InterviewClaudia und Jürgen Kirchberger als Charterskipper in der Antarktis

Kristina Müller

 · 09.06.2024

Schneestürme sind in den hohen südlichen Breiten keine Seltenheit. Doch die „Santa Maria Australis“ trotzt auch vor Anker jedem Wetter
Foto: fortgeblasen.at
Claudia und Jürgen Kirchberger segeln am liebsten extreme Törns. Nun haben sie erstmals als Charterskipper die Antarktis erkundet. Interview über ein eisiges Abenteuer

Sie lieben das Eis, wildes Segeln und die Extreme, haben auf ihrer 13-Meter-Stahlyacht „La Belle Epoque“ Nord- und Südamerika umrundet und mehrfach im Eis überwintert. Doch im vergangenen Winter haben Claudia und Jürgen Kirchberger ihr Schiff an Land gestellt und sind an Bord der 20-Meter-Reinke „Santa Maria Australis“ des deutschen Eigners Wolf Kloss dreimal von Puerto Williams bei Kap Hoorn in die Antarktis und zurück gesegelt.

Ihr Job: Skipper und Crew auf Kojenchartertörns mit Gästen aus aller Welt. Wie solch extreme Törns mit untereinander völlig Fremden zum Erfolg werden, was den Reiz am Segeln vor Kap Hoorn ausmacht und was sie dabei gelernt haben, erzählen sie im Interview.

YACHT: Claudia und Jürgen, was ist anspruchsvoller, zu zweit mit dem eigenen Schiff ins Eis zu segeln oder mit großer Crew auf einer Yacht voller Kojenchartergäste?

Claudia Kirchberger: Der Hauptunterschied ist der Zeitplan, aber natürlich auch das Entdecken an Land selbst. Wenn du zu zweit privat dort bist, bleibst du länger an einem Platz, der dir gefällt. Mit dem Charterschiff machst du jeden Tag Strecke, um viel zu sehen.

Jürgen Kirchberger: Bei diesem Terminsegeln kannst du deine Abfahrt und Ankunft vielleicht maximal zwei Tage nach vorn oder hinten verschieben. Du musst schauen, dass deine Gäste zeitgerecht zurückkommen, sonst verpassen sie ihre Flüge. Das heißt, du fährst auch bei Schlechtwetter-Vorhersagen, wenn man privat sagen würde: „Nee, auf keinen Fall.“

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Claudia: Ein weiterer großer Unterschied ist, dass du bei der Ankunft auf eigenem Kiel in Puerto Williams schon Seebeine hast und dieses Revier ein bisschen kennst. Als Chartergast hast du von der Drake-Passage gehört und weißt, dass es ein schweres Seegebiet ist. Aber du weißt nicht, wie es wirklich ist, dort zu segeln.

Wie ist es denn?

Jürgen: Von Kap Hoorn über die Drake-Passage in die Antarktis sind es fast genau 500 Seemeilen, also etwa drei Tage.

Claudia: Die meisten Gäste werden dann erst mal sehr seekrank. Im Boot ist es stickig, jeder braucht irgendwie Hilfe.

Wie habt ihr es geschafft, trotz des unvorhersehbaren Wetters nach Zeitplan zu segeln?

Jürgen: Die einzige Strategie ist das richtige Schiff: Es funktioniert, wenn man ein großes Schiff mit zwei Motoren hat (lacht). Mit 20 Meter Schiffslänge kannst du gegen Wind und Wellen andampfen. Mit unserer „La Belle“, die 60 PS bei 20 Tonnen Schiffsgewicht hat, würde das gar nicht funktionieren. Damit fährst du nach Natur und nicht nach Zeitplan.

Wie muss man sich die Wetterbedingungen vorstellen?

Jürgen: Rund Kap Hoorn oder im Südmeer kann man es relativ leicht voraussagen. Ein Tief zieht durch und bringt drei Tage Starkwind. Einen Tag lang geht die Front durch, meist mit 40 bis 60 Knoten Wind. Das dauert zehn bis 20 Stunden, und dann hast du meistens so 35, 40 Knoten konstant aus westlicher Richtung. Danach ist Flaute für zwei, drei Tage, dann geht es wieder los. Oft reicht es also, einen Tag zu warten.

Das klingt recht planbar.

Jürgen: Ja. Runter in die Antarktis ist es relativ leicht, da hast du Halbwind, oft sogar achterliche Winde. Besonders wichtig ist die Planung der Ankunft, sodass man nicht nachts oder bei Sturm im Eis ankommt. Aber die Rückfahrt ist mühsam, meistens Amwind. Das gehört einfach dazu. Du weißt, dass du bei Kap Hoorn noch mal eins auf die Mütze kriegst. Glücklicherweise ist die Crew zu dem Zeitpunkt ein wenig an raues Segeln gewöhnt.

