Die Ankündigung der Werft zum neuen Modell Hanse 460 kam im Sommer 2021 mit Knalleffekt. Mit der Konstruktion wurde nämlich erstmals nicht das Büro von Judel/Vrolijk & Co in Bremerhaven beauftragt, sondern das Studio von Berret-Racoupeau in La Rochelle. Die Grundlage der Kooperation resultierte aus einem Konstruktionswettbewerb, den Hanseyachts erstmals überhaupt für ein neues Schiff ausgeschrieben hatte. Die Franzosen um ihren Chefdesigner Olivier Racoupeau haben in der Folge für die Werft in Greifswald offenbar die passendste Vision abgeliefert und somit den Zuschlag erhalten.
Die Ankündigung kam gut an, bereits wenige Monate später waren fast 200 Boote verkauft – und das, ohne dass die neuen Eigner das Schiff jemals gesehen hatten. Mit der 460 und der Zusammenarbeit mit Racoupeau gab Hanse gleichzeitig den Startschuss für eine komplett neue Modell-Generation.
Was ist neu? Antworten gibt der direkte Vergleich der 460 mit dem Vorgängermodell Hanse 458. Allem voran ist der Rumpf im Verhältnis wesentlich voluminöser geworden. Konkret: Mit einer Ausladung von 4,79 Metern und einem Streckungsfaktor (Verhältnis Länge zu Breite) von nur gerade 2,89 ist das neue Schiff markant kompakter als die im Vergleich eher schlanke 458 von Judel/Vrolijk mit ihrer Breite von 4,38 Metern und einer Streckung von 3,1. Mehr noch: Selbst in der Gegenüberstellung mit den damaligen Wettbewerbern war Hanses Newcomerin nunmehr das Schiff mit dem größten Volumen.
Mit der erheblichen Fülle geht auch eine enorme Breite am Heck einher. Tatsächlich ist die Hanse 460 achtern genauso ausladend wie an der Schiffsmitte. Die Ansicht von hinten veranschaulicht den Generationenwechsel bei Hanse optisch am deutlichsten. Mit weichen Chines und einem flachen Spant unterscheidet sich die Konstruktion von Racoupeau ziemlich augenfällig von den eher rund geformten Hecks der bisherigen Modelle.
Stärker abgesetzte Kimmkanten prägen die Optik des Rumpfs dagegen in seiner vorderen Hälfte. Sie sollen das Volumen im Vorschiff bewahren und gleichzeitig die Wasserlinie schlank halten. Dazu übernimmt die Aufkimmung auch die Funktion als eine Art Wasserabweiser. Diese recht markante Formensprache ist typisch für die jüngeren Arbeiten aus dem Büro von Olivier Racoupeau.
Für unzweifelhafte Herkunftsnachweise dagegen sorgen der kantige, fast keilförmige Kajütaufbau sowie die schmalen und mittig unterbrochenen Aufbaufenster. Das neue Schiff aus Greifswald ist und bleibt – trotz viel französischem Einfluss – ganz unverkennbar eine richtige Hanse. Zusätzlich sorgt der negative Bugsteven für eine optische Eigenständigkeit mit einer dezidiert sportlichen Note. Insgesamt bietet die Hanse 460 auch für das Auge ein stimmiges Ganzes. Für das Styling zeichnet übrigens Isabelle Racoupeau verantwortlich, die Ehefrau von Konstrukteur Olivier. Sie hat auch den Innenausbau gestaltet.
Das erste Schiff aus der Serienfertigung konnte die YACHT-Redaktion damals in Barcelona auf die Probe stellen, anlässlich der Jury-Tests zur Wahl von Europas YACHT des Jahres 2022. Die Hanse 460 trat dabei in der Kategorie der Fahrtenyachten insbesondere gegen ihre unmittelbare Konkurrentin, die Dufour 470 an. Eine Gegenüberstellung unter Segeln wäre bestimmt sehr spannend gewesen, auch weil die Konzepte der beiden neuen Yachten ähnlich sind und damit vergleichbar. Leider aber war aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeiten der Boote eine direkte Begegnung auf dem Wasser nicht möglich.
