Glosse Wolffs RevierUndank ist der Welten Lohn

Steffi von Wolff

 · 06.09.2024

Glosse Wolffs Revier: Undank ist der Welten LohnFoto: iStock/gpointstudio
Unter Seglern hilft man sich aus. Manch einer wurde dabei schon enttäuscht
Wenn an Bord mal etwas fehlt, hilft der Nachbar in der Regel gern aus. Wenn er dabei nicht schon herbe Enttäuschungen erleben musste ...

“Schnell, unter Deck!“ Mein Mann zerrt mich mit sich. „Da ist der Giftknochen von schräg gegenüber, der seit gestern hier liegt. Er kommt, er kommt!“ Panik steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ich verstehe gar nichts. „Wieso denn Giftknochen? Der Mann ist sehr nett und hat …“ „Ruhe! Er soll denken, wir sind nicht da.“

Wir verkriechen uns im Salon wie zwei ängstliche Hunde, und schon klopft es an die Badeplattform. „Keiner zu Hause?“, ruft Willi fröhlich. Er kam gestern mit seinem Twinkieler an und dann direkt zu uns. „Tach auch. Ob ihr mir wohl einen Heißwasser­kocher leihen könnt? Meiner spinnt rum, ich will keinen Schlag kriegen.“ „Eigentlich brauchen wir den selbst“, hatte ich höflich erwidert. „Ihr könnt doch mit Gas kochen“, sagte er. „Oder so lange meinen benutzen“, war die Antwort. Und ich Depp sagte auch noch „Okay“.

„Das ist nicht wahr. Das glaube ich nicht“, sagte mein Mann, als er vom Baumarkt zurückkam. „Du hast jetzt den tödlichen Wasser­kocher und er unseren intakten!“ „Es ist ja nur für kurze Zeit. Er war so nett.“ Ja, das ist immer mein Problem.

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Es gibt sie überall, die Ausleiher, die Habenwoller, die „Hastdu’s?“. Sie fordern Hilfe ein, leihen sich Sachen, und dann muss man allem hinterherlaufen oder Dinge tun, die man nicht tun will. „Huhu, ich seh euch, ihr habt euch wohl versteckt, haha!“, ruft Willi nun. „Kann mich mal einer in die Stadt fahren? Ich hab ja kein Auto hier und brauch Proviant.“ Meinem Mann ist die Situation nun peinlich. „Na klar.“ Er geht nach oben. „Kein Problem.“

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„Kannst du mal lernen, Nein zu sagen?”

Kaum sind die beiden weg, steht einer von der lauten Herrencrew da. „Hellou“, macht der Mann, streicht mit einer Hand seine Haartolle zurück und grinst ein gebleachtes Lächeln. „Ob ich mir mal ’nen Korkenzieher leihen kann?“ Natürlich leihe ich ihm unseren, und er trollt sich, kurze Zeit später will ich eine Weinflasche öffnen und brauche einen Korkenzieher.

Mein Mann kommt zurück. „Was machst du denn da?“ Ich bin gerade dabei, den Korken mit einem Messer aus der Flasche zu prökeln, und traue mich nicht, ihm zu sagen, dass der Korkenzieher kurzzeitig bei der Herrencrew wohnt. Eine Sekunde später schießt der Korken in die Flasche, Rotwein spritzt auf die Polster. Ich schließe die Augen, während er schnappatmet. Also mein Mann. „Hellou“, kommt es da wieder, und Mr. Bleaching steht da. „Der Korkenzieher ist leider abgebrochen, keine gute Qualität, wenn ihr mich fragt, da habt ihr wirklich am falschen Ende gespart.“ Mein Mann begreift und glotzt mich an wie eine Anakonda ein in die Enge getriebenes Wasserschwein. Mein Mann ist wütend, und ich kann ihn verstehen.

