Nur wenn „Damenwind“ war – WS 0–2 – wagten sie sich an Bord, bewaffnet mit Sonnenschirm und Filet-Halbhandschuhen, aus Angst vor Sommersprossen. Sie fanden es „himmlisch“, wenigstens bis die Verlobung perfekt war. Danach allerdings hieß es: „Nicht wahr, Schatzi, nun brauche ich nicht mehr mit auf das ,grässliche‘ Segelschiff?“ So geschehen in meinem Heimathafen Wannsee, anno 1879. In dieser prähistorischen Zeit lag nicht nur ich selbst, sondern auch der Berliner Segelsport noch in den Windeln.
Jedoch auf ihre Art protegierten die damaligen Seglergattinnen den Sport, indem sie die Namen der Boote in riesigen Buchstaben auf metergroße Flaggen (sie nannten sie „Fahnen“) stickten, die dann als weithin lesbare Visitenkarte während der Wettfahrt von der Nock der Gaffel flatterte und ein Programm überflüssig machte. Nach der Regatta überreichte die prominenteste Gattin mit huldreichem Lächeln den Siegern die Preise. Meist waren dies Frühstückskörbe. Außerdem förderten sie den Sport durch Bereitstellen des nötigen Proviants.
So war es noch 1895, als mit einer glanzvollen Kieler Woche der Nord-Ostsee-Kanal eröffnet wurde, wozu der Norddeutsche Regattaverein den Salondampfer „Peregrine“ für seine Mitglieder als Hotelschiff gechartert hatte. An Bord war die Crème der Hamburger Gesellschaft, unter anderem die Damen der Familie Wentzel. Eine von ihnen war die jungverheiratete Frau Richard Krogmann. Die Hamburger Damen waren sehr interessiert an der Regatta, natürlich nur vom Begleitdampfer aus. Mitsegeln? Undenkbar!
Eine einzige Ausnahme gab es, die war aus Hannover, Gattin des Admirals a. D. Rittmeyer. Sie steuerte besser als ihr Mann und schlug meinen Vater auf dessen später so berühmt gewordener „Luna“. Eigentlich war es unzulässig, dass eine Dame während einer Wettfahrt das Ruder hatte, denn die deutschen Vereine nahmen keine weiblichen Mitglieder auf, bis auf den ältesten Klub, den Königsberger „Rhe“. Dort soll’s damals schon segelnde Damen gegeben haben.
Natürlich waren auch alle Klubfestlichkeiten ausschließlich männliche Angelegenheit. Wenn der Kaiserliche Yacht-Club eine Geschwaderfahrt mit anschließendem Essen nach Eckernförde machte, mussten die mitgekommenen Damen für sich an einem Katzentischchen in einem halbdunklen Vorraum essen. Dabei stand gerade auf der Yachtliste dieses Vereins an erster Stelle ein Fahrzeug, das einer Frau gehörte: die „Iduna“ der deutschen Kaiserin. Sie ist manchmal damit gesegelt und stand Pate bei den Töchtern ihres Segeloffiziers v. Karpf.
Von 1908 an veranstaltete der Verein Seglerhaus am Wannsee interne Wettfahrten für seine Damen. Doch war dies eine harmlose Angelegenheit, bei der die männlichen Souffleure das Beste taten. Aber die Entwicklung war doch nicht mehr aufzuhalten.
Auf vielen seegehenden Fahrtenkreuzern gehörten schon Damen zur Crew, allerdings in der bescheidenen Stellung eines Smutje. Ganz so bequem wie zu Haus war das Kochen an Bord nicht, wenn die Luken dicht waren, das Boot rollte und schlingerte, die Suppe aus dem Topf lief und der Primus trotz allen Pumpens mehr stank als brannte. Manche Gattin fand denn auch, dies Vergnügen sei kein Vergnügen, und blieb zu Haus. Weil aber die meisten Männer nur ungern auf weibliche Gesellschaft verzichten, geschah es, dass man in abgelegenen Häfen einen guten Bekannten traf in Begleitung eines „Fräulein Gemahlin“. Ja, dies war so üblich, dass ich in Skandinavien gelegentlich für das Verhältnis meines Kapitäns gehalten wurde. Wenn er auf eine derartige Andeutung hin erklärte: „Erlauben Sie! Das ist meine Frau!“, lachte man gemütlich: „Ach, das sagen die Deutschen immer!“
Das änderte sich, als wir nach dem ersten Weltkrieg nicht nur das Wahlrecht kriegten, den Bubikopf und die Segelhose, sondern auch nach und nach die Mitgliedschaft in den meisten Segelvereinen. Endlich waren wir auf dem Wasser gleichberechtigt!
