YACHT-Redaktion
· 03.12.2022
Manche Vorschläge sollten überdacht werden - sonst könnte ein verregnetes Wochenende einen ganz besonderen Reiz bekommen. Oder einen nassen.
Das Leben an Bord einer Segelyacht und in den Häfen bietet so manch skurrile Begegnung. Autorin Steffi von Wolff erzählt in ihrer Glosse „Wolffs Revier“ regelmäßig von ihren Erlebnissen als Bordfrau. Nicht immer ernst gemeint, oft satirisch überspitzt, aber immer mit viel Herz und einem Augenzwinkern.
„Mir fällt gerade ein sehr wahrer Spruch ein“, sagt mein Mann, während er gebückt da steht und sich an mir festhält. Ich verdrehe in einem solchen Moment jedes Jahr aufs Neue die Augen, weil immer etwas Hochtheatralisches folgt.
„Na, welcher denn?“
„‘Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit der Freude, eine Zeit der Stille, eine Zeit des Schmerzes, der Trauer und eine Zeit der dankbaren Erinnerung.‘ Habe ich mal in einer Traueranzeige gelesen.“
Er holt ein Taschentuch aus seiner Nase und schnäuzt so laut hinein, dass man meinen könnte, ein Elefant mit eingebautem Verstärker stünde vor einem.
Ja, ja. Es ist wieder so weit. Unser Schiff, das uns auch in diesem Jahr von Februar bis November durch die Gegend transportiert hat, ist heute aus dem Wasser gekommen. Heute. Es ist Ende November. Normale Menschen segeln von Mai bis September, unnormale mit leichtem Hau von April bis Oktober, ziemlich Gestörte von März bis Anfang November, und wir eben von Februar bis Ende November. Im Kappelner Winterlager lachen sie schon über uns, ich weiß es. Einmal waren wir so früh im Wasser, dass es noch mal Eis gegeben hat und man auf den Stegen Schlittschuh laufen konnte. Dazu kam, dass das Wasser so hoch war, dass der Bugkorb für mich Gnom unerreichbar war.
„Geh doch über den Seitensteg“, hat mein Mann gesagt. Ja, schönen Dank auch. Der ist ungefähr zwanzig Zentimeter breit und war ebenfalls zur Eisbahn mutiert.
Ein netter Mensch der Werft kam und schob mir einen dieser Wagen hin, die vier Rollen und eine Leiter haben, und auf denen man in der Winterhalle sein Schiff polieren oder streicheln oder was weiß ich kann. Meine Hände sind an dem Geländer fast festgefroren, davor bin ich auf allen Vieren Richtung Boot gekrochen, weil ich keine Lust hatte, ins Wasser zu fallen. Von mir aus bin ich weich. Sicher. Jeder sollte mal bei Minusgraden in die Schlei stürzen, da lernt man was fürs Leben und denkt mal an die Wikinger, was die alles mitgemacht haben.
Ich bin wirklich, wirklich gerne auf unserem Schiff, es ist schön und gemütlich, aber ich finde, irgendwann ist es auch mal genug und die Monate – ach, was rede ich, bei uns sind’s ja nur Wochen – Winterlager haben durchaus ihre Daseinsberechtigung. Ich bin nämlich durchaus auch gern zu Hause.
„Ach, das Boot ist also nicht dein Zuhause?“, werde ich gern gefragt.
Doch, schon, aber alles hat ja seine Zeit, wie wir wissen.
Die Zeit des Winterlagers kann für Ehen eine Herausforderung sein. Glücklich können sich die nennen, die beide trauern, oft findet es aber einer immer schlimmer als die andere oder umgekehrt.
Ich gehöre zu denen, die die Wintermonate in einer Wohnung durchaus zu schätzen wissen.
So ein Wochenende daheim, wenn es regnet und stürmt, hat doch was, vor allem dann, wenn man weiß, dass man nicht mehr rausfahren und in den Heimathafen segeln oder motoren muss, entsetzlich.
