Der Gaffelschoner „Jonathan“ schaukelt am Steg in Bremerhaven im Wind. Ein weißer hoher Stahlrumpf mit fünf Fenstern pro Seite. Niedriges Deckshaus, dessen Dach in Marstal-Grün gestrichen ist. Ein hochgeklappter hölzerner Klüverbaum. Zwei Holzmasten, die stark nach achtern geneigt sind. Yacht? Neufundlandschoner? So richtig kann sich der Betrachter nicht gleich entscheiden.
Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um einen Yachtrumpf, genauer um eine Feltz Skorpion 1200, die jedoch modifiziert und verlängert wurde. Den Wattenmeer-tauglichen Stahlkasko mit Mittelschwert lieferte die Feltz-Werft im Dezember 1982 an den Auftraggeber. Für ihn war es die erste Yacht. Der Ausbau der „Una One“ nahm fast fünf Jahre in Anspruch.
2014 schaut Falk Pfau sich die zum Verkauf stehende Yacht auf der Rader Insel bei Rendsburg an. Nach der Ultraschallmessung der Stahldicke überführt er seine Neuerwerbung gemeinsam mit einem Freund vom Nord-Ostsee-Kanal nach Bremerhaven. Der Einbaudiesel macht von Anfang an Probleme und gibt seinen Geist schließlich ganz auf. „Also haben wir eine Halterung an die Badeplattform geschweißt und sind ab Otterndorf mit einem Außenborder über den Elbe-Weser-Schifffahrtsweg nach Bremerhaven getuckert.“ Dort angekommen, wird „Una One“ im Fischereihafen an Land gekrant. Der Bug der Yacht erinnert Pfau an einen klassischen Klipper. „Da fand ich die Takelung als Gaffelschoner naheliegend. Hoffentlich dreht der alte Feltz sich nicht im Grab um.“ Pfau beginnt, gemeinsam mit seiner Partnerin und Miteignerin Ursula Bauchrowitz die Kernsanierung der Stahlyacht. Beide träumen von einem Törn über den Atlantik.
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Falk Pfau hat bereits zwei Überquerungen im Kielwasser. 1949 geboren, hat er Techniker gelernt und „im Radio- und Fernsehgeschäft meines Vaters schwere Röhrenfernseher geschleppt“. 1981 entdeckt und kauft der Segler in Norwegen die 1896 vom angesehenen Schiffskonstrukteur Colin Archer in Larvik gebaute „Rakel“. In jahrelanger Arbeit saniert er die für den Fischfang im Nordmeer gebaute Gaffelketsch mit einer Rumpflänge von 19 Metern. Dafür stellt das Norwegische Maritime Museum in Oslo Originalpläne des Schiffs zur Verfügung, das norwegisches Kulturgut ist.
Ab 1984 segelt Pfau mit der „Rakel“ Tagestörns mit Gästen in der Nord- und Ostsee. 1985/86 geht es von Bremerhaven aus in die Karibik und wieder zurück. „30 Jahre lang habe ich von und für meine ,Rakel‘ gelebt“, blickt der 73-Jährige zurück. Dass seine damalige Partnerin als Beamtin einen sicheren Job hat, hilft beim Lebensentwurf der Einmannreederei. Im Juni 2013 kommt es nach einer Kollision mit Treibgut zu einem starken Wassereinbruch auf dem Traditionsschiff. Danach sind Pfau die Auflagen für die Verlängerung des Sicherheitszeugnisses und die Unterhaltskosten zu hoch, also verkauft er sein Schiff an ein Paar. Die geplante Sanierung gelingt (auch weiteren Eignern) nicht. 2018 wird das Zeugnis maritimer Geschichte in Dänemark abgewrackt.
