Alles muss raus. Hanseyachts erneuert die Modellpalette. Den Wechsel zur neuen Generation dokumentiert auch die Abkehr vom altgedienten Bremerhavener Konstruktionsbüro Judel/Vrolijk & Co hin zum Team von Berret/Racoupeau aus Frankreich. Die haben schon die Modelle 410, 460 und 510 vorgelegt. Es folgte mit der 360 der vorerst kleinste Typ. Dieser ersetzt gleichzeitig die beiden erfolgreichen, aber in die Jahre gekommenen Hanse 388 und 348. Damit wurde das neue Boot zu einer der wichtigsten Neuerscheinungen 2024 , für die Werft, für den Markt. Und offenbar auch für die Jury des weltweit angesehensten Branchenpreises, Europas Yacht des Jahres. Das Expertenteam aus den Reihen der führenden europäischen Wassersportmagazine nominierte die Hanse 360 in der Kategorie Fahrtenyachten. Die Sieger werden auf der boot Düsseldorf prämiert und gefeiert.
Die Elf-Meter-Klasse aus der Großserie richtet sich an eine riesige Klientel. Kein Wunder, die Boote bieten ein gutes Verhältnis von Preis zu Leistung in Anschaffung und Unterhalt, sie sind einfach zu bedienen, und der Komfort ist mit zwei bis drei Kabinen und ausreichenden Nasszellen schon sehr hoch. Und nun die neue Hanse, die unmittelbare Konkurrenz insbesondere für ähnliche Produkte aus den Häusern Bavaria, Beneteau und Jeanneau.
Der jungen Linie aus Greifswald gemeinsam: Der Freibord ist vorn kurz über der Wasserlinie mit einem harten, achtern weiter oben mit einem weichen Chine gekennzeichnet. Das schafft mehr Raum im Vorschiff, breitere Kojen im Heck, und die Wasserlinie ist für eine geringere benetzte Fläche dennoch schmal. Sieht obendrein irgendwie scharf und vor allem individuell aus. Weiter bestimmend sind große angefaste Rumpffenster, breite Hecks, eine nach hinten schmal auslaufende stufige Fensterlinie. Dazu viele Luken, Einzelruder und Selbstwendefock sowie nach achtern zum Rudergänger geleitete Schoten und Fallen. Das offene Heck wird wie heute üblich mit einer Badeklappe geschlossen, der Ankergalgen mit einem Bugspriet abgedeckt.
Diesen Charakteristika folgt auch die bislang Kleinste im neuen Bunde. Trotz des gewünschten großen Volumens wirkt sie weder am Steg noch unterwegs gedrungen oder überbreit; an die Proportionen konnten sich Betrachter bereits gewöhnen. Moderne direkte Konkurrenzboote wie die Bavaria C38 oder die Oceanis 37.1 messen ebenfalls an die vier Meter. Ein Längen-Breiten-Verhältnis von 1:2,7, das ist, gelinde gesagt, krass. Auf der Hanse ließe sich also ein Zwölf-Fuß-Dingi an Davits fahren. Hinzu kommen das voluminöse Vorschiff, viel Freibord und eine nach achtern durchgängige maximale Breite.
Die Vorteile liegen in einem großen, gut nutzbaren Innenraum, der diverse Komfort-Features erst ermöglicht: breite Kojen im Heck und vorn, viel Innenraumhöhe überall und genug Platz für eine ausgewachsene Pantry, zwei große Kabinen achtern und gar die Option auf eine zweite Nasszelle im Vorschiff, was bislang zwar denk-, aber nicht sinnvoll umsetzbar war.
Das lässt eine der Kernfragen der Konstruktion von Fahrtenyachten wieder spannend werden: Wie gut segelt der umbaute Raum?