Bei perfekten Testbedingungen mit zwischen 16 und 20 Knoten Wind und hohen Wellen legt die Hanse 460 ein ordentliches Leistungspotenzial an den Tag. Das Boot marschiert dauerhaft mit einem Wendewinkel von rund 85 Grad und über 7,0 Knoten hoch am Wind und verarbeitet den nicht unerheblichen Seegang mühelos. Die recht guten Leistungswerte überraschen, weil das Testboot mit Selbstwendefock und Rollgroßsegel nicht besonders üppig betucht ist. Das herkömmliche Standard-Großsegel ist fünf Quadratmeter größer als das vertikal durchgelattete Rollgroß. Die leistungsstärkere Vorsegel-Alternative wäre die überlappende Genua mit leinenverstellbaren Holepunkten. Sportlicher wird es bei halbem Wind mit ausgerolltem Reacher (ein Segel zwischen großer Genua und Code Zero) und vor allem raumschots ab 110 Grad Windeinfall mit dem großen Gennaker. Die Logge weist im YACHT-Test dann fast dauerhaft zweistellige Werte aus.
Weil die Konstruktion der Hanse 460 trotz des breiten Hecks mit nur einem Ruderblatt auskommen soll, ist dieses relativ großflächig dimensioniert. Die Steuerung ist deshalb nicht ganz so sensibel wie bei ausgewiesenen Performance-Booten mit einem schlanken und tiefen Blatt. Aus diesem Grund fühlt sich das Boot auf dem Ruder bisweilen etwas träge an. Um das Boot optimal auf Kurs zu halten, muss der Steuermann entsprechend viel arbeiten und dafür auch etwas mehr Kraft investieren. Belohnt wird er im Gegenzug mit schnellen Reaktionen und einem unmittelbaren Ansprechverhalten. Im Test unter Gennaker macht die Hanse nur einmal ganz kurz Anstalten, aus dem Ruder zu laufen, lässt sich aber umgehend und problemlos auffangen und auf den alten Kurs zurücksteuern.
Betreffend des Layouts an Deck bleibt Hanseyachts auch beim neuen Modell der Philosophie treu, sämtliche Schoten, Fallen und Trimmleinen ausnahmslos unter Deck und innerhalb der Süllränder bis direkt vor die Steuersäulen zu führen. Der Niedergang und die Plicht sollen dagegen frei und unverbaut bleiben. Das ist, außer auf der kleinen 315, bei allen Modellen der Werft generell der Fall. Der Steuermann kann also von seiner Position an den Rädern aus alle Funktionen zum Setzen und Trimmen der Segel selbst ausführen. So gesehen ist das Boot weitgehend einhandtauglich.
Aber: Selbst wenn sie wollten, ist den Mitseglern auf der Hanse 460 kaum eine Möglichkeit geboten, sich aktiv an den Manövern zu beteiligen. Die Winschen und Fallenstopper sind aus der Plicht nicht zu erreichen, weil die sehr langen Cockpitduchten (2,30 Meter) bis unmittelbar vor die Steuerstände gebaut sind und den Zugang versperren. Es gibt zwei Tische im Cockpit, die in unterschiedlichen Ausführungen erhältlich sind, auch in einer Version zum elektrischen Absenken auf Knopfdruck. Mit Einlegepolstern können die Duchten so auch als schöne und breite Sonnenliegen zur Verfügung stehen. Allerdings blockieren die Tische den Zugang zu den Backskisten. Die großen Staufächer im Cockpit sind daher schlecht und nur mit Verrenkungen zugänglich. Für Fender, zusätzliche Segel und andere sperrige Dinge gibt es dafür reichlich Stauraum in der großen Last im Vorschiff sowie in der durchgehenden Achterpiek.
