Vendée Globe„Traut euch!“. Solo-Weltumseglerin Isabelle Joschke im Interview

Tatjana Pokorny

 · 08.03.2024

Isabelle Joschke
Foto: Emanuelle Delteil/Emma Production
Die Deutsch-Französin Isabelle Joschke nimmt mit altem Boot, neuem Mut und kreativer Vorbereitung Kurs auf ihre zweite Teilnahme an der Solo-Weltumsegelung Vendée Globe

Geboren in München, das Abitur in Freiburg gemacht, in Paris studiert und in der Bretagne zu Hause: Die 47-jährige Isabelle Joschke, Tochter einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters, lebt in der Seglerwiege Lorient, hat aber starke deutsche Wurzeln. Sie bereitet sich wie Boris Herrmann auf ihre zweite Teilnahme an der Vendée Globe vor. Die erste war nach Bruch der Kielaufhängung im Höllensturm zur Odyssee geworden. Nach einem Reparaturstopp hatte die „Macsf“-Skipperin ihre Vendée-Globe-Premiere außerhalb des Klassements aber zu Ende gebracht. Dieses Mal will sie mehr, wenn am 10. November der Startschuss zur 10. Vendée Globe fällt.

Isabelle, du hast das Jahr 2023 mit einem mächtigen Motivationsschub beendet, bist bei der Retour à La Base, der Rückregatta des Transat Jacques Vabre, als Neunte ins Ziel gekommen. Was sagt dir diese Top-Ten-Platzierung fürs bereits angebrochene Vendée-Globe-Startjahr?

Die gute Platzierung beim letzten Rennen der Saison, der Retour à La Base, hat mich total entspannt. Ich bin mit viel Selbstvertrauen und guter Sicherheit ins neue Jahr gestartet. Das liegt auch an der gesicherten Qualifikation für die Vendée Globe. Da war ich vor vier Jahren in einer viel schwierigeren Situation. Das war zu spannend für mich.

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Dein Boot mit Baujahr 2007 ist eines der ältesten in der Flotte. Umso höher waren deine Leistungen zuletzt einzuschätzen. Wo ordnest du dich in die Konkurrenz ein?

Ich stehe mit „Macsf“ in der Generation von Arnaud Boissières „La Mie Câline“, Pip Hares „Medallia“, Giancarlo Pedotes „Prysmanian Group“ und auch Romain Attanasios „Fortinet – Best Western“. Das ist Boris Herrmanns frühere „Seaexplorer“. Am nächsten bin ich „La Mie Câline“. Die Boote sind jünger und schneller als meins. Mein theoretischer Platz ist vielleicht der des letzten Foilers gleich dahinter – und vor den Non-Foilern.

Bei der Retour à La Base hast du sie alle geschlagen. Wie geht das mit einem auf dem Papier langsameren Boot?

Bei der Retour à La Base gab es viele schnellere Boote, die nach mir ins Ziel gekommen sind. Ich kam als Neunte an. Darauf war ich sehr stolz! Mein Boot ist gut gepflegt. Wir arbeiten hart daran. Das ist das wichtigste Ziel unseres Teams. Dazu kommt, dass ich mein Boot sehr gut kenne. Es ist nicht das schnellste, aber ich kann hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten erreichen. Meine Stärke resultiert nicht unbedingt aus dem Boot, sondern aus meiner Erfahrung. Nehmen wir Pips „Medallia“: Die ist unheimlich schnell geworden, hat seit 2023 auch größere Foils. Aber ich war trotzdem schneller. Auch Romain ist mit dem alten Boot von Boris schneller als ich. Es ist von 2015. Dennoch habe ich ihn geschlagen.

Was bedeutet das für deine Aussichten in der zehnten Auflage der Vendée Globe, die am 10. November beginnt?

Natürlich glaube ich deshalb nicht, dass ich die Vendée Globe gewinnen kann. Aber ich habe gesehen, dass ich es in die Top Ten schaffen kann. Das ist mein Ziel. Ich weiß, dass ich vor Pip und Romain ins Ziel kommen kann. Ich kann trotz des hohen Alters meines Bootes ein gutes Ergebnis erzielen.

Du hast nach deiner Vendée-Globe-Premiere länger gezögert, bis du dich für den zweiten Anlauf entschieden hast. Was hat den Ausschlag für eine zweite Solotour um die Welt gegeben, nachdem du in Runde eins auf so dramatische Weise ausgeschieden bist?

Es hat bei mir lange gedauert, bis ich den richtigen Sinn wiedergefunden habe. Meine erste Teilnahme war logisch. Ich wollte das schon lange machen. Die Vendée Globe ist ein unheimlich großes Abenteuer. Für Segler einfach der Everest. Das willst du machen. Am Ende war ich froh, es gemacht zu haben, aber es war sehr schwer. Ich habe während des Rennens sehr gelitten. Das hatte ich nicht erwartet.

