InterviewAngstfahrt am Rande der Orca-Gebiete

Marc Bielefeld

 · 26.05.2024

Geschafft. Nach einer drei Monate währenden Odyssee ...
Foto: Anna Loy/KIND OF BLUE
Eine französische Familie will aus der Bretagne ins Mittelmeer segeln und braucht dafür am Ende drei Monate. Der Grund: Aus Vorsicht sollen Orca-Begegnungen konsequent vermieden werden

Ein Jahr Auszeit unter Segeln. Christophe Bourel, 51, und Anna Loy, 44, wollen mit ihrer 10,90 Meter langen Contest 36 namens „Kind of Blue“ von der Bretagne bis nach Griechenland segeln – und anschließend wieder zurück nach Frankreich. Mit an Bord sind ihr Sohn Elliot Bourel, elf, und Hund Marcel. Das Paar hat sich lange auf die Reise vorbereitet. Nach 15 Jahren Segeln in der Bretagne kaufen sich die beiden eine eigene Yacht und machen das Schiff fit für den Trip. Christophe Bourel lässt seine Firma in Paris zurück, der Sohn macht ein Jahr Pause von der Schule. Im Juli 2023 geht es los. Der Plan: von Lorient aus durch die Biskaya, dann vor der portugiesischen Küste steil nach Süden, um möglichst schnell ins Mittelmeer zu kommen.

Doch die drei machen die Rechnung ohne die Orcas. Drei Monate brauchen sie am Ende, um es allein von Lorient bis nach Gibraltar zu schaffen. Der Grund: Überall vor der Atlantikküste werden Yachten von Schwertwalen angegriffen. Segelschiffe nehmen Schaden, einige sinken gar.


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Die Panik vor den Killerwalen geht um: Über Funk und an den Stegen, in Chat-Gruppen und im Internet sind die angriffslustigen Säuger längst das Thema Nummer eins – und die „Kind of Blue“ gerät mitten zwischen die Fronten. Verwirrt von offiziellen Verhaltensregeln, gegensätzlichen Meldungen und tausend Tipps in den Foren, hangelt sich die Crew nach Süden. Ein Ritt zwischen Angst und Vorsicht, Hysterie und „purem Stress“. Die Franzosen selbst umgehen letztlich einen Angriff – doch die Schrecken auf dieser Etappe stecken den drei noch in den Knochen.

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Zurück nach Frankreich wollen sie nach dieser Atlantik-Etappe nicht mehr. Das Boot bleibt im Mittelmeer.

Die YACHT trifft die drei französischen Segler in einem Hafen im Süden Sardiniens, wo sie endlich in Ruhe segeln können und nunmehr unterwegs sind Richtung Sizilien und Griechenland. Das Gespräch aber dreht sich noch immer um das große Thema der vergangenen Monate: die Orcas – und die neue Angst-Route an der Atlantikküste.

Die Orcas an der Atlantikküste sind in aller Munde. Wann erfuhren Sie erstmals davon?

Im Sommer 2022, ein Jahr vor unserer Reise, trafen wir auf Belle-Île eine Familie mit Kindern, die wie wir ein Jahr ins Mittelmeer segeln wollte. Der Skipper und seine Frau erzählten uns von den Orcas. Sie meinten gleich, dass die Meeressäuger zu einem echten Problem werden könnten. „Was für Orcas?“, fragten wir. Damals wussten wir noch nicht viel über das Phänomen. Wir hatten ein paar Meldungen gelesen, ahnten aber nicht, dass die Wale den Seglern so massiv auf die Pelle rücken. Danach begannen wir zu recherchieren.

Das war also noch zu Hause, vor der Reise?

Ja, wir haben uns bald intensiv mit der Materie befasst. Wir hörten das erste Mal von speziellen Orca-Apps, von Chat-Gruppen, denen wir auch beitraten. Wir lasen außerdem wissenschaftliche Berichte, verfolgten die Meldungen.

Sie wussten also, was auf Sie zukommen könnte?

Schon. Richtig konkret wird das Problem allerdings erst, wenn man selbst aufbricht und die betroffenen Reviere tatsächlich auf eigenem Kiel ansteuert. Die Worte der Familie hatten wir uns dabei gut gemerkt: Rund um Spanien und Portugal würde es kompliziert werden. Als wir später selbst dort unterwegs waren, trafen wir jedoch noch immer viele Segler, die kaum von den Orca-Attacken gehört hatten. Andere hielten die ganze Sache für ein seltenes Phänomen. Eine Hysterie, letztlich zu verrückt, um wahr zu sein.

Ist Ihnen ein Orca tatsächlich in die Quere gekommen?

