Er hat in den bald 21 Jahren, seit er die Geschicke der Werft leitet, schon einiges erlebt. Aber die Aufregung um sein neuestes, das bisher und wohl noch für lange Zeit größte jemals gebaute Modell verblüfft auch Magnus Rassy immer wieder.
Da gibt es – einerseits – diejenigen, die sich auf den rege frequentierten Social-Media-Seiten der Marke mit Verve an der HR 69 abarbeiten. Der eine moniert, ohne je an Bord gewesen zu sein, den Mangel an Haltegriffen im Salon. Andere kritisieren den Tiefgang von 2,70 Metern und überhaupt die riesigen Dimensionen der Yacht, die viele Häfen und Ankerbuchten angeblich unerreichbar machen. Wieder andere ergehen sich mit Leidenschaft in Diskussionen darüber, ob derart große und teure Boote nicht generell verwerflich seien.
Die gesamte Bauzeit beträgt fast anderthalb Jahre – fünf Monate für Rumpf und Deck, elf für den Ausbau”
Andererseits trifft das neue Flaggschiff der Marke auf geradezu hymnische Begeisterung. Die Zahl der Zugriffe auf die bisherigen Berichte schlug auf YACHT online alle Rekorde. Und als die Baunummer eins Ende November erstmals zu Wasser ging, registrierte Magnus Rassy ein Phänomen, das er in der Ausprägung auch noch nicht kannte: Bald jede Woche tauchte in den regionalen Medien ein Paparazzo-Foto von den Probeschlägen auf. Ein besonders engagierter Ship Lover bat ihn sogar, bei nächster Gelegenheit doch bitte kurz vor seinem Wohnzimmerfenster aufzukreuzen und rechtzeitig vorher anzurufen, damit er die 69 bestmöglich ins Bild setzen könne.
Nein, gleichgültig können einen diese 22,22 Meter skandinavische Bootsbaukunst nicht lassen – erst recht nicht live und in 3D. An der Pier des Werfthafens von Ellös sieht die Yacht noch weit beeindruckender aus, als Kameras sie je ablichten könnten. Obwohl alles wie immer scheint – der positive Deckssprung, die Schanz, die blauen Zierstreifen und die in der Rumpfform einlaminierte Scheuerleiste –, wirkt die Hallberg-Rassy 69 ganz anders: gestreckter, präsenter, schlichter und dabei dennoch geradezu majestätisch.
Nicht einmal die weißen Lüfterhauben hinter den Luken beeinträchtigen das sonst völlig ebene Vorschiff ernsthaft, das sich vom Mast bis quasi zum Horizont erstreckt. Die Hutzen sind ein Indiz für die Charakterfestigkeit der Schweden, über die noch zu sprechen sein wird, weil sie das Boot insgesamt auszeichnet. Sie gewährleisten eine permanente, hocheffiziente und auch bei Seeschlag absolut wasserdichte Belüftung im gesamten Schiff. Allerdings findet man sie in der Luxusklasse sonst nirgends.
Anderswo werden an ihrer Stelle verchromte Doradelüfter verbaut, die samt der dazugehörigen Schutzbügel demontierbar sind. Oder man lässt die Decksdurchbrüche ganz weg und stellt die Frischluftzufuhr durch unhörbar im Maschinenraum oder ganz achtern laufende Ventilatoren sicher, was bei den großen Akku-Paketen samt Solar-Ladern und Dieselgeneratoren in dieser Liga der Außerirdischen ebenfalls problemlos möglich ist. Magnus Rassy aber schwört auf bewährte Lösungen, selbst im XXL-Format. Dafür nimmt er sogar in Kauf, dass ein halbes Dutzend Kunststoff-Hutzen sich über die imposante Schierheit des Vordecks verteilt.
Nun sollte man freilich nicht schlussfolgern, dass hier alles wie gehabt wäre. Die Besonderheiten, welche die Hallberg-Rassy 69 von ihren kleineren Schwestern und vom recht übersichtlichen Wettbewerb abheben, sind nur weniger offensichtlich. Dazu zählen so praktische Lösungen wie die in die Kettenführung des Bugspriets integrierte Spülvorrichtung, die den Ankerkasten sauber hält. Auch die auf elektrisch angetriebenen Trommeln unter Deck aufgerollten Landstromkabel sind clever gelöst, zumal es gleich zwei davon gibt : eins für das in Teilen der Karibik und den USA übliche 60-Hertz-Netz, eins für die europaweit gültige 50-Hertz-Versorgung.
