Es geschah im letzten Lauf der Atterseewoche 2024. Was in der Ergebnisliste als Kürzel “DNF” (did not finish) steht, ist der Albtraum eines jeden Eigners: Das Boot ist zwar gestartet, aber nicht ins Ziel gesegelt. Meist ist nur ein gerissenes Fall die Ursache oder ein Riss im Segel. Im Fall der “Bibelot II” jedoch sank gleich das ganze Schiff, und zwar vom einen auf den anderen Moment. Ort des Geschehens war der österreichische Attersee, der an der Unglücksstelle sage und schreibe 130 Meter tief ist. Die Mannschaft blieb glücklicherweise unverletzt, das Boot konnte geborgen werden. Die Hintergründe des Untergangs und wie die Bergung gelang.
Sascha Grigkar, der Eigner der “Bibelot II”, war am besagten 2. August selbst an Bord. Er beschreibt die Szenen, in denen er sein Schiff vorerst aufgeben musste, als nervenaufreibend: “Eigentlich hatten wir einen super Wind zum Segeln. Allerdings hat uns eine relativ starke Böe erwischt, als wir gerade eine Halse fahren wollten. Zwischendurch dachte ich noch mal kurz, wir könnten uns wieder fangen, dem war aber nicht so.” Das Schiff sei aus dem Ruder gelaufen und habe sich aufs Wasser gelegt. “Ich bin in meiner Jugend viel Laser (Anm. d. Red. heute “Ilca”) gesegelt, und obwohl es sich bei der Sonderklasse um so ein großes, vergleichsweise behäbiges Boot handelt, hat es sich genauso angefühlt wie eine Kenterung beim Jollensegeln”, beschreibt Grigkar.
Sie hätten eine Halse von Backbord-Bug auf Steuerbord-Bug ausführen wollen, als es passierte. “Mehr oder weniger genau zu dem Zeitpunkt, als der Großbaum rüberkam, hat uns die Böe erwischt”, berichtet Grigkar, “der Großbaum knallte aufs Wasser, und ich wusste, dass es eng werden würde.” Auf dem Vorschiff habe noch die Person gestanden, die den Spinnaker-Baum umgesetzt hatte, dann gab es noch den kurzen Moment, in dem Grigkar hoffte, dass sich das Schiff doch wieder aufrichten könnte. “Gleichzeitig war aber unten schon so viel Wasser hereingekommen, dass offensichtlich war, dass das Boot volllaufen wird”, erinnert er sich.
Da die Kenterung der “Bibelot II” im Rahmen einer Wettfahrt der “Atterseewoche 2024” geschah, war glücklicherweise gleich ein Team des Wettfahrtleiters Gert Schmidleitner vor Ort, um die in Not geratene Besatzung der Sonderklasse zu retten.
Die Atterseewoche ist eine jährliche Regatta, die vom Union-Yacht-Club Attersee (UYCA) ausgetragen wird. Der Club feierte 2011 sein 125-jähriges Bestehen und gehört damit zu den ältesten Segelvereinen Österreichs. Wieder an Land, wurde die Mannschaft der “Bibelot II” zurück zum Clubgelände gebracht. “Als Eigner-Familie haben wir uns dann relativ schnell entschieden, dass wir versuchen wollen, unser Schiff noch einmal an die Wasseroberfläche zu holen”, erzählt Sascha Grigkar.
Nachdem der Entschluss gefasst gewesen sei, seien dennoch einige Ungewissheiten zu klären gewesen: “Wir wussten ja überhaupt nicht, ob wir unser Boot wiederfinden würden, genauso wenig wie, ob die Tiefe, in der es liegen könnte, Komplikationen bei der Bergung hervorrufen würde”, schildert Grigkar die ungewissen Tage nach der Kenterung.