Da ist der Neuaufbau der Nachfolgeyacht aus Stahl bereits voll im Gange. Der hat gleich 2014 in Bremerhaven begonnen. Der Rumpf steht ein wenig eingequetscht zwischen zwei Hallen. Direkt daneben befindet sich die eigene gut ausgestattete Werkstatt von Falk Pfau und seiner Partnerin. Die ehemalige Flugbegleiterin ist im Vorruhestand und packt tatkräftig mit an. Zunächst wird das klobig wirkende Deckshaus aus Aluminium entfernt. Der komplette Rumpf wird entkernt und an zwei Stellen, an denen Schwarz-Weiß-Korrosion besteht, Platten gewechselt. Roststellen werden genadelt und achtfach konserviert. Zwei Lagen Steinwolle kommen an Bord: als Isolation und als Lärmschutz.
Für Pfau und Bauchrowitz ist von Anfang an klar, dass für den Innenausbau ihrer Yacht lediglich einheimisches Holz neu gekauft wird. Tropenholz soll nur dann zum Einsatz kommen, wenn sich vorhandenes wiederverwerten lässt. Auch sonstige Holzteile des Vorgängerschiffs „Rakel“ finden Verwendung. Im Deckshaus werden Eichenpfosten verbaut, die Pfosten mit Handgriffen im Salon sind aus einer Sitzbank an Bord der Holzketsch gefertigt. „Da saßen schon locker 2.000 Hintern drauf. Ich kombiniere gerne Alt und Neu.“
Das neue Deckshaus wird deutlich niedriger gestaltet. Einen Innensteuerstand gibt es nicht, das einzige Steuerrad befindet sich an einer Säule im tiefen Cockpit. Unter dem Deckshaus liegt an Steuerbord eine Lotsenkoje. Das Mittelschwert bekommt einen elektrischen Antrieb zum Auf- und Abfieren und das Mercedes-Tauschaggregat eine andere Dämpferscheibe, um einen Faltpropeller statt des Festpropellers fahren zu können. Das neu gestaltete Heck erhält nur eine schmale Badeplattform. So verringert sich die Gesamtlänge der Yacht um einen halben Meter. Auch sonst wird so manche individuelle Lösung ersonnen. Die Gasflasche ist in einem von Deck zugänglichen runden Kasten gestaut. „So müssen die Gasflaschen nicht in irgendeine schlecht erreichbare Ecke geschleppt werden, und die Gasleitung vom Stauplatz bis zum Herd ist schön kurz.“
Als im Herbst 2017 der Rumpf auch von außen entrostet ist, erfolgt der Anstrich mit Grundierung. „Dann kamen ständig Leute, die dachten, dass unsere Yacht ja nun bald fertig sein müsste. Wenn doch schon weiße Farbe drauf ist.“ Doch die Liste mit zu erledigenden Arbeiten ist noch lang. Und: „Früher ging das Bauen schlichtweg schneller von der Hand“, gesteht Pfau. Was auch damit zusammenhängt, dass er „beim nunmehr dritten Schiff (vor „Rakel“ gab es schon ein umgebautes Rettungsboot) deutlich pingeliger bei allem“ ist. Trotzdem ist die umfangreiche Sanierung und Umgestaltung der Yacht genau sein Ding. „Das Bauen macht ja schon Spaß. Und dann die Freiheit, unabhängig zu sein, nicht chartern zu müssen. Das genieße ich sehr.“
Die Motivation für die mehrjährige Arbeit wird von der Aussicht aufs spätere Segeln hochgehalten. Im Sommer 2019 wird der Gaffelschoner „Jonathan“ schließlich ins Wasser gekrant – der Landbauplatz wird anderweitig benötigt. Fortan wird am Liegeplatz bei den Bremerhavener Fahrtenschippern weitergearbeitet. Dort wird auch aufgeriggt. Schon früh war für Falk Pfau klar, dass seine neue Yacht ein klassisches Rigg bekommen soll: zum „Klipperrumpf“ passend eine Schonertakelung. Dass Schoner und Großsegel Gaffelsegel werden, ist selbstverständlich. Für den Schoner- wie auch den Großmast werden Koker an Deck montiert, damit sie später geklappt werden können. So und dank des variablen Tiefgangs wird „Jonathan“ bei der Revierwahl maximal flexibel einsetzbar sein.
