Das nächste Boot muss nicht größer sein als das alte. Im Gegenteil. Es kann auch kleiner ausfallen. Viel kleiner sogar. Die Rede ist von einem Miniaturformat der eigenen Yacht – als Zierde für den Schreibtisch, die Vitrine oder die Wohnzimmerwand. Ob in Form eines maßstabsgetreuen Vollmodells, das von allen Seiten bestaunt und angefasst werden kann. Oder ausgearbeitet als klassisches Halbmodell mit einem gewissen musealen Touch. Spätestens in den dunklen Wintermonaten hält das Modell die Segelsehnsucht am Leben. Es mag auch zu Modifizierungen am Original inspirieren. Und es bleibt erhalten, wenn das richtige Schiff eines Tages abgegeben werden muss – eine schöne und auch repräsentative Erinnerung.
Doch wer fertigt einem heutzutage solch ein originalgetreues und dazu einzigartiges Schmuckstück an? Der Beruf des Modellbauers stirbt aus. Nur wenige gehen dem einst angesehenen Handwerk noch nach. Und so muss man schon ein bisschen suchen, um einen der verbliebenen Modellbauer zu finden. Gleich zwei sind, wie es der Zufall will, vor den Toren Bremens ansässig, nur einen Katzensprung voneinander entfernt.
Der eine ist Jürgen Oltmann. Er verdient seit immerhin schon drei Jahrzehnten seinen Lebensunterhalt mit dem Bau von Modellschiffen. In der Werkstatt seines alten Bauernhauses in Schwanewede restauriert der 73-Jährige zudem alte Großsegler, auf denen sich „blinde Passagiere“, sprich Holzwürmer, breitgemacht haben oder deren Takelagen aufgrund von Staub, Feuchtigkeit oder Sonnenlicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Der studierte Ökonom fertigt Vollmodelle in allen Größen, sowohl für private Auftraggeber als auch für Museen wie das Ozeaneum in Stralsund oder Reedereien wie die Bremer Lloyd. Seine Spezialität jedoch sind die klassischen Halbmodelle. Sie stellt er immer noch mit der gleichen Technik her, wie sie schon vor hundert Jahren angewendet wurde: Aus einem schichtweise verleimten Holzblock werden die Linien einer Yacht mithilfe von Spantenschablonen herausgearbeitet. Alles per Hand und in unzähligen Schritten. Lediglich die ersten groben Stücke entfernt Oltmann mit der Stichsäge. Danach kommen auf einer historischen Werkbank aus Eiche so lange Hobel, Feile, Stechbeitel und Schleifpapier zum Einsatz, bis ein makelloser Rumpf mit einem guten Strak entstanden ist.
Moderne Arbeitsgeräte sucht man bei ihm vergebens. Sie würden auch nicht ins gemütliche Oltmannsche Werkstatt-Ambiente passen, das beinahe an ein Schifffahrtsmuseum erinnert – nicht zuletzt wegen der alten Galionsfigur, die hier eine Bleibe gefunden hat.
Wie anders sieht es hingegen bei Kollege Gunnar Behncke aus! Nur acht Kilometer Luftlinie entfernt hat sich der gebürtige Schweriner im Industriegebiet von Ritterhude eingerichtet. Die weiß gestrichenen Räumlichkeiten wirken im Vergleich zur Hofwerkstatt fast steril. Im Gegensatz zu Altmeister Oltmann setzt Behncke weitestgehend auf digitale Technologien, um höchst präzise und detailreiche Vollmodelle zu erstellen.
Die meisten Bauteile entstehen dabei vorzugsweise in der CNC-Fräse oder in seinen zwei 3D-Druckern. Dafür braucht es jedoch sogenannte CAD-Dateien von den Schiffen. Da kaum ein Privateigner solche Daten vom eigenen Boot besitzt, muss Behncke sie erst selber am Computer erstellen. Das ist enorm zeitaufwendig. Dafür ist dann später aber das Resultat gegenüber der traditionellen Handarbeit wiederholgenauer und präziser.
