MeinungDoch nicht reif für die Insel?

YACHT-Redaktion

 · 11.03.2023

Meinung: Doch nicht reif für die Insel?
YACHT-Woche – Der Rückblick

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Liebe Leserinnen und Leser,

„Was hast du eigentlich für eine Rettungsinsel?“, wollte vor Kurzem ein Freund von mir wissen. Da ich in den vergangenen Jahren immer, wenn Sicherheitsequipment bei der YACHT getestet wurde, als Versuchskaninchen im Wasser getrieben bin und deswegen einen sehr guten Überblick im Bereich Sicherheits-Ausrüstung habe, war er fest davon ausgegangen, dass bei mir an Bord ein selbst aufblasbares Rettungsfloß zu finden ist. Umso überraschter war er, als ich antwortete, dass ich aus Überzeugung keine Rettungsinsel hätte. „Aber was, wenn du in Seenot gerätst?“ Darauf konnte ich nur, zugegebenermaßen etwas lapidar, sagen: „Ich würde alles dafür tun, dass das Boot nicht sinkt. Und im Notfall ist doch schnell Hilfe da, wir segeln doch auf der Ostsee immer in Küstennähe.“

Eine Rettungsinsel hilft, wenn das Boot untergeht oder brennt. Diese beiden Notfälle machen Seglern zu Recht Angst, allerdings bin ich der Meinung, dass eine Rettungsinsel nur die letzte Eskalationsstufe in einer Reihe von Maßnahmen ist und bestimmt nicht die mit der höchsten Priorität. Es gibt sogar Gründe, die gegen das Rettungsfloß sprechen: Die Rettungsinsel ist ein großer und schwerer Container (oder Tasche), auf kleinen Booten ist dafür meist kein guter Platz zu finden. Wird sie unter Deck oder am Grund einer Backskiste gestaut, ist sie im Notfall gar nicht erreichbar. Und auch wenn die Crew die Insel erfolgreich geöffnet und geboardet hat, bedeutet das noch lange nicht die Rettung. In den meisten Fällen vermittelt das Vorhandensein der Rettungsinsel nur eine falsche Sicherheit. Das kann an sich schon gefährlich sein, wenn man sich einzig und allein auf die weiße Kunststoffbox auf dem Aufbau verlässt.

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Das prominenteste Beispiel für die Gefahr, die von diesem Trugschluss ausgeht, ist die Geschichte von Nick Ward und Gerry Winks im Katastrophen-Fastnet-Race von 1979 (siehe YACHT 15/2008). Das Regattafeld wurde von einem nicht angekündigten Sturmtief überrascht, viele Yachten gerieten in Seenot, fünf sanken, und 15 Segler verloren damals ihr Leben. Auch die Crew der „Grimalkin“ stieg in die Rettungsinsel über und ließ die beiden totgeglaubten Mitsegler an Bord zurück. Nach einem 14 Stunden andauernden Martyrium wurde Ward abgeborgen. Er war aus der Ohnmacht erwacht, hatte das Boot durch Schöpfen mit einem Eimer vor dem Untergang bewahrt, konnte aber seinem Mitsegler Gerry Winks nicht mehr helfen. Die anderen vier Crewmitglieder in der Rettungsinsel wurden ebenfalls abgeborgen, der Skipper war da allerdings schon tot. Da sie Ward und Winks für tot hielten, suchten sie aber nicht nach ihrem Boot. Zu diesem Zeitpunkt hatte Winks noch gelebt und eine Rettung wäre eventuell sogar noch möglich gewesen. Das Überleben von Nick Wards zeigt zudem deutlich, dass sie die Yacht vorzeitig aufgegeben hatten.