Im Grunde haben sie unsere gesamte Reise beeinflusst – vom ersten Tag an, als wir in Lorient losgesegelt sind. Und das konnten wir uns vorher in diesem Ausmaß nicht vorstellen. Schon als wir im Juli 2023 aufbrachen, hörten wir von Attacken in der Bretagne. In Lorient standen an den Stegen inzwischen Schilder, die Segler auf die Situation hinwiesen. Man solle sich schlau machen, Kontakte und Infoadressen im Internet waren vermerkt.

Was haben Sie getan?

Es ging damit los, dass wir unsere ursprünglich geplante Route geändert haben. Normalerweise segelt man von Lorient nach A Coruña in Nordspanien. Aber wir hörten, dass dort gerade viele Orcas gesichtet wurden. Das Risiko einer Begegnung wollten wir nicht eingehen. Wir wussten inzwischen ja, dass viele Boote Schaden genommen hatten. Bei einigen waren die Ruderanlagen zerstört, bei einer Hallberg-Rassy stand das Ruder nach einer Orca-Attacke im 90-Grad-Winkel ab. Auch gab es Lecks in den Rümpfen. Eine solche Havarie wollten wir unbedingt vermeiden, erst recht zu Beginn unserer Reise. Ein größerer Schaden könnte Wochen, womöglich Monate an Land bedeuten. Und die Reparaturen würden viel Geld kosten. Unser ganzes Jahr auf dem Boot hätte womöglich auf dem Spiel gestanden.

Haben Sie nach diesen ersten Horrormeldungen jemals überlegt umzukehren?

Ja, daran haben wir ernsthaft gedacht. Aber unser Sohn Elliot wollte unbedingt ins Mittelmeer. Er träumte von den türkisfarbenen Buchten, dem warmen Wasser. Wir hatten auch überlegt, das Schiff durch die französischen Kanäle ans Mittelmeer zu bringen, aber das funktionierte wegen des Tiefgangs nicht. Sogar ein Angebot, das Schiff mit einem Tieflader an die Côte d’Azur bringen zu lassen, haben wir eingeholt : 15.000 Euro, viel zu teuer.

Wie ging es weiter?

Wir sind schließlich von der Île d’Yeu über die Biskaya gesegelt und haben statt A Coruña Gijón angesteuert, gut 150 Seemeilen östlich in Asturien. Von dort aus wollten wir weiter Richtung A Coruña – aber dafür brauchten wir am Ende fast einen Monat. Der Wind wehte gegenan, aus West liefen hohe Wellen. Da haben wir viel Zeit verloren. Zudem: Vor A Coruña und im Nordwesten Spaniens wurden weiterhin Orcas gemeldet. Eine Segelyacht kam vor A Coruña in Schwierigkeiten, die Tiere kreisten ums Schiff, obwohl das Boot noch weit draußen in der Biskaya segelte. Inzwischen standen wir in einen Telegram-Kanal mit mehreren Yachten in Verbindung. In solchen und anderen Gruppen tauschen sich inzwischen bis zu 1.600 Segler über die aktuelle Orca-Situation an der Atlantikküste aus.

Was hört und liest man dort?

In all den WhatsApp- und Telegram-Gruppen zirkulieren inzwischen jede Menge Erfahrungen, dazu diverse Meinungen, was man als Segler tun und lassen sollte. Natürlich sind wir den wichtigsten Empfehlungen gefolgt. Dazu gehört vor allem der Rat, sich nah unter Land zu bewegen, in Wassertiefen von maximal 20 Metern. Die Orcas meiden flaches Wasser offenbar. Um jedoch so nah unter der Küste zu fahren, braucht man – gerade am Atlantik – sehr ruhiges Wetter und eine optimale Vorhersage. Wenig Wind, wenig Schwell. Wir warteten in den Häfen darum wie viele andere Crews oft lange auf stilles Wetter.

Welchen Rat gibt es noch?

Stets unter Maschine zu fahren ist ein weiterer Tipp, um sich die Orcas vom Leib zu halten. Der Lärm schreckt sie angeblich ab. Es gibt inzwischen Internetseiten der spanischen und der portugiesischen Regierung. Auch dort wird geraten, unter Motor zu laufen – selbst wenn die Segel oben sind und man mit dem Wind gut vorankommt. Daran haben wir uns gehalten. Auch auf Telegram schrieben einige Segler: „Motor an und Vollgas geben!“ Es seien nämlich meist junge Orcas, die mit den Yachten „spielen“. Wenn das Schiff sich jedoch schnell entferne, schwämmen sie irgendwann zurück zu ihren Müttern und Familien. Dies waren im letzten Herbst jedenfalls die aktuellsten Ratschläge: immer unter Maschine und nah an Land fahren. Viele andere haben das ebenfalls befolgt – und sind keinen Orcas begegnet.