Auch die Steuerung verdient eine besondere Betrachtung. Der Quadrant ist leicht von oben durch eine verschraubte Abdeckplatte zu erreichen, was bei allen Schiffen von Hanse der gute und praxisgerechte Standard ist. Die restlichen Komponenten, also die Ketten- und Seilzüge vom Rad auf den Quadranten, verlaufen bei der 460 unter Deck in Kanälen und sind dort zwar wasserdicht abgeschottet, aber für Wartung und Inspektion leider nicht mehr zugänglich. Sollte zum Beispiel das durchgehende Steuerseil der nicht redundanten Anlage von der Umlenkrolle abspringen, ist dies ein Problem, das so schnell nicht zu lösen wäre und den Einsatz der Notpinne erfordern würde. Inspektions- und Wartungsluken an geeigneter Stelle könnten dagegen helfen, an die verborgene Steuermechanik besser heranzugelangen.
Der Raumeindruck unter Deck im Salon wird in besonderem Maße von der mächtigen, langen Küchenzeile auf der Steuerbordseite geprägt. Augenfällig ist vor allem die ungewöhnliche Höhe der Arbeitsfläche, 99 Zentimeter über dem Fußboden, was die Arbeit in der Pantry angenehm gestaltet, speziell bei Krängung. Auf den meisten Yachten liegt die Abdeckplatte in der Küche auf deutlich tieferem Niveau, zugunsten des unverbauten Raumgefühls. Hanse mag diesen funktional schwierigen Kompromiss aus gutem Grund nicht mitgehen.
Dank der extrem voluminösen Bugsektion kann Hanse auf der neuen 460 die Eignerkabine weit ins Vorschiff hinein bauen und für das zentrale Inselbett immer noch sehr komfortable Abmessungen anbieten. Konkret ist die Liegefläche bei den Schultern über 1,60 Meter breit, was mehr ist als bei allen anderen Schiffen im vergleichbaren Wettbewerb. Überdies wird die Vorschiffskabine mit einer sehr geräumigen Nasszelle und eigenem Duschbereich ergänzt. Bei den Konkurrenzyachten sowie auf dem Vorgängermodell Hanse 458 sind im Vorschiff gleich zwei Nasszellen eingebaut, ein Toilettenraum und separat dazu eine Duschzelle. Das ist unter Umständen angenehm, geht aber mit Abstrichen beim Stauraumangebot einher. Auf der Hanse 460 bleibt es dagegen bei nur einer kombinierten Nasszelle im Vorschiff, dafür stehen auf der Gegenseite üppig große Schränke und zahlreiche, gut nutzbare Ablagen zur Verfügung.
Das Längsschott zwischen den beiden Achterkabinen ist versetzt eingebaut, um genau 20 Zentimeter nach Steuerbord. Damit fällt die Kammer auf der Backbordseite etwas größer aus, was es den Yachtbauern in Greifswald ermöglicht, die Koje auch über die Seite zugänglich zu machen. Diesen Komfort bietet die Hanse in der Klasse exklusiv. Die Liegeflächen in den hinteren Kabinen bleiben aber identisch groß und liegen mit einer Breite von 1,60 Metern ebenfalls über den Kojenabmessungen der meisten Konkurrenzboote.
Im ganzen Schiff gibt es nicht weniger als 21 Fenster und Luken, die allesamt geöffnet werden können. Die Lüftungsmöglichkeiten sind außergewöhnlich gut. Alle Wohnbereiche können quer ventiliert werden, und auch in den Nasszellen sorgen viele und große Öffnungen für Frischluft- und Lichtzufuhr. Auch bezüglich der Sicherheit unter Deck kann die Hanse im Vergleich punkten. Solide und durchdacht platzierte Handläufe führen durch das ganze Boot, vom Niedergang bis ins Vorschiff.
