Aus Schwarz wird Blau, aus der deutschen die Schweizer Flagge, aus dem Crewmitglied eine angehende Skipperin: Rosalin Kuiper setzt ihre Offshore-Karriere mit der Dynamik fort, mit der sie in Boris Herrmanns Team Malizia erst die Herzen der Crewkameraden und dann auch die der Fans im Sturm eroberte. Die 28-Jährige hat – im Gleichtakt mit Team Malizias Navigator Nico Lunven – den Rennstall gewechselt.
Der Franzose und die Niederländerin bilden die neue Doppel-Spitze im Team Holcim – PRB. Der 40-jährige Nico Lunven ist Chef-Skipper, wird die Vendée Globe als Solist für die Eidgenossen und als Konkurrent von Boris Herrmann bestreiten. Rosalin Kuiper unterstützt Lunven und ist im Anschluss designierte Skipperin für „Holcim – PRBs“ Start im Ocean Race Europe 2025. „Es ist fabelhaft, dass Nico meine Führungsfigur bei diesem Abenteuer ist. Ich kann so viel von ihm lernen“, huldigt Kuiper ihrem neuen Chef nach der Zeit an Boris Herrmanns Seite.
21 Jahre sind seit ihrem ersten Opti-Ausflug vergangen. 2002 hat sich Rosalin Kuiper als Siebenjährige erstmals mit einer Kinderjolle auf den heimischen Zoetermeerse Plas bei Den Haag gewagt. Das tat sie nicht allein, weil sie Riesenrespekt und auch etwas Angst vor dem Wasser hatte. Familienhund Takkie war mit von der Partie. Es folgten viele Jahre, in denen die kleine Rosie direkt nach der Schule zum See radelte, den Opti aufbaute und wartete, bis die Mutter und Takkie dazustießen. Zwei Hände und vier Pfoten bildeten die Crew im Aufbruch.
Im Teenager-Alter nimmt Rosalins Sporthunger zu. Sie betreibt intensiv holländische Lieblingssportarten wie Leichtathletik und Feldhockey. Der Sport in Wind und Wellen rückt erst wieder in den Vordergrund, als die Achtzehnjährige auf einer Reise der Faszination Offshore-Segeln wie einer Liebe auf den ersten Blick erliegt. Damals verdient sie ihr Geld als Deckshand auf einem Charterboot im australischen Sehnsuchtsrevier der Whitsunday Islands. Sie ist fasziniert von der Welt der Boote. Das Gefühl, das sie bei ihrem ersten Wochenendtörn hatte, ist bis heute geblieben: „Es war, als hätte ein Feuer in meiner Brust zu brennen begonnen. Es war das Unglaublichste, das ich bis dahin gemacht hatte.”
Ich wusste sofort, dass ich das in meinem Leben machen will“
Nur die wenigsten haben ihren Lebenstraum mit der Entschlossenheit umgesetzt, mit der Rosalin Kuiper zu Werke geht. Zurück in der Heimat, besucht sie eine Segelschule, um sich das Rüstzeug anzueignen. Dann bewirbt sie sich bei der Team Heiner Youth Academy. Das Förderprogramm hat der dreimalige Ocean-Race-Weltumsegler und olympische Bronzemedaillengewinner Roy Heiner ins Leben gerufen. Rosalin erinnert sich an ihren holprigen Aufgalopp: „Ich war mit meiner Bewerbung zu spät dran, aber ich wusste: Wenn ich eines Tages an Regatten teilnehmen wollte, musste ich dabei sein. Ich wusste, dass dies mein einziger Weg in die Welt des Segelns sein würde. Also habe ich mich extrem bemüht, rief dort immer wieder und wieder an.“
Als die Auswahl der künftigen Schüler nur noch zwei Tage entfernt liegt, hat sie einen einfachen Plan: „Ich bin einfach hingegangen.“ Die Beharrlichkeit wird belohnt. „Ich hatte die wenigste Erfahrung von allen. Ich glaube, am Ende dachten sie einfach: ‚Sie ist so zielstrebig, also sollten wir ihr die Chance geben, sich zu beweisen.‘“ Rückblickend weiß sie, dass die Aufnahme in die Nachwuchsakademie einer der wichtigsten Meilensteine in ihrer Karriere war. „Ich bin sehr dankbar dafür. Sonst wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin.“
Dass Rosalin Kuiper parallel an der Universität in Leiden Psychologie studiert, ist ein interessanter Zufall. An dieser Uni hat auch Hollands erste Ocean-Race-Siegerin und Hochsee-Ikone Carolijn Brouwer studiert. Die drei Studienjahre und das parallele Segelprogramm mit 30-bis 40-stündigem Wochenengagement erinnert Rosalin Kuiper als „ziemlich volle Jahre“.