Bedienkomfort stand im Lastenheft ohnehin ganz obenan. Winschen, Furler, Baumniederholer und Achterstag des schwedischen Flaggschiffs werden wegen der enorm hohen Kräfte hydraulisch betätigt. Auf Wunsch gilt das auch für die Fallenspannung, was das Prinzip des Knopfdrucksegelns vervollkommnet. Gekoppelt mit Lastsensoren, deren Daten auf einem Display am Steuerstand ausgegeben werden, lässt sich so der Trimm quasi nach Tabelle reproduzieren.
Vorgegebene Schwellenwerte verhindern, dass dabei aus Versehen Schaden entsteht, falls der Finger zu lange auf dem Taster bleibt, der etwa das Großfall strammzieht. Die backbord am Mast montierten Hydraulikzylinder wären andernfalls fraglos in der Lage, Umlenkrollen und Fall zum Bersten zu bringen.
Magnus Rassy hat das Boot, das er wie üblich ein, zwei Sommer selbst nutzen will, um eventuell noch Details optimieren zu können, mit so ziemlich allen technischen Feinheiten ausgestattet. Dazu zählen außer dem Kohlefasermast und dem Performance-Segelsatz samt hydraulisch gerolltem Code Zero auch ein Heckstrahlruder und eine drahtlose Fernsteuerung für Hafenmanöver. Sie erlaubt es, sich frei an Deck zu bewegen und zentimetergenau zu manövrieren.
Neben Bug- und Heckstrahlern, beide von Sleipner gefertigt, steuert das System von Dockmate auch den Diesel von Volvo Penta. Es wirkt wie ein Reduziergetriebe: So lässt sich der mit vollen Tanks rund 50 Tonnen verdrängende Luxuskreuzer in Schleichfahrt sachte längsseits an den Steg oder an eine Mooring legen.
Die HR 69 kann bei Bedarf aber auch rasantes Hafenballett aufführen. Wer die Hebel der Strahlruder gegenläufig auf Anschlag legt, kann derart flink auf der Stelle rotieren, dass die Vorschiffscrew Drehschwindel kriegt. Setzt man mit voller Kraft von der Mole ab, entsteht ein Schwell, als stünde Brandung ungebrochen ins Hafenbecken.
Unterdimensionierung ist ein Wort, das einem im gesamten Boot an keiner Stelle in den Sinn kommt. Die Sechszylinder-Maschine leistet 300 PS; üblich sind bei Yachten dieses Kalibers 180-PS-Vierzylinder. Der Generator von Cummins produziert 17,5 Kilowatt ; die Konkurrenz lässt es bei 11-kW-Aggregaten bewenden. Der Anker wiegt 80 Kilogramm; nötig wären laut den Empfehlungen des Germanischen Lloyd nur 50 Kilo. Für die Versorgung mit Warmwasser hätte es ein 75-Liter-Boiler getan; die Rassy hat gleich zwei an Bord.
Die Liste lässt sich lange fortführen. Und es ist nicht bloße Gigantomanie, welche die Ausrüstung diktiert hat, sondern einmal mehr der sehr bewusst auf Langfahrttauglichkeit getrimmte Pragmatismus.
Der bärenstarke Diesel etwa lässt in Verbindung mit dem passenden Vierblatt-Overdrive-Propeller von Gori extrem drehzahl- und geräuscharme Marschfahrt zu. Bei gerade einmal 1.500 Umdrehungen pro Minute läuft die HR 69 auf glattem Wasser bereits 8,8 Knoten schnell – nur 0,7 Knoten langsamer als bei 2.000 Umdrehungen. In der Eignerkammer achtern sinkt der wahrgenommene Schalldruck dadurch um die Hälfte (66 statt 72 Dezibel). Auch die Reichweite unter Motor profitiert enorm: Gut 1.600 Seemeilen kann das Boot ohne Nachtanken zurücklegen; bei 2.000 Umdrehungen pro Minute sind es immer noch gute 1.100 Meilen.
Wer nun denkt, dass die Maschine womöglich seglerische Defizite wettmachen muss, liegt weit daneben. Die Rassy ist vielmehr eine der fähigsten und vergnüglichsten Yachten für lange Seereisen. Beim zweitägigen Test Mitte Dezember kommt der Volvo Penta nicht ein einziges Mal auf Betriebstemperatur – und das liegt nur zum Teil daran, dass das Seewasser, das ihn durchströmt, draußen im Skagerrak gerade mal vier Grad über null hat. Der Motor ist bis aufs Ab- und Anlegen einfach nicht nötig, obwohl es innerhalb des Schärengartens nur leicht mit sechs bis acht Knoten aus Nordost weht.