Um die Frage zu beantworten, bietet sich der Greifswalder Bodden im Süden von Rügen geradezu an, das Hausrevier von Hanseyachts. Das Gewässer ist ohne Zweifel schön und bereisenswert, zickt aber zuweilen mit einer üblen kurzen Welle. Die muss auch die Hanse 360 meistern. Zum Test, der Prototyp war erst wenige Seemeilen unterwegs, geht’s bei zehn bis 14 Knoten gegenan. Und tatsächlich schaukelt sich das Boot bei diesen Ausnahmewellen, die schon mal als Dreierkette auftreten, kurz auf, wirft reichlich Wasser um sich und nimmt zuweilen was vorn über – fährt dann aber auch recht zügig wieder los. Und die Yacht hat diese Eigenschaften nicht exklusiv, wie sich an einem neben uns segelnden älteren und schmaleren Fahrtenschiff ablesen lässt, das ebenfalls sichtlich in Nickbewegungen verfällt.
Die Hanse 360 beschleunigt wieder schnell, ist einfach an die Windkante zu führen, braucht aber guten Druck im Groß dazu. Der lässt sich über die Großschot einfach einstellen, die beidseits auf Winschen vor dem Steuermann geführt ist. Der Fußblock schwebt mit einer Dyneema-Hahnepot vor der Sprayhood. Eine Konstruktion, die durch flache Zugwinkel der Schot einen Traveller zu ersetzen vermag und sich werftseitig schön einfach installieren lässt. Vorn ist das Boot in der Serie mit einer Selbstwendefock bestückt, ein Hanse-typisches Arrangement, das an der Kreuz Freude bereitet, zumindest ab etwa zehn Knoten Wind. Dann langt die Segelfläche aus, und das Boot wendet zügig, einfach und ohne Kraftaufwand.
Die Werte unter Segeln gefallen nicht nur angesichts der sehr komfortbetonten Rumpfform. Um die 6,5 Knoten schafft die Hanse 360 heute am Wind bei einem Wendewinkel von rund 90 Grad. Raumschots mit dunklem oder buntem Tuch geht’s schon mal über acht Knoten, und das alles mit einer guten Stabilität und Spurtreue.
Das Boot steuert sich an den 80-Zentimeter-Rädern direkt genug, eindreiviertel Umdrehungen sind es von Anschlag zu Anschlag. Der Rudergänger hat genügend Sitzplatz; stehend stört das per Hahnepot geführte und mit 1:16fach etwas schwach untersetzte Achterstag zuweilen. Fußstützen sind noch wünschenswert.
Die Fockschot wird nur an Steuerbord bedient, was der Eigner aber ändern kann. Auch die Beschlagsausstattung: Die im Standard mitgelieferten 40er-Winschen von Lewmar sind für die meisten Bedingungen zu schwach, aber 45er sind gegen Aufpreis erhältlich. Ebenso ein zweiter Winschensatz weiter vorn auf dem Süll, das sich für den Code Zero oder einen Gennaker nutzen lässt; beides sinnvolle Ergänzungen zu der kleinen Selbstwendefock. Aber auch eine Genua ist möglich; Schienen auf dem Dach gibt es gegen Aufpreis. Der ist leider auch für den Bugspriet fällig. Und die Heckklappe wird ebenso nur gegen einen Zuschlag ans Heck geschraubt.
Zurück ins Cockpit: Das ist durch das breite Heck riesig groß. Dort installiert die Werft auf Wunsch einen Außengrill zwischen den beiden klappbaren Steuermannssitzen. Die 1,50 Meter langen Duchten stehen weit auseinander, der optionale Cockpittisch dient als willkommene Stütze. Als Extra ist an dieser Stelle eine breitere Version zu haben, die sogar einen Kühlschrank mitbringt. Damit lässt sich die Zahl der Kühlschränke auf vier (vier!) erhöhen. Einer in der Pantry, klar. Wer den Zweikabiner und eine längere Küchenzeile ordert, erhält gegen Aufpreis einen zweiten mit 130 Liter Volumen. Nummer drei mit 62 Liter Inhalt steht unter dem sogenannten Multifunktionstisch, der optional an Steuerbord das Sofa zwar verkürzt, aber auch als Navitisch dient.