Ich habe entweder studiert, gesegelt oder bin ins Fitness-Studio gegangen“
Ziel der Akademie ist es, aus den jungen Rekruten gute Allround-Segler zu machen. „Wir haben gelernt, wie man alle Positionen an Bord ausführt – einschließlich der Rolle des Skippers. Navigation, Trimmen, Vorschiff. Alles, was für das Segeln auf großen Booten wichtig ist.“
Ein halbes Jahr nach Beginn ihrer Ausbildung nimmt sich Rosalin Kuiper fest vor, eines Tages die Welt im Ocean Race zu umsegeln. Ein erster Schritt ist die Teilnahme am Hochseeklassiker Middle Sea Race auf dem 46-Fuß-Racer „Tilting the Windmills“. Ein mitsegelndes Ehepaar bietet der ehrgeizigen jungen Frau an, danach in Australien bei ihm zu wohnen, damit sie sich dort um einen Platz für das legendäre Sydney to Hobart Race bemühen kann. „Ich glaube, sie waren etwas schockiert, als ich ankündigte, dass ich in einer Woche dort sein würde“, erinnert sich Rosalin lächelnd. Bei ihrer Ankunft weiß sie, dass ihre „Reise“ jetzt erst richtig beginnt: „Ich war auf einer Mission.“
Voll auf ihr Ziel fokussiert, erstellt sie sich anhand der Meldeliste fürs Sydney Hobart Race eine Liste mit allen Top-Booten. Dazu notiert sie die Häfen, in denen die Schiffe liegen. Und die Namen der Teammanager. Dann besucht sie jedes Team persönlich.
„Es war nicht einfach“, erinnert sie sich, „ich war 21 Jahre alt und ganz allein in einem Land, das ich nicht wirklich kannte. 99 Prozent der Leute sagten mir, ich sei ein sehr nettes Mädchen, aber meine Mission sei unmöglich.“ Unterstützt von ihrer Familie – den Eltern Taco und Olga Kuiper, Schwester Bodine und Bruder Camiel –, bleibt sie aber dran an der Verwirklichung ihres Lebenstraums.
Sie trifft auf Bradshaw Kellet, den Kapitän des 100-Fuß-Super-Maxis „InfoTrack“. Als Kellet von Kuiper hört, beschließt er, ihr eine Chance zu geben, bietet ihr einen Job in der Shorecrew an. Die zähe Bewerberin nutzt die Okkasion als Sprungbrett. Sie nimmt horrend frühe Anfangszeiten, lange Anfahrtswege und mehr Mühsal in Kauf, tut all das mit einem Lächeln im Gesicht – und bewährt sich. Schließlich darf sie bei einer Trainingseinheit mitmachen und 2018 tatsächlich ihr erstes Sydney Hobart Race auf dem 100-Fuß-Maxi bestreiten.
Die Herausforderung meistert sie nicht mit irgendwem. Es ist die Ocean-Race-Elite, in deren Kreis sie aufgenommen wird. Dem 24-köpfigen „InfoTrack“-Team gehören Haudegen wie der sechsmalige Weltumsegler Chris Nicholson und Ocean-Race-Rekordteilnehmer Bouwe Bekking an, ein Landsmann.
Ihre gerade erst begonnene Karriere setzt Kuiper danach in der europäischen Swan-One-Design-Rennserie fort, bevor sie von einer Australierin als Steuerfrau für deren Cookson 50 angeheuert wird. „Das war ein toller Job“, schwärmt Rosalin grinsend, „sie schickte mich in die Karibik, um das Boot zu kaufen. Es war lustig, den Ausdruck in den Gesichtern einiger Leute zu sehen, als sie merkten, dass dieses blonde Mädchen das Sagen hatte.“
Das Ocean Race aber bleibt Rosalin Kuipers Ziel Nummer eins. Die Chance zum Einstieg bieten ihr der bereits bekannte Chris Nicholson und das Team auf der VO65 „AkzoNobel“ mit dem Einsatz auf der europäischen Sponsoren-Tour nach dem Ocean Race 2018/2019. Wieder bewährt sie sich – und rückt in die Race-Crew für The Ocean Race Europe 2021 auf, das auch Boris Herrmanns Co-Skipper Will Harris mit „AkzoNobel“ bestreitet, während in Frankreich die neue „Malizia – Seaexplorer“ gebaut wird.