Wie viele Kojenchartergäste fahren auf den Törns mit?

Jürgen: Sieben bis acht Menschen aus aller Welt. Spanier, Australier, viele Franzosen, aber auch Deutsche und Chilenen. Bordsprache ist Englisch.

Was treibt sie an? Wollen sie sich seglerisch steigern oder einmal die Antarktis sehen?

Jürgen: Das ist extrem unterschiedlich. Es war zum Beispiel eine Lehrerin im Sabbatical dabei, die hat jahrelang für die Fahrt gespart und sich mit Segelkursen darauf vorbereitet. Und dann sind da Top-Manager und Firmenbesitzer, die sich das zwischendurch leisten. Manche buchen diese Reise, zahlen ein Vermögen, kommen dahin und wissen gar nicht, wo wir überhaupt hinfahren.

Wie funktioniert dieser bunte Mix aus Menschen unter ex­tremen Bedingungen?

Claudia: Das stimmt, das ist extrem. Es kommen ja auch Leute, die gar kein Englisch sprechen, die können gar nicht mitreden. Manche realisieren auch erst vor Ort, dass sie Kabinen teilen müssen und dass es an Bord simpler zugeht. Dass Wasser gespart und maximal einmal pro Woche geduscht wird. Das ist für manche eine Einstiegshärte, dann kommt die Drake-Passage und es geht Schlag auf Schlag.


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Wie lange dauert so ein Törn?

Claudia: Insgesamt drei Wochen, davon sind wir etwa zehn bis 14 Tage in der Antarktis. Dort gibt es jeden Tag so viele Eindrücke, dass man sie kaum verarbeiten kann. Da merkt man schnell, wie das die Leute zusammenschweißt. Und wie Kleinigkeiten an Bord zu etwas Besonderem werden.

Was zum Beispiel?

Claudia: Wenn wir angekommen sind, habe ich immer einen Lammbraten oder ein tolles Essen gemacht. Dazu ein guter chilenischer Wein. Das war dann selbst für diejenigen, die so etwas gewohnt sind, etwas Besonderes. Man merkt, wie jeder runterschraubt und das Leben an Bord genießt.

Wie habt ihr die Aufgaben und Rollen an Bord verteilt?

Claudia: Jürgen und ich waren Skipper und Crew. Eigner Wolf Kloss war auch an Bord, Jürgen und er haben sich immer eng abgestimmt. Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass wir eine Segelcrew sind und jeder mal den Abwasch macht. Wir hatten sogar Leute an Bord, die in ihrem Leben noch nie Geschirr abgewaschen haben. Die waren fast ein bisschen stolz auf sich (lacht). Manche Gäste sind gerade bei Sturm und Schlechtwetter über sich hinausgewachsen.

Ihr kanntet das Revier von einem vorherigen Törn. Wie habt ihr euch dennoch vorbereitet?

Jürgen: Ich habe das Schiff für mich durchgecheckt, weil ich es nicht kannte. Die Planung der Route lag beim Eigner Wolf. Er ist ein sehr routinierter, erfahrener Charter-Captain, der das schon 30 Jahre macht. Das Chartersegeln war für uns das eigentlich Neue, nicht das Segeln im Eis.

Claudia: Die Gesamtvorbereitung so eines Törns ist schon eine Herausforderung. Allein die Verproviantierung für die Tour mit zehn Leuten für drei Wochen hat es in sich.

Jürgen: Für mich war es die Technik an Bord. Ich habe schon Erfahrung mit Schiffen, aber ein 20-Meter-Charterschiff mit zwei Motoren, Generator, Wassermacher, alles elektrisch, drei WC-Systemen mit Vakuum, Zerhacker, zwei Kühlschränken, Tiefkühler, Batteriebank ... Das dauert ein bisschen, bis du dich auskennst und unterwegs im Seegang mal reparieren kannst.

Claudia: Wir haben zur Vor­bereitung auch eine Tour­­-guide-Ausbildung der IAATO gemacht.

Was ist das?

Claudia: Die IAATO ist eine Vereinigung von Tourismusfirmen. Bei der Qualifizierung geht es um die Natur und um Verhaltensregeln gegenüber der Tierwelt. Es ist ein Online-Test mit 120 Fragen, den wir noch in Puerto Williams an Bord gemacht haben.

Wie seid ihr überhaupt zu diesem spannenden Job gekommen?

Claudia: Wir haben 2017 auf den Falklandinseln mit unserem Boot neben der „Santa Maria Australis“ gelegen. Jürgen hat Wolf bei einer Motor­reparatur geholfen. Bei ihm stand ein Chartertörn mit einem Filmteam der BBC nach Südgeorgien an, aber seine Crew war auf dem Weg zu den Falklandinseln wegen Seekrankheit ausgefallen. Also hat er uns gefragt, ob wir mitkommen, und wir haben spontan Ja gesagt. Das hat super funktioniert. Seitdem kennen wir uns und sind befreundet. Er vertraut uns, und das ist supercool.

