zu. Da die vorgeschriebene Maximalbreite von 2,10 Metern auf der kompletten Länge nicht ausgeschöpft wird, arbeitet das nachhaltige Design im Cockpit mit Auslegern, um den Gewichtsschwerpunkt weiter nach außen verlagern zu können.

Eine der großen technologischen Raffinessen findet sich allerdings im Verborgenen. Denn die Studierenden haben unter Deck, durch eine Inspektionsluke im Vordeck zugänglich, Dehnungsmessstreifen und weitere Sensoren zur Aufzeichnung von Verbiegung und Torsion verbaut. Diese sind an einen ESP32-Mini-Computer gekoppelt und können in Verbindung mit der Uhrzeit der Aufzeichnung und den damit erschließbaren Wetter-, Wind- und Wellenbedingungen ausgewertet werden. „Dadurch können wir Rückschlüsse auf das Material unter Realbedingungen und nicht nur unter idealisierten Laborbedingungen ziehen“, so Bednarek.

Erstmals beim 1001 Vela Cup: “Förderacer” bauen auch die Anhänge aus Flachs

Kein weiteres Hochschul-Team nutzt dieses Verfahren bisher. Der technologische Vorsprung kostete das Team allerdings auch reichlich Arbeitszeit, denn die Studenten haben die Messelektronik komplett eigenständig entwickelt und zusammengebaut. Der Zeitaufwand sei generell nicht zu unterschätzen. „Wer sich hier im Team engagiert, braucht sicher länger im Studium. Ich würde das dennoch nicht als Nachteil, sondern als positiven Faktor sehen“, so der aus Worms am Rhein stammende Teamcaptain Lucas Hummel. Denn die Studierenden würden sich in der Praxis so bereits früh wichtige Kenntnisse für ihren späteren Berufsalltag aneignen. „Man lernt das, was man in der Klausur runterrechnet, direkt anzuwenden, erkennt Unterschiede und auch das Zusammenspiel zwischen Theorie und Praxis“, führt der 26-Jährige weiter aus. Dazu komme das Netzwerk: „Schiffbau ist eine kleine Branche. Jeder kennt quasi jeden. Und wenn du in so einem Team warst, kennt man dich eben noch besser.“

Auch beim Schwert wollen die Kieler Vorreiter sein und haben dieses als erstes Team ebenfalls aus Flachs gefertigt. Die Anhänge sind im Regelwerk ausgenommen, weshalb die Teilnehmer hier in der Regel Carbon einsetzen. Auch beim Rigg geht das Team einen neuen Weg, setzt dabei jedoch auf Bewährtes: Ein alter 49er-Aluminium-Composit-Mast steht auf dem Deck, auch die Selbstwendefock des olympischen Skiffs wurde übernommen.

Letzte Bauschritte und Schwierigkeiten

Jetzt gilt es, letzte Laminierungen an Deck durchzuführen und das Boot komplett zu lackieren. Die Boote müssen vollständig von den Studierenden gefertigt sein, Hummel gibt einen Einblick: „Wir sind alle angehende Ingenieure, manchmal sind ein paar bereits ausgebildete Bootsbauer dabei. Das Handwerk haben wir uns entsprechend selbst beigebracht – mit viel Trial and Error.“

Unter anderem ist der rechteckige Schwertkasten aufgrund eines Fehlers beim Bau nicht exakt gerade in der Schiffslinie ausgerichtet. Dort wartet jetzt noch Arbeit auf den Schiffbau-Nachwuchs. Der hat den Kasten bereits 3D-vermessen und fertigt nun ein angepasstes Inlay an. Das ermöglicht auch den Test verschiedener Profile sowie Weiterentwicklung in Richtung eines beim Segeln verstellbaren Gybing Centerboards.

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Jeder Bauschritt wird dabei in einem genauen Bautagebuch festgehalten, jedes gemachte Laminat wird per Video dokumentiert. Auch die Gewichtskalkulation wird säuberlich gepflegt, denn diese muss beim Vela Cup ebenfalls eingereicht werden, um den Bio-Anteil zu überprüfen. „Jedes Gramm Harz, Flachs und auch jedes bisschen Spachtel sowie der Lack wird selbstverständlich erfasst – wir dokumentieren alles, wirklich alles“, bestätigt Projektleiter Justin Bednarek. All das auch, um später einen möglichst guten Wissenstransfer für folgende Generationen zu gewährleisten.

Konstruktion soll Foils erhalten

Denn diese können das bestehende Design übernehmen und weiter optimieren. „Es treten immer noch Konstruktionen an, die ursprünglich vor 20 Jahren gebaut wurden“, so der 22-Jährige aus Magdeburg. Er ist überzeugt, dass auch ihr Boot nach dem diesjährigen Wettbewerb weiter optimiert werden kann. Unter anderem gibt es im Rahmen des Events dafür eine Abwandlung des Formats: den 1001 Foil Cup. Wie der Name bereits verrät, werden die Schiffe hier mit Foils ausgerüstet, die Segelfläche ist darüber hinaus unbegrenzt. Alle weiteren Regularien bleiben jedoch bestehen, sodass sich in der Theorie jeder Teilnehmer des klassischen Vela Cups auch für den Foiler Cup eignet. Nach der aktuell laufenden Kampagne streben die Kieler genau diesen Weg an und wollen ihr Design zum Fliegen bringen.

Aktuell haben sich die “Förderacer”, die zuletzt starken weiblichen Zuwachs verzeichnen konnten, fraglos noch voll ihren Zielen beim 1001 Vela Cup auf dem Comer See verschrieben und planen die Fertigstellung ihres Bootes im Mai. Nur wenig später sollen dann die ersten Testfahrten auf der Förde erfolgen, sodass noch ausreichend Zeit für Optimierung und Training bis zum Wettbewerb im September bleibt.

Auch die seglerischen Fertigkeiten werden dann eine wesentliche Rolle spielen. Einzige Vorgabe für die Zweimann-Crew ist, dass beide an der jeweiligen Hochschule eingeschrieben sein müssen. Projektleiter Justin Bednarek, der unter anderem einige Jahre auf dem 49er verbrachte, soll in die Rolle des Vorschoters schlüpfen, während man sich an der Pinne den Standortvorteil zunutze machen will. „In Kiel haben wir es da relativ einfach, weil wir den Olympiastützpunkt hier haben und von dort einige Segler an der Hochschule studieren. Das Ziel ist es, jetzt noch einen 49er-Steuermann zu begeistern, mit ihm zu trainieren und schlussendlich die Regatta zu fahren“, verrät er.

Weitere deutsche Hochschulen beim Vela Cup am Start

Beweisen müssen sich die Studierenden aus Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt auf der Regattabahn gegen Crews von bis zu 13 weiteren Hochschulen. Mit der TH Ostwestfalen Lippe, der FH Karlsruhe, der TU München und der FH Münster wollen vier weitere deutsche Teams an den Start gehen.

Darüber hinaus wird für jegliche Art von Konstruktionen und Entwicklungen ein Innovation-Award vergeben. Bednarek, der sein Abitur nachgeholt hat, um Schiffbau zu studieren, zeigt sich zielstrebig: „Auch da wollen wir uns auf jeden Fall bewerben und hoffen, sehr gut abzuschneiden!”


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