Anne Siv, wie bist Du auf die Idee gekommen, Segel zu bemalen?
Die Idee begann vor etwa sieben Jahren. Ich habe damals damit begonnen, Windsurfsegel zu bemalen. Das Surfen war eine große Leidenschaft in meiner Jugend, insbesondere in den 80er Jahren, und ich verbrachte viel Zeit mit meinem Vater auf dem Wasser. Als er starb, durchsuchte ich sämtliche Segel, die wir gemeinsam genutzt hatten. Das Bemalen der Segel war für mich eine Möglichkeit, meine Trauer zu verarbeiten und gleichzeitig meine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Ich suche ständig nach neuen Wegen in der Malerei.
Wann kamen die großen Spinnaker ins Spiel?
Da mein Partner passionierter Segler ist und ein größeres Boot besitzt, betrachtete ich irgendwann auch seine Segel genauer. Besonders der Spinnaker zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Er wird zwar nicht von so vielen genutzt, ist aber eines der radikalsten Merkmale eines Segelboots.
Radikale Spinnaker?
Normalerweise haben die Segel klare Linien und sind das Gegenteil von farbenfroh. Die bauchigen, mitunter riesigen Spinnaker gibt es dagegen in den knalligsten Farben. Faszinierend finde ich zudem, dass sie bereits mit wenig Wind eine große Kraft entwickeln.
Haben die Motive auf den Segeln einen nautischen oder kunsthistorischen Hintergrund?
Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit der Malerei und würde sagen, dass die Motive in der Tradition des abstrakten Expressionismus stehen. Das ist also mein Vokabular, welches sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Auch wenn ich viel Zeit am Meer verbringe, lassen sich bei mir keine typisch maritimen Motive wie Fische oder Kompassrosen finden. Meine Bilder sind sehr organisch, gleichzeitig, aber auch abstrakt.
Welche Technik verwendest Du dabei?
Die rund 60 qm großen Tücher sind alle von Hand gezeichnet. Ich habe diese bemalten Segel über einige Jahre hinweg getestet. Im Moment verwende ich hauptsächlich Acrylmarker, die wasserfest sind, und Textilsprays. Das funktioniert gut für die Vorstellungen auf dem Wasser. Ein Spinnaker wird in der Regel auch nicht so oft benutzt, und wenn dann bei eher gemäßigten Bedingungen. Aber einige andere Segel haben auch schon einen schweren Sturm überstanden und die Farbe hält. Bei längerem Gebrauch könnte es jedoch Sinn machen, die Segel zu bedrucken.
Kommen die Segel von privaten Auftraggebern?
Nein, alle Spinnaker sind gebraucht und wurden über ein norwegisches Online-Kleinanzeigenportal erworben. Das macht sie so faszinierend, denn jedes Segel ist einzigartig. Sie wurden nicht nur von verschiedenen Segelmachern weltweit gefertigt, sondern tragen auch jeweils ihre eigene Segelgeschichte in sich.
Wie konntest Du die Segler für dein Projekt gewinnen?
Wir haben diesen Sommer viel Zeit an der Südküste Norwegens verbracht und dabei die Seglervereinigung von Lillesand kennengelernt. Zu meiner großen Überraschung waren sie sofort bereit, mit uns zusammenzuarbeiten, und wir konnten das Vorhaben schnell umsetzen. Es war beeindruckend zu sehen, wie die Segler mit den Spinnakern umgingen, die nicht eigens für ihre Boote gemacht waren. Ohne ihr improvisatorisches Talent wäre diese Kunstaktion nicht möglich gewesen.
Findest Du, dass es zu viele weiße Segel auf dem Wasser gibt?
Für mich persönlich wirkt die weiße Segelwelt schon etwas steril und eintönig. Meine Kunst soll deshalb ein Statement setzen, indem ich zeige: "Es geht auch anders." Aber der Yachtsport hat seine eigene Ästhetik, und manche Leute mögen meine gemalten Segel vielleicht auch nicht unbedingt.
Welche Reaktionen hast Du erhalten?
Viele waren begeistert und wollten die kleine Kunstflotte persönlich erleben. Auch von zahlreichen Seglern erhielt ich positives Feedback. Es gab jedoch auch Kunstkritiker und Galerien, die überrascht waren und sich fragten: "Was tut sie da?" Diese Arbeit überschreitet die institutionellen Grenzen und geht in eine andere Art von Raum über.
Und was passiert danach mit den bemalten Segeln?
Gute Frage, ich weiß es noch nicht. Einige landen in Ausstellungen, wo sie naturgemäß in einer anderen Art präsentiert werden, als konventionelle Malereien. So habe ich eines davon im neuen Nationalmuseum in Oslo bei der Eröffnungsausstellung 2022 gezeigt, wo es von der Decke hing. Und natürlich stehen sie als Kunstobjekte zum Verkauf.
Was willst Du mit diesem Projekt erreichen? Ich finde es spannend, mit Menschen verschiedener Fähigkeiten zusammenzuarbeiten. Manchmal kann Kunst nämlich sehr verschlossen und engstirnig wirken. Deshalb ist mir die Zusammenarbeit besonders wichtig. Es gefällt mir, dass alle Segel und Boote individuell sind, genau wie wir. Gleichzeitig koexistieren sie in ein und demselben Raum. Das ist wirklich eine positive Sache!