Es gilt: je besser die digitalen Daten, desto detaillierter das Druck-Erzeugnis. „Zaubern können die 3D-Drucker aber auch nicht“, räumt Behncke ein. „Die fertigen Ausdrucke sind erst mal nur graue Plastikteile.“ Dennoch, der Druckprozess ist durchaus spannend: Das Bootsmodell wird per Software in hauchdünne Schichten aufgeteilt, die jeweils vom Drucker wie ein Foto drei Sekunden lang belichtet werden. Auf diese Weise wird Schicht für Schicht aufgetragen und gehärtet. Es entsteht ein dreidimensionales Bauteil, wie etwa der Kiel oder das Ruderblatt. Segmente, die zu groß für den Drucker sind, modelliert Behncke auf einer dreiachsigen CNC-Fräse.
Im Anschluss beginnt die klassische Modellbauarbeit: schleifen, lackieren und polieren. Darüber hinaus muss Behncke viele Details aus unterschiedlichen Materialien bauen, Decksbeläge aufbringen oder Teakbereiche mit Holzfurnier belegen. Kleine Edelstahlteile lässt Behncke lasern, Goldschmiedearbeiten macht er selbst.
Zurück nach Schwanewede. Jürgen Oltmann arbeitet am liebsten mit afrikanischem Abachiholz. Das ist gut zu verarbeiten und relativ leicht. Auf Wunsch imitiert er aber auch die Farben eines GFK-Schiffes. Das lässt sich dank des erwähnten Schichtsystems mittels verschiedener Hölzer bewerkstelligen. Beispielsweise verwendet er Ahornholz, um ein helles Oberwasserschiff nachzuempfinden. Für den schwarzen Wasserpass ist Wenge geeignet, und ein rotes Unterwasserschiff wird in Mahagoni ausgeführt. Möchte ein Kunde indes eine originalgetreue Farbgebung des Modells, greift Oltmann auch mal zu Pinsel und Lack.
Die Geschichte des Modellbootsbaus reicht weit zurück. Bereits 1525 legten Schiffsbaumeister in Venedig maßstabsgetreue Halbmodelle ihrer Entwürfe vor, und ab 1670 wurden diese in Dänemark sogar per Dekret gefordert. Gerade für neue Schiffskonstruktionen waren die Blockmodelle hilfreich, um die äußere Rumpfform festzulegen. Wenn Kunde und Werft übereinkamen, hatte man eine Vorlage. Um an die Spantenform zu gelangen, wurde das Modell danach einfach an den entsprechenden Stellen durchgesägt und der Querschnitt auf Papier übertragen. Auf dem Schnürboden folgte die Vergrößerung auf den 1:1-Maßstab.
„Anschließend ging es in den Wald, um sich passende Hölzer zusammenzusuchen. Das muss ich bei meinen Modellen zum Glück nicht machen“, schmunzelt Oltmann und schaut dabei versonnen durch das Werkstattfenster hinaus in den verschneiten Garten.
Die US-amerikanische Konstrukteurslegende Nathanael Herreshoff (1848–1938) setzte im Yachtbau noch auf Halbmodelle, als sich schon längst Konstruktionszeichnungen als Vorlage durchgesetzt hatten. Der „Zauberer von Bristol“ konnte bei seiner Arbeit mit Zeichnungen nicht viel anfangen. Er setzte konsequent auf seine eigenhändig geschaffenen Halbmodelle, von denen er rund 500 angefertigt haben soll. Unter den unzähligen Schiffen, die Herreshoff entwarf, waren legendäre Rennyachten wie „Defender“ oder „Columbia“, die den America’s Cup zwischen 1893 und 1920 dominierten.
Oltmann hat bisher summa summarum rund 1.000 Modelle angefertigt – eine Menge Holz! Seit dem Start seiner Internetseite im Jahr 2000 – ganz ohne digitale Hilfsmittel geht es auch für ihn nicht mehr – habe sich sein Kundenkreis aus „der Norddeutschen Tiefebene bis in die weite Welt vergrößert“, so der Modellbaukünstler. Einige seiner Unikate schmücken sogar Büros und Wohnzimmer in den Vereinigten Staaten, Japan oder gar Tasmanien. Die Konkurrenz ist rar.
Mit seiner Modellbaukunst hat es Oltmann sogar in die Künstlersozialkasse geschafft, dem Sozialversicherungssystem für Freischaffende, das strenge Anforderungen an eine Mitgliedschaft stellt. Die musste er sich allerdings erst vor dem Sozialgericht erstreiten. Sein Vorteil: Der Richter sei derart begeistert von dem gezeigten Halbmodell gewesen, dass er ihm den Weg in die Sozialkasse geebnet habe. Dieses unverkäufliche Modell hängt noch heute in Oltmanns kleinem Showroom, gemeinsam mit Dutzenden anderer Unikate.
