RekordfahrtIm Mini 6.50 von New York nach Lizard Point

Jochen Rieker

 · 22.08.2023

Montagfrüh war's geschafft: Jay Thompson nach dem Finish seines erfolgreichen Rekordversuchs
Foto: Coconuts Sail/Thornton Cohen
Der US-Amerikaner Jay Thompson hat gestern Früh um 04:30 UTC als erster Mini-6.50-Segler die legendäre Rekordstrecke über den Nordatlantik geschafft. Er brauchte nur rund 17 Tage, 11 Stunden und 30 Minuten. Sein Boot “Cocotopia 56”, das mit Foils ausgestattet ist, hat er eigenhändig gebaut – auf einem Hof nahe der bretonischen Küste

Mit seiner Fahrt vollendete Thompson den atlantischen Kreis, zu dem er schon vor zwei Jahren im Rahmen des Mini-Transat gestartet war. “Es war immer schon sein Plan, das Boot auf eigenem Kiel zurück nach Frankreich zu bringen, anstatt es auf einen Frachter zu stellen”, sagte seine Frau Natasha Gonzalez gestern gegenüber der YACHT.

Den ersten Versuch auf der anspruchsvollen West-Ost-Route musste der Profisegler und Preparateur in Sam Davies’ Imoca-Team “Initiatives Cœur” vorigen Sommer südlich von Neufundland wegen eines Hurrikans abbrechen. Jetzt passten die Bedingungen – auch wenn die Rekordfahrt alles andere als eine lockere Überführung war.

Allerdings: Nach dem Finish am Lizard Point war für Thompson noch nicht Schluss. Die Willkommensparty steigt erst am Dienstagabend in Brest. Deshalb ging es Montag weiter auf Kurs Süd Richtung französische Küste. In der Nacht blieb der Wind weitgehend aus, dafür sog ihn der Strom nordostwärts Richtung Ärmelkanal. Doch davon ließ sich der Rekordjäger nicht die Laune verderben. Sichtbar gut ausgeruht und voll positiver Energie schickte er ein Video von Bord, als er Handy-Empfang hatte. “Ich hoffe, bis 18 Uhr im Hafen zu sein”, sagte er. Er segle jetzt nah an den Felsen, “Figaro-Style”, um der Strömung so gut es geht zu entgehen. Auf Facebook und Instagram werden er und seine Frau Natasha den Abschluss der Fahrt weiter dokumentieren.

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Thompson segelte nah am Kontrollverlust

Bei seiner Rekordfahrt musste Thompson vor allem im Mittelteil tagelang mit starkem Wind und giftigen Böen bis weit über 30 Knoten fertig werden. In seinem lesenswerten Blog auf der Seite des Tracking-Unternehmens Yellowbrick schildert er eindrucksvoll, wie angespannt er über weite Strecken war und wie nah am Kontrollverlust er segelte.

Mehrmals erlebte er heftige Sonnenschüsse und die gefürchteten “Nosedives”, bei denen das Boot im vollen Surf eine Welle abreitet, nur um anschließend den Bug im Rücken der vorauslaufenden See zu begraben. Dann tauchen die Ruder aus, und das Boot fliegt krachend auf die Seite. Bis alles wieder klariert ist, vergehen bange Minuten.

Auf einem Boot dieser Größe, mit einem filigranen Rumpflaminat von kaum einem Millimeter Kohlefaser, Schaumkern und noch mal Kohlefaser, die den Skipper von den Tausenden Meter dunkelblauer Tiefe trennen, segelt stets eine Ambivalenz mit, ein Gefühl zwischen Euphorie und Sorge. Denn hier, bei diesem Projekt, stehen anders als beim Mini-Transat keine Wettbewerber in Funkruf-Weite, keine Begleitboote, die im Ernstfall helfen können. Hier gibt es zweieinhalb Wochen lang nur Jay und seine “SpeedyG”, wie er seinen Mini auch nennt.

“Ich fühle mich wie eine kleine Ente in einem riesigen Teich”

An Tag 4 schreibt er: “Die Zeit ist schnell vergangen, obwohl in dieser Phase eines langen Törns das beherrschende Gefühl einsetzt, dass noch zwei Wochen vor uns liegen. Das macht mich ein bisschen unruhig. Ich wische den Gedanken beiseite und mache mich an die Aufgaben, die an Bord nie enden. Ich erlebe jede Ozeanpassage so: Die ersten zwei, drei Tage braucht es, bis ich eingeschwungen bin, dann kommt ein kurzer Moment der Überwältigung durch die Weite, die noch vor mir liegt. Und dann setzt die Phase des Loslassens ein ... Das ist mein Lieblings-Stadium. Es ist faszinierend und lockt mich immer und immer wieder auf See. Ich bin im Moment. Ich bin ein Mann des Meeres.”

