LiteraturArchetyp “Segler Gustaf” über die Psychologie des Daumens

YACHT-Redaktion

 · 10.08.2024

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Foto: YACHT-Archiv/Kurt Schmischke
Mit Segler Gustaf schuf Wolfgang J. Krauss in den 1960er Jahren den Archetypus des segelnden Familienvaters, dessen Lebensphilosophie maßgeblich vom Dasein als Eigner des Spitzgatters „Sindbad“ geprägt ist

Text von Wolfgang J. Krauss

Millionen kluger Abhandlungen, Dissertationen und ähnlicher Weisheitstropfen füllen die Archive der Universitäten und Bibliotheken. Über die Bedeutung des Daumens im Leben der Völker sind jedoch noch niemals Betrachtungen angestellt worden. Dabei verdient gerade diese Frage eine eingehende Analyse, weil hier in inniger Harmonie physikalische, soziologische und emotionelle Funktionen das Schicksal der Menschen beeinflussen.

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Betrachten wir zum Beispiel Gustaf. Wie viele tausend Arbeitsstunden hat er im Laufe seines Lebens damit vergeudet, wissenschaftlich längst bewiesene Tatsachen nachzuprüfen? Ja, in welchem Umfang hat er durch solche Pedanterie das Sozialprodukt geschmälert und dadurch die gesamte Nation geschädigt? Gustaf weiß eben nichts über die „Bedeutung des Daumens im Leben der Völker“. Das heißt – er wusste nichts. Dies hat sich geändert, und zwar auf folgende Weise: Gustaf war, wie alle notorischen Segler, ein Pedant von beträchtlichem Ausmaß – sozusagen ein fleischgewordener Zollstock. Wenn Gustaf ein Loch bohren wollte, griff er sich nicht aus der Backskiste mal eben einen Sechs-Millimeter-Bohrer und bohrte damit drauflos. Nein, zuerst wurde mit dem Nonius die Stärke des Bohrers nachgemessen und mit der aufgestanzten Zahl verglichen. Dann erst wurde gebohrt.

So war Gustaf: gründlich und peinlich exakt

via LasseFoto: YACHT-Archiv/Kurt Schmischke

Zollstock und Schublehre waren seine besten Freunde, und er trug sie ständig bei sich. Es gab ja immer etwas zu messen! Dass er damit seiner Umgebung auf die Nerven fiel, machte ihm nichts aus – er fühlte sich als unverstandener Prediger in der Wüste und bedauerte alle Leute, die nicht so akkurat waren. Nun, man kennt das ja von den Seglern: Alles muss „so“ gemacht werden und nicht anders, die Schoten werden „so“ belegt, die Taklings werden „so“ aufgesetzt, Fallen werden „so“ aufgeschossen, Muttern werden „so“ angezogen und Segel werden „so“ gesetzt.

Wenn Gustaf auf seinem Schiff irgendein unbedeutendes Detail ändern wollte, wies sein Gesicht schon Wochen vorher gequälte, grüblerische Züge auf. In sein Notizbuch trug er mehrmals täglich geheimnisvolle Zahlen ein. Seine Büroarbeit litt unter dem heftigen Zwang, auf vielen kleinen Zetteln private Konstruktionszeichnungen entwerfen zu müssen. Und das Problem, zwei Rohrstücke durch einen Flansch zu verbinden, konnte ihn sogar um den nächtlichen Schlaf bringen.

So war es bei unbedeutenden Dingen. Aber welch fanatische Akribie zeigte Gustaf erst bei wirklich großen Sachen! Einmal fertigte er, um eine Leitöse an Deck zu versetzen, siebzehn Segelrisse an – mit den verschiedensten Neigungswinkeln des Mastes, vor- und zurückversetzten Vorstagen, hoch und tief gestroppten Vorsegeln bei einfach und doppelt geschorener Schot. Dann baute er ein Modell 1 : 20 mit richtigen Segeln, an denen Seidenfäden befestigt waren, um mittels eines Fön-Apparates den Düsenstrom des überlappenden Tuchs zu kontrollieren. Zum Schluss blieb alles beim alten, weil die Versetzung der Leitöse ihm doch noch nicht konstruktionsreif erschien.

Ja, so war Gustaf! Gründlich, peinlich exakt und von immensem Forschungsdrang beseelt.