Wie war es, ein Filmteam in die Antarktis zu begleiten?

Jürgen: Das war der Wahnsinn, echt sehr spannend. Die hatten das Schiff für sechs Wochen gechartert, um eine Dokumentation zu drehen. Die Leute waren echt nett, wir durften ihnen über die Schulter schauen und haben in der Zeit viel über Fotografie und Filmen gelernt. Der Aufwand bei so einer Produktion ist ja enorm. Das Team hatte eine irre Energie. Die haben von drei Uhr morgens bis acht, neun Uhr abends durchgearbeitet, egal ob gerade Schneestürme drüberzogen.

Wie sah der Törnverlauf dagegen mit den privaten Kojenchartergästen aus?

Jürgen: Zuerst kommt die dreitägige Überfahrt. In der Antarktis wird dann jeden Tag der Ankerplatz gewechselt und Strecke gemacht. Die kürzeste Distanz waren 35 Seemeilen, die längste 110 Seemeilen, im Schnitt meist 50 bis 70 pro Tag.

Und der Bordalltag?

Claudia: Um 6.30 Uhr stehen wir auf, dann gibt es Frühstück, und um spätestens acht Uhr geht der Anker auf. Je nach Tagesdistanz sind wir meist zwischen vier und sieben Uhr abends angekommen. Dann gab es eine Stunde Landgang. Danach Abendessen, es sich ein wenig gemütlich machen, und dann ging es schon ins Bett.

War bei dem straffen Programm überhaupt genug Zeit für Landgang und das Bestaunen von Natur und Tierwelt?

Claudia: Das kam ganz darauf an, wie viel die Gäste erleben wollten. Manchmal sind wir morgens vor der Abfahrt noch mal mit dem Dingi an Land gefahren. Mit einigen Hobbyfotografen waren wir in jeder freien Minute an Land, wenn wir nicht gerade gefahren sind. Andere mussten richtig dazu überredet werden, das Boot mal zu verlassen. Daran hat man gemerkt, dass es gar nicht so leicht ist, all diese Eindrücke so schnell zu verarbeiten.

Habt ihr in der Antarktis Veränderungen bemerkt, seit ihr 2017 das letzte Mal dort wart? Hinsichtlich des Tourismus oder auch der Natur?

Jürgen: Auf jeden Fall. Die Zahl der Kreuzfahrtschiffe hat sich verdoppelt. Die Charteryachten dagegen sind etwas weniger geworden. Ich glaube, die haben sich seit Corona neue Reviere ausgesucht, wie Grönland und Alaska, dort sind viele unterwegs. Allerdings haben wir diesmal die ganz großen Kreuzfahrtschiffe mit 2.000 Gästen nicht gesehen. Man sieht nun vor allem diese kleinen exklusiven Kreuzfahrt­yachten mit etwa 30 bis 70 Meter Länge, zehn bis 50 Gästen an Bord und ganz viel Spielzeug.

Was für Spielzeug?

Jürgen: Kleine U-Boote, zum Teil Helikopter, Stand-up-Paddleboards oder Kajaks.

Claudia: Tatsächlich bin ich einmal in einer Ankerbucht seekrank geworden vom Schwell der vielen Zodiacs, die dort umhergefahren sind. Ich bin nicht mit an Land gegangen, weil ich einen Braten vorbereitet habe für ein schönes Ankunftsfest am Abend. Dabei ist es passiert. Ich dachte, das gibt’s doch nicht ...

Ihr sagtet, dass es der Rückweg über die Drake-Passage nach Chile in sich hat. Wie schafft man es, dass die Gäste nach der Überfahrt dann dennoch mit positiven Erinnerungen von Bord gehen?

Jürgen: Die meisten Gäste wünschen sich sogar, dort einen Sturm zu erleben. Die glauben, das ist mal ein Erlebnis, eine super Sache, bei der man nachher eine super Story erzählen kann. Tatsächlich hatten wir einmal Wind in Orkanstärke, und es war für die meisten an Bord okay. Denn wenn du als Crew dann Kompetenz ausstrahlst und sagst: „Hey, Leute, das passt, kein Problem, das machen wir locker“, glauben sie dir das gern. Wenn du selbst Furcht ausstrahlen würdest, bekämen sie Angst.

Dreimal in die Antarktis und retour seid ihr im letzten Winter gesegelt, das war sicher anstrengend. Werdet ihr es wieder machen?

Claudia: Wir würden sicher mal wieder eine Saison so segeln, ja. Aber nicht fest geplant jeden Winter. Es war eine tolle Erfahrung, aber wir freuen uns auch darauf, bald wieder mit unserem eigenen Boot auf große Fahrt zu gehen.

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