Was hattest du erwartet?

Ich hatte gedacht, dass ich eine starke Persönlichkeit bin, die alles meistern kann. Dass ich es ohne Probleme durchbringe. Für die kommende Vendée Globe hatte ich eine Deadline, zu der ich entscheiden musste, weil mein Sponsor eine Antwort brauchte. Als ich mich dafür entschieden habe, war ich noch nicht sicher, ob ich den Sinn darin wirklich wiederfinde. Inzwischen sind ein paar Jahre vergangen, und es hat sich viel zum Positiven verändert. Ich freue mich sehr auf die zweite Teilnahme!

Was hat diese Wende bei dir verursacht?

Die guten Ergebnisse zuletzt sind das eine. Ich bereite mich aber auch anders vor. Natürlich physisch, vor allem aber mental, sodass ich besser durch Schwierigkeiten komme. Ich habe verschiedene Techniken wie Hypnose, die ich sehr gut geübt habe. Die helfen mir, gut durch schwere Zeiten zu kommen. Jedes Rennen hat Höhen und Tiefen. Das hat sich nicht geändert. Geändert hat sich, wie ich sie erlebe und mit ihnen umgehe. Bei der Retour à La Base habe ich noch einmal stärker experimentiert, weitere Techniken wie Autohypnose ins Segeln reingebracht. Ich hatte mit Autohypnose und Meditation schon Erfahrungen, sie aber nicht beim Segeln angewendet. Bei der Retour à La Base hat das gut geklappt. Dadurch habe ich viel mehr Selbstvertrauen gewonnen.

Dabei warst du kurz vorher nach dem Großsegelriss im Transat Jacques Vabre und dem Neustart sehr spät auf Martinique angekommen, hattest nur fünf Tage Zeit zur Vorbereitung auf die Retour à La Base …

Das war sehr wenig. Auch war ich sehr schlank. Für mich sind 55 Kilogramm gut. Ich hatte nur noch etwa 50 Kilogramm und war müde. Da fehlen dann Energie und Stärke beim Segelhochziehen und bei anderen Aufgaben. Trotzdem habe ich mir gesagt, dass ich das Beste daraus machen werde. Ich wollte einfach nur ankommen und die Meilen für die Vendée-Globe-Qualifikation haben. Auf diese Weise habe ich mir selbst den Druck genommen, bin von Anfang bis Ende gut gesegelt. Ich hatte einen sehr guten Start, war am ersten Abend sehr gut in der Flaute und bin immer gut geblieben. Dabei hat mir die Autohypnose geholfen, gute Entscheidungen zu treffen.

Wie funktioniert deine Autohypnose an Bord?

Ich nutze eine einfache Technik: Lege mich hin in meine Koje oder setze mich hin, wenn ich Stress oder Ärger empfinde. Ich mache die Augen zu und konzentriere mich in meinem Inneren auf das, was nicht gut läuft. Diese Hypnose-Technik heißt Einotherapie. Ich versuche, die Situation im Bauch zu spüren. Ich lasse den Prozess durchgehen, die Anspannung ihr Ding machen. Das dauert ein paar Minuten, bis sich der Körper wieder entspannt. Das mache ich zwei, drei Male über etwa zehn Minuten. Ich bin darin inzwischen gut geübt, fühle mich danach wie neu. Vor allem kommt das Selbstvertrauen dadurch zurück.

Helfen dir deine Erfahrungen in diesem Prozess?

Ja. Ist beispielsweise eine Winsch kaputt, kann ich inzwischen positiv darauf fokussieren, dass es ja nur die Winsch und nicht das Boot ist. Ich kann also weitermachen, was gut ist. Ich sehe nicht nur den negativen Aspekt und wie schlecht es weitergehen könnte. Ich sage mir: Okay, ich habe ein Problem, aber auch nur dieses Problem. Wenn man etwas älter ist, stellt man sich Fragen, die man sich nicht stellt, wenn man jünger ist. Die Frage des Sinns. Oder die nach dem Respekt vor sich selbst. Ich habe mich in der Vergangenheit enorm gefordert. Oft zu sehr. Das hat nicht immer gut geklappt. Seit ein paar Jahren habe ich nun im Kopf: Ich muss mich respektieren. Es klingt unglaublich, aber das klappt. Ich respektiere mich und segle heute viel besser als vor 20 Jahren. Man kann weniger Kraft haben, aber viel mehr Energie. Energie kommt neben physischer Stärke durch den mentalen Zustand.

Du steuerst auf die 50 zu und scheinst immer besser zu werden – ein Beweis für die These, dass Segelsport vor allem ein Erfahrungssport ist?