Motor muss in “Sindbad” eingebaut werden

Das war wohl auch der eigentliche Grund, weshalb er so lange auf den Einbau eines Motors in seine alte „Sindbad“ verzichtet hatte. Es war zu viel dabei zu bedenken! Nicht nur die Auswahl einer geeigneten Motortype war es, was ihm so viel Kopfzerbrechen bereitete. Nein, allein schon der Gedanke an die technische Durchführbarkeit des Problems konnte ihn des Nachts erschrocken im Bett hochfahren lassen, so dass Frieda besorgt fragte, ob er Fieber habe. Und dabei war ihm nur mal wieder eingefallen, wie er sein Stevenrohr legen könnte, ohne dabei die zahlreichen langen Gewindebolzen zu beschädigen, die ein kluger Yachtkonstrukteur vor mehr als dreißig Jahren an dieser Stelle vorgesehen hatte.

Dass er jetzt doch den kühnen – und für ihn geradezu gewalttätigen – Entschluss fasste, den Einbau einer Hilfsmaschine durch eine kleine dänische Motorenfabrik vornehmen zu lassen, war schließlich nur Friedas Überredungskunst zu verdanken. Die Kapitäneuse hatte das ewige Grübeln satt und wollte endlich wieder einen strahlenden Käpt’n sehen.

Die Wochen davor waren schlimm! Sie drohten mehrmals, Gustaf mit seinen Lieben entgültig zu entzweien. Für seinen Beruf hatte er überhaupt keine Zeit mehr, und auch nachts maß er in Gedanken Spantenwinkel und Motorgefälle aus, legte im Geist den Plichtboden höher und den Kajütboden tiefer, bohrte Löcher durch Wrangen und Außenhaut (welch grässlicher Gedanke!) und machte komplizierte Zeichnungen und Schaltpläne für die ganze Daddelei, die mit solch einer stinkenden und lärmenden Apparatur nun einmal verbunden ist. Sein Notizbuch war mit Zahlen­akrobatik bis zur letzten Seite angefüllt, und sein Gehirn ähnelte einem Druckkessel mit klemmendem Sicherheitsventil.

Der Kerl hatte nicht mal etwas ausgemessen

In diesem Zustand kam man in Dänemark an. „Sindbad“ ging auf die Werft, und ein junger Mann in blauem Overall stieg an Bord. Gustaf packte seine Zettel aus und machte sich daran, sein Gehirn zu entleeren. Endlich konnte der Druck von ihm weichen. Aber der junge Techniker schüttelte nur den Kopf. Er wollte die Zettel nicht sehen und auch Gustafs in holprigem Dänisch vorgebrachte Erklärungen nicht hören. Er guckte nur einmal unter die Bodenbretter, kratzte sich am Kinn, legte den Kopf auf die Seite und ging wieder fort.Gustaf wunderte sich. Das war für den Anfang nicht viel gewesen. Der Kerl hatte ja nicht mal etwas ausgemessen. Sicher war das bloß die Vorhut und der eigentliche Messtrupp kam noch.

Nachmittags kam der junge Mann wieder. Er hatte einen Kollegen mitgebracht. Beide hockten im Cockpit und starrten auf den Fußboden. Hin und wieder knurrten sie sich ein Wort zu. Um Gustaf und seine Zettel kümmerten sie sich nicht. Dann standen sie beide auf.

„Okay“, sagte der Blaue, „morgen beginnen Montage.“

Gustaf glaubte, nicht richtig zu hören. Montage? Die waren wohl verrückt! Wo blieben die Einbauzeichnungen und der Montageplan? Das war doch Sache eines Ingenieurs! Und das hatte vorher ausgemessen zu werden. Verdammt noch mal!

„Har di keenen Inschenier?“, fragte er erbost den Blauen.

„Jo“, gab dieser zur Antwort, „bin szich szelbst Inschenier.“

„Na und die Zeichnung? – Tekning?“

„Nix Tekning – alles okay!“

Es war wieder einmal eine schlechte Nacht für Gustaf. Erst als Frieda energisch wurde und selbst das ahnungslose Julchen seinen Senf dazu beigesteuert hatte, machte Gustaf die Augen zu und das Licht aus. Wie sollte das bloß werden! Sein schönes Schiff! Und nicht mal eine Zeichnung. Das kommt davon, wenn man so etwas im Ausland machen lässt!

