Das Klassenzimmer der künftigen Bootsbauer erinnert nur entfernt an eine gewöhnliche Schule. Am Lehrerpult hat Matthias Krueger Konstruktionspläne einer Segelyacht ausgebreitet, neben ihm steht ein Schüler, schaut ihm über die Schulter, während sie über den Innenausbau der 13 Meter langen Yacht diskutieren.
Schauplatz des Geschehens ist die Landesberufsschule für Bootsbauer der Handwerkskammer Lübeck auf dem Priwall in Travemünde. Eine Einrichtung mit weit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntem Ruf. Denn hier bekommen Bootsbau-Azubis aus dem ganzen Bundesgebiet ihre theoretische Ausbildung.
Auf einem der hinteren Plätze sitzt Giovanni Capizzi. Der 20-jährige Auszubildende lernt im Betrieb Werner Kahl – die Ruderwerkstatt im hessischen Wetzlar. Auf dem Schrank der direkt neben ihm steht, liegt das rote Modell eines Ruderbootes.
Heute schwitzt Capizzi über einer ungewohnten Aufgabe. Über die gleichen Konstruktionspläne gebeugt wie sein Lehrer sagt er:
Ich muss herausfinden, wie ich ein Waschbecken da reinbekomme“
Gemeinsam mit dem Sitznachbarn steht er vor der Aufgabe, die Konstruktion in ein CAD-Programm zu übertragen.
Am anderen Ende des Klassenzimmers sitzt Franziska Gattinger. „Das Coole für mich ist, dass die Übung sehr praxisnah ist. Solche Projekte haben wir in meinem Ausbildungsbetrieb am Ammersee nämlich öfter“, erzählt sie. „Demnächst steht für uns ein ganz ähnliches Projekt an wie hier in der Zeichnung.“ Dann wird sie aber nicht mit der Konstruktion, sondern mit der handwerklichen Umsetzung betraut sein.
Hier ist es andersherum. Die Schüler sollten den Innenausbau erst mit dem Stift und einem Geodreieck auf Papier zeichnen. „Jetzt wurden wir in Gruppen eingeteilt und übertragen jeder einen Raum ins Programm. Am Freitag sollen dann die Konstruktionen unserer Gruppe zusammenwachsen“, so Gattinger.
Wie sie auf die Ausbildung zur Bootsbauerin gekommen sei? Die heute 22-Jährige erinnert sich:
Nachdem das Schiff meiner Familie auf den Grund des Ammersees gesunken ist, habe ich meinen Vater bei der Restaurierung unterstützt“
Dabei habe sie so viel Spaß gehabt, dass sie dabeigeblieben sei.
Über ihre bisherige Ausbildung sagt die angehende Bootsbauerin: „Am Anfang bekommt man natürlich viele Hilfsjobs zugewiesen, mit der Zeit wird einem dann immer mehr zugetraut, und jetzt im dritten Lehrjahr hat man an einigen Stellen auch schon echt viel Verantwortung.“
Nach der Ausbildung plane sie erst mal eine Zeit für „Work & Travel“ ein, in der sie die Arbeit als Bootsbauerin in anderen Ländern kennenlernen möchte.
Ihr Berufsschullehrer Matthias Krueger sagt dazu:
Der Bootsbau als Handwerk hat eine internationale Ausrichtung“
Neben dem Unterricht sind diverse internationale Projekte sowie das Ermöglichen von Auslandspraktika sein Steckenpferd.
In Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Lübeck betreut er unter anderem das Erasmus-Angebot : „Es wird von der Europäischen Union gefördert und ermöglicht den Bootsbauern, bis ein Jahr nach Beendigung ihrer Ausbildung Erfahrungen im EU-Ausland zu sammeln“, so Krueger. Aber es gebe auch andere Wege für die Schüler, im Ausland arbeiten zu können.
