RekordversuchCraig Wood startet Solo-Transpazifik als erster dreifach Amputierter

Fabian Boerger

 · 26.03.2025

Craig Wood ist der erste dreifach Amputierte mit Yachtmaster-Lizenz. Mit der Transpazifik- Etappe will er einen Rekord aufstellen.
Foto: GD media
In Afghanistan verlor der Brite Craig Wood beide Beine und eine Hand. Beim Segeln fand der junge Veteran neuen Mut und Zuversicht. Seit nunmehr acht Jahren ist er auf Törn um die Welt. Nun ist der 33-Jährige zu seiner Solo-Passage im mexikanischen Puerto Vallarta gestartet.

Etwa 80 Tage benötigt man, um den Nordpazifik in einem Stück zu überqueren. Während Blauwassersegler südlich des Äquators von Archipel zu Archipel tingeln, sind mögliche Zwischenstopps auf der Nordhalbkugel deutlich rarer. Kurz gesagt: Die 7.000 Seemeilen von der mexikanischen Westküste bis nach Japan stellen hohe Anforderungen an Boot und Crew. Hohe Wellen, starke Stürme oder lange Flauten sind fortwährende Begleiter. Sie erfordern reichlich Mut, Ausdauer und seemännisches Können.

Pazifik-Passage: Solo und nonstop

Umso erstaunlicher ist das Vorhaben des Briten Craig Wood. Er will die mehr als zweieinhalbmonatige Überfahrt solo und nonstop wagen. Das allein wäre eine beachtliche Leistung. Doch damit nicht genug, bestreitet der 33-Jährige den Törn, obwohl ihm eine Hand und beide Beine fehlen.

Mit seiner Soloreise über den Pazifik verfolgt er nicht nur das Ziel, einen Rekord aufzustellen – er wäre der erste dreifach Amputierte, dem dies gelingt. Craig Wood möchte beweisen, was Menschen mit Behinderungen erreichen können. „Viele glauben, dass jemand ohne Beine eine solche Strecke nicht segeln kann. Ich möchte zeigen, dass es möglich ist“, sagt Wood.

Bewertung

Als Soldat nach Afghanistan

Rückblick. April 2009. Kurz nach seinem 18. Geburtstag wird Craig Wood nach Afghanistan entsandt. Er ist schon immer ein abenteuerlustiger Mensch gewesen, erzählt er. Deswegen habe er sich auch bewusst für den Armeedienst entschieden. Er wird Soldat in einer Infanterieeinheit. Es sollte seine Chance sein, die Welt zu bereisen. Dann aber kommt der 30. Juli, der sein Leben auf einen Schlag komplett verändert.

Mit 18 Jahren tritt er einer Infanterieeinheit bei. 2009 schickt man ihn nach Afghanistan.Foto: Craig WoodMit 18 Jahren tritt er einer Infanterieeinheit bei. 2009 schickt man ihn nach Afghanistan.

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Es ist später Nachmittag. Wood ist mit seiner Einheit – acht Männer ähnlichen Alters – auf Patrouille in der Helmand- Provinz im Süden des Landes. Nach einer Weile legen sie einen kurzen Stopp ein, um einen Schluck Wasser zu trinken. Als sie nach fünf Minuten wieder starten, zehn Schritte später, passiert es: Eine sogenannte IED, eine Sprengfalle, explodiert unter Woods Füßen. Einen weißen Blitz habe er vor sich gesehen, sagt er, wenn er von dem Unglück berichtet. Dann sei er zu Boden geschmettert worden. Er habe noch einen Kameraden nach ihm rufen hören. Dann sei Stille über ihn hereingebrochen.

Mehr als vier Jahre Rehabilitation

Erst zwei Wochen später erwacht Wood im Krankenhaus von Birmingham aus dem Koma, in das er aufgrund seiner schweren Verletzungen versetzt worden war. Beide Beine sind amputiert, und seine linke Hand fehlt. Ein Schrapnell hat sein Gesicht schwer verletzt und Granatsplitter Wunden am ganzen Körper verursacht.