Das widerliche Knacken des splitternden Mahagoniholzes

via LasseFoto: YACHT-Archiv/Kurt Schmischke

Morgens rückte eine Kolonne freundlicher Männer an, die auf einem Handwagen einen grün angestrichenen Motorblock mit sich führten. Sie machten „hoh-ruck“, und ehe Gustaf sich’s versah, stand der Eisenklotz im Cockpit. Der Blaue kniff die Augen zusammen, steckte einen Keil unter das Schwungrad und hob den Motor an der Stirnseite etwa an. Dann nahm er einen Hammer, schlug mit raschen, geübten Schlägen die Verschalung der Seitenschapps auseinander, entfernte die Duchten und Bodenbretter und rief nach einer Säge.

Gustaf stieg es sauer in der Kehle hoch. Bevor er sich tränenden Auges abwenden konnte, sah er noch, wie einer der Kerle mit der Säge ein riesiges Loch in das Brückenschott geigte, groß genug, um drei Motoren dort hineinzuschieben. Als er seine auf dem Brückendeck ausgebreiteten Konstruktionszettel einsammeln wollte, musste er sie längere Zeit suchen. Der Blaue hatte sich draufgesetzt. Ein Blatt klebte dem Mann mit der Säge unter der Schuhsohle.

Die Montage hatte begonnen. Gustaf stieg aus. Er merkte, daß er überflüssig war, und zog vor, das weitere Geschehen von einer an „Sindbad“ gelehnten Leiter aus zu verfolgen. Aber das widerliche Knacken des splitternden Mahagoniholzes und das an seinen Nerven fressende Geräusch der Säge vertrieb ihn bald auch von dort. Er wendete – begleitet von Frieda und Julchen – seine Schritte stadtauswärts. Es war ein schweigsamer Marsch.

Gegen Mittag trieb ihn seine Unruhe wieder zur Werft. Neben „Sindbad“ lag ein Berg lackierter Hölzer, die unschwer erkennen ließen, woher sie stammten. Gustaf hatte sie seit Jahren in jedem Frühjahr liebevoll geschliffen und gepönt. Und wie oft hatte er beim Segeln zu Julchen gesagt: „Mach den Sand von den Schuhen – denk an den Lack!“ Nun lagen die Trümmer vor ihm. Musste denn wegen solch eines blöden Motors alles kaputt gemacht werden? Nein, dem war er nicht gewachsen. Das war zu viel für ihn.

Gustaf hielt nicht viel vom „Daumenmaß“

Da an Deck die „Blaue Gang“ regierte, hockte er sich im Schatten der „Sindbad“ resigniert auf einen Stapel Bretter und gab sich seiner Verzweiflung hin. Ein dicker Schiffszimmermann war gerade dabei, mit einem schweren Vorschlaghammer die im Totholz des Achterstevens eingebetteten Gewindebolzen herauszuschlagen. Hei, wie das krachte! Bei jedem Schlag zitterte „Sindbad“ in ihren Spanten, und man sah, wie die Pallings sich bewegten. Als nächstes würden wohl die Stützhölzer umfallen, aber das geschah den Kerlen recht. Warum gingen sie mit dem Schiff so roh um.

Nach Feierabend kletterten Gustaf, Frieda und Julchen wieder an Bord. Herrjeh, wie sah das Schiff aus! Überall lag Handwerkszeug herum, und in allen Ecken häuften sich Holzreste und Sägespäne. Der Motor kauerte wie ein bösartiges Raubtier auf den Bodenbrettern. Gustaf deckte ihn mit einem Stück Segeltuch zu. Er konnte das Biest nicht mehr sehen.

Am nächsten Morgen kamen die Zimmerleute sehr frühzeitig. Frieda räumte schnell das Frühstücksgeschirr zusammen, und Gustaf verschwand knurrend von Bord. Die Männer hatten armdicke Eichenbalken mitgebracht, die sie mit Äxten bearbeiteten und der Schmiege des Schiffsbauches anpassten. Aha, das sollten die Fundamente werden!