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Neben diesem historischen Beispiel habe ich aber auch eigene Erfahrungen, die mein Vertrauen in die Insel schmälern. Darunter ein Vergleichstest mit 6 Modellen (YACHT 12/2015) in einem Übungsbecken mit künstlichen Wellen und Wind. Dabei zeigte sich, dass einige der sperrigen Taschen unschöne Überraschungen bereithielten. Von schlechter Qualität über nutzlose Ausrüstung bis hin zu einer Lenzöffnung, durch die springbrunnenartig Wasser in das Rettungsfloß sprudelte. Der Test war so spannend, weil sonst niemand in seine Rettungsinsel schauen kann, schon gar nicht in so viele verschiedene Modelle. Man muss einfach hoffen, dass sie im Ernstfall auch hilfreich ist. Besonders eindrücklich aber war, wie anstrengend der Einstieg aus dem Wasser bei (simuliertem) Seegang fiel und wie viel Wasser dabei auch in das Innere der Rettungsinsel gelangte.

Noch realistischer war der Selbstversuch in YACHT 21/2017: Eine Nacht zu dritt im Rettungsfloß vor Fehmarn. Obwohl das Wasser Ende September noch warm und die Nacht fast windstill war – eine Grenzerfahrung. In dem Rettungsfloß für sechs Personen war es zu dritt schon viel zu eng. Außerdem wurde es nachts extrem kalt. Dazu kam das mulmige Gefühl, in dieser unterdimensionierten Hüpfburg aufs Meer hinauszutreiben. Gegen den kalten Luftzug war der erste Impuls, die Spraycap über dem Floß zu verschließen. Dann trieb man aber völlig blind auf dem Wasser. Unmöglich rettende Schiffe zu sichten und eine der wenigen Seenot-Raketen abzufeuern. In unserem Selbstversuch hofften wir nicht auf Rettung, aber das Gefühl, blind aufs Meer zu treiben, fühlte sich dennoch falsch an. Was, wenn ein Fischkutter oder andere Berufsschifffahrt das winzige Rundumlicht auf der Insel übersah und uns überfuhr? Also blieb die schützende Plane doch ein Stück geöffnet, trotz der Kälte. Nach dieser Erfahrung waren wir uns einig: Bitte nicht noch einmal! Und schon gar nicht im Ernstfall. Wir würden im Havariefall noch ausdauernder um unser Boot kämpfen. Das Fazit: Es wird erst in die Rettungsinsel gestiegen, wenn man von der Yacht aus einen Schritt nach oben machen muss. Soll heißen, die Yacht schon fast untergegangen ist. Also als allerletzter Ausweg.

Noch wichtiger ist mir seitdem, was alles vor der Aufgabe des Bootes getan werden kann. Häufig sind die Gründe für Wassereinbruch trivial: Eine Schlauchschelle versagt, schlecht gesicherte Ausrüstung verrutscht und reißt den Schlauch vom Ventil. Die Lenzpumpe kann aber nicht gegen das eindringende Wasser, selbst eines kleinen Rumpfdurchlasses, anpumpen. Es ist also entscheidend, das Leck zu finden und zu verschließen. Dafür gibt es Pfropfen aus Holz oder Kunststoff oder auch spezielle klebrige Pasten wie Leak Hero, mit denen auch größere Lecks verschlossen werden können. Wer sich besonders gut vorbereitet, hat an jedem Seeventil einen Holzpfropfen im passenden Durchmesser festgebändselt. Diese Vorbereitungen können schon im Winterlager beginnen. Eine Schlauchschelle kostet unter fünf Euro, von ihr hängt im Zweifel aber das Wohl des Schiffes ab. Sie zu tauschen kann langwierig sein, sieht sie aber schon korrodiert aus, sollten diese Mühen nicht gescheut werden. Zudem hilft bei der Suche nach einem Leck eine gute Kenntnis der Installation. Für Eigner sicher selbstverständlich, auf einer Charteryacht bedeutet es zusätzlichen Aufwand, vorher alle Seeventile zu suchen. Diese Vorbereitung kann im Ernstfall aber helfen.