Es dauert über sieben Monate, bis er wieder laufen kann. Etwa 20 Operationen sind nötig. Rund vier Jahre verbringt er in Headley Court, einem Rehabilitationszentrum für verletzte Soldaten in Surrey im Süden Englands. „Ich würde sagen, es hat etwa anderthalb Jahre gedauert, bis ich das Geschehene vollständig akzeptiert habe. Von einem 18-Jährigen in seinen besten Jahren wurde ich zu einem Mann im Rollstuhl, und das hatte einen großen Einfluss auf meine Psyche“, sagt Wood in einem Interview mit dem britischen Magazin „Yachting Monthly“.

Segeln - ein fester Bestandteil in Craig Woods Leben

Seine Familie habe ihm in dieser schwierigen Zeit Kraft gegeben, erzählt er. Sie ermutigt ihn, das Beste aus seiner Situation zu machen. Noch während er im Krankenhaus liegt, nimmt sein Vater Kontakt zu einem Trainer des britischen Paralympic- Teams auf. Kurz darauf sitzt Wood mit seinem Rollstuhl in einem Schlauchboot und begleitet die paralympischen Segler beim Training. Es ist ein Wendepunkt in seinem Leben.

Die Initiative des Vaters kommt nicht von ungefähr; schon vor dem Unglück hat der Segelsport einen festen Platz in Woods‘ Leben. Aufgewachsen in Doncaster, östlich von Manchester, lernt er den Umgang mit Pinne und Schot von seinem Vater. Zuerst segelt er im Optimisten vor der Küste von Bridlington, später wechselt er zum Windsurfen.

Vor der Langfahrt, die paralympische Karriere

Heute gebe ihm das Segeln das Gefühl, trotz seiner körperlichen Einschränkungen gleichwertig zu sein, auf Augenhöhe mit anderen Menschen, wie er sagt. „Es ist etwas, das schon vor dem Unfall Teil meines Lebens war.“ 2012 beginnt Wood, in der 2.4mR, einer Bootsklasse für Menschen mit Handicap, Regatten zu segeln. Zwei Jahre später trifft er auf Steve Palmer, der ebenfalls beide Beine verloren hat, und auf den sehbehinderten Liam Cattermole. Gemeinsam segeln sie fortan in der Sonar-Klasse mit dem Ziel, an den Paralympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro teilzunehmen.

In der Sonar-Klasse will er es zu den paralympischen Spielen 2016 schaffen.Foto: Craig WoodIn der Sonar-Klasse will er es zu den paralympischen Spielen 2016 schaffen.

Doch es soll anders kommen. Das Trio verpasst seine Chance auf die Teilnahme, und eine zweite Gelegenheit bleibt den Dreien verwehrt. Kurz vor den Spielen im Jahr 2015 kündigt das Paralympische Komitee an, dass der Segelsport seinen Teilnahmestatus verliert. In der offiziellen Begründung heißt es, dem Sport mangele es an internationaler Verbreitung. Ein herber Rückschlag nicht nur für das britische Trio, sondern für alle betroffenen Aktiven. Jedoch: Während sich der eine Traum für Craig Wood zerschlägt, eröffnet sich ihm fast zeitgleich eine andere Chance: Bei der Para-WM in Melbourne segelt er auf einer Yacht mit – und hat daraufhin die Idee, die ganze Welt zu umsegeln.

2017 startet Craig Woods Weltumseglung

Schnell folgen dem Gedanken Taten, und so dauert es nicht lange, bis Wood sich sein erstes eigenes Boot kauft: einen einen 40 Fuß großen, ketschgetakelten Motorsegler vom Typ Colvic Victor. Ein Jahr lang überholt er das alte Boot. Er lernt Navigieren, sammelt erste Erfahrungen im Fahrtensegeln und nimmt schließlich im April 2017 Kurs aufs Mittelmeer. Es ist der Beginn seiner Weltumseglung, die bis heute andauert.