Gustaf hielt nicht viel vom „Augenmaß“. Aber was hier geschah, war schon kein Augenmaß mehr – das war „Daumenmaß“ in sträflicher Unbekümmertheit. Die Männer ließen sich jedoch durch Gustafs feindselige Blicke in keiner Weise stören. Sie passten die Fundamentwrangen an, nahmen hier ein wenig mit der Axt fort, raspelten dort ein wenig, prüften mit Mennige den Abdruck an der Bordwand und krönten ihr Werk, indem sie von außen spannenlange Zinknägel – die sie „Spiker“ nannten – durch den Schiffsrumpf in das knarsche Eichenholz des Fundaments trieben. Gustaf zitterte am ganzen Körper. Er glaubte nicht, dass es etwas noch Barbarischeres geben könnte als das Vernageln seiner herrlichen Außenhaut mit den fingerdicken Spikern. Aber das war nur der Anfang.

Die bohrenden Vandalen

Plötzlich stand ein Mann mit einem zwei Meter langen Bohrer am Heck des Spitzgatters. Dort, wo sich sonst das tiefgehende Ruderblatt in seinen Zapfen drehte – zwei Handbreit unter dem Wasserpaß –, setzte er die Spitze des Bohrers an und begann den Apparat mit zügigen, kraftvollen Bewegungen zu drehen. Offenbar wollte er das Loch für das Stevenrohr bohren.

„Halt“, rief Gustaf, „stopp, stopp!“ Und schon stand er neben dem bohrenden Vandalen und fragte fünf Dinge auf einmal. Wieso gerade dort – wer das ausgemessen hätte – wo er die Zeichnung habe – ob die Wellensteigung einkalkuliert sei und woher er wisse, ob er mit dem Bohrer an der richtigen Stelle herauskomme.

Der Mann verstand nicht, was Gustaf ihn auf deutsch gefragt hatte, aber er nickte gutmütig mit dem Kopf: „Jo, jo.“ Er kannte Leute wie Gustaf, die immer alles mathematisch berechnet haben wollen, was ein alter Bootsbauer in den Fingerspitzen hat. Er hob den hochgespreizten Daumen der rechten Hand bis in Augenhöhe und visierte darüber einen imaginären Punkt im Weltall an – das internationale Zeichen für Über-den-Daumen-Peilen. Dabei griente er Gustaf besänftigend an, als ob er sagen wollte: „Nur keine Angst, mien Jung, mit so etwas werden wir täglich fertig.“

Und dann bohrte er bedächtig weiter. Mit jeder Drehung der am Ende des Bohrers befindlichen Handspake schraubte sich das Monstrum knirschend in das Totholz. Zentimeter um Zentimeter, Dezimeter um Dezimeter, einen halben, einen, anderthalb und schließlich zwei Meter. Niemand war da, der dem Zimmermann zurief: „Ein bisschen höher, ein bisschen tiefer, jetzt etwas links – recht so.“ Der stand nur breitbeinig auf dem holperigen Boden hinter der „Sindbad“ und drehte freihändig und ohne genau hinzusehen seinen Stahl in die Eingeweide des Schiffes.

Das war ein „Skol“ wert!

Was meint ihr wohl, wo Gustaf war? Nachdem er eine halbe Stunde nervosierend von einem Bein auf das andere gesprungen und wie ein tanzender Derwisch um den Bohrenden herumgehüpft war, hielt er es an Land nicht länger aus. Er kletterte an Deck und starrte gebannt in das Innere der Bilge, wo der Ingenieur an einer bestimmten Stelle des Kielbalkens mit Kreide ein Kreuz gemacht hatte. Hier sollte die Bohrerspitze zum Vorschein kommen. Kaum glaublich, dass solch ein Wunder möglich war! Gustafs Pupillen sogen sich an dem Kreidekreuz fest wie die Augen einer Katze an einem Mauseloch. Er glaubte nicht an Wunder, ja, er wünschte fast, der Bohrer möge an einer falschen Stelle ans Tageslicht treten. Dann hätte er doch recht behalten mit seiner Gründlichkeit.

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Als er längere Zeit voller Unruhe das Kreuz fixiert hatte, ohne dass sich außer dem knirschenden Laut des mahlenden Bohrers etwas ereignete, bekam Gustaf es mit der Angst. Womöglich kam die Bohrerspitze überhaupt nicht zum Vorschein und drehte horizontal im Totholz weiter bis ans Ende der Welt? Oder sie kam seitlich heraus oder brach sogar ab? Gustaf stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Er blickte über die Reling zu dem Zimmermann hinab, aber der sog gelangweilt an seiner Pfeife und drehte mit der Gleichförmigkeit eines Ventilators seinen Holzgriff.

