100 Jahre DHHDeutschlands älteste Segelschule bietet Ausbildung von Opti bis Sextant

Ursula Meer

 · 23.10.2025

Klassenfahrt mal anders: An der HYS lernen ganze Schulklassen eine Woche lang gemeinsam segeln.
Foto: DHH
Vor einhundert Jahren wurde der Deutsche Hochseesportverband Hansa gegründet. Die Vorzeichen änderten sich im Lauf der Jahre gleich mehrfach, das Ziel nicht: Richtig segeln lernen!

Christoph Schumann erinnert sich heute noch gut an seine ersten Schritte an Bord. Das war im Sommer 1965: Als Neuntklässler kommt er damals zur Hanseatischen Yachtschule Glücksburg (HYS). Der Wachmann sucht den Namen auf einer langen Liste und knurrt: „Schumann, Christoph, da! An Bord der ‚Gudrun‘, morgen auslaufen.“ Der Junge zögert: „Wie, morgen? Ich kann doch gar nicht segeln!“ Der Wachmann antwortet trocken: „Die anderen auch nicht.“

Das Motto des Deutschen Hochseesportverbands Hansa e. V. (DHH) lautet: „Richtig segeln lernen“. Und so klammert sich Schumann schon am nächsten Morgen an den Klüverbaum, während unter ihm die Gischt durch das Netz kriecht. Schlotternd vor Angst kämpft er mit einem Zeising. Der Kapitän brüllt: „Der muss da raus, los da!“


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In einer Halse reißt das Großsegel, fünf junge Männer schleppen es in Svendborg zum Segelmacher. „Der erste Tag war gewöhnungsbedürftig“, bagatellisiert Schumann rückblickend. Und doch wird der Törn sein Leben prägen, denn: „Das gemeinsame Erleben und das Entdecken fremder Häfen haben mich sehr interessiert.“ Christoph Schumann durchläuft die komplette Ausbildung beim DHH, wird dort langjähriger Ausbilder und arbeitet später als Sportjournalist, unter anderem als Redakteur der YACHT. Nebenbei ist er einige Jahre auch im Vorstand des DHH tätig.

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Etwa 15.000 DHH-Mitglieder in ganz Deutschland

Wenn auch nicht alle Absolventen der DHH-Kurse gleich derart mit Leib und Seele in das Metier einsteigen, viele bleiben dennoch über Jahrzehnte an Bord. Als Mitglieder, als ehrenamtliche Mitarbeiter oder Ausbilder in dem, was der heutige Erste Vorsitzende Tomas Hoffmann als „größten Segelverein Deutschlands“ bezeichnet – nur mit einer gänzlich anderen Struktur. Die etwa 15.000 Mitglieder des DHH verteilen sich über ganz Deutschland. Statt zu abendlichen Klönschnacks im Heimathafen treffen sie sich in einigen Städten regelmäßig zu Stammtischen oder gemeinsamen Veranstaltungen.

Auch die theoretische Ausbildung erfolgt an verschiedenen Orten in Deutschland. Feste Standorte für das Kerngeschäft des DHH, Ausbildung und Törns, sind die Chiemsee Yachtschule in Prien und das Mutterschiff, die HYS in Glücksburg.

In den Jahren, als auch Tomas Hoffmann eher unfreiwillig und mit ähnlichen Erlebnissen wie Christoph Schumann als Junge auf die Planken geschubst wird, ist das Dabeibleiben aus heutiger Sicht nicht selbstverständlich. Sie dürfen auf stolzen Schonern über die Meere reisen und das Segeln als Gemeinschaftserlebnis und Handwerk lernen, mit Klüvern und Gaffel-Toppsegeln, die Schoten und Fallen bestenfalls mit Taljen ausgestattet, eben „mit einem Riesengedöns“, wie sich Hoffmann erinnert. „Einige Schiffe hatten auch keine Maschine. Da musste man schon segeln können!“

Kommandos, Rituale und Disziplin in den Anfängen

Dafür sind viele der Ausbilder ehemalige Marineoffiziere mit lauten Kommandos, strengen Ritualen und Disziplin. Die jungen Segelaspiranten treten zum Morgenappell in weißen Anzügen an, den sogenannten „Takelpäckchen“, die stets sauber zu sein haben, auf den Köpfen rote Pudelmützen.