Allerdings begleitet der Motorsegler ihn nur bis nach Griechenland. Zu schwerfällig ist das Boot, zu oft muss er motoren. Eine besser segelnde Alternative soll her. Auf Lefkada, im Westen des Landes, stößt er auf eine Beneteau Oceanis 46. Mit der segelt er von Griechenland über Sizilien nach Barcelona und weiter bis Gibraltar.

Gemeinsame Reise gen Südamerika

Einige Etappen ist er einhand unterwegs, auf anderen sind Mitsegler dabei. Regelmäßig nimmt er auch Rucksacktouristen mit. Einmal, so erzählt er in einem Interview, habe er acht deutschsprachige Backpacker gleichzeitig an Bord gehabt. Eine von ihnen ist die Schweizerin Renate Gwerder. Sie ist mit dem Rucksack unterwegs und will die Welt bereisen. Ihr Ziel: Südamerika. Gwerder bleibt nicht nur den Abend, sie ist bis heute an Woods Seite. Mittlerweile haben sie zwei gemeinsame Kinder und sind verheiratet.

Von Gibraltar geht es für sie gemeinsam weiter nach Westen. Es folgt der Sprung zu den Kapverdischen Inseln, bevor sie über den Atlantik segeln und Brasilien ansteuern. Dort hangeln sie sich entlang der Küste gen Süden und segeln weiter über Argentinien und die Falklandinseln bis nach Feuerland. Sie durchqueren den Beagle-Kanal und steuern dann gen Norden bis nach Mittelamerika.

Lehren der Weltreise

„Das Segeln im Mittelmeer, über den Atlantik und rund um Südamerika hat mich einiges gelehrt. Eine Erkenntnis war, dass es wichtig ist, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man sich befindet. Dann treten keine Probleme mit Visa oder Ähnlichem auf“, erzählt Wood. Zudem habe er gelernt, flexibel zu sein, wenn es darum geht, Termine zu vereinbaren und Fristen einzuhalten. „Man darf in vielen anderen Ländern nicht die Erwartung haben, dass es verbindliche Zeitabsprachen gibt wie in Europa“, so Wood.

Seit 2023 lebt das Paar auf einem Katamaran vom Typ Galileo 41.Foto: Craig WoodSeit 2023 lebt das Paar auf einem Katamaran vom Typ Galileo 41.

Mehrere Jahre verbringt das Paar mit Törns entlang der mittelamerikanischen Küste. Sie besuchen Ecuador, Panama und Mexiko. Dort verkaufen sie Ende 2022 ihre „Sirius“. Doch die bootlose Zeit währt nur kurz. Wenige Wochen später haben sie ein neues Zuhause für die kommenden Abschnitte ihrer Weltreise gefunden: Sie kaufen eine Galileo 41, einen Aluminium-Katamaran aus Frankreich, den sie „Sirius II“ taufen.

Reisen auf zwei statt auf einem Rumpf

In Panama richten sie das Boot für die inzwischen kleine Familie ein und treffen Vorbereitungen für die bevorstehende Pazifiküberfahrt. Zahlreiche Handgriffe sind an Bord montiert. Zudem kann er beim Segeltrimm wie auch beim Segelsetzen auf elektrische Winschen zurückgreifen. Sie erleichtern Wood den Segelalltag enorm. Darüber hinaus ist das Deck des Kats mit einem besonders griffigen Belag versehen worden. Dies ist entscheidend, da er mit seinen Beinprothesen auch bei nassem Wetter oder in rauem Seegang ausreichend Grip haben.