Harris ist beeindruckt, wie Rosalin Kuiper „mit der australischen Segel-Gang“ segelt und umgeht. Er dachte: „Wenn sie es schafft, mit denen über Monate mit einem Lächeln im Gesicht zu arbeiten, dann muss sie in unser Team passen und mit unseren Jungs klarkommen.“ Herrmanns loyaler Weggefährte empfiehlt sie Team Malizia als ideale Mitstreiterin. Den Anruf von Teamdirektorin Holly Cova hält Rosalin Kuiper Anfang 2022 zunächst für einen Scherz, bevor ihr schnell klar wird, wie ernst er gemeint ist. „Natürlich habe ich die Chance ergriffen“, sagt sie dieselben Worte, mit denen sie jetzt ihren Wechsel zu Holcim – PRB kommentiert.
Ihr Vertragsangebot von Team Malizia erhält Kuiper nach einem Trainingseinsatz mit Boris und Crew. Sie siedelt sofort um nach Vannes, wo gerade Team Malizias neuer Stolz entsteht. Dort taucht sie technisch tief ein in den Bau von „Malizia – Seaexplorer“, lernt alles über die komplexen hydraulischen und elektronischen Systeme des Bootes. Sie weiß, dass ihr jedes Extrawissen Reparaturen im Ocean Race leichter machen wird: „Wenn etwas kaputtgeht, muss man schnell handeln. Wenn man das System selbst installiert hat, kann man es schneller reparieren. Dieses Boot war so viel technischer als alle anderen, die ich je gesehen hatte, aber ich hatte das Gefühl, es in-und auswendig zu kennen.“
Die Folgen der intensiven Vorbereitung sind bei Kuipers Ocean-Race-Premiere mit Team Malizia über ein halbes Jahr Renndauer hautnah zu erleben. Viele Momente haben sich in ihr Hirn und auch ins Gedächtnis von Millionen Fans eingebrannt. Mutig wie eine Achttausender-Gipfelstürmerin, lustig wie eine Comic-Figur und von der niederländischen Königsfamilie ins Herz geschlossen: Rosalin Kuiper ist die einzige Seglerin der 14. Ocean-Race-Auflage, die alle neun Etappen absolviert hat.
„Rosie ist als Seglerin furchtlos. Zum Beispiel viel furchtloser als ich“, attestiert der von Höhenangst geplagte Boris Herrmann seiner mutigen Mitkämpferin nach dem mehrstündigen Reparatureinsatz in schwindelnder Höhe. An der offensiven In terpretation ihres Jobs haben für Rosalin Kuiper auch eine heftige Platzwunde über dem rechten Auge und die Gehirnerschütterung nichts geändert, die sie sich bei einem Schock-Sturz aus der Koje in schlafendem Zustand kurz vor dem Kap-Hoorn-Höhepunkt zugezogen hatte. Keine Klagen kamen danach trotz tagelanger Buckelei des Bootes im Südmeer über ihre Lippen.
Sie hat diese unglaubliche Attitüde und gibt immer alles“
Das attestiert Boris Herrmann Rosalin Kuiper, deren Aufnahme in sein Team er nie bereut hat. Weiter weiß der 15 Jahre ältere Ex-Skipper: „Rosie ist eine tolle Kommunikatorin und eine tolle Seglerin. Sie hat immer gute Laune, gute Energie und ist damit der Team-Joker. Sie hat Psychologie studiert und Lust, darüber nachzudenken, wie ein Team funktioniert und wie alles zusammenpasst.“
Kürzer fasste seine Eindrücke von der „Fliegenden Holländerin“ Malizia-Ersatzmann Chris Pratt zusammen: „Rosie ist wie eine Zeichentrickfigur: immer hypermotiviert, engagiert und gut gelaunt.“ Keiner und keine lacht so mitreißend wie sie. Wer mal in den Podcast reingehört hat, den Rosalin Kuiper mit Boris Herrmann während des Ocean Race im Doppelpass produzierte, hatte mit ihr auch in den härtesten Zeiten auf See viel zu lachen, wenn sie Funkgespräche mit der Konkurrenz auf der von ihr umgetauften „Bio-Boutique“ führte und eigene Skalen für die Stimmungen ihrer Mitsegler entwickelte.
Kuiper wuchs während des Ocean Race mit den Männern an Bord zur Familie zusammen. Oft fiel es ihr schwer, den geschützten kleinen Raum im geschlossenen Cockpit der „Malizia – Seaexplorer“, den sie wie eine verschworene Gemeinschaft teilten, am Ende von Etappen zu verlassen. Dank der von Boris Herrmann etablierten flachen Hierarchie fühlte sich Rosalin Kuiper auch als Ocean-Race-Rookie bestärkt: „Boris hat uns beflügelt.“
Die Flügel hat die Niederländerin nun zum Davonfliegen genutzt. Mit dem Segen und aufrichtig guten Wünschen von Boris Herrmann und Teamdirektorin Holly Cova, mit denen Rosalin Kuiper umgehend nach dem ersten Holcim-PRB-Anruf gesprochen hat. Sie geht mit dem Segen beider und einem „zwiespältigen Gefühl, weil mein Herz immer noch Team Malizia gehört, wo ich Freunde fürs Leben gewonnen habe“. Dem Angebot der Schweizer konnte und wollte sie aber ebenso wenig widerstehen wie Nico Lunven, der endlich sein eigenes Schiff für die Vendée Globe bekommt.
