Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche hatte für mich zwei Schwerpunktthemen. Zum einen die Kulmination zweier großer Atlantik-Klassiker – hier das Finish des Mini-Transats, wo die Foiler erneut keinen Stich machten, dort die spannende Nord-oder-Süd-Frage beim Transat Jacques Vabre, in der ohne Foils gar nichts ging. Selten so schlaflose Nächte gehabt, so viel Spaß beim Abwägen der Strategien, beim Mitplotten der Kurse, so viel Hochachtung vor der Leistung der Akteure!
Das andere Thema war weniger offensichtlich, es ergab sich eher aus einer Häufung von Meldungen und Berichten, die es nicht so leicht in unsere Top-Liste schaffen. Dabei ist es an Relevanz kaum zu unterschätzen: Nachhaltigkeit. Und bevor Sie mit den Augen rollen oder direkt weiterswipen, weil Sie’s nicht mehr hören mögen – bleiben Sie noch einen Moment!
Montag legte das 11th Hour Racing Team seine Klimabilanz vor. CEO Mark Towill und Skipper Charlie Enright haben Anfang Juli nicht nur The Ocean Race gewonnen, als erste Amerikaner in den 50 Jahren dieser inoffiziellen Hochsee-Weltmeisterschaft. Sie haben dabei auch ein beispielloses Öko-Audit durchlaufen, das Maßstäbe weit über den Regattabereich hinaus setzt.
Das Life Cycle Assessment ihres Imocas „Malama“ hatte schon 2021 Vorbildcharakter, nicht zuletzt für den in dieser Hinsicht bislang wenig transparenten Serienbootsbau (zum 128-Seiten-Report geht’s hier). Auch der jetzt veröffentlichte Umweltverträglichkeitsbericht der gesamten Kampagne ist absolut lesenswert, weil er zeigt, wie sich Spitzensport und Nachhaltigkeit vereinbaren lassen, wenn man nur will (zum Download des Berichtes). Toll, wenn echte Siegerteams auch jenseits ihrer Kerndisziplin punkten!
Am Mittwoch wurde der neue World Ocean Review vorgestellt. Es ist der mittlerweile achte seit 2010, und die Bedeutung der wissenschaftlichen Dokumentation zum Zustand der Meere, initiiert von Mare-Verleger Nikolaus Gelpke, war noch nie so groß wie heute. Daran lassen die Autoren keinen Zweifel.
„Der Klimawandel ist im Alltag eines jeden Menschen angekommen und längst bittere Realität. Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung leidet inzwischen unmittelbar unter den Folgen der globalen Erwärmung, darunter vor allem Bevölkerungsgruppen mit wenig Geld, fehlenden technischen Möglichkeiten und fehlender politischer Unterstützung, um die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen. Zugleich versagen die ohnehin schon geschundenen Ökosysteme mehr und mehr ihren Dienst.“
Klima und Natur – so viel ist klar – machen keine Kompromisse“
Als Segler kann uns die Lektüre nicht kalt lassen. Denn auf See oder – wie die schwere Ostsee-Sturmflut gezeigt hat – im Hafen sind wir vor Extremwetter-Ereignissen nicht gefeit.
Der Auftakt des Transat Jacques Vabre lieferte jüngst einen weiteren Beleg: Neun Tage mussten die für schwerstes Wetter konzipierten Imocas im Hafen von Le Havre ausharren, bis sie starten konnten. Zu gefährlich waren die Bedingungen im Ärmelkanal und auf dem Nordatlantik, wo drei ausgeprägte Sturmtiefs in enger Abfolge das Meer in eine Todeszone verwandelt hatten.
Es gibt unter führenden Klimaforschern längst Konsens darüber, worin die Ursachen liegen und was zu tun wäre. Nur Trolle und die von ihnen indoktrinierten Realitätsverweigerer bestreiten die Zusammenhänge noch. Im World Ocean Review heißt es:
„Durch den Ausstoß von Treibhausgasen hat die Menschheit in den zurückliegenden 120 bis 170 Jahren einen Anstieg der globalen Oberflächentemperatur um 1,15 Grad Celsius verursacht. Infolge dieser Erwärmung haben sich viele Komponenten des Erdklimas in einer Geschwindigkeit verändert, wie sie unser Planet seit Jahrtausenden nicht erlebt hat. Die Folgen dieser Klimaveränderungen schaden Mensch und Natur in einem zunehmenden Maß und berauben sie Stück für Stück ihrer Lebensgrundlagen. Alle Gebiete der Erde sind mittlerweile vom Klimawandel betroffen. Jedes weitere Zehntelgrad Erwärmung wird dazu führen, dass (dieser) Wandel sich verstärkt.“
Segeln, hört man oft, sei zum Glück eine umweltgerechte Form des Freizeitvertreibs, weil wir nur den Wind als Antriebskraft brauchen und so gut wie keinen Kraftstoff. Außerdem, heißt es, halten Boote ein halbes Jahrhundert oder länger. Und es ist, ohne Frage, eher ein Nischen- denn ein Volkssport.
Das stimmt, ohne Zweifel.
