GlosseWenn die Steggemeinschaft das Auslaufen verhindert

Steffi von Wolff

 · 12.07.2024

Glosse: Wenn die Steggemeinschaft das Auslaufen verhindertFoto: YACHT/Nico Krauss
Das Miteinander im Hafen gehört für manche Crew dazu wie das Segeln selbst
Endlich ist das verlängerte Wochenende da, und es soll gesegelt werden. Doch soziale Verpflichtungen im Heimathafen machen es unmöglich auszulaufen

An diesem Mittwochnachmittag freue ich mich richtig, zu unserer „Alten“ nach Sønderborg zu fahren. Morgen ist ein Feiertag, dann Brückentag, ein langes, sonniges Wochenende liegt vor uns, und so, wie es aussieht, werden wir schönen Wind aus Nordwest haben, genau richtig, um nach Ærøskøbing oder Marstal zu segeln. Auch mein Mann ist guter Dinge, denn er hat mich dazu gebracht, zwei Einladungen für dieses Wochenende abzusagen. Beides waren Einladungen zu Gartenpartys, „auf denen man sich die Beine in den Bauch steht“ und „wo gegrillt wird, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Gibt es aber: Segeln“.

Hanno kommt uns auf dem Parkplatz entgegen. „Da seid ihr ja. Wo bleibt ihr denn? Ich fahr eben Holzkohle kaufen und Anzünder.“ „Wir grillen?“, fragt mein Mann. „Waren wir verabredet?“ „Nein, aber was soll man denn sonst machen bei dem Wetter, außer zu grillen?“ „Wir wollten los, das verlängerte Wo…“ „Dann hat Birte umsonst die ganzen schönen Salate gemacht, vielen Dank auch.“ Hanno ist giftig.

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Selbst ich bin leicht genervt, und ich habe wirklich nichts gegen Grillen, aber gerade an diesem Wochenende passt es mir gar nicht. Das schöne Wetter! Andererseits ist es ja prima, dass wir so eine nette Gemeinschaft sind. Und letztendlich ist es ja egal, ob wir heute Abend noch losfahren und ankern oder eben morgen.

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Andererseits werden einem die sozialen Kontakte manchmal zu viel. „Kommst du mit in die Stadt einkaufen?“, fragt Hanno meinen Mann, und sie ziehen los, während ich schon mal unsere Sachen auf die „Alte“ trage. Keine zwei Minuten später klopft es. Birte und Linda wedeln mit zwei Flaschen. „Prosetscho! Komm, wir setzen uns in die Sonne. Außerdem musst du Josie begrüßen.“ Birte ist schon angeschickert. Josie ist eine wunderhübsche Berner Sennenhündin, die gern Papier und Schuhe kaut. Sie kaut auch gern Ölzeug und Fußmatten. Und sie kaut gern menschliche Hände, wie ich rasch merke.

„Ist das nicht ein herrliches Wetter?“, fragt Linda froh und hält ihr Gesicht in die Sonne. „Eigentlich perfekt zum Segeln. Aber was will man machen.“

„Es ist wirklich schön, und wir fahren dann halt morgen los.“ Ich bin nun versöhnt und leere mein Glas, das von Birte unverzüglich neu gefüllt wird. „Morgen los?“, fragt Linda. „Wie jetzt?“ „Äh … langes Wochenende?“ „Das geht nicht“, wird der Plan kategorisch abgewiegelt. „Jörn hat doch Geburtstag. Ich habe beim Bäcker hier Kuchen bestellt, und abends laden wir euch zum Italiener ein. Schon vergessen?“

Richtig, da war ja was. Aber ich hatte das meinem Mann gar nicht gesagt, weil er direkt Schnappatmung bekommen hätte. Das Restaurant hat nämlich keine Außenbestuhlung, wie ich weiß, sondern nur Innenplätze. Eine prima Idee also, bei diesem Wetter in einer Muffelbude zu hocken.

Abends sind wir alle beim Grillen, und Jörn redet die ganze Zeit davon, dass Losfahren überbewertet ist, außerdem ist Diesel teuer und sein Motorboot verbraucht nun mal viel. Wenigstens schmecken mein Steak und die schönen Salate auch. Trotzdem wäre ich gern los.

Dann fahren wir eben morgen los

Am nächsten Morgen sitzen wir beim Frühstück im Cockpit, und beinahe der ganze Hafen legt ab, um das schöne Wetter zu nutzen, so oft ist es auch nicht so dermaßen perfekt. „Dann fahren wir eben morgen los“, sage ich zu mir selbst. Morgen ist ja immerhin erst Freitag. Also immer noch vertretbar.

„Unmöglich“, bellt mein Mann. „In der Saison zum Italiener mit Innenbestuhlung. Der hat doch einen am Darm. Da kann ich mich ja auch gleich in die Sauna setzen. Außerdem kann ich diese Art des Wirts nicht ertragen. Erstens mal stellt er einem Rotwein und Grissini hin, ohne dass man es bestellt hat, und berechnet das dann, und zusätzlich nervt er mit seinem ständigen ‚Meine Freunde aus Deutsland, so söööön, dass ihr wieder da seid‘.“ „Er ist nett“, sage ich. „Von mir aus. Das ist Josie auch. Aber weißt du was. Wir wechseln den Steg. Das mach ich nicht mehr mit. Das wird mir alles zu viel. Innenbestuhlung. Ich geh morgen zum Hafenmeister und mach das klar, dass wir woanders liegen können. Ich lass mich doch nicht so verhaften. Das ist ja unmenschlich. Grundgütiger, geht mir die Pumpe!“ Er verschränkt die Arme und guckt böse, was im Hafen so vor sich geht.