Die Masten sollten fertig von einem Mastenbauer kommen. „Aber dann hat mir ein Freund passende Bäume geschenkt. Also musste ich die Masten auch selbst bauen. Für die Bäume, Gaffeln und den Klüverbaum hatte ich noch Holz von der ,Rakel‘ über.“ Im November 2015 werden zwei Douglasien nach dem Mondkalender im Wald nahe der niedersächsischen Pferdestadt Verden geschlagen. Diese werden mittig aufgeschnitten, das Kernholz entfernt und die beiden Hälfen mit Epoxid wieder zusammengeleimt. Auch die Gaffeln werden hohlverleimt hergestellt. Die ursprünglich geplante Takelung wird hie und da noch etwas optimiert. So kann das Stag der (mit Stagreitern zu setzenden) Fock weggenommen werden, um mit dem 28 Quadratmeter großen Klüver leichter durch die Wenden zu kommen. Beim Klüver entscheidet sich das Paar nach einiger Überlegung für eine Rollreffanlage. Für den ehemaligen Traditionsschiffer Pfau ein schwerer Schritt.
Unterhalb des Klüverbaums wird ein Stampfstock am Steven angebracht. Der Klüverbaum kann hochgeklappt werden. „Man muss ja schließlich an die Liegeplatzgebühren denken.“ Und weil Falk Pfau das Geeier unter Schmetterlingsbesegelung im Passat auf dem Weg in die Karibik noch in Erinnerung hat, wird für „Jonathan“ auch gleich noch die Rah für eine Breitfock gebaut. Zunächst werden aber nur die übrigen cremefarbenen Segel in Greifswald hergestellt.
2020 finden erste Tagestörns auf dem Gaffelschoner statt. „Bei den kurzen Probeschlägen wurde ich schon angenehm überrascht, dass die Kiste so gut läuft.“ Mit einer motivierten Crew erreicht „Jonathan“ problemlos Rumpfgeschwindigkeit. Der erste längere Sommertörn führt im Sommer zu den ostfriesischen Inseln. „Wir wurden im für uns neuen Revier wirklich freundlich und gut aufgenommen.“ 2021 geht es von Bremerhaven über Brunsbüttel und durch den Nord-Ostsee-Kanal in die Ostsee, wo die dänischen Inseln angelaufen werden. „Bei dem sehr wechselhaften Wetter war es ein enormer Vorteil, nicht mehr nach Fahrplan fahren zu müssen, wie ich es mit Gästen auf der ,Rakel‘ stets getan habe. Jetzt können wir ganz entspannt Starkwindtage im Hafen aussitzen oder schlichtweg auf Wind aus der richtigen Richtung warten.“
Dabei bewährt sich auch der Innenausbau der Yacht bestens. Vom Cockpit gelangt man ins Deckshaus, in dem sich an Backbord vorm Navigationstisch eine kleine gemütliche Sitzbank mit Tisch befindet. An Steuerbord führt die steile Niedergangsleiter, die schon auf der „Una One“ genutzt wurde, hinunter in einen schmalen hellen Gang. Und an Steuerbord liegt das wohldimensionierte Bad mit Dusche. An Backbord die Eignerkabine mit großer Doppelkoje. Weiße Flächen dominieren das Schiffsinnere in Kombination mit heller Vertäfelung.