„Kannst du mal lernen, Nein zu sagen? Ist das so schwer? Und guck dir mal die Polster an.“ „Du hast doch auch nicht Nein gesagt, als du diesen Willi in die Stadt fahren solltest“, rechtfertige ich mich. „Das ist doch was ganz anderes. Hier geht es um ein Grundnahrungsmittel, dessen Konsum uns erschwert wird.“

Warum streitet ihr denn?“ Hanno steht da. „Bei so einem schönen Wetter streitet man doch nicht.“ Wir erklären ihm die Situation. „Oh, das kenn ich, ich bin doch auch so ein Trottel.“ Er kommt an Bord und setzt sich hin. „Dauernd wollen die Leute was. Egal ob Salzmandeln oder einen 16er- Schraubenschlüssel oder Wein oder sonst was. Apropos: Ich sehe den guten Roten, den ich so mag.“ Ich hole Hanno ein Glas, und da steht schon Berti da, sieht uns sitzen und gesellt sich zu uns, was wiederum seine Frau Elsa sieht, die ebenfalls herbeigeeilt kommt; man könnte ja was verpassen.

Wenn die EC-Karte in der Ostsee schwimmt

Ich versorge die Nachbarn mit Rotwein und Knabberzeug. „Könnt ihr euch noch an diesen einen erinnern, ich glaub, der kam aus München und hatte gechartert, der mit der Kappe, auf der ‚Ich belle nicht, ich bin ein Seehund‘ stand?“, fragt Berti. „Ach ja, der wollte doch deinen Akkuschrauber ausleihen.“ Mein Mann erinnert sich. „Er hat ihn auch bekommen. Dann kam und kam er nicht zurück, und wir wollten ja am nächsten Tag los. Ich also hin, das Ding geholt, probier es auf dem Schiff aus, nix geht mehr.“

„Erzähl mal von der Frau, neben der wir auf Steg C gelegen haben“, fordert mein Mann. „Ach die. Sie hat sich von mir Geld geliehen, angeblich weil ihre EC-Karte irgendwo in der Ostsee schwimmt“, erzähle ich bereitwillig. „Nein, nein.“ Mein Mann wedelt mit beiden Armen. „Du musst das anders erzählen. Wie sie da gestanden hat und so …“

Meine Güte. „Sie war eben verzweifelt, stand da und rief: ‚Bitte, bitte gib mir Geld, ich weiß nicht, wie ich das Wochenende ohne Bargeld überleben soll, und die Karten sind alle weg.‘“

„Sie war allein da“, erklärt mein Mann. „Ohne den Gatten.“ „Natürlich hab ich ihr dann Geld gegeben. Ich bin sogar mit ihr zum Automaten gefahren. 2.000 Kronen hab ich abgehoben.“ Ich nehme einen Schluck Wein.

„Und?“, kommt es aus allen Mündern. „Wir warteten zwei Wochen, dann habe ich mich erdreistet, mal nachzufragen: ‚Äh, hallo, ich kriege noch Geld von dir.‘ Ich natürlich mit hochrotem Kopf, sie ganz cool.“ „Und?“ „Na ja, sie schaute mich an und sagte: ‚Geld? Du willst Geld zurück?‘ Dann, verächtlich: ‚Du musst es ja nötig haben.‘“

Helfen kriegt man nicht gedankt

„Also so was“, sind sich alle einig. „Natürlich muss man sich am Steg untereinander helfen“, sagt Elsa. „Aber zu viel ist zu viel. Von mir hat sich mal einer eine Winschkurbel geliehen, weil seine alle abgebrochen waren oder was auch immer. Tja, sie ist ihm ins Wasser gefallen.“ Natürlich alle: „Und?“ „‚So was passiert‘“, hat er gesagt. ‚Es ist aber jetzt zu kalt, danach zu tauchen, das könnt ihr im Sommer machen.‘“

Mein Mann ist außer sich. „Dem hätte ich’s aber gegeben! Mir geht richtig die Pumpe! Könnt ihr euch noch an diesen Kurt erinnern, der hier eine Woche lag? Der mit dem Papagei?“ „Ja klar.“ Alle erinnern sich an den Zausel, der sich vom Pfeiferauchen ernährte und Shantys gesungen hat, bis uns die Ohren abgefallen sind. „Der hat mich doch in seinen Mast gezogen, weil er Höhenangst hat, und ich sollte den Verklicker reparieren, und dann ist der Bootsmannsstuhl gerissen.“