Der zweite Grund für den Verlust des Schiffes ist Feuer. Ist es außer Kontrolle, hilft nur noch, schnell das Boot zu verlassen. So weit muss es aber nicht kommen. Die meisten Brände können in der Anfangsphase noch einfach gelöscht werden. Häufige Ursachen sind die Pantry und Elektrik. Fettbrände in der Pantry sind besonders tückisch, direkt in der Entstehung reicht es aber sogar noch, die Hitzezufuhr zu unterbrechen, also den Herd auszuschalten. Später kann mit speziellen Löschern noch das Schlimmste verhindert werden. Bei der Elektrik sind es zu dünne Kabelquerschnitte und korrodierte Kontakte, die zum Brand führen können. Beides lässt sich durch Sorgfalt bei der Installation und Wartung vermeiden. Feuer an Bord bedeutet aber im Ernstfall nicht direkt den Verlust des Schiffes, wenn ein Feuerlöscher schnell zur Hand ist.

Neben diesen Maßnahmen muss aber auch an die Möglichkeit gedacht werden, Hilfe zu holen. Dabei ist es sogar unerheblich, ob sich die Crew in der manövrierunfähigen Yacht oder bereits in der Rettungsinsel befindet. Ein Epirb alarmiert die Rettungskräfte, auch wenn per Funk kein anderes Schiff erreichbar ist. Aber auch klassische Pyrotechnik hilft, wenn ein anderes Schiff in Sichtweite ist. In Küstengewässern ist dann meistens ein Rettungskreuzer in unter einer Stunde vor Ort. Besonders in der westlichen Ostsee sind aber auch viele andere Sportboote oder Frachtschiffe und Fischer unterwegs, sodass meistens schnelle Hilfe geleistet werden kann.

In jedem Fall ist es besser, an Bord zu bleiben. Selbst nach Verlust des Riggs, Antriebs oder Ruders ist die Crew an Bord besser aufgehoben als in einer zu kleinen Rettungsinsel. Auch wenn sich die Situation auf einer beschädigten Yacht aussichtslos anfühlen mag, der Schritt in die Rettungsinsel wird die Probleme meistens nur vergrößern. In die Insel kommt man meistens nicht, ohne völlig durchnässt zu werden. Schnell droht Unterkühlung. In der Hektik des Verlassens der Yacht wird schnell vergessen, lebensnotwendige Ausrüstung, Wasser und das Erste-Hilfe-Set mitzunehmen, also Handfunkgerät, Notsender, Nahrungsmittel, Medikamente und warme Kleidung. An Bord findet sich alles Nötige, warum also überstürzt in die schlechtere Alternative wechseln?

Ich möchte der Rettungsinsel aber nicht ihre Daseinsberechtigung absprechen. Seglern, die auf ausgedehnten Touren die Weltmeere bereisen, würde ich dieses Rettungsmittel dringend empfehlen. In Gegenden, wo die Crew eventuell Tage auf Rettung warten muss, ist sie die Lebensversicherung. Dann muss sie aber auch groß genug (also deutlich überdimensioniert), regelmäßig gewartet und griffbereit sein. Zudem gehört zur Rettungsinsel auch ein Grab Bag mit der Ausrüstung für den Notfall. Hilfreich ist auch ein Sicherheitstraining, um zu erfahren, wie das Rettungsfloß funktioniert. Dann ist es eine wichtige Ergänzung in einer Reihe von weiteren sicherheitsrelevanten Vorkehrungen.

Ich halte es für falsch, sich auf die weiße Kiste zu verlassen, ohne den Ernstfall jemals geprobt zu haben und nicht zu wissen, welche Ausrüstung in der Rettungsinsel enthalten ist. Es spricht nichts gegen die Anschaffung einer Rettungsinsel. Ich halte es nur für gefährlich, sich in falscher Sicherheit zu wiegen und darüber wichtige Vorsichtsmaßnahmen zu vernachlässigen. Und wenn mich wieder jemand fragt, ob er für einen Sommertörn in die Dänische Südsee eine Rettungsinsel braucht, sage ich weiterhin guten Gewissens nein.

Michael Rinck, YACHT-Redakteur Test & Technik

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