Vor allem, wenn Wellen und Wind das Boot rollen lassen, machen sich seine Beeinträchtigungen bemerkbar, sagt Wood. Besonders schwierig ist für ihn dann der Gang über das Kajütdach, wenn er am Mast arbeiten oder die Segel reffen muss. „Es ist dann für mich noch schwieriger, das Gleichgewicht zu halten und mich festzuhalten, zumal ich ja gleichzeitig mit dem Lifebelt gesichert bin, der die Bewegungsfreiheit zusätzlich einschränkt“, erklärt Wood. Aber auch scheinbar banale Fertigkeiten wie das Hinabsteigen über die steilen schmalen Stufen in die Kajüte oder das Verschließen eines Schäkels stellen Wood mitunter vor Herausforderungen. Die hat er in den letzten Jahren zu bewältigen gelernt.

“Behinderung nicht als Ausrede nutzen”

Trotzdessen finde er immer einen Weg; vieles schaffe er mittlerweile mit nur einer Hand, wie zum Beispiel das Knüpfen eines Palsteks. „Ich kann meine Behinderung nicht als Ausrede benutzen“, sagt er. Auch spielt er Ukulele, geht Kitesurfen und hat in Patagonien das Reiten ausprobiert. Und er ist der erste Mensch mit dieser Art von körperlichen Beeinträchtigungen, der eine Yachtmaster-Lizenz besitzt – ein international bedeutendes Zertifikat für professionelle Skipper. „Jeden Tag lerne ich etwas Neues; Stück für Stück wird es ein bisschen mehr.“ Probleme geht er pragmatisch an: „Ich mache es wie jeder andere auch“, erklärt Wood, „ich löse einfach ein Problem nach dem anderen.“

Ende März ist Wood nun zu seiner Pazifiküberquerung aufgebrochen. Nonstop und ohne Unterstützung will er von Puerta Vallarta in Mexiko, nach Yokohama in Japan segeln. Mit rund 7.000 Seemeilen und etwa 80 Tagen auf See ist es die bislang längste Überfahrt für den Briten. Sollte an Bord etwas zu Bruch gehen, hält er sich die Möglichkeit offen, auf den hawaiianischen Inseln einen Zwischenstopp einzulegen. „Das Ziel ist es, Japan Ende Mai oder Anfang Juni zu erreichen“, sagt er.

Transpazifik: Mehr als nur eine weitere Etappe

Je früher, desto besser lautet dabei Devise. Denn: Je länger er für die Route benötigt, desto mehr gerät er in die Taifun-Saison auf dem Pazifik. Die beginnt Ende Mai und dauert bis November. Allerdings können auch außerhalb dieser Monate Tropenstürme auftreten, die seine Route beeinträchtigen könnten. Insgesamt dürften die Bedingungen instabiler werden, sobald er Hawaii hinter sich gelassen hat und danach in höhere Breiten unterwegs sein wird.

Für Craig Wood bedeutet die Überquerung mehr als nur einen weiteren Abschnitt seiner Weltumseglung. Mit dieser Reise möchte er Menschen inspirieren, die schwere Zeiten durchgemacht haben, insbesondere Veteranen mit ähnlichen Erfahrungen wie er. „Das ist definitiv ein Antrieb und ein Grund für das, was ich tue“, sagt er.

Etwas zurückgeben

Während seiner Reise sammelt er über eine Crowdfunding-Seite Spenden, die den britischen Wohltätigkeitsorganisationen „Blesma“ und „Turn to Starboard“ zugutekommen. Sie unterstützen Veteranen, die ohne Gliedmaßen leben müssen, sowie jene, die Hilfe bei der Reintegration benötigen. Die Organisationen haben auch Wood geholfen, zurück ins Leben zu finden.

Auch deshalb plant der 33-jährige, eines Tages eine eigene Wohltätigkeitsorganisation zu gründen, die dann ebenfalls Veteranen unterstützen soll. Mithilfe des Segelns möchte er anderen zeigen, wie sie zurück ins Leben finden können – so wie es bei ihm der Fall gewesen ist.


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