Martin Hager
· 23.02.2024
Ganz einfach, weil ich es noch nie gemacht habe. Außerdem denke ich, dass man für Grenzerfahrungen offen sein muss, wenn man das Leben in seiner ganzen Bandbreite erleben möchte. Ich freue mich darauf, meinen Komfortbereich zu verlassen, zu frieren und mich in der ungewohnten Umgebung im Eis unwohl zu fühlen und nicht zu wissen, was genau passieren wird. Die Entdecker vor hundert oder tausend Jahren haben genau das in ihren Holzbooten auch getan, und diese Abenteuer gibt es heute fast nicht mehr. Die Möglichkeit, etwas zu erleben, was ich noch nie zuvor erlebt habe, macht mich extrem neugierig, und Neugierde ist die Grundlage für solche Expeditionen. Mich reizen neue Erfahrungen wie diese.
Die Crew besteht aus mir, der Deckshand Lucas und meiner Tochter Annika, Wissenschaftler kommen erst mal nicht mit ins Eis. Ich kümmere mich – wie immer - um die gesamte Technik an Bord, da ich das Schiff ja auch gebaut habe. Dazu gehört die Wartung und Reparatur der Motoren, Generatoren, der Hydraulik und Elektrik und natürlich des Riggs. Lucas ist vorher noch nie gesegelt, hat aber Abenteurer-Gene in sich und ist hungrig nach neuen Erlebnissen. Er wird an Bord auch für die Erstellung von Content verantwortlich sein, sprich Videoproduktionen und Fotos. Er hat vorher Computerprogramme geschrieben und gemerkt, dass das Leben nicht nur aus einem Bildschirm und einer Tastatur besteht. Er saugt alles maritime Wissen auf und ist enorm clever. Wir sind also ein perfektes Team - ein junger Mann mit einem alten Mann, der ein bisschen Abenteuer-Erfahrung hat. Meine Tochter Annika ist mittlerweile 30 Jahre alt, sie ist mit und auf meinem Schiff aufgewachsen, segelt es manchmal auch ganz allein.
Der Refit dauerte acht Monate, und in dieser Zeit hat sich Sunreef darauf konzentriert, das Schiff energieeffizienter zu machen. Jetzt verbraucht ”Pangaea” sehr wenig Energie.
Der Innenausbau wurde komplett überarbeitet. Die polnische Superyachtwerft erneuerte die gesamte Schall- und Wärmedämmung, die Kabinen und die Wasserversorgung. Wie Sie wissen (Anm. der Redaktion: Yacht 24/08), habe ich mein Schiff mit einem geringen Budget in den Slums von São Paulo gebaut und bereits vor 15 Jahren gewassert. Seitdem war es mein Zuhause während zahlreicher Expeditionen. Jetzt war es an der Zeit, einige Systeme zu modernisieren. Dazu gehört auch die Steuerung des Wasserflusses an Bord und ein System, in dem das heiße Wasser zirkuliert, sodass wir nicht minutenlang warten müssen, bis warmes Wasser aus dem Hahn kommt. Die Werft half uns auch bei der neuen Registrierung. Wir segeln nun nicht mehr unter brasilianischer, sondern unter monegassischer Flagge und mussten dafür den ganzen Rina-Klassifizierungsprozess durchlaufen. Wir bekamen Support bei der Stabilitätsprüfung, beim Krängungs- und Sicherheitstest und beim Test der strukturellen Festigkeit. Ohne das Werftteam hätte ich das nicht geschafft.
„Pangaea“ soll vor Grönland in Gletschernähe vom Eis eingeschlossen werden, ganz in der Nähe des Polarkreises auf 66 Grad und 30 Minuten. Dort ist es im Sommer nie wärmer als zehn Grad, es wachsen keine Bäume, und hier lebt der Eisbär.
Dass wir diesen Winter noch eingefroren werden, hoffe ich doch sehr. Es ist noch unklar, warum sich das Meereis noch nicht gebildet hat. Verschiedene Faktoren wie ungewöhnlich warme Temperaturen, Windmuster und Meeresströmungen können das beeinflussen. Der Klimawandel kann dabei natürlich eine Rolle spielen, aber bestimmte Ereignisse werden auch durch kurzfristige Wetterschwankungen beeinflusst.
