Liebe Leserinnen und Leser,
„Geht doch nach Hause!“ Mit hochrotem Kopf brüllt der Eigner einer der gesunkenen Segelyachten in Kiel-Schilksee Passanten an, die gekommen sind, um sich die Havaristen anzuschauen. Seine Frau steht weinend neben ihm.
Mir steckt dieses Erlebnis noch in den Knochen, als ich am Montag wieder am Schreibtisch sitze und in meinen Mails einen Themenvorschlag finde: „Eigentum verpflichtet – was Eigner vor einem Sturm tun müssen“.
Ein guter Vorschlag. Wir haben eine solche Geschichte auch tatsächlich vor Kurzem gebracht. Autor Leon Schulz nahm sich der Sache in Ausgabe 20 der YACHT an, die am 20. September erschien, fast termingerecht zu den dramatischen Ereignissen in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober 2023. Kollege Lars Bolle hatte das Thema auf yacht.de überdies bereits am 7. August aufgegriffen.
Wenige Tage nach der Jahrhundert-Ostsee-Sturmflut stimmt mich der Vorschlag nun jedoch nachdenklich, und zwar wegen seiner Begründung: Es komme die Diskussion auf, ob mancher Eigner nicht vielleicht etwas zu nonchalant mit der Situation umgegangen sei. Viele Schäden hätten sich leicht vermeiden lassen, wenn man sich die Zeit genommen hätte, sich um sein Schiff zu kümmern oder jemanden nötigenfalls dafür bezahlt hätte, das zu tun. Nun seien Schäden entstanden, „die unser aller Versicherungsprämien steigen lassen, weil das manche Leute nicht für nötig befunden haben“.
Als ich die Mail lese, muss ich unwillkürlich an das Ehepaar aus Schilksee denken, das mir wahrlich nicht den Eindruck gemacht hatte, sich nicht um sein Schiff gekümmert zu haben. Ich erinnere mich an die Tage vor dem Sturm, als in meinem Hafen viele Boote verholt und doppelte Leinen ausgebracht wurden. Und an den Morgen danach, als klar wurde, dass diese Bemühungen oft einfach nicht ausgereicht haben. Und ich merke, wie schwer es mir fällt, eine Antwort auf die Mail mit dem Themenvorschlag zu verfassen.
Dabei ist das Problem schnell eingekreist. Es geht um die Frage nach dem Umfang der Eignerpflichten und die Grenzen der Vorwerfbarkeit bei deren Verletzung.
Noch in der Sturmnacht, als der Wind allmählich abzunehmen begann, tauschten wir uns im Kreis der Kollegen über die Einordnung des Geschehens aus.
Natürlich wurde dabei auch der Vergleich mit 1989 gezogen, jenem Jahr, in welchem ein kleines Tief auf dem Weg von England aus nach Osten einen unvorhersehbaren Schlenker nach Norden machte, der es dicht in die Nähe eines sich zur gleichen Zeit verstärkenden Hochs über Südskandinavien brachte. Die dramatisch zunehmenden Luftdruckgegensätze führten urplötzlich zu einem Orkan über Norddeutschland. Mehrere Yachthäfen glichen hinterher einem Schlachtfeld, besonders betroffen war der Bereich der Kieler Förde und dort vor allem die Marina Wendtorf.
Der große Unterschied dieses Orkans, in dessen Folge rund 500 Yachten schwer beschädigt wurden und mehr als 100 sanken, zu heute – so mein Einwand im nächtlichen Chat – war dessen gänzlich überraschendes Auftreten. Keine Vorhersage hatte das Wettergeschehen damals angekündigt.
Das war diesmal anders. Meteorologe Sebastian Wache hatte hier auf yacht.de schon am Donnerstag fast protokollartig vorhergesagt, was uns erwartet.
Wenn man ein solches Szenario aber noch nie erlebt habe, so die Antwort in unserer Nachrichtengruppe, sei es doch kaum möglich, sich vorzustellen, was die prognostizierte Windgeschwindigkeit aus der betreffenden Richtung in Kombination mit einem Jahrhunderthochwasser am eigenen Liegeplatz genau bedeute.
Dem konnte ich, meine Hosenbeine waren vom Einsatz am eigenen Schiff noch nass, nur zustimmen. Das Resultat des prognostizierten Wettergeschehens hatte ich mir auch nicht ausmalen können. Zwar habe ich versucht, mir vorzustellen, was auf mein Schiff zukommen würde, und dieser Vorstellung entsprechend reagiert; dabei sogar ganz bewusst mehr getan, als ich anfangs für erforderlich hielt. Aber in der Rückschau muss ich mir eingestehen, dass meine schlimmsten Befürchtungen noch hinter dem schließlich Erlebten zurückgeblieben sind. Und heute ist mir klar, ich hätte noch mehr tun können.
Ich bin mir sicher, dass es vielen der betroffenen Eigner ähnlich ergangen ist, gleich, ob sie heute mit oder ohne Schaden dastehen.
Wie schwierig die für eine sorgfältige Vorbereitung auf die Nacht von Freitag auf Samstag erforderliche Einschätzung war, zeigen die vielen Beispiele, in denen benachbarte Häfen aufgrund minimaler Unterschiede, etwa einem anderen Winkel der Mole zum Wind, völlig unterschiedliche Schadensbilanzen aufzuweisen haben.
Ohne eine konkrete Vorstellung vom zu erwartenden Geschehen ist die Vorbereitung jedoch schwierig. Ab wann braucht es mehr als die an Bord befindlichen Festmacher? Ab wann gebietet es die Sorgfaltspflicht, das Schiff an einen anderen Liegeplatz zu verholen?
Nicht zuletzt um diese konkrete Vorstellung geht es bei der Frage, was von einem gewissenhaften, durchschnittlich erfahrenen Segler erwartet werden darf. Ob er sorgfältig gehandelt hat oder ihm Nachlässigkeit vorzuwerfen ist. Darf vorausgesetzt werden, dass er sich das Geschehen vorstellen konnte, als er vor dem Wochenende die Prognosen las?
Leicht fällt mir die Antwort nur für die Fälle, in denen Eigner sich gar nicht um ihr Schiff gekümmert haben, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre. Gleich, ob aus Sorglosigkeit oder weil das Kalkül, die Versicherung werde schon zahlen, zur Bequemlichkeit führte. Den Ärger darüber, dass sie ihren Schaden ersetzt bekommen, kann ich nachvollziehen. Dass das aber auf viele Eigner zutrifft, bezweifle ich.
Alle anderen Fälle sind individuell so unterschiedlich zu bewerten wie die Schäden selbst. Und meist wird man den Eignern zugutehalten müssen, dass es kaum möglich war, sich auszumalen, was die Prognose für den betreffenden Hafen bedeutet.
Niemand hatte Erfahrung mit einem Zusammenspiel von Sturm in Orkanstärke mit einem Jahrhunderthochwasser über einen lang anhaltenden Zeitraum am jeweiligen Liegeplatz. Und sich das eingetretene Ergebnis vorzustellen, davon bin ich fest überzeugt, überforderte schlicht jedermanns Vorstellungskraft.
Natürlich sollten wir uns nun mit dem Geschehen auseinandersetzen und Lehren daraus ziehen. Aber mit dem Finger aufeinander zeigen sollten wir nicht.
stellv. Chefredakteur YACHT
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