Optionen und Variationen, eine der Stärken von Hanse, seit jeher. Im neuen Boot ist überraschenderweise eine zweite Nasszelle im Vorschiff realisierbar, und die ist sogar ausreichend groß; eine elektrische Toilette findet Platz, und es gibt eine Duschmöglichkeit. Der Raum schränkt natürlich die Koje ein, die diagonal eingebaut wird. So praktiziert es auch Jeanneau. Auf der Hanse aber wird die Koje vorn wieder symmetrisch gestaltet und fällt groß aus, wenn die Nasszelle wegbleibt.
Das Bad im Salon bietet gar eine komplett separierbare Dusche mit ausreichend Fußraum (70 mal 45 Zentimeter). Neben den Räumen wählt der Käufer deren Ausgestaltung: Standard ist ein heller Fußboden, dessen Furnier als Akazie bezeichnet wird, dazu seidenmatte Mahagoni-Möbel und eine schwarze Arbeitsplatte. Varianten hierzu sind für die Bodenbretter und die Möbel je drei weitere Holzsorten sowie dazu eine helle Arbeitsplatte.
Weitere besondere Wahlmöglichkeiten: Die Werft baut auf Wunsch nicht nur einen Bug-, sondern auch einen Heckstrahler ein. Statt des konventionellen Riggs kann der Kunde ein Squarehead-Großsegel ordern, das sieben Quadratmeter mehr Tuch mitbringt und wegen des großen Salingwinkels von 32 Grad ohne Achterstag auskommt. Ein Rollgroßmast findet sich ebenfalls in der langen Optionenliste. Für die Segel gibt es drei Varianten, von OEM-Dacron bis zur Membrane, alle von Elvstrøm. Auch für die Hilfsantriebe offeriert Hanseyachts einen ganzen Strauß: 29-PS- oder 39-PS-Verbrenner von Yanmar und 25 kW leistende Stromer mit 18,4 oder 36,7 kWh großen Batterien. Solarpaneele mit bis zu 180 Wp lassen sich ebenso ordern wie eine Brennstoffzelle von Efoy mit einer maximalen Ladekapazität von 250 Amperestunden am Tag.
Aber auch profanere Dinge wie 230-Volt-Steckdosen in jedem Raum und insbesondere die guten Lüftungsmöglichkeiten gefallen. Alle Aufbaufenster lassen sich öffnen, und es gibt neun Decksluken. Klasse!
In der Ausbauqualität liegt die Hanse 360 im Vergleich zu anderen Großserienwerften im oberen Segment. Spaltmaße, Stöße, Fugen, Haptik und Geräusche bieten kaum Anlass zu Kritik. Obendrein ist die Technik sauber eingebaut, die Kanten der Ausbauhölzer verschliffen, die Bilge akkurat mit Topcoat ausgestrichen. Preislich liegt die Hanse 360 mit 221.000 Euro ab Werft im Rahmen. Die Bavaria ist etwas günstiger, die Jeanneau etwas teurer, die Oceanis gleichauf. Und damit hat sich die direkte Konkurrenz auch schon erschöpft.
Handauflegeverfahren. Sandwichbauweise mit Balsaholzkern. Erste Lage mit Vinylesterharz laminiert
Stand 7/2024, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Die Klappe kommt mit einer automatischen Treppenstufe und integrierter Badeleiter mit Hörnchen
Standard sind Mahagony-Möbel, der helle Acacia-Fußboden und eine schwarze Arbeitsplatte
Im Standard ist das Boot ohne WC-Raum vorn, ohne Navitisch im Salon und ohne zweite Achterkammer ausgebaut. Die Variante bietet den meisten Stauraum und Platz
Neben dem Pantry-Kühlschrank ist einer im Schrank, einer im Salon mit Gefrierfach und einer im Cockpittisch möglich
Der GFK-Bugspriet als Anschlagpunkt für Code Zero und Gennaker ist nur eine Option
Händlernetz
Die Hanse 360 ist ein potentes, gut bedienbares und komfortables Boot mit eigenständiger Note. Der Wohnkomfort an und unter Deck ist hoch, und die vielen Wahlmöglichkeiten gefallen. Ein ganz starkes Boot mit kleiner Konkurrenz