Mittschiffs liegt an Steuerbord die Pantry mit viel Arbeitsfläche, Stauraum und dem Gasherd. In der Schiffsmitte steht eine hölzerne Bank am Tisch. Wer an Backbord Platz nimmt, tut dies auf einem grünen Ledersofa. Ein kleiner Sekretär bietet davor die Möglichkeit, bequem am Laptop zu arbeiten. Die beiden versetzt angebrachten Kojen im Vorschiff werden als Stauraum genutzt, wenn keine Gäste an Bord sind. „Die umfangreiche Isolierung hat sich wirklich bewährt“, freut sich das Eignerpaar. „Wir haben keine Probleme mit Kondenswasser.“
An Deck ist alles robust dimensioniert. An der Vorderseite des Schonermasts ist ein Holzrelief angeschraubt. Unter dem mit dicken Backen pustenden Windgott Aiolos segelt „Jonathan“. Im Vordergrund eine Möwe. Diese Möwe saß häufig am Liegeplatz der „Rakel“ auf einem Dalben. „Ihre Fluchtdistanz war bald bis auf einen halben Meter runter“, erzählt Pfau. „Sie hatte einen hängenden Flügel und war ein wenig trottelig. Die ist durchaus mal vom Dalben runtergefallen.“ Mit dem Vogel im Buch von Richard Bach hat sie also wenig gemein. 1970 beschrieb der US-amerikanische Schriftsteller in seinem Roman „Die Möwe Jonathan“ das Leben des Vogels, der das Fliegen perfektionieren möchte und deshalb von den anderen Möwen ausgegrenzt wird. Dennoch erinnert sich Falk Pfau so gerne an „seine“ unperfekte Möwe, dass der Name seiner neuen Yacht von Anfang an klar ist: „Jonathan v. D.“ (vom Dalben).
Ende Januar 2022 muss der Eigner ein neues Hüftgelenk bekommen, was seine Mobilität erst mal erheblich einschränkt. Im Sommer kann zumindest die Eider in Schleswig-Holstein erkundet werden. Der diesjährige Saisonstart verschiebt sich auch wieder wegen gesundheitlicher Probleme. „Sobald ich wieder richtig auf den Beinen bin, kratzen wir die Seepocken vom Rumpf und schauen, ob wir noch Richtung Gotland starten“, sagt Falk Pfau. Sonst wird es eben noch mal zu den Ostfriesischen Inseln gehen. Oder vielleicht auch mal nach Nordfriesland, um die Halligen zu besuchen. „Mit ,Rakel‘ musste ich an denen ja bisher immer wegen des Tiefgangs vorbeisegeln.“
Die Bauwerft der „Jonathan“ war lange fester Bestandteil der deutschen Yachtbranche. 1945 von Karl Feltz gegründet, fertigte der in Hamburg-Finkenwerder ansässige Betrieb anfangs Pirat-Jollen und weitere kleine Boote. Die Boote wuchsen. 1969 fuhr eine von Feltz konstruierte und gebaute Yacht den WM-Sieg in der einst populären und hochrangig besetzten Vierteltonner-Klasse ein. Die „Listang“, gebaut aus Stahlblech, war ihrer Zeit voraus: Das Boot mit dem flachen Unterwasserschiff und dem kleinen Kiel war gleitfähig (s. Porträt in YACHT 8/2020).
In der stürmischen Langstrecke vor Breskens/Holland zeigte die Konstruktion ihre Qualitäten, das Boot selbst indessen drohte zu versagen: Die Blechplatten im Bug lösten sich von den eingedrückten Spanten. Mit Teilen der Inneneinrichtung sicherte die Crew unter Skipper Ulli Libor den Schaden, setzte den Spi und rauschte der Konkurrenz davon. Die Skorpion-Typen wurden zeitgleich entwickelt, es handelte sich um Rundspanter mit Flushdeck, die Konstruktion wurde je nach Bedarf, länger, breiter oder sonst wie anders gebaut. Die meisten Kaskos komplettierten Selbstbauer. 2009 ging die letzte Skorpion vom Hof. Heute fertigt die Werft Berufsfahrzeuge wie Schlepper und Barkassen. Slogan: „Wir bauen alles!“