„Viele Firmen stellen ihre Auszubildenden für ein Auslandspraktikum frei, was ihre Attraktivität als Ausbildungsbetrieb steigert. Wenn der Lehrling einen Teil seines Überstundenkontingents und die Schule ein paar Tage dazugeben, kann ein Praktikum von vier bis sechs Wochen in Finnland, Norwegen, Frankreich oder Spanien durchgeführt werden“, so Krueger. „Ich denke, das Arbeiten im Ausland ist eine spannende Chance für die Schüler, sich fachlich und auch persönlich weiterzuentwickeln.“
Krueger möchte sein Handwerk für die Auszubildenen erlebbar machen. Er selbst ist ein Freund des klassischen Bootsbaus. Deshalb führt er in jedem Jahr eine Projektfahrt auf die dänische Insel Strynø durch. Die liegt im Inselmeer südlich von Fünen. „Dort arbeiten wir im Smakkecenter eine Woche lang in traditionellen Techniken an Smakkejollen, gehen segeln und manche sogar surfen!“, berichtet Krüger begeistert. „Auf der Fahrt lernen sich Lehrer und Schüler noch mal von einer ganz anderen Seite kennen.“
Während es für manche Schüler völliges Neuland ist, die CAD-Zeichnungen zu erstellen, fällt es dem 24-jährigen Daniel Campbell leicht. Der gebürtige Heidelberger ist zur Hälfte Engländer und absolviert seine Ausbildung aber in der Yachtwerft Klemens in Großenbrode.
„Wir sind im Grunde eine klassische Service-Werft“, erzählt Campbell. Das Segeln wurde ihm von Vater und Großvater in die Wiege gelegt. „Nach der Ausbildung würde ich gerne nach Frankreich und England reisen, um mir anzusehen, wie der Bootsbau da funktioniert“, sagt er über seine Pläne für die Zukunft.
Hier im Berufsschulunterricht habe er bei der Anwendung der Computerprogramme festgestellt, dass es ihm viel Spaß macht, dabei Lösungen für verschiedenste Probleme zu finden. „Deshalb kann ich mir gut vorstellen, hinterher zu studieren, beispielsweise Schiffbau in Kiel.“
In einem benachbarten Klassenraum verbringt Simon Büdel gerade seine Pause. Er ist 20 Jahre alt und Auszubildener bei Next Generation Boating in Hamburg. In dem Bootsbauunternehmen der beiden jungen Hochsee-Segelprofis Melwin Fink und Lennart Burke arbeitet Bündel fast ausschließlich an High-Performance-Booten.
„Bei uns im Betrieb muss man schon sehr flexibel sein. Es kann passieren, dass man abends angerufen wird und eine Stunde später im Zug nach Paris sitzt, sofern man Zeit hat“, erzählt Bündel. „Zuletzt war ich für Reparaturen auf Malta und Korfu“, schwärmt der aus dem Schwarzwald stammende Bootsbaulehrling.
Im Werftbereich der Firma, die auch einen Segelmacher zu ihren Mitarbeitern zählt, gibt es neben den beiden Geschäftsführern einen Meister, einen Gesellen und einen weiteren Auszubildenen, der im kommenden Jahr fertig wird und dann übernommen werden soll.
Vor der Pause hatten Bündel und seine Schulkameraden Unterricht im Bedienen eines Krans.
Vor Beginn der Lehre entscheiden sich die Auszubildenen, welchen Weg sie nach der Zwischenprüfung einschlagen wollen.
Sie können sich dabei auf die Fachrichtung Neu-, Aus- und Umbau spezialisieren, oder auf Yachttechnik, was sich zunehmender Beliebtheit erfreut.
„Ich kann mir gut vorstellen, dass es in ferner Zukunft irgendwann ein ausgeglichenes Niveau zwischen den Fachrichtungen gibt“, wagt Krüger einen Blick in die Glaskugel. Momentan sei aber nur jeweils eine der fünf Berufsschulklassen auf Yachttechnik spezialisiert.
„Für die Yachttechniker bekommen wir demnächst von Mercury fünf neue Motoren, die den Schülern als praktisches Lernmittel dienen sollen“, erzählt Christian Garleff beim Gang durch die Hallen.