Wenige Tage nach dem Untergang der “Bibelot II” konnte die Österreichische Wasserrettung das Schiff mittels Sonar orten. Nachfolgend wurde ein Unterwasserroboter samt Kamera eingesetzt. Mit Hilfe der Leihgabe des Salzburger Landesverbands der Österreichischen Wasserrettung konnten die Einsatzkräfte das Schiff zweifelsfrei identifizieren. Danach wurde ein Plan entwickelt, wie das Boot bestmöglich wieder schwimmen könnte.
Schon vor etwa fünf Jahren hatte der Landesverband Oberösterreich der Österreichischen Wasserrettung ein Boot aus 130 Meter Tiefe gehoben. “Das haben die im Yacht-Club wahrscheinlich gewusst und uns gefragt, ob wir die ‚Bibelot II‘ nicht auch bergen können”, erinnert sich Dr. Gerald Berger. Der Landesleiter der oberösterreichischen Wasserrettung war sowohl in die Planung wie auch die Durchführung der Bergung involviert.
Nachdem der erste Versuch, das Schiff in der Tiefe zu markieren, wegen eines Unwetters abgebrochen werden musste, wurde wenig später ein weiterer Versuch unternommen. Dabei konnte die Stelle, an der das Boot in der Tiefe auf Grund lag, mit einer Boje markiert und die GPS-Daten aufgenommen werden. Danach planten die ehrenamtlichen Spezialisten, wie die “Bibelot II” wieder an die Wasseroberfläche zurückgeholt werden könnte.
“Für uns ergab sich einzig die Möglichkeit, Taucher herunterzuschicken, die einen Schlupf am Mast festzurren. Damit dieser, wenn Zug auf das Seil kommt, nicht verrutscht und die Last auf den ganzen Rumpf übertragen wird, wurde er auch an den Wanten, den Backstagen und am Vorstag festgemacht”, erläutert Dr. Berger. Vor fünf Jahren hatten sie dann mit Hebeballonen gearbeitet.
Anders als damals wurde jetzt für die Bergung der Sonderklasse eine Seilwinde aus Deutschland organisiert. “Weil wir mit den Ballonen den Auftrieb nicht so gut steuern konnten, haben wir uns diesmal dafür entschieden, dass wir das Schiff kontinuierlicher, langsam und gleichmäßig dosiert belasten wollen. Solange es im Schlamm steckt, ist der Widerstand am höchsten, danach konnten wir den Zug reduzieren”, so Dr. Berger, “wir haben allerdings erst gemerkt, dass das Boot aus dem Schlamm freigekommen sein muss, als wir auf dem GPS gesehen haben, dass wir mit dem Ponton, auf dem die Seilwinde im Einsatz war, abtrieben. Es gab also keinen großen Ruck”.
In der Folge haben sie die “Bibelot II” so weit gehoben, dass der Mast ungefähr zwei Meter unter dem Arbeitsponton war. “Dann sind wir ins seichte Wasser manövriert. So hätten wir das Schiff einerseits leichter wiedergefunden, wenn zum Beispiel das Seil gerissen wäre, andererseits mussten wir es einmal auf Grund setzen, um die Bergeleine der Seilwinde auszuhängen und die Hebeballone anzubringen. Wir mussten ja mit Ponton weit genug weg, sodass wir uns nicht in Gefahr bringen und auch das Rigg auf der Zielgeraden der Bergung nicht noch beschädigen”, erläutert Dr. Berger.
Bei einer solchen Bergung sei es wichtig, die Stärken und Schwächen des Schiffstyps zu kennen, der gehoben werden soll. “Wir haben uns im Vorfeld sowohl mit der Eignerfamilie als auch verschiedenen Spezialisten ausgetauscht, an welchen Punkten wir am besten ansetzen können”, so Dr. Berger, “deshalb haben wir die Bergeballone zum Beispiel nicht auf den Klampen befestigt, sondern lieber an den Püttingen. Bei den Klampen bestand die realistische Gefahr, dass sie ausreißen würden”.