Und an diesem ersten Wochenende werde ich einen Rinderschmorbraten zubereiten, mit selbstgemachtem Rotkohl und …
„Was hältst du davon, wenn wir zu einem Weihnachtsmarkt fahren, die magst du doch so.“ Huch. Was ist denn mit dem los?
Natürlich, gern. Also das ist ja mal eine schöne Überraschung.
Ich liebe Weihnachtsmärkte. Es gibt Reibekuchen und Champignonpfanne, gestrickte Handschuhe, Magenbrot, Gewürze, Honig und Schaschlikspieße. Ach, wie ich mich freue!
„Zu welchem fahren wir denn?“
„Nach Eckernförde.“
Na gern!
Nachdem wir an Eckernförde vorbeigefahren sind, ist mir klar, dass ich einem kalt lächelnden Betrüger auf den Leim gegangen bin.
„Du fährst nach Kappeln.“
„Natürlich, da ist ja bestimmt auch ein Weihnachtsmarkt.“
„Moment mal, du hast gesagt, wir fahren nach Eckernförde.“
„Nein, ich hab gesagt, Richtung Eckernförde. Jetzt hör auf. In Kappeln ist bestimmt auch einer.“
„Bestimmt? Du weißt also noch nicht mal, ob da einer ist?“ Ich glaub es nicht.
„Stell dich bitte nicht so an.“
„Du willst doch nur zum Boot!“
„Ja klar.“
Sagt der einfach „ja klar“.
„Das ist das Allerletzte. Du hast mich hergelockt wie … wie Hannibal Lecter seine Opfer!“
„Hat der die nach Kappeln gelockt? Naja, ich esse dich aber nicht. Aber Leber könntest du mal wieder machen, die magst du doch so gern.“
Ich sage gar nichts mehr. Es ist Ende November und arschkalt. Ich wollte einen Braten machen.
Der Regen klatscht gegen die Scheiben.
„Du hättest doch alleine fahren können.“
„Ich finde es aber netter mit dir. Außerdem musst du mir was helfen.“
Aha.
Nun, ich mache es kurz.
Hafen, Hafenbüro und die Stege sind natürlich menschenleer, als wir ankommen. Kein anderer Depp fährt an einem Samstag, an dem es schüttet und stürmt, freiwillig ins Winterlager.
„Ach guck mal, die haben einen kleinen Weihnachtsbaum auf dem Steg aufgestellt. Mit Lichterkette. Da hast du doch deinen Weihnachtsmarkt.“ Er freut sich.
Gleich werde ich ihm an die Gurgel gehen.
„Das ist ja toll. Da kann ich ja jetzt alleine um den Baum tanzen und singen, das wird schön.“
„Nee, du musst mir ja helfen.“
Und dann stehen wir in der Halle vor unserem Schiff, das wir vor ein paar Tagen zum letzten Mal gesehen haben, und er streichelt den Kiel und den Propeller, und er sagt „Na du, wie geht’s dir denn?“ und ich denke mal wieder, dass er wirklich, wirklich einen Sockenschuss hat.
Aber letztendlich freu ich mich ja auch wieder auf den Sommer … ich meine auf Februar.
Zum Glück dauert es ja nur ein paar Wochen. Dann ist wieder alles gut.
„Die haben die aber ganz schön weit ins Dunkle geschoben“, höre ich. „Das verträgt sie nicht gut.“
Nein, das wird ihr aufs Gemüt schlagen. Sie wird stundenlang weinen.
„Ach was“, sage ich. „Das hält sie aus. Du weißt ja, alles hat seine Zeit.“ Dann schaue ich das Schiff an. „‘Dunkel ist es nun um dich, von Stund an tragen wir dein Licht.‘ Hab ich mal in einer Traueranzeige gelesen.“
„Na dann“, sagt mein Mann beruhigt. „Dann wollen wir mal. Es ist einiges zu tun …“
Ob es in Kappeln einen Weihnachtsmarkt gab, weiß ich leider immer noch nicht.
Dafür habe ich jetzt verstopfte Nebenhöhlen und erhöhte Temperatur.
Schöne Vorweihnachtszeit!