Gegenüber bröseln Ingmar und Heidi an ihren Leinen herum und winken uns zu. „Selbst schuld, wenn ihr nicht segelt“, rufen sie uns zu. Den ganzen Vormittag verbringen wir damit, den anderen zuzuschauen, die ihre Boote fertigmachen.

Hanno kommt an. „Wir haben noch Zeit bis zum Kaffeetrinken, kannst du mir mal helfen, irgendwas ist mit meinem Fäkalientank nicht in Ordnung.“ Mein Mann tut erst so, als habe er nichts gehört, aber Hanno kennt ihn und lässt nicht locker. „Hallo! Haaaaalloooo! Hörst du nicht?“

Schließlich steht er auf und geht mit Hanno auf dessen Boot.

Zehn Minuten später steht Hanno wieder da, ohne ihn. „Ach du meine Güte. Er steckt fest. Im Tank. Er steckt mit dem Kopf im Fäkalientank.“ Ich renne mit Hanno zu seinem Boot, wo auch schon Birte, Jörn und andere sind. Alle schreien durcheinander. Am lautesten schreit mein Mann aus dem Tank. Die gutturalen Laute klingen entsetzlich. Irgendwann ist er frei. „Meine Lesebrille ist weg. So eine Scheiße!“, flucht er.

Ja, ich weiß, so hat man sich sein verlängertes Wochenende nicht vorgestellt. Hanno regt sich auf, weil jetzt eventuell die Lesebrille den Tank zusätzlich verstopfen könnte, und dann sei mein Mann schuld und müsse die Reparatur natürlich bezahlen. „Das war das letzte Mal!“, ruft mein Mann. „Mir reicht’s.“ Er ist rotbraun im Gesicht.

„Bitte echauffier dich doch nicht so“, sagt Birte. „Wir wollen doch Geburtstag feiern.“ Mein Mann stapft davon. „Ich gehe duschen. Vielleicht ist es ja möglich, das allein zu tun.“ Ich kann ihn ja verstehen.

Nachdem wir bei strahlendem Sonnenschein und vor leeren Liegeplätzen den Kuchen gegessen haben, geht’s schon los zum Italiener. Wie ich es mir gedacht habe, ist die Luft zum Schneiden, es sind ungefähr 30 Grad hier drin, und mein Mann ist auf 180.

„In die See hätten wir heute springen können am Ankerplatz, ach, wie schön hätten wir es haben können. Gleich morgen geh ich zum Hafenmeister. So nicht.“

Mein Mann sitzt da, hebt sein Glas und hat Tränen in den Augen

Der Wirt kommt anscharwenzelt. „Meine Frrrreunde aus Deutsland, so ssssssöööööööön!“ „Grumpf“, macht mein Mann und setzt seinen Steinbeißerblick auf. „Hier isssss sssssooo guter Rotwein.“ „Hrk“, macht mein Mann, dessen Laune sekündlich mehr in den Keller sinkt. Gott, ist das heiß.

Alle setzen sich, es gibt Getränke, und dann steht Jörn wieder auf und schlägt mit einem Messer an sein Glas. „Meine lieben Freunde und Stegnachbarn“, kommt es. „Wie ich mich immer freue, wenn ich Richtung Steg gehe und die Ersten von euch entdecke, die mir winken und sich offenbar auch freuen, mich zu sehen. Es ist ein Glück und ein Geschenk, dass wir eine so wunderbar funktionierende Steggemeinschaft haben, dass wir trotzdem die Privatsphäre der anderen akzeptieren, dass wir uns gegenseitig helfen und miteinander feiern können, so wie heute.“

Er macht eine kurze Pause und schluckt. „Ich kann mich glücklich schätzen, in meiner Freizeit so wertvolle Menschen an meiner Seite zu haben. Menschen, auf die man zählen kann, die Liebe in sich tragen, Hilfsbereitschaft, und die frohgemut durchs Leben gehen.“ Blick zu meinem Mann. „Fast alle jedenfalls. Denn das tun wir, und wir können so dankbar dafür sein, dass wir uns alle haben. Lasst mich euch sagen, dass ich mir ein Leben ohne euch und unseren Steg gar nicht mehr vorstellen kann, und darauf und auf euch alle erhebe ich mein Glas. Ihr meine Freunde, ihr Lichtgestalten!“ Jetzt fehlt nur noch ein blond gelockter Engel, der nachdenklich an einer Harfe zupft.

Mein Mann sitzt da, hebt sein Glas und hat Tränen in den Augen. „So was Schönes“, sagt er leise zu mir. „Das hast du noch nie über mich gesagt.“ Er ist wirklich ergriffen. Wie rührend. „Lasst uns auf uns trinken, auf unser Zusammensein und unser gemeinsames Leben hier am Steg! Auf uns, auf uns!“

„Auf uns!“, echot die Runde. Mein Mann muss sich schnäuzen. „Wie wunderschön.“

„Und weil wir gerade alle hier zusammen sind“, sagt Jörn, „will ich gleich ankündigen, dass wir nächstes Wochenende und auch das übernächste das Vereinsheim streichen. Alle Mann. Das stärkt den Zusammenhalt. Und ich weiß, ich kann auf euch zählen.“ Niemand antwortet.

Und das kann ich verstehen. Mein Mann steht auf. Hoffentlich ist der Hafenmeister noch da.


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