Es war Rosalin Kuiper, die ihren neuen Auftraggebern schon beim ersten Anruf sagte: „Ihr müsst Nico für die Vendée Globe haben. Er ist so gut, er kann das Rennen gewinnen.“ Da hat sie noch keine Ahnung, dass es genauso kommen würde. Erst kurz vor der Vertragsunterzeichnung, als sie verbindlich wissen will, wer ihr neuer Chef-Skipper sein wird, hört sie vom erneuten „Joint Venture“ mit Lunven. „Er ist einer der besten Hochseesegler der Welt, weiß so viel über Navigation, Strategie und das Wetter. Und er geht mit allen respektvoll um. Ich könnte mir kaum mehr wünschen“, huldigt sie dem Vorbild.
Der Fahrplan für die kommenden Jahre steht: Weil „Holcim – PRB“ nicht für das Transat Jacques Vabre qualifiziert ist, segeln Lunven und Kuiper den zunächst nur grob überholten Imoca ab 1. November fast parallel zum Transat-Klassiker mit kleiner Crew nach Martinique. Neben Kuiper und Lunven sind zwei Team-Techniker und ein An-Bord-Reporter mit von der Partie. Von dort wird Nico Lunven – wie weitere Skipper – im Solo-Modus an der „Back-to-la-Base-Regatta“ teilnehmen, um sich für die Vendée Globe 2024/2025 zu qualifizieren.
Danach wird das neue Führungsgespann genau wissen, was es sich für den noch anstehenden großen Refit des 2022er-Verdier-Designs „Holcim – PRB“ auf Kurs Zukunft wünscht. Klar ist, dass zu einem gewissen Maß Malizia-Prägung in den Umbau fließen wird. „‚Malizia – Seaexplorer‘ war stark und sicher im Ocean Race“, konstatiert Rosalin, „deswegen diskutieren wir auch den Rumpf von ‚Holcim – PRB‘. Das Boot ist ein schneller und ein starker Allrounder. Wir haben aber auch gesehen, dass es gefährlich sein kann, wenn es tief in die Wellen taucht und abschmiert. Deswegen wollen wir es für das Segeln im Südmeer stärker machen.“
Für sich verfolgt Teamplayerin Kuiper ein mittelfristiges Ziel: Läuft alles nach Plan, wird sie „Holcim – PRB“ nach der Vendée Globe als Skipperin übernehmen und ihr eigenes Team ins Ocean Race Europe führen. Es soll „multitalentiert und divers sein“, so viel hat sie angekündigt, Namen aber noch nicht genannt. Lunven und Kuiper errichten Team Holcim – PRB neu.
Von der alten Garde, die mit Kevin Escoffier angetreten war, die Vendée Globe nach dem Verlust der Vorgänger-Yacht 2020 im nächsten Versuch erfolgreich zu bestreiten, ist fast niemand geblieben. Parallel zum Erneuerungsprozess will Rosalin Kuiper ihre Lernkurve unter Nico Lunven weiter nach oben biegen.
Ruhepausen vom Leben auf der Hochsee-Überholspur wird sie im gerade erst mit ihrem Lebensgefährten Coen erworbenen Haus in der 5.000-Einwohner-Gemeinde Warmond direkt am Ufer des Sees Het Joppe zwischen Amsterdam und Den Haag in Südholland finden. Gekauft haben sie ihren Ankerplatz fürs Leben, als Team Malizia Kap Hoorn passierte. Dieser Geist begleitet das Paar. Die beiden haben ihr Zuhause selbst renoviert, wohnen nur 50 Meter vom Wasser entfernt. Rosalin kann hier aufs Wingfoil-Board steigen, wenn ihr danach ist. Ihr Haus sehen sie als Refugium – gerade in fordernden Karrierezeiten. Rosalins Partner hat just ein Unternehmen übernommen.
Die holländische Überfliegerin weiß an diesem Punkt ihres Lebens: „Mein Körper sagt mir, dass ich auch einmal ausruhen muss, denn die großen Jahre kommen noch.“ Auf Kurs Zukunft will sie keinen Weg ausschließen. Auch nicht mehr den zu einem Vendée-Globe-Einsatz. „Vor einem Jahr hätte ich so einen Gedanken noch als ‚irre‘ bezeichnet“, räumt sie ein, „doch ich halte mir alles offen. Das Einzige, was ich nicht will, ist, mir selbst Druck zu machen.“