Jochen Rieker
· 18.04.2023
Nach Plänen von Judel/Vrolijk & Co entsteht bei Oceantec ein spannendes Kleinserien-Projekt. Angelehnt an die Class 40, soll es Leistung mit Langfahrttauglichkeit verbinden
Wer die Pläne und Computeranimationen der JV 43 sieht, denkt unwillkürlich an einen Hochsee-Renner. Und so ganz verkehrt liegt man damit gar nicht. Denn was da auf Antoine Cardins Rechner in Bremerhaven Form angenommen hat, zeigt eine fast zwillingshafte Verwandtschaft zu einer modernen Class 40: der Rumpf flach geduckt, der Bug extrem füllig, der T-Kiel schlank und tief, das Rigg mit viel Fall nach achtern, die Plicht im vorderen Teil vom verlängerten Kajütdach geschützt, die Doppelruder aufholbar.
In Wahrheit aber handelt es sich bei der Konstruktion nur um eine Ableitung von der erfolgreichsten Offshore-Klasse der letzten 20 Jahre. Denn das in Kleinserie gebaute Boot ist ein Zwitter, der auch für längere Hochsee-Törns taugen soll. Von außen deutet wenig darauf hin, allenfalls der zum Vorschiff verlängerte Aufbau sowie die beiden schmalen Rumpf- und Kajütfenster zu beiden Seiten, die es in der jüngsten Generation der Class 40 nicht mehr gibt.
Der größte Unterschied – und auch „die größte Herausforderung bei der Entwicklung“, wie Konstrukteur Antoine Cardin von Judel/Vrolijk & Co sagt – liegt vielmehr uneinsehbar unter Deck. Dort verbirgt sich ein zwar reduzierter, aber dennoch alle nötigen Funktionen umfassender Ausbau, der die JV 43 zum denkbar schnellsten Performance-Cruiser ihrer Größe macht – ausgenommen leistungsorientierte Mehrrumpfboote wie Dragonfly 40 oder Rapido 40.
Im Salon, von dem man hier durchaus sprechen kann, gibt es eine große Sitzgruppe, die um den extrem weit vorn liegenden Motorkasten angeordnet ist. Achtern davon befindet sich der zentrale Navigationsplatz, vor dem Hauptschott an Backbord die Nasszelle, an Steuerbord die Pantry. Die Eignerkammer im Vorschiff, die sich über fast ein Drittel der gesamten Bootslänge erstreckt, ist wegen des Scow-Bow-Designs ebenfalls riesig und bietet eine üppig dimensionierte Doppelkoje samt reichlich Stau- und Bewegungsspielraum.
Verblüffender noch als das große Volumen und die schiere, aber seegerechte und in ihrer Konsequenz durchaus ansehnliche Gestaltung des Ausbaus ist dessen Gewicht. „Die Vorgabe lautete 250 Kilogramm“, sagt Antoine Cardin. „Nur so können wir leistungsmäßig ungefähr auf Class-40-Niveau bleiben.“
Auf die Einhaltung der Grenze achtet er strikt, auch wenn am Ende natürlich die Eigner entscheiden, wie sehr sie Maß halten. Alles, was dem Komfort an Bord dient, aber das Potenzial der Konstruktion schmälert, will dabei sorgsam abgewogen werden.
So kann der Verzicht auf die Rumpffenster und einen Inverter – heute bei Fahrtenyachten dieser Größen- und Preisklasse eine Selbstverständlichkeit – das Mehrgewicht eines kardanisch aufgehängten Herdes mit Backofen kompensieren. Der Wegfall von Türen, auch wenn sie aus Schaumsandwich gebaut sind, kann den Weg frei machen für einen Warmwasserboiler oder eine Heizung. Und so fort. Nur eines geht gar nicht: alles.
Es ist die im Vergleich zum Großserienbau geradezu irritierende Radikalität des Ansatzes, die das Boot so einzigartig macht. Was wie unerbittliche Askese klingt bei einer Yacht, die segelfertig zwischen 800.000 und 900.000 Euro kosten wird, ist tatsächlich der Schlüssel zu einem absehbar atemberaubenden Segelerlebnis. Das zeigen schon die technischen Daten.
Sie machen die JV 43 zu einem Solitär am Markt. Mit nicht ganz 5,2 Tonnen verdrängt sie gerade einmal halb so viel wie die neue First 44 – und verfügt dabei am Wind noch über gut 20 Prozent mehr Segelfläche. Ihre Segeltragezahl von 6,45 wird einzig von der ClubSwan 36 übertroffen, die ebenfalls in Serie gebaut wird, aber als reine Regattayacht konzipiert ist und die über keinen Ausbau verfügt. Moderne Class 40 wie die Pogo S4 liegen mit einem Wert von 6,5 nur minimal über dem des Judel/Vrolijk-Designs.