Kaum steht das Groß, springt die Logge schon auf 4,5 bis fünf Knoten Fahrt durchs Wasser. Sobald der Code Zero ausgerollt ist, geht es halbwinds mit sieben Knoten dahin, und mit zunehmender Brise loggt die HR 69 draußen, auf offener See, bald beständig zweistellige Werte, ohne dass es dazu irgendwelcher besonderer Anstrengungen bedürfte.
Hohes Tempo ist zwar erwartbar von einem Schiff, dessen Rumpfgeschwindigkeit aufgrund der Länge 10,8 Knoten beträgt. Hier aber, bei nur geringer Wellenunterstützung, beeindruckt die Leichtigkeit, mit der die Yacht diese Grenze überschreitet, dann doch nachhaltig. Bei 14 bis 16 Knoten stark oszillierendem Wind rennt die Rassy raumschots in der Spitze 13,3 Knoten und über weite Strecken zwischen elf und zwölf Knoten – wohlgemerkt gemittelt und um Strom bereinigt. Das macht Tagesetappen von 250 Seemeilen und mehr zu einer Selbstverständlichkeit.
Wie üblich bei den Booten aus Ellös, verfügt die Rassy über eine eindeutige Rückmeldung vom Ruder, was nicht selbstverständlich ist im Bereich der großen Luxuskreuzer. Allerdings erfordert sie deshalb eine feste Hand und zugleich Konzentration. Denn die höchst wirksame Steuerung der Doppelruder zeigt bei der Baunummer eins etwas Spiel. Da sie um die Neutrallage herum sehr direkt anspricht, braucht es Eingewöhnung, um das Boot präzise auf Kurs zu halten, zumal bei dem in Küstennähe stark drehenden Wind.
An der Kreuz findet die HR 69 leichter ihre Spur und zeigt zudem eine ausgewogenere Balance. Es ist eine Freude, mit ihr an den Wind zu gehen. Wendewinkel von unter 90 Grad sind kein Problem, und die Geschwindigkeit ist schlicht begeisternd: Mit neun bis 9,5 Knoten marschiert die Yacht gegen die Welle, nimmt lediglich auf dem Vordeck Seewasser über und bleibt dank des hohen aufrichtenden Moments erfreulich steif bei nur rund 20 Grad Lage – idealtypisch für ein Fahrtenboot.
Diese Faszination vermittelt sie auch noch, als es in der Nachmittagsdämmerung wieder zurück durch die leicht verschneiten Felsinseln geht. Tempo und Druck gehen dabei zwar merklich nach unten, der Spaß aber bleibt. Ja, er wirkt fast noch verstärkt, weil die Rassy auch mit sechs bis 6,5 Knoten am Wind lebendig bleibt, gut Höhe läuft und der Crew ein Gefühl von Unmittelbarkeit und Direktheit vermittelt, als wäre sie ein 40-Füßer. Es ist eine ganz eigene Sensation, die dabei von ihr ausgeht: vielleicht ihre größte, weil stillste Stärke.
Was sich bei minus sechs Grad Lufttemperatur im Dezember nicht ausprobieren ließ, ist die Belüftung durch Luken und Kajütfenster. Sie erscheint aber überdurchschnittlich, weil sogar die vorderen Aufbauscheiben geöffnet werden können. Außerdem sind da ja noch die zahlreichen Pilzlüfter im Deck, die für permanenten Austausch sorgen. Gut beurteilbar bei den gegebenen Bedingungen waren jedenfalls die Kapazität und Steuerung der wassergeführten Dieselheizung von Kubota. Sie schlägt mit fast 55.000 Euro arg ins Kontor, ist aber jeden einzelnen Cent wert. Je Kabine kann sie elektronisch aufs Grad genau die Temperatur regeln; bei nachts minus zehn Grad draußen zaubert sie, wenn gewünscht, behagliche 24 Grad oder mehr drinnen.
Atmosphärisch sind ja alle Yachten von Hallberg-Rassy von Grund auf warm und gemütlich. Die 69 macht da keine Ausnahme mit ihren Vollholz-Wegerungen, dem zwischen Tradition und Moderne gehaltenen Ausbau und der überall fühlbaren Solidität. Bei der Verglasung aber setzt sie neue Standards für die Marke, weil insbesondere die Rumpffenster jetzt bedeutend größer und zudem schöner integriert sind. Im Salon messen sie fast zwei Meter in der Länge, was aufwändige Aussteifungen notwendig macht. Allein dafür muss man sie lieben.