Haben Sie noch andere Tipps?

In einigen Apps und im Netz geben Wissenschaftler weitere Ratschläge: nämlich alle Systeme an Bord herunterfahren, sobald Orcas in der Nähe auftauchen. GPS, AIS, Funk, Radar, Echolot. Und diesen Aussagen zufolge soll man dann plötzlich doch die Maschine stoppen und sogar die Segel bergen. Also einfach auf dem Meer driften und nichts tun. Nicht einmal laut reden. Aber schon lasen wir in den sozialen Medien wieder das genaue Gegenteil: Das sei alles Bullshit, schrieb prompt einer!

Aus welchem Grund?

Ein Forscher, der mit den portugiesischen Behörden zusammenarbeitet und die Orcas angeblich seit 30 Jahren vor der Küste beobachtet, kommentierte: alles herunterzufahren und zu driften, das bringe überhaupt nichts. Das würde die Orcas erst recht dazu verleiten, die Yacht anzugreifen. Als normaler Segler weiß man am Ende gar nicht mehr, was man glauben und tun soll. Die einen sagen so, die nächsten so. Und das ist Teil des Stresses, der sich aufbaut. Wir haben auch noch auf anderen Kanälen gelesen, dass es nichts bringt, alles zu stoppen und einfach zu driften.

Manche Orcas haben dann manchmal stundenlang mit den Booten herumgetollt. Unter den Betroffenen waren Yachten, die von den Orcas über lange Zeiträume im Kreis gedreht wurden. Die Wale stupsten die Schiffe mit der Schnauze an, am Heck, am Bug – und drehten sie um die eigene Achse. Solche Schilderungen machen Angst. Man muss sich das vorstellen! Du sitzt auf deinem Boot und wirst von einem tonnenschweren Tier 360 Grad im Kreis gedreht. Wir wollten das jedenfalls nicht erleben!

Mehr als verständlich.

Die Orcas wiegen bis zu sechs, sieben Tonnen und schwimmen bis zu 30 Knoten schnell. Und in den drei Monaten, als wir am Atlantik unterwegs waren, sind immerhin vier Yachten nach Orca-Angriffen gesunken. In Frankreich ging das durch die Presse. Die Wale schwimmen gegen die Ruder, spielen mit dem Boot wie mit einem Ball. Oft zerbrechen sie dabei das Ruderblatt, den Koker. Das reißt ein Loch in den Rumpf, und das Schiff sinkt. In Barbate kurz vor Gibraltar haben wir so einen Fall mit eigenen Augen gesehen. Die Yacht war nach einer Orca-Attacke gesunken, nur die Masten schauten noch aus dem Meer.

Welche Schutz-Methoden bevorzugen die Segler vor Ort?

Es gibt die verrücktesten Ideen. Viele Segler probieren neue Sachen aus, testen Abwehrmaßnahmen auf eigene Faust. Einige bringen am Heck einen oder sogar zwei zusätzliche Außenborder an. Das macht Krach und die Boote noch schneller. Andere haben mit Hilfe eigener Konstruktionen Spikes am Ruderblatt installiert. Spitze Metallzacken, welche die Orcas abhalten sollen. Die nächsten malen ihre Unterwasserschiffe total wild an. Wir haben schon ein riesiges Gebiss am Bug gesehen, wie beim Weißen Hai. Andere pönen ihre Unterwasserschiffe schwarz-weiß an, damit der Rumpf aussieht wie ein Orca selbst. Andere Rumpfbemalungen sind noch ausgefallener: rote Dreiecke, König Barbarossa in Knallorange, grelle Linien und Muster, die sich übers gesamte Unterwasserschiff ziehen. Die Leute probieren alles Mögliches aus, das ist fast schon zu einer eigenen Disziplin geworden an der Atlantikküste.

Was ist Ihnen noch untergekommen?

Wir haben Boote gesehen, die Bündel aus dünnen Metallstangen im Kielwasser hinterher sich herschleppen. Das Klackern und Klimpern soll die Tiere abhalten, sich zu nähern. Eine irische Yacht hatte am Heck ein langes, hohles Metallrohr befestigt, das hinter dem Schiff ins Meer führte. Sie schlugen oben mit dem Hammer drauf, wenn Orcas kamen, damit das Klonken die Tiere verjagen würde. Niemand weiß, was hilft. Aber alle probieren irgendetwas aus.

Hatten Sie Kontakt zu Fischern? Was sagen die?