“In der Wasserrettung in Oberösterreich gibt es keine bezahlten Kräfte”, erläutert der Landesleiter und Präsident Dr. Berger. Selbst die Presslufttauchgeräte und Trockenanzüge würden größtenteils privat angeschafft, um im Rahmen der Wasserrettung ehrenamtlich arbeiten zu können. Zwar kann die Ausbildung für das Presslufttauchen für die Ehrenamtlichen selbst geleistet werden, aber die Mischgastaucher, die Spezialisten für hohe Wassertiefen, ohne die eine Bergung wie die der “Bibelot II” in einer Tiefe von 130 Metern nicht möglich wäre, müssen ihre Tauchausbildung selbst tragen, ebenso wie ihre Ausrüstung. “Die stellen dann ihr besonderes Knowhow genauso wie das Material der Wasserrettung zur Verfügung”, erzählt Dr. Berger begeistert.
Dennoch ist ein Bergeeinsatz wie der zur Rettung der “Bibelot II” teuer. “Wir haben eine Tarifordnung, in der die Stunden von Mensch und Material ganz normal berechnet werden”, erklärt Dr. Berger, “die Pauschalsätze machen uns aber nicht reich, sondern sollen vor allem unsere Kosten, die natürlicherweise entstehen, ausgleichen. Ein professionelles Unternehmen, das die Bergungen gewerblich durchführt, ist sicherlich drei- bis viermal so teuer”.
“Die Bergung war wirklich toll durchorganisiert. Es wurde sehr professionell gearbeitet”, erinnert sich der Eigner des gehobenen Schiffes Grigkar, “ich war selber vor Ort, ebenso wie ein kleiner Teil der Crew. Die Herrschaften von AySail haben gleich vor Ort mit der Nachbetreuung begonnen. Sie kümmern sich auch sonst im Winter um das Schiff.”
Die “Bibelot II”, auf der am Grund des Sees ein Wasserdruck von 14 Bar lastete, stehe nun in einer Halle und werde sanft entfeuchtet. In der Regulierung des Hallenklimas wird jetzt berücksichtigt, dass das Boot einerseits nicht zu schnell austrocknet, andererseits aber auch nicht zu lange zu feucht bleibt, sodass sich Schimmel und Fäulnis ausbreiten können. “Die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit der Halle werden ähnlich kontrolliert wie in einem Zigarrenhumidor”, so Grigkar.
Außerdem gibt es ein erklärtes Ziel: “Es ist unser aller Wunsch, dass wir im kommenden Jahr wieder bei der Attersee-Woche dabei sein können. Aber ob wir das schaffen, müssen wir abwarten.” Über das Erreichte ist der Eigner jetzt schon froh: “Ich bin allen, die an der Bergung beteiligt gewesen sind, sehr dankbar dafür, wie gut alles geklappt hat und wie weit wir jetzt sind.”
Die “Bibelot II” ist eine Sonderklasseyacht und seit etwa zehn Jahren im Besitz der Familie Grigkar. “Auch davor sind wir schon eine Sonderklasse gesegelt. Den ‚Panther‘ haben wir aber vor zehn Jahren verkauft und dafür die ‚Bibelot II‘ angeschafft”, erklärt Sascha Grigkar.
Ihr aktuelles Boot wurde 1992 in Wien gebaut. Die Sonderklasse zählt zu den ersten Konstruktionsklassen weltweit. Der damalige Vorsitzende des Deutschen-Segler Verbands, Adolf Burmester, erdachte sie gemeinsam mit dem Schiffbauingenieur Carl Busley 1898 auf Wunsch des segelbegeisterten Kaisers Wilhelm II.
Die Bauvorschriften umfassten damals die Begrenzung des Baupreises, der Segelfläche (bis zu 51 m²), der Verdrängung (mindestens 1.830 Kilogramm), die Dicke der für den Bau verwendeten Planken (mindestens 16 mm), die Sitzraumlänge (maximal 2,50 m) und, dass die Sonderklassen mit einer Besatzung von drei Männern gesegelt werden sollten. Vor allem aber durfte die Summe aus Wasserlinienlänge, größter Breite und dem Tiefgang nicht mehr als 9,75 m betragen.