Die berühmteste Seglerin der Nachkriegszeit war eine Französin, Madame Hériot, die das ganze Jahr hindurch von einem europäischen Regattaplatz zum anderen zog und alle großen Preise machte. Sie hatte sich als Wohnschiff den letzten „Meteor“ des Kaisers gekauft und wunderhübsch eingerichtet. Während der Regatten in Sandhamn brachte ihr ein Extra-Flugzeug aus Stockholm täglich frische Blumen zur Ausschmückung ihrer Räume. Sie selbst, obwohl sehr reich, war äußerst einfach und dachte an nichts als Segeln. Aus Amerika kam mit einem amerikanischen Team eine junge Miss Hovey zu einem deutsch-amerikanischen Länderkampf; sie war der beste Rudergänger ihres Teams.
Auch in Deutschland erwuchsen tüchtige Rennseglerinnen, u. a. die sympathische Frau Müller, Steinhude, die mit ihrer Nationalen Jolle „Meerkatze“ gegen schwerste Konkurrenz Siegerin im Hamburger Senatspreis wurde. Gute Erfolge hatte durch Jahre die junge Annemarie Graßmann mit ihren Schärenkreuzern „Swonk“ und „Helios“. Die Bilder dieser bekannten Renngrößen gingen durch alle illustrierten Blätter, dafür sorgte ich als Berichterstatterin schon aus weiblicher Solidarität.
Von der Öffentlichkeit unbeachtet, tummelten sich außerdem auf ihren größeren oder kleinen Fahrtenkreuzern begeisterte Seglerinnen. Meist waren dies Frauen, denen das Schicksal Mann und Kinder versagt hatte und die Ersatz fanden in ihrem geliebten Boot. Wie sieht aber auch solch Damenschifflein aus? Innen und außen ein Schmuckkästchen, denn die meisten Eignerinnen kalfatern und spachteln, malen und lackieren selbst, weil es ihnen kein anderer sorgfältig genug macht. Sie machen kein Aufhebens, aber es sind mehr als man glaubt, und jeder Klub kann auf diese Mitglieder stolz sein.
Segelnde Frauen! Kann man sich heute einen Klub, einen Bootssteg, eine Festlichkeit vorstellen, ohne die lustig bunten Gestalten? Ausgezeichnete Rudergänger, Vorschotleute und Smutjes sind darunter, binnen sowohl als auf See. Aber leider – eines Tages sieht man die bisher so begeisterte Seglerin nicht mehr. Warum? Weil „Er“– der Mann, der Kapitän – aus irgendeinem Grund den Sport aufgegeben hat. Lass sie laufen! Das sind Nachkommen der „Seglerinnen“ von 1879. Aber schon wächst ein neues Geschlecht heran. Hörte ich da neulich ein junges Ding sagen – Führerschein, obgleich erst 16, aber Seglerblut in der vierten Generation: „Ich heirate mal nur einen, der segelt, denn ich will dabei bleiben!“
Die gebürtige Berlinerin (1879–1970) wuchs als Tochter eines begeisterten Seglers am Wannsee auf, verbrachte jede freie Minute auf dem Wasser und erlebte die Anfänge des Sports hautnah. Sie heiratete ein Gründungsmitglied des Berliner ASV und segelte mit ihm anspruchsvolle Seereisen. Nach dessen Tod 1928 wurde Bruns die erste deutsche Segelsportreporterin und schrieb viele Jahre für die YACHT. Bruns segelte bis an ihr Lebensende.
Der Rückblick “Damensegeln” ist in der aktuellen Ausgabe der YACHT classic erschienen, die seit dem 21. Mai im Handel ist (hier erhältlich). Abonnenten der YACHT bekommen das Heft gratis nach Hause geliefert. Lesen Sie außerdem darin das Porträt des Werftgründers Henry Rasmussen, die Geschichte der „Nordwest“ und lassen Sie in Fotos von Nico Krauss die Classic Week 2024 Revue passieren.