Der 61-jährige Studiendirektor ist der Abteilungsleiter der maritimen Berufe an der Schule. Dementsprechend ist er neben den Bootsbau-Azubis auch für die angehenden Segelmacher verantwortlich. Die Jahrgänge sind allerdings nur einzügig. Da es sich bei der Berufsschule der Handwerkskammer Lübeck in der Hansestadt Lübeck um eine bundesoffene Berufsschule handelt, reisen die Schüler zu ihren vierwöchigen Unterrichtsblöcken aus der ganzen Republik an. Deshalb gibt es auf dem Gelände ein Internatsgebäude mit rund 400 Betten.
Einige der Auszubildenen leben während der Blöcke hier, so auch Antonia und Dana. Die beiden sind die einzigen Frauen in der Klasse des zweiten Lehrjahres.
Während die 20-jährige Antonia ihre Ausbildung bei der Yachtwerft Greifswald absolviert, ist ihre 19-jährige Zimmergenossin bei Hanseyachts angestellt. Die beiden teilen sich ihr Internatszimmer vier Wochen lang mit einer weiteren Schülerin. Das Zimmer hat neben einigem Stauraum in Kleiderschränken, der den beiden kaum auszureichen scheint, zwei Waschbecken. Daneben gibt es noch einen Schreibtisch. Viel Platz für die Privatsphäre gibt es hingegen nicht.
„Im Sommer gehen wir oft an den Strand, am Lagerfeuer treffen wir nicht nur die anderen Bootsbauer, sondern auch viele der Internatsschüler aus den anderen Gewerken“, erzählt Antonia. Und Dana ergänzt : „Oder wir gehen segeln.“
Dass viele seiner Berufsschüler segeln, erzählt auch Matthias Krüger und ergänzt, dass manche zu den Berufsschulblöcken sogar auf eigenem Kiel anreisten. „Die machen dann im Passathafen fest“, erklärt er.
Damit sich die Anreise zu den Berufsschulblöcken auch wirklich lohnt, finden direkt neben den Unterrichtsräumen die Module der überbetrieblichen Ausbildung statt. In einer geräumigen Halle arbeiten die Schüler der Klasse an verschiedenen Stationen.
Das Thema ist Holzbootsbau. Überall in dem luftigen Raum wird gesägt, gehobelt und getackert. Dabei entstehen an manchen Stationen ganze Rümpfe; dort, wo es um komplexere Arbeitsschritte geht, wird nur an einem Rumpfteil gearbeitet.
„Das Ziel für die Schüler in der überbetrieblichen Ausbildung ist nicht, das Werkstück fertig zu bauen. Es geht vielmehr darum, vor einem Problem zu stehen und dafür eine Lösung zu finden“, erklärt Tim Bergmann. Er ist Bootsbaumeister und als Ausbilder bei der Handwerkskammer Lübeck angestellt.
Durch die Eigenverantwortlichkeit der Schüler bei der Lösungsfindung würden sie viel mitnehmen, außerdem sei in der überbetrieblichen Ausbildung mehr Platz für Fehler als im wirtschaftenden Ausbildungsbetrieb, sagt er.
Die Unterrichtsinhalte werden zwischen der Berufsschule und der überbetrieblichen Ausbildung so aufeinander abgestimmt, dass die Schüler im besten Fall das zuvor theoretisch erarbeitete Wissen in die Praxis umsetzen. Die Module der überbetrieblichen Ausbildung dienen Bergmann zufolge dazu, „die Unterschiede zwischen den diversen Ausbildungsbetrieben auszugleichen“. Dort wird beispielsweise auch den Lehrlingen einer klassischen Holzbootwerft nähergebracht, wie der moderne GFK-Bootsbau funktioniert.
Wir wollen den Auszubildenen Wissen vermitteln, mit dem sie als Lehrling im Betrieb vielleicht gar nicht in Berührung kommen“, so Bergmann.
Dafür benötigten sie in den Lehrgängen auch keine Leistungskontrollen. Wichtiger sei ihm das Gefühl, dass die Schüler gerne bei ihnen in den Kursen seien.
Auf dem Nachbargrundstück der Landesberufsschule residiert die Seemannsschule. Und auch dort finden Unterrichtseinheiten für die Auszubildenden statt.
Am Kran auf dem Seemannsschulgelände etwa steht heute Berufsschullehrer Ole Klostermann mit einigen Schülern und gibt praktische Einweisungen, verbunden mit theoretischem Unterricht.