Auch für den Holzkünstler sind Konstruktionszeichnungen die wichtigste Voraussetzung für seine Arbeit. Die findet er in alten Büchern, YACHT-Ausgaben oder im Internet. Kopien und Ausdrucke archiviert er in Aktenordnern und auf Papierrollen. Lassen sich partout keine Pläne für eine Yacht finden, dann müssen ähnliche Modelle und Fotos zu Hilfe genommen werden, um Deckslayoutpläne, Seitenansichten und Spantenrisse anzufertigen.
Die Preise für die Liebhaberobjekte sind Verhandlungssache, da es sich stets um Unikate handelt. Orientieren können sich Interessierte allenfalls an einem Richtwert: „Bis Oberkante Deck kann man mit zehn Euro pro Zentimeter Modelllänge rechnen“, verrät der Meister. „Wenn das Deckslayout mitgestaltet wird, mit Elementen wie Kajüte, Süll, Maststummel oder Fenster, dann erhöht sich der Zentimeterpreis auf etwa 15 Euro.“ Die Preisspanne liege entsprechend zwischen 250 und 1.500 Euro.
Bei Behncke fließen im Privatkundenbereich 200 bis 300 Arbeitsstunden in ein Modell ein. Auch Superyachten bietet der gelernte Koch an. Dafür kommen dann locker auch mal 600 Stunden zusammen. Davon entfallen jeweils 100 Stunden auf die CAD-Programmierung, das Fräsen und den Druck, danach folgen weitere 300 Stunden filigrane Handarbeit. Das alles kostet.
Für seine Miniaturyachten veranschlagt Behncke rund 100 Euro pro Zentimeter Modelllänge. Das ist das Zehnfache dessen, was Kollege Oltmann für seine Halbmodelle verlangt. Kein Wunder, dass der 51-jährige Digitalspezialist sich mittlerweile auf den Superyacht-Markt konzentriert. Er bedient vornehmlich Konstrukteur- und Designbüros sowie Werften, die mit den Mini-Megayachten Werbung machen.
In diesem Bereich gibt es tatsächlich Konkurrenz im Ausland. Ein italienischer Großbetrieb hat sich etwa auf Luxus- und Megayachten spezialisiert. Behncke ficht das nicht an. Sein Vorteil: die Nähe zu den namhaften Werften in Norddeutschland wie Lürssen oder Abeking & Rasmussen.
Regelmäßig soll er beispielsweise deren Modelle warten oder instand setzen, wenn sie nach Messeeinsätzen verschmutzt oder beschädigt zurückkommen. Es sei vorgekommen, dass Messebesucher in ein Modell gestürzt seien, berichtet Behncke. Auch durch unsachgemäße Aufbewahrung würden sie in Mitleidenschaft gezogen. „Werden Modelle etwa in Dubai interessierten Scheichen vorgeführt, dringt schon mal Wüstensand ein. An der Côte d’Azur hingegen, wo tagsüber die Sonne auf die Glasvitrinen knallt und es sich nachts abkühlt, entsteht Kondensat. Das kann zu Korrosion an einzelnen Bauteilen führen.“
Privatkunden machen sich bei Behncke dagegen rar, der Preis schrecke viele Interessenten ab. „Einmal hat die Familie für einen Eigner zusammengelegt, der sein geliebtes Boot altersbedingt abtreten musste“, weiß der Modellbauer zu berichten. „Allerdings reichte das Geld nicht aus, sodass der Beschenkte selbst noch fast die Hälfte dazugab.“ Auf diese Weise habe der Mann dann aber wenigstens noch bei der Ausgestaltung des Modells mitreden können. Das nennt man Kundenorientierung.
Mit großer Leidenschaft und Akribie behaupten sich Jürgen Oltmann und Gunnar Behncke in ihrer Nische. Beide kennen und schätzen sich sowie ihren analogen beziehungsweise digitalen Ansatz der Modellbaukunst. Am Ende muss jeder Kunde selbst entscheiden, welche Art der Miniatur ihn mehr begeistert.