Qualitativ entspricht der Innenausbau einem durchaus gehobenen Großserien-Standard. Mit vielen Vollholzanteilen, massiven Randleisten und soliden Umleimern sind die Möbel robust und hochwertig gebaut. Es gibt kaum Diskrepanzen in den Spaltmaßen, die Deckenpaneele halten gut, der Boden ist passend verlegt und knarrt unter Belastung nicht. Auffällig auch: Selbst bei anspruchsvollen Segelbedingungen mit Wind und Wellen bleibt es unter Deck erstaunlich ruhig, was die Güte der Verarbeitung noch zusätzlich unterstreicht. Die Tanks sind unter den Kojen im Vorschiff (Frischwasser) und achtern (Treibstoff) eingebaut. Die Kunststoff-Speicher sind so dimensioniert, dass sie für Wartung, Reinigung oder Ersatz leicht ausgebaut und aus dem Schiff bugsiert werden können, ohne Möbelkomponenten demolieren zu müssen.
Fazit: Mit dem Wechsel zum französischen Konstruktionspartner wagt Hanseyachts mutige Schritte und bricht gleichzeitig mit bewährten Konventionen. Trotzdem hält die Werft bedingungslos an den etablierten Markenwerten fest. Die 460 ist eine Hanse durch und durch. Sie steht als solides Fundament für den Generationenwechsel in Hanses Tourenprogramm.
GFK-Sandwichlaminat, aufgebaut in Handauflage. Rumpf mit Balsaholzkern, Deck mit Schaumkern. Durchgehende Innenschalen, Gusseisenkiel
Grundpreis ab Werft: 381.870 Euro / brutto inkl. 19 % MWSt.
Preise Stand 08/2023, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Standardausrüstung inklusive: Motor, Segel, Schoten, Reling, Positionslaternen, Batterie, Kompass, Polster, Pantry/Kocher, Lenzpumpe, WC, E-Kühlfach, Fäkalientank mit Absaugung
Hanseyachts AG, 17493 Greifswald (Deutschland); www.hanseyachts.com
Händlernetz
Neuer Konstrukteur, neue Herangehensweise. Im Vergleich zu den bisherigen Konstruktion von Hanse ist das neue Schiff von Berret-Racoupeau vor allem eins: deutlich voluminöser. Innen steht mehr Wohnraum zur Verfügung, auch im direkten Vergleich mit den Booten der Konkurrenz
Wir arbeiten mit Unternehmen in vielen verschiedenen Ländern zusammen. Ich denke, dass diese Vielfalt an Erfahrungen sowie unsere recht straffe Designorganisation eine starke Basis für die Zusammenarbeit mit dem Hanse-Team in Deutschland gewesen ist.
Das Boot sollte in erster Linie zu einhundert Prozent eine richtige Hanse werden, umgesetzt aber mit unseren eigenen Stilvorgaben. Die Entwickler von Hanse waren zudem von Anfang an in alle Facetten des Designs, des Stylings und auch der Konstruktion involviert.
Neben den Vorteilen für eine günstige Volumenverteilung sollen die harten Chines dem Rumpf beim Segeln auch eine gewisse Lebendigkeit verleihen. Der markante Einzug vom Rumpf zur Wasserlinie sorgt zudem für ein deutlich besseres Verhalten in unruhiger See.
Die Konfiguration mit zwei Ruderblättern ist nicht die einzige Antwort auf breite und kraftvolle Rumpfformen. Das Anliegen von Hanse war es, erfahrenen Seglern ein gutes Segel- und Steuervergnügen und jederzeit die volle Kontrolle zu bieten. Diese Ansprüche lassen sich mit einem tiefen und gut ausbalancierten Einzel-ruder letztlich besser erreichen.
Nur so viel lässt sich sagen: Neue Konzeptstrategien befinden sich jetzt im Entwurfsprozess. Letztlich wird aber die Werft entscheiden müssen, in welche Richtung die weitere Entwicklung geht.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 01/2022 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.