Die JahrhundertflutDie Sturmflutnacht vom 20. Oktober 2023 an der Ostsee

Lars Bolle

, Max Gasser

 · 20.10.2025

Damp in den Morgenstunden
Foto: YACHT/Morten Strauch
Bilder der Zerstörung 2023.
In der Nacht zum 20. Oktober 2023 erlebte die Ostseeküste die schwerste Sturmflut seit 150 Jahren – Häfen wie Schilksee und Damp glichen einem Schlachtfeld, über 150 Yachten sanken, Hunderte wurden zerstört. Der Wiederaufbau kostete mehr als 200 Millionen Euro und dauert teilweise bis heute an. Zwei Jahre danach ziehen wir Bilanz: Was geschah in jener Horrornacht, wie verlief der Wiederaufbau, und sind wir für die nächste Jahrhundertflut besser gewappnet?

Die Warnungen waren eindeutig: Bereits Tage im Voraus war klar, dass die Küste hart getroffen werden würde, orangene und rote Farben dominierten die Windvorhersagekarten. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie gab bereits am Dienstag, den 17. Oktober 2023 die erste Ankündigung für eine mögliche Sturmflut heraus, gefolgt von weiteren Sturmflutwarnungen an den kommenden Tagen mit erwarteten Wasserständen von ein bis zwei Metern über dem mittleren Wasserstand.

Dennoch blieben viele Yachten offenbar unvorbereitet im Wasser.

In der Nacht zum 20. Oktober 2023 erlebte die Ostseeküste die schwerste Sturmflut seit 150 Jahren – Häfen wie Schilksee und Damp glichen einem Schlachtfeld, über 150 Yachten sanken, Hunderte wurden zerstört. Der Wiederaufbau kostete mehr als 200 Millionen Euro und dauert teilweise bis heute an. Ein Jahr danach ziehen wir Bilanz: Was geschah in jener Horrornacht, wie verlief der Wiederaufbau, und sind wir für die nächste Jahrhundertflut besser gewappnet?

Die Nacht des Grauens: Freitag, 20. Oktober 2023

Ein Tiefdrucksystem namens Wolfgang zog über den Golf von Biskaya und Großbritannien und traf auf ein blockierendes Hochdruckgebiet über Skandinavien, was zu starken Ostwinden über der Ostsee führte. Von Rügen bis Flensburg wurden konstant Windgeschwindigkeiten von über 50 Knoten gemessen, mit Böen über 70 Knoten.

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Die Sturmflut war signifikant höher als von den Modellen vorhergesagt: In der Eckernförder Bucht stieg die Ostsee auf +2,10 Meter über den mittleren Wasserstand, in Flensburg sogar auf +2,37 Meter – der höchste gemessene Wert seit der Jahrtausendflut von 1872.

Segler und Autor Jan von der Bank beschrieb die Ereignisse so: "Was zwischen etwa 18 und 22 Uhr passierte, war eine Apokalypse und eines der schlimmsten Dinge, die ich je im Zusammenhang mit Segeln erlebt habe". Seinen vollständigen Bericht lesen Sie hier. Auch Redakteure der YACHT waren in der Nacht auf ihren Booten. Was sie unglaubliches erlebten, lesen Sie hier.

Die Verwüstung in den Häfen

Der Olympiahafen Kiel Schiksee war besonders schwer betroffen. Nach Angaben der Sporthafen Kiel GmbH sanken 48 Schiffe. Die Mole wurde unterspült und sackte um rund 20 Zentimeter ab. In Dampwaren von zuvor 365 Liegeplätzen waren nur noch 110 im Notbetrieb nutzbar, 32 Boote sanken allein dort.

Der Geschäftsführer des Sachverständigenbüros MCS – Marine Claims Service berichtete von insgesamt etwa 400 beschädigten Schiffen, wovon 150 gesunken waren. Das Gesamtschadenvolumen im Boots- und Yachtversicherungsbereich könnte sich auf über 20 Millionen Euro belaufen. Der Gesamtschaden an Küsten, Stränden, Hochwasserschutz, Häfen und Booten in Deutschland wurde auf etwa 200 Millionen Euro geschätzt. Der detaillierte Schadensbericht ist hier zu lesen.


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Der schwierige Wiederaufbau

Die Herausforderungen waren enorm. Die meisten notwendigen Bergungen waren nur vom Wasser aus möglich, das erforderliche Gerät in begrenztem Umfang verfügbar, und die engen Stege mit dicht an dicht liegenden Booten verlangsamten die komplexe Arbeit erheblich. Die Stadt Kiel ordnete an, dass alle beschädigten oder gesunkenen Wasserfahrzeuge bis spätestens 31. Oktober 2023 von einer Fachfirma geborgen werden mussten. Die YACHT war vor Ort und hat die Bergungsteams begleitet. Hier geht es zur Reportage.

Ein Ortstermin Mitte Januar mit dem Geschäftsführer der Sporthafen Kiel GmbH, Philipp Mühlenhardt, ergab einen überraschend guten ersten Eindruck: Das Chaos war aufgeräumt, es befanden sich noch etwa ein Dutzend beschädigter Yachten auf dem Gelände. Arbeiter bauten bei eisigem Ostwind und Minustemperaturen die Hauptstege wieder auf, Material wurde sofort nach dem Sturm eingekauft, um Versorgungsengpässen zuvorzukommen.

Mühlenhardt zeigte sich optimistisch: "Wir werden die Kieler Woche schaffen, und auch die Liegeplätze sollten frei sein. Allerdings kann die Reparatur von Stromsäulen und Wasseranschlüssen hier und da länger dauern".

Für Damp sagte das Land Schleswig-Holstein 17,9 Millionen Euro Fördermittel für den Wiederaufbau des Hafens zu, der nicht nur wieder in Betrieb genommen, sondern auch wetterfester und attraktiver werden soll – vollständige Wiederherstellung bis zur Saison 2028. Der Notbetrieb wird jedoch noch über den Sommer 2026 andauern.

Sind wir besser vorbereitet?

Auch zwei Jahre nach der Katastrophe bleibt die Frage: Wie können solche Ereignisse künftig verhindert oder abgemildert werden?

Der Schilkseer Wellenbrecher wurde auf seine alte Höhe von 2,5 Metern angehoben, doch eine signifikante Erhöhung für die Zukunft wäre sehr kostspielig – ein Neubau wäre ein Millionenprojekt, dessen Finanzierung noch ungeklärt ist.

Forscher der Universität Kiel hatten bereits einen Monat vor der schweren Sturmflut in einer Studie nachweisen können, dass die gesamte deutsche Ostseeküste einem hohen Überflutungsrisiko ausgesetzt ist und Verbesserungen des Küstenschutzes notwendig sind – mit dem Klimadeich-Konzept des Landes Schleswig-Holstein sind erste Küstenschutzmaßnahmen bereits im Gange.

Nachwirkungen im Segelsport

Das Ereignis wirkt offensichtlich noch immer nach: Viele Segler sind noch sehr verunsichert und holten ihre Boote früher als in den Vorjahren aus dem Wasser.

Die Sturmflut vom 20. Oktober 2023 war mehr als ein Wetterphänomen – sie war ein Weckruf. Es war die schlimmste Flut seit 150 Jahren für die Ostseeküste. Während die physischen Schäden nach und nach behoben werden, bleibt die Frage nach angemessenen Präventionsmaßnahmen für künftige Extremwetterereignisse drängend. Für die Segelgemeinschaft an der Ostsee war es eine Lektion in Demut vor den Kräften der Natur – und ein Appell, Warnungen ernst zu nehmen.


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