Lars Bolle
· 24.04.2023
Welche Yacht-Marken, welche Modelle haben sich über die Jahrzehnte am besten verkauft? Eine Bestandsaufnahme mit Überraschungen
Das meistgebaute Segelboot der Welt ist der Sunfish. Das in Europa kaum bekannte, pontonartige Strand-Dingi mit dem meist grellbunten Lateinersegel wurde 1951 entworfen und 1995 in die Ruhmeshalle des amerikanischen Segelverbandes aufgenommen, die Sailboat Hall of Fame. Und zwar als das populärste jemals gebaute Kunststoffboot. Damals ging man von etwa einer Viertelmillion Booten aus. Bis heute wird der Sunfish von der amerikanischen Werft Laser Performance produziert, welche die Gesamtstückzahl mit deutlich rund 500.000 angibt.
Die Werft hat auch den zweiten Bestseller im Programm, den Laser. Rund 220.000-mal wurde er hergestellt und ist damit das in Europa am weitesten verbreitete Segelboot. Tatsächlich jedoch könnte es auch der Opti sein. Zwar rangiert er offiziell mit rund 180.000 Booten laut fortlaufender Rumpfnummer hinter dem Laser, die Dunkelziffer bei der Erfassung ist jedoch hoch. Denn während der Laser nur streng lizenziert und durchnummeriert gebaut wird, gelten bei der Opti-Zählung nur vermessungsfähige Boote – hergestellt wurden jedoch deutlich mehr, oft auch als Selbstbaujolle. Dazu gehören unter anderem die Boote des ehemaligen Ostblocks.
So sind in Deutschland rund 15.500 vermessungsfähige Optis registriert. Mit den Booten der ehemaligen DDR, die nicht vermessungsfähig sind, wären es etwa 27.000. Die vielen privaten Einzelbauten nicht gerechnet.
Schätzungen belaufen sich auf weltweit rund 400.000 gebaute Optis.
Von Unschärfen, die in die Zehntausende gehen, können die Hersteller von Fahrtenyachten nur träumen. Die Stückzahlen der Bestseller sind geringer und auf eine einfache, wenig überraschende Formel zu bringen: je größer und teurer, desto weniger verkauft. Welches in diesem Segment jedoch als das beliebteste Boot zählt, also mit Kiel, Kajüte und Übernachtungsmöglichkeit, ist viel schwieriger zu ermitteln als bei den Jollen.
Die Gründe sind vielfältig. Das Angebot ist bei Fahrtenyachten über die Jahrzehnte deutlich variabler als bei Jollen. Werften gingen Pleite, wurden übernommen, die Modelle innerhalb einer Linie unterliegen immer kürzeren Modernisierungszyklen, allzu oft verbunden mit einer Änderung der Typbezeichnung. Da haben es paradoxerweise gerade die Großserienwerften wie Bavaria oder Beneteau schwer, in die Top-Listen zu gelangen.
Ein Beispiel ist die Bavaria 30 Cruiser, zwischen 2005 und 2007 fast 1.900-mal gebaut. Das ist zwar eine gigantische Zahl, sie bedeutet immerhin über 600 Boote im Jahr, und zudem ist es die meistgebaute Bavaria überhaupt. Doch reicht es nur zu einem hinteren Listenplatz; der Verkaufszeitraum war zu kurz. Würden alle Bavarias desselben Längensegmentes zusammengerechnet – das sind von der 960er von 1984 bis zur aktuellen Bavaria 34 über zehn Modelle –, ergäbe sich garantiert eine Stückzahl für den oberen Topseller-Bereich. Doch ist der Rumpf der Bavaria 34 seit über zehn Jahren unverändert, da stellt sich auch die Frage, ab wann eine Yacht als eigenständiges Modell eingestuft werden kann. Doch selbst wenn man alle Boote dieses Längensegmentes zusammenfassen wollte – die Werft verfügt nicht über die genauen Zahlen für jedes Modell.
Anders bei Hallberg-Rassy. Das erfolgreichste Modell der schwedischen Werft ist bis heute die 1974 herausgebrachte Monsun 31 mit 904 Booten. Zusammen mit ihren Nachfolgerinnen, der HR 312, HR 31 und der HR 310, wurde die „Zehn-Meter-Rassy“ 2.050-mal gebaut, die aktuell kleinste, die HR 340, nicht mitgerechnet. Für die Top 15 reicht es jedoch bei keinem der Einzelmodelle.