Umso mehr überrascht, dass sie ansonsten die gleichen Drehriegel für Schubladen und Schapps hat, wie die nicht einmal halb so große HR 340, das gleiche Holz, die gleichen Armaturen in Nasszellen und Pantry. Sie ist eben eine typische Rassy, nur größer, autarker, technisch raffinierter.
Und sie ist, wie sich schon beim Segeln zeigte, eine Eigneryacht geblieben. Das macht das Layout von Cockpit und, mehr noch, Kajüte deutlich. Beides ist nicht in erster Linie dafür konzipiert, um mit Skipper und Deckshand unterwegs zu sein.
Es ist möglich, ohne Zweifel, aber eher die zweitbeste Lösung. Denn wer professionelle Crew angemessen unterbringen will, muss die gesamte Vorschiffskabine dafür vorsehen – und hat dann nur zwei knapp geschnittene Gästekammern mittschiffs für Freunde oder Familie. Oder er quartiert das Personal im Durchgang zur Eignerkammer ein, was freilich eine räumliche Nähe bedingt, die heute auch beiderseits eher gemieden wird.
Insofern ist Magnus Rassy nicht nur der erste, sondern auch der denkbar beste Eigner für dieses Boot. Er will seine „Rassker 69“ ohne fremde Hilfe bereedern. Recht hat er!
(ohne Abdrift/Strom); Windgeschwindigkeit: 12 bis 16 kn (4 Bft), Wellenhöhe: ca. 1 m
* mit Code Zero
Die Segelfläche ist selbst mit optimierten Epex-Membranen (STZ: 4,4) typisch für eine Fahrtenyacht
* Dimensionslose Zahl. Berechnung: 2√S/3√V. Je höher der Wert, desto mehr Segelfläche (S) hat das Schiff in Relation zur Verdrängung (V)
In dB(A), gemessen in Marschfahrt (70 % der Höchstdrehzahl): 9,5 kn, 2.000 min-1
Nicht nur ihrer schieren Größe wegen setzt die Hallberg-Rassy 69 Maßstäbe. Sie ist in dieser Liga der Außerirdischen auch die wohl am meisten auf Autonomie ausgelegte Yacht. Dass sie dennoch die Nähe zu ihren kleinen Schwestern hält, macht sie sympathisch
GFK-Schaumsandwich, im Vakuum-Infusionsverfahren laminiert. Isophthal-Gelcoat, Vinylester-Sperrschicht
Schon ab Werft kommt die HR 69 mit Epex-Laminat, aber ohne Latten. Der Performance-Segelsatz hat 15 Prozent mehr Fläche (247 statt 216 Quadratmeter)
Das Standardboot hat ein Drei-Salings-Rigg von Seldén aus Alu. Der optionale Kohlefasermast ist gleich hoch, aber 300 Kilo leichter
Mit dem 300 PS starken Sechszylinder ist die Yacht üppig motorisiert – gut für niedrige Drehzahlen und geringen Verbrauch. Empfehlenswerte Extras: Gori-Propeller mit Overdrive (Aufpreis 15.260 €) und ausfahrbares Heckstrahlruder (62.860 €)
Hallberg-Rassy setzt seit Jahren auf Raymarine. Am Testschiff gefielen die frei konfigurierbaren Alpha-Displays überm Niedergang (11.850 €)
Wie alle aktuellen Rassys besitzt auch das Flaggschiff zwei Ruderblätter und Platz für eine Dingi-Garage
Dank 37 Prozent Ballastanteil und breiter Spantform hat die 69 ein sehr hohes aufrichtendes Moment
Im Salon gibt es auf Wunsch einen versenkbaren 50-Zoll-Fernseher. Aufpreis inkl. Antenne 8.180 €. Eine Klimaanlage kostet 54.430 Euro
Grundpreis ab Werft: 6.030.400 €
Standardausrüstung inklusive: Motor, Schoten, Reling, Positionslaternen, Batterie, Kompass, Segel, Polster, Pantry/Kocher, Lenzpumpe, WC, Feuerlöscher, E-Kühlfach, Fäkalientank mit Absaugung, Antifouling, segelklare Übergabe mit vollen Diesel- und Frischwassertanks
Preis segelfertig*: 6.030.400 €
Garantie/gegen Osmose: 2/2 Jahre
* Wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Komfortpreis*: 6.105.830 €
* Wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Im Preis enthalten:
PU-Deck in Teakoptik, Cockpittisch, ausfahrbares Bugstrahlruder, hydraulische Badeplattform, hydraulische Winschen und Rollanlagen, elektrische Toiletten, 17,5-kW-Generator, kombiniertes 100-Ah-Ladegerät mit 3,5-kW-Inverter