Aus all diesen Gründen segeln wir bisher unterhalb des regulatorischen Radars: kaum Grenzwerte, keine Recyclingquoten, nicht einmal freiwillige Selbstverpflichtungen für Einsparziele beim Ressourcenverbrauch. Es wirkt, wenn man die prekäre Lage des Planeten betrachtet, mindestens irritierend. Mich erinnert es an die von Wallace Hartley geleitete Bordkapelle auf dem Achterdeck der “Titanic”, die noch musizierte, als das Schiff nach der Kollision mit einem Eisberg längst leckgeschlagen war. Sogar auf Binnenrevieren wie dem Bodensee, die als Trinkwasserspeicher dienen, werden wie selbstverständlich veritable Hochseeyachten mit großen Dieselmotoren zugelassen.
Man kann durchaus die Frage stellen, was eine Begrenzung des CO2-Ausstoßes bei einer nur sporadisch genutzten Maschine brächte oder Vorgaben für die Recyclingfähigkeit von Yachtrümpfen, solange ein Vielfaches an Wohnmobilen und Wohnwagen jedes Jahr neu auf den Markt kommt.
Und doch erinnert es an die nicht völlig abwegige, aber leider auch nicht wirklich zielführende Argumentation, wonach wir in Europa mit dem Klimaschutz gar nicht anzufangen brauchen, wenn China und die USA als größte Emittenten von Treibhausgasen nicht mitziehen.
So vergleichsweise klein der Sportbootmarkt in einer globalen Sicht sein mag: Leider gehört es auch zur Wahrheit, dass GFK-Yachten schon beim Bau einen sehr hohen Ressourcenverbrauch haben und am Ende ihres Lebens keine auch nur halbwegs befriedigende Wiederverwertbarkeit. Dass die Zahl der Motorstunden im Charterbereich exorbitant gestiegen ist, in manchen Mittelrevieren auf jenseits von 1.000 pro Jahr, weil die Maschine bei zu wenig Wind ebenso bemüht wird wie bei vermeintlich zu viel. Und dass Eigner wie Charterer oft weite Wege zurücklegen für ein Wochenende oder eine Woche auf dem Wasser.
Zum Glück kommt dennoch allmählich Bewegung in den Segelsport. Zwar sind die allermeisten Bootsbauer, Ausrüster und Vercharterer noch weit entfernt von der Konsequenz, mit der die Ocean-Race-Sieger von 11th Hour Racing sich des Themas angenommen haben. Aber mehr und mehr Firmen beginnen, den Status quo in Frage zu stellen – und handeln.
Mit Greenboats gibt es hierzulande eine kleine Musterwerft für Nachhaltigkeit, die international für ihre Technologie und ihr Knowhow prämiert wurde. Mit Beneteau hat sich inzwischen auch der weltgrößte Sportboot-Hersteller auf den Weg gemacht, seine CO2-Bilanz deutlich zu senken.
Diese und viele andere Beispiele finden Sie im neuen YACHT-Spezial Nachhaltigkeit, das von diesem Wochenende an bei unseren Abonnenten im Briefkasten liegt und im Delius-Klasing-Shop oder in der DK Magazin Kiosk-App (iOS und Android) bestellt werden kann.
Eines meiner persönlichen Lieblings-Projekte ist die neue Bestevaer 36. Deren Rumpf besteht zu zwei Dritteln aus recyceltem Aluminium und ist in der Herstellung ebenso wie im Recycling jeder GFK-Yacht überlegen. Autor Alexander Worms beschreibt sie als eines jener Schiffe, „die früher Fensterrahmen, Kaffeekapseln oder Verkehrsschilder waren“. Ihr Deck ist rutschfest durch Glasperlstrahlen, braucht also weder einen Belag noch Strukturfarbe. Aluyachten, schreibt Alex im Sonderheft, seien deswegen nicht per se grün, aber immerhin „so wenig wie möglich nicht nachhaltig“. Denn auch sie belasten den Planeten um ein Mehrfaches dessen, was ein Auto bei der Herstellung an CO2-Emissionen verursacht.
Es ist, Sie ahnen es, kompliziert. Aber es lassen sich Wege finden, wenn man will. Und manchmal kann es auch ganz einfach sein. Das Sonderheft zeigt Dutzende Lösungsansätze – technische, die noch ganz am Anfang stehen, aber auch solche, die wir alle selbst in der Hand haben: beim nächsten Chartertörn, beim nächsten Kauf neuer Festmacher oder Segel.
Auf der weltweiten Ausrüstungs-Leitmesse Mets, die von Mittwoch bis Freitag in Amsterdam stattfand, gewann übrigens ein elektrischer Antrieb den Hauptpreis: Oceanvolt holte mit dem 25 kW starken HighPower ServoProp den prestigeträchtigen Dame Award, wie Max Gasser hier berichtet. Die E-Maschine aus Finnland kann, als Schleppgenerator eingesetzt, beim Segeln bis zu 5 kW pro Stunde an elektrischer Energie in die Akkus zurückpumpen. Kein Perpetuum mobile, aber nah dran, solange Wind weht.
Wir brauchen mehr solcher Innovationen – nicht noch größere Boote, noch mehr Nasszellen, noch mehr Kühlschränke, noch mehr von all dem, was mit dem Reiz des Segelns eigentlich gar nichts zu tun hat.
Herausgeber YACHT
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