Ein Beispiel für eine etwas andere Modellpolitik ist die First 21.7 von Beneteau, die meistverkaufte Yacht der Franzosen. Bei ihr veränderte sich nur der Name, das Boot selbst kaum. Doch auch das macht die Datenerhebung nicht eben leichter. 1992 kam sie als F 210 auf den Markt, wurde 813-mal bis 1998 gebaut. Danach leicht modifiziert und bis 2004 als F 211 1.029-mal verkauft. Die letzte First 21.7, die immer noch denselben Rumpf und Aufbau hatte, kam auf 530 Stück – macht zusammen 2.372 Boote. Sie schafft es damit in die Top 15.
Die Bestsellerliste wird klar vom Folkeboot angeführt, Holz- (etwa 4.000) und GFK-Modelle (etwa 5.000) zusammengerechnet. Doch das Folke ist nicht nur ein Bestseller, es wird auch am längsten von allen erhobenen Yachten gefertigt, von 1942 bis heute.
So etwas wie ein Wunderboot ist die Neptun 22. Über 7.000-mal wurde der kleine Kreuzer seit 1968 gebaut, zuerst als sogenanntes Miglitsch-Original, nach ihrem Konstrukteur, etwa 2.900-mal, dann als Backdecker mit vergrößertem Rigg. Etwa zehn Boote verlassen heute noch pro Jahr die Werft.
Ihre Blütezeit erlebte die Neptun 22 in den siebziger Jahren, wie fast alle der ermittelten Bestseller. Damals schwappte die Wassersportwelle über Europa. Plötzlich wollten viel mehr Menschen segeln als zuvor, und zwar, weil sie es konnten. GFK hieß das Zauberwort, Glasfaserverstärkter Kunststoff. Boote wurden damit deutlich erschwinglicher als die rohstoff- und vor allem stundenintensiven Holzyachten, der Pflegeaufwand ging im Vergleich gegen null.
Das Problem: Es gab nicht genug Boote. Wer eines haben wollte, musste neu kaufen, ein Gebrauchtmarkt existierte so gut wie nicht. Wie ein trockener Schwamm saugte diese neue Seglerschar die Kunststoffyachten auf, die produzierenden Werften boomten.
Einen heute wohl unmöglichen Erfolg stellte etwa die Varianta 65 dar. Sie war zu ihrer Zeit nach Werftangaben die erfolgreichste Yacht Europas. Alle drei Modelle – Varianta, Varianta K4 und Varianta 65 – zusammengerechnet, waren 4.500 Verkäufe zu verzeichnen. Willi Dehler hatte mit dem wandelbaren Konzept offenbar den Nerv der Zeit getroffen. Die Wasserwelle wurde im Binnenland losgetreten. Die Leute wollten auf den Binnenseen segeln und zum Urlaub auch mal an die Ostsee trailern. Willi Dehler machte es vor. Mit der Varianta K4, die ein Jahr nach der Ur-Varianta kam und über vier Kojen verfügte, segelte er mit Ehefrau Edith von Großenbrode nach Schweden.
Dort wurde in den Siebzigern bereits in Großserie gefertigt. Namen wie Maxi oder Albin stehen noch heute als Synonyme für schwedischen Bootsbau und finden sich selbstverständlich in den Bestsellerlisten. So wurde etwa die Maxi 77 genau 4.000-mal gebaut.
Doch Mitte der Achtziger war der Schwamm offenbar voll. Viele Modelle der ersten Stunden wurden eingestellt, dafür größere Boote in geringerer Stückzahl verkauft.
Vor allem wegen der immer geringeren Margen und des riesigen Angebots auf dem Gebrauchtbootmarkt, nicht zuletzt wegen des Booms in den Siebzigern, sind kleine Yachten für die Branchenriesen kein Zukunftsmodell. Weniger, aber größere Boote – das sind die heutigen Verhältnisse.
Eine Ausnahme, welche die Regel aber bestätigt, ist die J 70. Sie wurde 2012 entworfen, erste Boote kamen 2013 auf den Markt. Als strikte Regatta-Einheitsklasse konzipiert, bietet sie aber auch eine Schlupfkajüte mit Kojen für bis zu vier Personen, wenn auch mit rudimentärem Komfort. Ins hier gewählte Raster passt sie also. Auch wegen des erfolgreichen Marketingkonzeptes mit Meisterschaften auf Clubebene wie der deutschen Segel-Bundesliga brachte es die amerikanische Werft bis heute auf 1.740 verkaufte Boote, bis Ende des Jahres sollen es 1.900 sein.
*gerundet (In einer früheren Version des Artikels war auf Platz 15 die Albin Express mit 1400 Einheiten gelistet, gebaut von 1979 bis 1985)