Einige der lokalen Fischer sagten, sie würden die Orcas töten, sollten sie ihr Schiff ernsthaft angreifen. Das Meer sei schließlich ihr Job. Auch manche Segler führen inzwischen Munition an Bord mit.

Munition? Sie meinen Waffen?

Oft ist an der Küste von „Firecrackers“ die Rede. Gemeint sind jedoch nicht die üblichen Seenotsignalmittel, die Yachten an Bord haben. Gemeint ist spezielle Unterwassermunition, ein Sprengstoff, den auch Berufstaucher gelegentlich nutzen. Einige Segler sitzen mit so einer Box im Cockpit, bereit, die Munition notfalls zu zünden. Hier und da sollen wegen der Orcas sogar auch echte Waffen an Bord sein. Motto: Wenn es hart auf hart kommt, erschießen wir sie. Das ist natürlich verboten. Und für all solche Munition braucht man Genehmigungen.

Haben Sie so etwas selbst auf der Reise erlebt?

Nein, aber wir haben Videos gesehen, auf denen der Einsatz von Sprengstoff dokumentiert ist. In Südspanien schmiss ein Skipper welchen über Bord, weil da Orcas waren. Es gab eine Explosion im Wasser. Jetskis, die nicht weit weg waren, haben das Ganze gefilmt. Als das Schiff in den Hafen einlief, war bereits Polizei vor Ort. Der Skipper wurde festgenommen.

Sind auf diese Weise schon Orcas getötet worden?

Nicht, dass wir wüssten oder davon gehört hätten. Niemand will die Killerwale umbringen, schon gar nicht die Segler, die wir getroffen haben. Außerdem sind die Tiere streng geschützt. Sie ertragen die Druckwellen nicht, das stört ihr Sonar, ihre Orientierung. Darum bringen auch die Regierungen so viele Infos heraus: um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Sind Sie Orcas begegnet?

Direkten Kontakt hatten wir nicht. Aber wir haben dreimal welche gesehen. Zum Glück waren sie recht weit weg vom Boot und haben sich nicht weiter genähert. Vielleicht weil wir die Tipps befolgt haben. Wir fuhren mit laufender Maschine nah unter Land.

An Bord muss die Anspannung ziemlich hoch gewesen sein.

Ja, das ganze Thema geht einem an die Nieren. Kaum sieht man beim Segeln eine Flosse im Meer, wird man nervös. Selbst wenn es nur ein Delphin ist und deren Rückenflossen sich ja deutlich von denen der Orcas unterscheiden. Aber du willst eben ganz sicher gehen. Manchmal haben wir zwei Stunden am Stück wie die Blöden durchs Fernglas gestarrt. Kommen die Flossen näher? Sind es wirklich nur große Delphine? Und an Land geht der Irrsinn ja weiter ...

Inwiefern?

In den Häfen sind die Orcas Thema Nummer eins. Kaum am Steg, geht es los: Habt ihr welche gesehen? Habt ihr schon gehört? Fahrt bloß nicht weiter nach Süden, da sind sie gerade! Diese vielen Horrormeldungen, wochenlang von nichts anderem hören, das macht etwas mit einem. Es macht Angst, es stresst enorm. Und dann, endlich in Lissabon, saßen wir über zwei Wochen dort fest. Ausgerechnet in der Bucht vor dem Hafen schwammen bald jede Menge Orcas. Da sind wir natürlich nicht rausgefahren – denn wir konnten das sehen.

Wie denn das?

Auf bestimmten Apps lassen sich die Positionen der Orcas verfolgen. Viele der Tiere sind getaggt und senden GPS-Daten. Und in anderen Apps müssen Sichtungen mit Fotos oder kleinen Filmen belegt werden. Man kann sich also ziemlich sicher sein, wo sie gerade sind. Und manchmal war es wirklich wie verhext. Überall Orca-Alarm! Am Ende haben wir öfter auf die Orca-Apps geschaut als aufs Wetter.

Wo wurden die Orcas überall gesichtet, als Sie da waren?

Erst hörten wir nur von Sichtungen rund um Coruña in Nordspanien. Aber dann waren sie auch vor Faro im Süden. Zuletzt meldeten Berichte die Tiere erneut östlich von Gibraltar. Und auch dort schwammen sie nah an Yachten heran. Das erklärt am Ende die gesamte Atlantikküste von Portugal und Spanien bis hinein ins Mittelmeer zum Risikogebiet.

Wie hat ihr elfjähriger Sohn auf die Orca-Hysterie reagiert?