„Halt mal kurz an! Welche Kräfte wirken beim Schwenken auf den Haken?“, fragt er etwa. „Fliehkräfte“, antwortet der Schüler.
„Hier haben die Schüler die Möglichkeit, den Kranschein zu erlangen“, erläutert Klostermann. Die Praxis am Kran wird in Gruppen von jeweils drei Schülern geübt.
Während der Übung prasselt der Regen auf die Helme der Beteiligten. Das Wasser erschwert das Gucken nach dem Kranhaken. Nach einer kurzen Übungsphase ohne Aufgabe sollen die Schüler den Haken ohne Berührung zwischen zwei schwarz-gelben Geländerstangen ablassen. Zuvor hatten sich Kranführer und Einweiser auf verschiedene Gestiken zur nonverbalen Kommunikation verständigt.
Werner Feyerabend, der stellvertretende Schulleiter der Berufsschule auf dem Priwall, schätzt, dass dort rund 90 Prozent der deutschen Bootsbau-Auszubildenen beschult werden.
„Wir haben knapp 450 Schüler auf die vier Jahrgänge verteilt“, ergänzt Christian Garleff. Die Ausbildung dauert normalerweise 3,5 Jahre, Abiturienten können sie aber verkürzen. Tatsächlich erzählt Garleff, dass die Quote im Bootsbau an der Schule bei über 50 Prozent Abiturienten liege.
Nach langer Unsicherheit über die Zukunft wird die Trägerschaft der Schule voraus sichtlich von der Handwerkskammer Lübeck auf das Land Schleswig-Holstein wechseln, erzählt Feyerabend und führt aus: „Nur die Trägerschaft ändert sich, die Schule wird weiterhin hier auf dem Priwall betrieben. Da ist gar kein Rütteln dran.“
Das Land Schleswig-Holstein habe sich zu Travemünde als Standort schon offiziell bekannt, für die Schüler ändere sich demnach wenig, und für die Unternehmen, die ihre Auszubildenen schicken, gar nichts.
Neben den üblichen Fächern und dem fachspezifischen Unterricht werden den Schülern auf dem Priwall auch Themen wie theoretische Seemannschaft vermittelt.
Dabei geht es zum Beispiel um Knotenkunde oder das Belegen auf einer Klampe. „Aber auch wie man ein Schiff an den Steg manövriert und folgend festmacht, erarbeiten wir mit den Auszubildenen“, erläutert Klostermann und sagt weiter: „Dabei arbeiten wir mit kleinen Modellen verschiedener Stege und Hafenanlagen. Modellbau können wir deshalb auch ganz gut.“ Und sein Kollege Garleff ergänzt : „Die Vielfalt an Möglichkeiten und Chancen für unsere Schüler gibt es nur, weil wir so viele engagierte und motivierte Lehrkräfte haben.“
Er selbst bringt den Schülern, die sich noch nicht so gut auskennen, im Sommer nach seiner eigentlichen Arbeitszeit die praktische Seemannschaft bei. Dazu schmeißt er mit ihnen die Leinen der Bavaria 36 „Apprenticeship“ los.
Die wurde von der Bauwerft zur Verfügung gestellt, um praktische Ausbildung durchführen zu können. Dafür braucht es aber auch verschiedene Partner, wie beispielsweise Volvo Penta, Von der Linden und Elvström Sails. Generell hat die Landesberufsschule einen großen Unterstützerkreis aus national und international bekannten Unternehmen.
Viele davon sind Mitglied im Förderverein der Schule. Holger Flindt, der Vorsitzender des Vereins und Mitglied der Geschäftsführung von Pantaenius ist, gibt einen Einblick in sein aktuelles Projekt :
Wir haben einen Steg für die Seemannsschule organisiert, dabei ist nur noch die Frage, wie wir das Teil dort vom Transporter gehoben bekommen.“
Und so werden, neben dem eigentlichen Unterricht von Matthias Krüger, Ole Klostermann und seinen Kollegen, auch unter einer neuen Trägerschaft in Zukunft viele Schüler von den unterschiedlichen Angeboten der Landesberufsschule auf dem Priwall profitieren können.