Ja, ich habe vor 20 Jahren eine Expedition unternommen, bei der ich 808 Tage lang ohne Motorunterstützung dem Polarkreis um die Welt gefolgt bin. Zu Fuß und auf Skiern mit Kite-Unterstützung, wenn wir Wind hatten. Das war im Sommer, und ich habe damals in mein Tagebuch geschrieben, dass ich gern im Winter zurückkehren würde. Ich hatte den Traum, den Übergang vom Sommer in die totale Dunkelheit zu erleben. Und dann natürlich auch aus dem tiefen Winter zurück in den Polarsommer. Es ist also ein Ort, an dem ich schon einmal gewesen bin und an den ich immer wieder zurückkehren wollte. Das ist auch ein Grund, warum die Expedition „What’s Left“ heißt: Ich möchte sehen, was von der Schönheit, die ich schon einmal erleben durfte, übrig geblieben ist.
Im Eis ist es nie sicher. Aber die Rumpfform ist so, dass das Boot bei zunehmendem Druck auf das Eis geschoben wird, der Kiel lässt sich einfahren. Der Freibord meines Schiffes beträgt drei Meter, und das entspricht in etwa der Dicke des Eises. Um den perfekten Spot zum Überwintern zu finden, müssen wir sehr genau beobachten, wohin sich das Eis vom nahegelegenen Gletscher bewegt. Wir müssen „Pangaea“ an der perfekten Stelle platzieren, damit sie nicht vom Eis zerquetscht wird. Gut ist auch, das Schiff bei geringer Wassertiefe zu ankern, da so die großen, tiefgehenden Eisberge nicht nah an uns rankommen.
Wir werden vorher unsere Vorräte auf ein Maximum aufstocken, dazu gehört Diesel für die Generatoren und die Hauptmaschine, aber natürlich auch Lebensmittel. Zudem verhandeln wir mit den Inuit über 20 Schlittenhunde.
Genau das ist der Plan. Der Grönlandhund ist eine von insgesamt vier Schlittenhundrassen. Die Tiere sind besonders willensstark und ausdauernd. Sie wollen sich bewegen und verausgaben. Sie schauen dich an und scheinen zu sagen: “Los jetzt, gib mir endlich den Befehl, loszurennen und dich irgendwohin zu bringen!” Für die Hunde brauchen wir natürlich Schlitten und Futter, das uns die Inuit besorgen. Sie essen überwiegend Robbenfleisch. Wir leihen uns die Hunde auch nur für die Zeit im Eis, so haben alle etwas davon. Die Inuit sind leider auch gar nicht mehr auf ihre Hunde angewiesen, da sie meist auf Schneemobilen sitzen.
Wir wollen nicht mehr als 30 Kilometer Meereis überwinden müssen. Wir müssen auch darauf achten, dass man noch in die Zivilisation kommt, wenn das Eis bei starkem Sturm bricht.
Heute haben wir Starlink an Bord, damit könnten wir Teams-Konferenzen abhalten, Videos streamen, wir sind also bestens mit der ganzen Welt verbunden. Starlink hat die Kommunikation enorm verändert. Wir können Live-Videos und Insta-Storys machen und unsere Follower live an unserem Leben teilhaben lassen. Erst kürzlich waren wir inmitten eines unglaublich eindrucksvollen Polarlichtes. Diese Bilder können wir nun direkt über Social-Media-Kanäle mit der ganzen Welt teilen.
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Das ist eine gute Frage. Die „What’s Left“-Expedition ist ja glücklicherweise nicht vorbei, wenn wir wieder vom Eis freigegeben werden. Danach geht es für uns tiefer rein in die Arktis, dann ins Amazonasgebiet, nach Patagonien und in die Antarktis. Zu guter Letzt stehen Nordsibirien und Alaska auf unserem Törnplan.