Der Kulturwandel beginnt in den 60er-Jahren mit Rudolf Koppenhagen als Leiter der HYS, einem ehemaligen Korvettenkapitän, vor allem aber leidenschaftlichen Langstrecken-Regattasegler. „Bei dem wurde der Ton dann anders“, erinnert sich Christoph Schumann. „Wir haben nicht mehr nur Seemannschaft und Knoten und so was geübt, sondern sind auch Regatten gesegelt, mit Preisverleihung und allem, was dazugehört.“

In den 1970er-Jahren weichen die Einheitskleidung und die Marineoffiziere als Ausbilder, „nicht weil sie schlecht waren, sondern weil wir auch in der Personalbesetzung einen anderen Stil demonstrieren wollten“, erläutert Tomas Hoffmann. „Heute ist der DHH eine ganz normale Segelschule, aber der alte Charakter haftete dem Verband lange an“, ergänzt Christoph Schumann. „Noch lange Zeit schickten die Eltern ihr Kind dorthin‚ damit es mal richtig was tun muss und nicht so ein Schlappi wird.“

Gründung 1925 zur Pflege des „Hochseesports in deutscher Form“

Hier schwingt noch ein wenig von dem mit, was im Kielwasser des Vereins liegt. Anlässlich seines 100-jährigen Bestehens hat der DHH gemeinsam mit einem unabhängigen Historiker einen ungeschönten Blick in seine Vergangenheit gewagt und die Geschichte in einer Vereinschronik aufgeschrieben, „damit Gegenwart und Zukunft daraus lernen können“, wie Tomas Hoffmann sagt.

»Einige Eltern schickten ihren Sohn zur Hanseatischen Yachtschule, damit er mal richtig was tun muss und nicht so ein Schlappi wird.«

​Als sich am 28. Januar 1925 in Berlin-Charlottenburg hochrangige Persönlichkeiten aus Marine, Wirtschaft und Wissenschaft treffen, um den Deutschen Hochseesportverband Hansa e. V. zu gründen, haben sie ein gemeinsames Ziel: eine Einrichtung zur Marineausbildung für junge Männer. Sie agiert unter dem Deckmantel der Pflege des „Hochseesports in deutscher Form“ heimlich am Versailler Vertrag vorbei. An militärische Erfahrung, akademische Ambitionen und wirtschaftliche Netzwerke dockt indirekt auch die Reichsmarine an.

Die HYS in Neustadt wird zum operativen Kern des Verbands: Sechs-Wochen-Lehrgänge, Törns in Nord- und Ostsee, Körperertüchtigung, Drill und Signaldienst. Die Ausbildung vermittelt den jungen Männern Seemannschaft, versteht sich aber zugleich als Form der Ertüchtigung. Das Verbandsmagazin „Der Blaue Peter“ veröffentlicht Törnberichte aus aller Welt, von Segelschülern, die 1929 in die Südsee oder nach Ostindien reisen, „wo man uns aufgrund unseres weißen Arbeitszeuges für eine Gruppe armer Sünder hielt, die zu fernen Gestaden wallfahrteten, denn in jenen Ländern ist Weiß die Farbe der Trauer. Wir wurden von der frommen Bevölkerung mit Almosen hart bedrängt.“

»Im Magazin berichten Segelschüler 1929 von Reisen in die Südsee oder nach Ostindien. Bei der Jugend kommt das gut an.«

Geschichten, die bei den jungen Leuten ziehen. Die Angebote des DHH werden immer beliebter, der Verband expandiert: Bayern erhält eine Yachtschule am Chiemsee, an der vornehmlich junge Frauen ausgebildet werden, es folgen Standorte an Bodensee, Ammersee und am Steinhuder Meer.