„Das war furchtbar. Du hättest sterben können“, sagt Elsa atemlos. „Ich höre dich heute noch schreien.“ „Jedenfalls wollte er, dass ich ihm einen neuen kaufe“, erzählt mein Mann zornig. „Als ich ihm sagte, er kann sich gehackt legen, hat er den Papagei auf mich gehetzt. Wer schon mal von dem scharfen Schnabel eines Aras gebissen wurde, weiß, wovon ich spreche.“

„Eigentlich sollte man überhaupt nicht mehr helfen, man kriegt es ja nicht gedankt“, meint Hanno. „Ha!“, sagt mein Mann. „Das hab ich euch noch gar nicht erzählt. Letztens haben wir einen abgeschleppt, so ein kleines Motorboot eines Pärchens, der Motor war hinüber. Wir wollten unbedingt rechtzeitig zum Viertelfinale im Hafen sein, EM, mehr muss ich nicht sagen. Wir also Richtung Hafen gedüst, die beiden lagen in ihrem Cockpit und sonnten sich. Dann kommen wir da an, und dann ging es los. Ja, sie könnten nicht allein anlegen, wir sollen helfen, ach je, nein, nicht dieser Platz, einen anderen, und das Fußballspiel hatte begonnen, ich bin ausgerastet. Am liebsten wäre ich weggefahren. Dann lagen sie endlich fest. Ja glaubt ihr, die haben sich bedankt? Gar nichts, nichts. Aber am nächsten Tag haben sie gesehen, dass wir in die Stadt gehen wollten, da kamen sie an und haben gefragt, ob wir ihre Pfandflaschen mitnehmen können.“

Einen Nein-Pakt schließen

„Nein!“ Hanno schreit fast. „Doch!“ Mein Mann ist schon rot. Diese Geschichte nimmt ihn immer noch mit. „Bitte sag mir, dass ihr sie nicht genommen habt.“ Erwartungsvoll schaut Berti ihn an. „Doch, haben wir. Wir dachten, der Pfanderlös wäre so eine Art Dank. Aber als wir zurückkamen, wollten sie das Geld. Er hatte es genau ausgerechnet.“ Allgemeine Empörung macht sich breit.

„Ich bin nur froh, dass es nicht nur mir so geht“, sagt Hanno dann. „Ich finde, wir sollten mal einen Versuch starten. Nämlich Nein zu sagen. Egal bei was. Einfach Nein.“

„Aber wenn jemand blutet oder am Ertrinken ist?“, will ich wissen. Hanno verdreht die Augen. „Das ist ja was ganz anderes. Nein, ich meine bei so alltäglichen Dingen: Akkuschrauber, ein Ei, Brot, Nutella, eine Winschkurbel, Sonnencreme, so was eben. Was haltet ihr davon?“

„Das machen wir“, sind wir uns einig. „Die werden sich alle wundern“, sagt mein Mann zornig. „Ich bin dabei.“ Wir suhlen uns in dem neuen Gefühl, uns nicht mehr ausnutzen zu lassen, und öffnen noch eine Flasche Wein mit dem Messer.

„Wenn da einer kommt und Hilfe mit den Leinen braucht, nö!“, ruft Berti, und alle johlen und schreien: „Nein, nein, nein!“

„Haaaalloooooo!“ hören wir da eine Frauenstimme. Gegenüber fährt gerade ein Boot in die Box. Vorn steht mit angstvoll aufgerissenen Augen eine engelsgleiche blonde Frau, die zittert. „Ich kann das nicht, kann mir mal jemand mit den Leinen helfen?“

Es dauert drei, nein zwei Sekunden, bis alle Männer vom Schiff auf den Steg gesprungen sind. „Natürlich!“, brüllen sie im Chor. „Hilfe ist ja wohl selbstverständlich.“

Ich habe dann mit Elsa allein weitergetrunken.


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