Der Sommer ist ja bekanntlich die schönste Zeit des Jahres, und was bietet sich hier mehr an, als viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Sommer heißt aber auch im Klartext: Ein ruhiger Hafen ist nicht mehr.
Das Leben an Bord einer Segelyacht und in den Häfen bietet so manch skurrile Begegnung. Autorin Steffi von Wolff erzählt in ihrer Glosse "Wolffs Revier" regelmäßig von ihren Erlebnissen als Bordfrau. Nicht immer ernst gemeint, oft satirisch überspitzt, aber immer mit viel Herz und einem Augenzwinkern. Dieses Mal geht es um das Thema Enkelkinder.
Man muss tief durchatmen, um nicht als verschrobener Kauz zu gelten, wenn man nicht begeistert aufschreit, wenn es vom Nachbarboot ertönt:
Juhu! Unsere Enkelkinder kommen am Wochenende aufs Boot!
Eben noch war alles ruhig, jaja, und man will die Ruhe an diesem schönen Freitagabend genießen – die Chartercrews haben überwiegend festgemacht, es wird gekocht und mit Gin Tonic angestoßen, das Wochenende steht vor der Tür, und diese frühen Abendstunden mit diesem ganz besonderen Licht sind eigentlich die schönsten des ganzen Tags.
So sitzt man also da und atmet ein und aus, und dann, plötzlich, kommen die netten Nachbarn von gegenüber aufs Boot. Ein älteres Ehepaar, ruhig, friedlich, hilfsbereit, nicht aufdringlich. Also schlicht wunderbar.
Doch dann fällt der Satz:
Finn, Lisa, nun kommt her, ihr müsst erst noch eure Schwimmwesten anziehen.
Und während man alarmiert aufschaut und noch für eine Nanosekunde die Ruhe auf dem Steg genießt, trampeln zwei kleine, ungefähr achtjährige Raptoren über die Holzplanken, keinesfalls darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, nein, sie kreischen kieksend, versuchen, sich gegenseitig ins Wasser zu schubsen und brüllen unverständliche Sätze, in denen die Worte fies, gemein, Doofi und Idiot mehrfach fallen.
Dann die nette Omi voller Überschwang: „Da seid ihr ja.“ Hinter den Raptoren trottet der Opi und schleppt – natürlich – die Taschen.
Man sieht sein ruhiges Wochenende schon im Winde verwehen. Sagt aber natürlich nichts, weil es ja Kinder sind, und Kinder dürfen ja alles, egal wo. Kinder dürfen schreien, pöbeln, mit den Füßen aufstampfen, nach Quengelware brüllen, sich auf den Boden werfen und so weiter – und als Erwachsener hat man, egal wo, das alles hinzunehmen, es als gottgegeben zu betrachten, weil’s ja nun mal Kinder sind.
Aber ich sage nichts. Man wird ja als kriminell hingestellt, wenn es um Kritik an Kindern geht.
Natürlich geht eine lautstarke Diskussion über die Schwimmwesten los, obwohl man zu Hause klar festgelegt hat, dass es darüber überhaupt keine Diskussion geben wird.
Dann setzt die Omi sich durch, und die beiden ziehen murrend die Westen an, um dann kreischend zu fragen, wo man Krebse keschern kann.
Die Oma sagt: „Am Ende von Steg C“, und man freut sich schon, ist man die Brut doch nun endlich los, denn man hat ja, verdammte Axt, mit diesen Enkelkindern nichts am Hut und will einfach nur seine Ruhe haben. Aber falsch gedacht, denn natürlich ist Krebse keschern von einer Sekunde auf die andere voll doof, warum auch immer, und die Kinder wollen UNO spielen und malen und in den Mast gezogen werden (nicht die schlechteste Idee), und das alles wird gleichzeitig und in der Lautstärke eines Fischverkäufers gefordert, der kurz vor Schluss auf dem Wochenmarkt seine Restware mit letzten Kräften feilbietet.
Die Omi ruft rüber:
Unsere Enkelkinder sind da!
Ach, echt.
Man nickt und lächelt gequält, und dann verlässt die Omi den Motorsegler und klettert runter auf den Steg, kommt näher und erzählt ungefragt: „Finn und Lisa sind zum ersten Mal ein ganzes Wochenende hier, wir freuen uns schon die ganze Zeit auf sie, es sind so liebe Kinder, so wissbegierig und so interessiert und so kreativ.“ Opi lächelt gequält vom Boot aus rüber.
„Mhm.“
Die kreativen Kinder malen mit Straßenkreide die Holzplanken an, dann müssen sie Pipi, dann wollen sie Fischstäbchen mit Pommes und so weiter und so fort. Natürlich ist auch gegen 22 Uhr an Ruhe nicht zu denken, denn die interessierten Enkel wollen Candy Crush spielen, natürlich in voller Lautstärke, dann „Bibi und Tina“ gucken, natürlich in voller Lautstärke, dann etwas noch lauter auf Youtube, es geht um irgendwas mit Formaldehyd und Messern. Eine ernste Stimme sagt: „Nach dem Ypsilon-Schnitt werden die Organe freigelegt und einzeln gewogen. Später wird die Kopfhaut über den Schädel gezogen.“ Natürlich ist das alles „voll langweilig“.
Die Großeltern sind mittlerweile vor Erschöpfung mit den UNO-Karten in den Händen eingeschlafen und sehen aus wie mumifizierte Schlaganfallpatienten, die einem Sekundentod erlegen sind, und die süßen Kleinen werfen die Karten ins Hafenbecken, malen den Großeltern mit Kugelschreiber und Edding-Stift Gesichter aufs Gesicht und rufen dann: „Opas Nase ist jetzt eine Schlange“, dann heulen sie, weil die Karten im Hafenbecken herumtreiben und nicht mehr von selbst nach oben kommen. Fast hofft man, sie würden ins Wasser … nein, das ist böse.
Ach. Sind sie nicht süß.
Nachdem die Großeltern wachgerüttelt wurden und die Nachkommen endlich in die Koje verfrachtet haben, kehrt für ein paar Stunden Ruhe ein. Ruhe, die am nächsten Morgen um halb sechs abrupt zu Ende ist. Da hüpfen die kleinen Raptoren in Schlafanzügen auf dem Steg herum und bemühen den Wasserschlauch. Ich möchte sie mit einer Peitsche durch den Hafen treiben, oder besser noch: ins Wasser!
Wer ist nun schlimm? Ich oder die Störenfriede?
Ich frage mich immer: Ist man ein schlechter Mensch, wenn man andere Kinder als störend empfindet, so man seine ja groß und selbst noch keine Enkel hat? Hat man nicht das Recht, schreiende, rücksichtslose Kinder doof zu finden? Hat man nicht das Recht, die Ruhe vorzuziehen? Und warum sind Omi und Opi eigentlich immer so gütig? Wieso finden Großeltern überhaupt nichts schlimm, was die Enkel so machen, sondern alles so … verständlich?
Werde ich selbst genauso, wenn ich Enkelkinder habe? Liegt das einfach in den Großeltern-Genen, ist das von der Natur so eingerichtet?
Ich weiß nur, dass ich meine Ruhe haben möchte. Und insgeheim über einen anderen Liegeplatz nachdenke, aber wer sagt denn, dass es da besser wird. Denn schwuppdiwupp könnte ja eine Herrencrew auftauchen.
Dazu kommen wir dann nächsten Samstag.
Schönes Wochenende!