Ja, auf jeden Fall.

Du lebst seit Jahrzehnten in Frankreich, seit 2011 in Lorient. Trotzdem sprichst du noch sehr gut Deutsch …

Ich habe mein Abitur an einem zweisprachigen Gymnasium gemacht. Seitdem lebe ich in Frankreich, spreche dort kaum Deutsch. Ich habe aber im vergangenen Jahr den ganzen Sommer im Kaiserstuhl bei meiner Familie verbracht, dort viel Deutsch gesprochen. Mein Vater ist im September gestorben. Das hat mich persönlich sehr gefordert. Ich war zuletzt sehr müde.

Du wirst auch deshalb in diesem Jahr bis zum Vendée-Globe-Start nicht alle großen Imoca-Rennen bestreiten, um deine Kräfte zu schonen. Beim Imoca-Saisonstart aber bist du dabei?

Ja, ich starte am 28. April beim Transat CIC (Red.: das frühere Ostar, ein 3.500-Seemeilen-Rennen von Lorient nach New York). Das anschließende New York Vendée – Les Sables-d’Olonne lasse ich aus.

Planst du noch weitere Updates für dein fast 17 Jahre altes Boot?

Nicht, um schneller zu werden. Aber beispielsweise optimieren wir noch das Ladesystem für die Batterien. Wir modifizieren die Lichtmaschine. Es sind eigentlich lauter Sachen, die das Boot zuverlässiger machen.

Einige Imoca-Teams haben das vergangene Ocean Race mit Mannschaften bestritten. Das nächste Ocean Race steigt 2026/2027. Davor kommt das Ocean Race Europe 2025. Wäre so eine Mannschaftsherausforderung auch etwas für dich und dein Team?

Das hatte man mir vorgeschlagen. Ich fand es aber zu viel in einem Vendée-Globe-Programm. Ich habe zwischen den beiden Vendée Globes Erholung gebraucht, um meine Energie wiederzufinden und besser zu werden.

Segelst du gern im Team?

Ich bin lieber Soloseglerin, das muss ich schon gestehen. Das hängt an meiner Persönlichkeit. Ich bin gern allein. Wenn ich beispielsweise in die Berge gehe, dann mache ich das mal mit Freunden, aber auch sehr gern allein. Das genieße ich. Ich finde, man ist mehr in seinem Element, wenn man nicht redet. Wenn man einfach zuschaut, zuhört und still bleibt. Ich erlebe Abenteuer lieber solo. Zweihand passt auch zu mir, weil man dabei viel allein ist. Einer schläft ja …

Lebst du privat ähnlich?

Ich habe nicht immer allein gelebt, aber im Moment ist das so. Ich mag auch Zweisamkeit, aber ich würde mich nicht in einer Großfamilie sehen. Ich habe aber einen Bruder, und wir verstehen uns gut.

Was für eine Art Wettkämpferin bist du auf dem Wasser?

Wenn ich segle, dann bin ich viel ehrgeiziger, als ich sage. An Land sage ich immer, das geht schon, mach entspannt. Aber wenn die Regatta beginnt und ich keine gute Platzierung erreiche, dann ärgere ich mich sehr.

Du hast deine Uni-Abschlussarbeit über „Seefahrer in der Antike“ geschrieben. Gibt es einen Unterschied zwischen ihnen damals und euch heute?

Damals mussten sie losfahren. Heute wollen wir losfahren.

Mit der von dir gegründeten Organisation Horizon Mixité setzt du dich für Geschlechtergleichheit ein. An der Startlinie der kommenden Vendée Globe werden voraussichtlich 34 Männer und sechs Frauen aufkreuzen. Ist das gut oder schlecht?

Das geht überhaupt nicht! Ich fände es normal, wenn so viele Frauen wie Männer segeln würden. Dafür braucht es noch sehr, sehr viel Arbeit. 2023 hat gezeigt, wie wenig die Ausgeglichenheit entwickelt ist. Wenn ich das mal auf ein Bild reduziere, dann sind wir noch im Mittelalter.

Liegt das an den Männern oder an den Frauen?

Es ist nicht so, dass Männer die Frauen nicht reinlassen. Nein, gar nicht. Es ist aber auch nicht so, dass Frauen das genetisch nicht machen wollen. Es gibt viele Theorien dazu. Für mich beginnt alles zu Hause und in der Schule. Dort muss selbstverständlich sein und gezeigt und gesagt werden, dass Frauen Power haben. Wir sind ehrgeizig, haben Kraft und Lust zu gewinnen. So sollten Kinder erzogen werden, aber das ist oft nicht der Fall. Viele Frauen würden gern, trauen sich aber nicht.

Dein Motto?

Traut euch!


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