Am 9. August, südlich von Neufundland, kommt es dicke für Thompson. Er schreibt:

“Ich habe es seit ein paar Tagen kommen sehen ... ein kleines Tief in einem Seegebiet, wo es intensiv werden kann. Als es anfing zu blasen, hatte ich schon alles vorbereitet, um zu reffen; das Boot und ich waren bereit. Der Windeinfallswinkel war mit 60 Grad ziemlich hoch; ich hoffte, er würde noch drehen, denn am Wind zu segeln bei 35 Knoten ist sehr schwer mit einem Mini. Aber der Dreher kam nicht. Bei 30 Knoten und mehr wurde es sogar für die Sturmfock und das Groß im dritten Reff zu viel. Ich falle ein wenig ab, aber das führt nur dazu, dass das Boot auf 12 bis 15 Knoten beschleunigt und über die drei Meter hohen Wellen schießt – eine sichere Art der Selbstzerstörung. Also falle ich auf Vorwindkurs ab, picke mich ein, gehe nach vorn und nehme die schlagende Fock runter. Als ich wieder auf Kurs gehe, erreichen die Böen 38 bis 40 Knoten. Ich fühle mich wie eine kleine Ente in einem riesigen Teich.”

Thompson strebt eine Vendée-Globe-Teilnahme an

Tagelang kommt Jay nicht aus den Schwerwetter-Klamotten. Die Feuchtigkeit ist überall, von oben das Spritzwasser, unter Deck tröpfelt es vor Kondensation. “Ich war noch nie so durchnässt, außen und innen”, stöhnt der Soloskipper. Erst als die letzte Front durch ist, vier Tage vor der Ankunft im Englischen Kanal, wird das Wetter wärmer, freundlicher.

Der in Frankreich lebende Amerikaner hofft, mit seinem Rekord die Aufmerksamkeit von Sponsoren für seine ultimative Ambition zu gewinnen: eine Teilnahme an der Vendée Globe. Bisher ist ihm das noch nicht gelungen. Doch sein jüngstes Projekt könnte das ändern, denn sowohl diesseits wie jenseits des Atlantiks ist das Medienecho auf die Pionierleistung groß. Und dass er Ausdauer besitzt, hat er wiederholt bewiesen.

Mit seiner Frau Natasha Gonzalez hat er 2010 den kaum noch segelklaren Eintonner “Messenger” vor dem Abwracker gerettet; anschließend ging die junge Familie damit auf Weltumsegelung und wurde zum “Coconuts Sail Team”. Vor sieben Jahren zogen sie in die Bretagne, weil dort das Zentrum der Solosegler ist. Jay Thompson arbeitete zunächst für Conrad Colmans Vendée-Kampagne, später auch einige Monate für Boris Herrmanns Team Malizia, bevor er bei Sam Davies als Bootsbauer anheuerte. Für sein eigenes Ziel blieb stets nur “nebenbei” Zeit. Und doch gelang ihm alles, was er sich vornahm.

New YorkLizard Point im Mini 6.50 ein Erfolg für die Geschichtsbücher

Für den Bau seines eigenen Proto-Minis funktionierte er einen Stall notdürftig zur Werfthalle um. Laminiert und geschliffen hat er dort an den Wochenenden und teils bis tief in die Nacht. Beim Mini-Transat 2021 belegte er einen respektablen neunten Platz. Auch medial überzeugt er durch Engagement, Können und Ehrlichkeit. Dabei kommt ihm die Erfahrung seiner Frau zugute, die zuletzt als TV-Kommentatorin für Eurosport The Ocean Race begleitete, exzellent vernetzt und vom Fach ist. Als Preparateur hat sich Jay in Imoca-Kreisen selbst einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Beste Voraussetzungen eigentlich für eine erfolgreiche Karriere als Einhand-Skipper. Zumal sein Erfolg heute einer für die Geschichtsbücher ist, sobald er ratifiziert ist: der erste Transat-Rekord eines Mini-6.50-Seglers auf der klassischen Strecke New York–Lizard Point.

Vorgestern, kurz vor der glücklichen Ankunft, aber noch angespannt wegen des zunehmenden Schiffsverkehrs, überwiegen in seinem letzten Post die Zuversicht, der Stolz, die Vorfreude auf Familie und Freunde:

“Wow, was für ein Gefühl nach 16 Tagen auf See! Es sind die letzten 24 Stunden vor der Ziellinie, und sie kommen mit gemischten Gefühlen ... erleichtert und bereit, anzukommen, aber zugleich nervenaufreibend, weil die letzten Meilen sehr knifflig werden können. Alles steht auf dem Spiel, und ich muss wachsam sein”, schreibt Thompson. “Die (vorletzte) Nacht war voller Sterne, aber ohne Mond. Die Milchstraße zog über den Himmel. Heute scheint die Sonne, es zeigt sich fast keine Wolke – das fühlt sich gut an. Ich muss nach dem nassen Nordatlantik dringend austrocknen. Ich träume davon, in der warmen Sonne zu baden, an Land, nach einem großes Mittagessen: Hamburger, Pommes und Rotwein, natürlich!”

Das hat er sich so was von verdient!


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