Er fand es einerseits spannend. Für ihn sind das wunderschöne und sehr imposante Tiere. Er hätte gern einen Orca aus der Nähe gesehen, aber er wusste natürlich, dass wir besser keinem dieser Riesen begegnen sollten. Angst hatte er nicht. Er wusste ja, dass wir alles taten und alle Ratschläge berücksichtigten, um die Risiken zu minimieren.

Gab es Segler unterwegs, die sich nicht um die Orcas scheren? Die sagen: alles übertrieben, alles Quatsch!

Ja, die gab es auch. Und das sind gern mal unsere lieben Landsleute: die Franzosen. Na ja, die geben nicht so viel auf Empfehlungen. Die machen mit Vorliebe ihr eigenes Ding. Vielleicht sind es darum auch immer wieder französische Yachten, die attackiert werden.

Aber die fahren dann wenigstens weit raus?

Schon, aber auch das hilft nicht immer. Letztes Jahr wurden zwei Schiffe mitten in der Biskaya angegriffen. Beide hatten danach eine gebrochene Ruderanlage. Wir folgen diesen Yachten in den sozialen Medien bis heute. Und beide konnten erst kürzlich weitersegeln, denn sie waren monatelang mit den Reparaturen an Land beschäftigt. Genau das, was wir vermeiden wollten!

Sie haben die Orcas am Ende über sechs Monate lang als Bedrohung erlebt. Sehen Sie die Tiere jetzt anders?

Nein, auf keinen Fall. Wir sind schließlich in ihrem Lebensraum unterwegs, nicht sie in unserem. Vielleicht ist es für sie auch nur ein Spiel. Und vielleicht ist der Spuk demnächst auch von einem Tag auf den anderen wieder vorbei.

Glauben Sie wirklich?

In Nordamerika haben junge Orcas mit toten Lachsen gespielt und sich diese auf die Schnauzen gelegt. Sie balancierten die Lachse regelrecht durch die Luft. Das ging zwei, drei Jahre so. Dann hörten sie abrupt wieder auf damit. Wie dem auch sei, die Orcas sind wundervolle Tiere. Wir müssen sie schützen, nicht umgekehrt. Dennoch, eines steht für uns fest: Noch einmal würden wir diese Route an der Atlantikküste auf gar keinen Fall segeln.

Ab wo begann für Sie endlich wieder entspanntes Segeln?

Als wir an Gibraltar vorbei waren und auf Höhe Marbella ankamen – das war wie eine Erlösung! Sorgloses Vorankommen und einfach aufs Meer blicken. Ohne Panik im Nacken, dass gleich zwei, drei schwarze Flossen irgendwo auftauchen. Wir wussten schon gar nicht mehr, was das ist: pures Segeln!

Konnten Sie nach drei Monaten in Anspannung so einfach umschalten?

Nein, und ganz vergessen können wir das Thema bis heute nicht. Wir sind noch immer in den Chat-Gruppen, verfolgen, was passiert. Im Winter war es zuletzt eher ruhig, aber Ende Februar ging es wieder los. Seit Februar 2024 haben die Orcas 15 Yachten angegriffen, darunter auch eine, die vor Marokko segelte.

Für Sie selbst ist der Spuk jetzt aber endgültig vorbei, oder?

Ja, denn wir haben sämtliche Reisepläne geändert. Wir werden das Boot in Griechenland lassen und in den nächsten Sommern von Frankreich aus dort hinreisen.

Und das war anfangs so gar nicht geplant?

Nein, das Orca-Thema ist tatsächlich der einzige Grund, warum wir das Schiff im Mittelmeer lassen werden. Auf der Fahrt zurück nach Frankreich müssten wir ja wieder durch die betroffenen Seegebiete. Und das wollen wir uns definitiv nicht antun. Noch einmal Atlantik? Noch einmal Orca-Valley? No way! Das war wirklich enormer Stress, an unsere Limits und darüber hinaus.

Vom Segeln aber haben die Orcas Sie nicht abbringen können?

Auf gar keinen Fall. Wir lieben das Segeln, sogar mehr als zuvor. Es tut unglaublich gut, mit dem Boot zu reisen, auf dem Boot zu sein. Selbst unter solchen Umständen. Und wir haben auch schon einen nächsten Plan. Wir brauchen ein größeres Schiff! Wir träumen davon, das Haus zu verkaufen – und komplett auf dem Segelschiff zu leben. Ehrlich gesagt, kommen wir gerade erst so richtig auf dem Wasser an. Wir haben viel Zeit zum Nachdenken. Wir lernen andere Segler kennen. Andere Häfen, andere Länder. Und, Orcas hin, Orcas her, das ist ein absoluter Traum. Wir leben gerade unser bestes Leben!


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