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Gegen Mittag waren Gustafs Beine eingeschlafen und seine Kniekehlen schmerzten. Als er mit der zehnten Zigarette seine Nervosität mühsam zu bekämpfen versuchte, schien es, als ob das weiße Kreuz sich leicht bewegte. Im Kielholz klaffte ein winziger Spalt, der das Kreuz wie abgezirkelt in zwei gleiche Hälften teilte. Ein Span hob sich vibrierend ab, das Kreuz klaffte auseinander. In seinem Zentrum erschien die Spitze des Bohrers.

Gustaf war platt. Er griff sich die Rumbuddel aus dem Flaschenschrank und stieg zu dem Zimmermann nach unten. Das war ein „Skol“ wert! Doch als überzeugter Pragmatiker musste er herausbekommen, wie so etwas möglich war: Ganz ohne Zollstock, ohne Zeichnung und ohne Winkelmaß ein zwei Meter tiefes Loch durch einen nur handbreiten Kiel zu bohren und genau an der gewünschten Stelle zu landen! Der Mann mit dem Bohrer lachte verlegen. Er hob wieder seinen Daumen und peilte die Sonne an.

Sein Schiff hatte gewonnen

Über die weiteren Ereignisse ist nicht mehr viel zu berichten. Der Motor wurde montiert, eine schöne, neue Holzverkleidung darumgebaut, ein Teakholzkasten für das Wendegetriebe angefertigt und ein blitzendes Armaturenbrett im Cockpit angeschraubt. Ausgemessen wurde überhaupt nichts. Nur eben geguckt, gebaut und angepasst – und schon saß wieder so ein neuer Kasten irgendwo.

Als nach fünf Tagen alles fertig war und „Sindbad“ ins Wasser zurückrollte, musste Gustaf sich ehrlich eingestehen, dass sein Schiff gewonnen hatte. Nachdem auch der Motor auf Anhieb lief – was Gustaf bis zuletzt bezweifelt hatte –, gab es eigentlich nichts mehr, was er hätte kritisieren können.

Am nächsten Morgen verließ „Sindbad“ die Werft, um die unterbrochene Urlaubsreise fortzusetzen. Die Werftleute standen am Ufer und winkten – der Blaue in seinem Overall, der Bulle mit dem Vorschlaghammer und der Bohrwurm ohne Nerven.

Gustaf sah seinen Daumen an. Ein schöner, kräftiger Daumen. Ein deutscher Daumen – praktisch, nüchtern und befehlsgewohnt.

Da er in den Belt wollte, griff er nach der Seekarte und dem Kurslineal, um den Kurs abzusetzen. Aber nach kurzem Überlegen warf er beides wieder in die Kajüte zurück und peilte grob mit dem linken Daumen Nordnordwest. Dann holte er die Schot dicht und ging auf Kurs. Ohne Lineal.

Er besah noch einmal seinen Daumen. Tolles Ding eigentlich, so ein Daumen. Und dabei noch nicht mal eine deutsche Erfindung.

Autor Wolfgang J. Krauss (1915–1986)

via LasseFoto: Delius Klasing Verlag

Der Sohn des Direktors einer Seefahrtschule wuchs in Stettin auf und segelte dort seit seinem siebten Lebensjahr. Teilnahmen an Bermuda Race und Transatlantikrennen 1936 und dem Fastnet 1937. Nach dem Krieg Eigner verschiedener Spitzgatter mit dem Namen „Wassermann“, die er in Begleitung von Frau und Sohn segelte. Sagte von sich selbst aber stets, er sei kein Gustaf. Das Lieblingsthema seines literarischen Schaffens: die magische Anziehungskraft der See auf uns Menschen und unsere Schwierigkeiten, mit ihr fertig zu werden. Es erschienen im Delius Klasing Verlag: „Die Sonderbare Welt des Seglers Gustaf“, „Freud und Leid des Seglers Gustaf“, „Neue Geschichten vom Segler Gustaf“, „Szenen aus dem Seglerleben“, „Und Schiller war doch ein Segler“, „Von Seglern und Menschen“, „Segler Gustafs heile Welt“. Diese und weitere Segel-Bücher von Krauss sind heute noch antiquarisch erhältlich.

Der Artikel erschien erstmals in YACHT Classic 2/2024.


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