Für das Bremerhavener Konstruktionsbüro, sonst eher bekannt für Serienschiffe und Grand-Prix-Rennyachten wie etwa die TP52, kam der Auftrag hochwillkommen. Mit der Arbeit an dem ehrgeizigen Projekt können die Ingenieure zeigen, wie breit ihr Portfolio ist, wie individuell sie auf ausgefallene Eignerwünsche einzugehen vermögen und dass sie sich auch in der eigentlich französisch besetzten Domäne des Shorthand-Offshore-Segelns zu Hause fühlen.
Tatsächlich schaffen sie mit der JV 43 eine Art Hybrid: Einerseits erinnert der Entwurf an die frühen Boote der Class 40 wie etwa die erste Pogo 40 oder die Akilaria RC1, die seinerzeit ebenfalls in Sektionen unterteilt waren und nicht komplett offen wie heutige Designs, deren rohes „Interieur“ lediglich aus Stringern und Ringspanten besteht.
Andererseits hat Antoine Cardin jedoch alle modernen Erkenntnisse in die Rumpfkonstruktion einfließen lassen – inklusive der Scow-ähnlichen Bugsektion und des im achteren Bereich leicht konkav ausgeformten Unterwasserschiffs, das bei schneller Gleitfahrt den Wasserwiderstand verringern soll. Der Entwurf verfügt außerdem über relativ viel Kielsprung und eine geringe benetzte Fläche, alles Feinheiten, die dem letzten Stand der Technik in der Class 40 entsprechen.
Die Initiative ging von zwei Hamburger Eignern aus, beide erfahrene Hochseesegler, die schon länger im Gespräch mit Judel/ Vrolijk über ein schnelles, ozeantaugliches Schiff waren. Zusammen mit Antoine Cardin verständigten sie sich auf drei Grundprämissen, die den Entwurf perfekt umreißen: „Speed, Simplicity, Space“. Zunächst gaben sie nur eine Studie in Auftrag, dann die komplette Konstruktion.
Die Rumpfform wurde anhand von 15 Vergleichsmodellen entwickelt, alle mit dem neuesten CFD-Programm analysiert. Die Zielrichtung lautete: bestmögliche Allround-Performance. Das gilt nicht zuletzt für die Amwind-Eigenschaften, sonst nicht die Paradedisziplin moderner Offshore-Designs. „Anders als die neueste Generation der Class 40 hat die JV 43 an der Kreuz noch leichten Ruderdruck“, sagt Cardin. Und das, obwohl der Mast nur 5 statt 8 bis 10 Grad nach achtern geneigt ist wie sonst in der Klasse üblich. Zwar seien keine superengen Wendewinkel zu erwarten; das Boot segle am effizientesten in einem „Low-and-fast-Modus“ – 5 bis 6 Grad tiefer als andere Performance-Yachten, dafür aber um 1 bis 1,5 Knoten schneller.
Das Deckslayout ist für kleine Crew und kurze Wege optimiert und bietet mehrere Sitzpositionen sowie unterm nach achtern gezogenen Kajütdach Schutz vor Spritzwasser. Auf der zentralen Trimmkonsole stehen fünf Winschen. Alle Leinen und Fallen laufen zurück in den Cockpitbereich, sodass Manöver effizient und sicher ablaufen.
Das Carbon-Rigg von Axxon misst 80 Zentimeter mehr als ein Class 40-Mast. Das Vorstag besteht aus Carbon, die Wanten aus Rod, Backstagen aus Dyneema. Der Segelplan ähnelt dem eines Imocas mit Vorsegeln, Raumwind und Reaching-Segeln, von denen die meisten rollbar sind. Die nicht überlappende Fock misst 55 Quadratmeter. Für Starkwind gibt es ein wegnehmbares Stagsegel, für offenere Kurse einen Jib Top, einen Code Zero sowie einen Topp- und einen fraktionalen Gennaker. Ein Inventar, das von 5 bis über 40 Knoten reicht und sehr wandelbar ist.
Gefertigt wird das Boot bei Oceantec, einem auf ambitionierte Vorhaben dieser Art spezialisierten und höchst fähigen Werftbetrieb im slowenischen Jesenice. Rumpf, Deck und die Struktur von Baunummer eins sind bereits finalisiert, der Ausbau weit fortgeschritten. Im Juni soll die Yacht erstmals in der nördlichen Adria zu Wasser gehen; unmittelbar danach starten die Segeltests, die wir begleiten werden.
Unterdessen reift bereits Baunummer zwei heran, wenngleich mit einigen Monaten an zeitlichem Abstand. Und das soll es noch nicht gewesen sein. Konstruktion und Formen stehen auch anderen Eignern zur Verfügung, denen eine Pogo 44 zu schwer, eine Class 40 aber zu spitz ist. Dadurch reduzieren sich die Kosten, vor allem aber die Vorlaufzeit. Denn das Grundkonzept steht ja bereits.