Einfluss des Zweiten Weltkrieges

Mit der Gleichschaltung des Sports ab 1933 wird der DHH Teil des NS-Systems. Der Erste Vorsitzende Adolf von Trotha gründet den Reichsbund Deutscher Seegeltung, die HYS wird als „Seesport-Führerschule“ der Marine-SA unterstellt und ergänzt durch „Kraft durch Freude“-Angebote auf See. Nach einem kurzen Gastspiel in Sierksdorf zieht die HYS 1936 an ihren heutigen Standort in Glücksburg an der Flensburger Förde. Die zuvor durchaus launig zu lesende Zeitschrift „Der Blaue Peter“ ändert den Tonfall und weicht schließlich einer namens „Die Flagge“ mit Hakenkreuz auf dem Cover. Die Vereinnahmung ist komplett.

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, aus den Trümmern des Nichts aufzubauen“, beschreibt die Chronik „50 Jahre DHH“ den Neubeginn. Die Mitgliederkartei konnte vor den Bomben bewahrt werden, und so kann wieder Kontakt zu den Ehemaligen aufgenommen werden, wenngleich viele für immer gegangen sind.

Der zweite Lebensabschnitt des DHH beginnt in Hamburg: Ludwig Dinklage, seit 1940 Leiter der Segelgemeinschaft Hamburg des DHH, initiiert 1945 die Neugründung der Seglerkameradschaft Hansa (SKH), die als Nachfolgeverein eingetragen wird. Bald zählt sie unter dem Vorsitz Dinklages rund 200 Mitglieder. Die SKH übernimmt das, was von den Bootsbeständen der Neustädter DHH-Flotte übrig ist – „mit viel List und Tücke“ vor der Beschlagnahme bewahrt –, doch der Verbleib größerer Einheiten muss erst noch ermittelt werden.

Stolze Schiffe und sportliche Jollen

Im Januar 1951 schließlich wird der Neustart des DHH beschlossen. Der Hamburger Reeder Erich F. Laeisz wird Erster Vorsitzender, der Bremer Bankier Dr. Otto Wachs Zweiter Vorsitzender und Schatzmeister. Der Kurs für den weiteren Wiederaufbau ist abgesteckt. Noch im selben Jahr wird die Hanseatische Yachtschule in Glücksburg wiedereröffnet. Erste, bescheidene Lehrgänge starten 1951 in Padua-Jollen, die Erich F. Laeisz gespendet hat, ergänzt um gecharterte Schiffe und alte, teils kriegsbeschädigte Schoner.

Auch der Standort am Chiemsee wird reaktiviert. Die Flotte wird erweitert um weitere Boote, deren bekanntestes Alfried Krupp von Bohlen und Halbach beisteuert. Der Großindustrielle ist leidenschaftlicher Segler, das liegt in der Familie, wie auch der Bau großer, schneller Yachten namens „Germania“. Deren Nummer V, eine 20-Meter-Yacht aus der Werft von Abeking & Rasmussen, spendet er nebst einer Finanzspritze zum Wiederaufbau der HYS 1962 dem DHH. Unter dem Namen „Nordsee“ wird sie für zwei Jahrzehnte zum Flaggschiff der Hochseeausbildung. Weitere stolze Schiffe älterer Bauart gehen in das Eigentum des Verbandes über und prägen unter dem rot-weißen Möwenstander lange Jahre das Bild der HYS zur See.

»Nach dem zweiten Weltkrieg werden die Bootsbestände mit viel List und Tücke vor der Beschlagnahme bewahrt.«

In den 1990er-Jahren endet ihre Ära. Tomas Hoffmann erklärt: „Der hohe Reparatur- und Wartungsaufwand war finanziell nicht tragbar.“ Wichtiger aber sei, dass die Jugend lieber schnelle, sportliche Schiffe habe, mit Spinnaker, Gennaker und Trapez. So ersetzen Optis, sportliche Jollen, Katamarane und seegängige X-Yachten die alten Damen, neuerdings auch J40.

Das gesamte Konzept zieht einfach

Auch der Aktionsradius des DHH wandelt sich. In den Jahrzehnten nach der Neugründung werden weitere Yachtschulen aufgebaut, Sponsoren gefunden und Kooperationen mit größeren Unternehmen vereinbart. Der DHH zieht in die Welt, gründet Standorte am Mittelmeer und begegnet den immer größer werdenden Segelträumen mit Blauwassertörns auf den Seychellen oder nach Nordame rika. „Wir dachten, dass wir unseren Mitgliedern etwas bieten müssen“, erzählt Tomas Hoffman. „Aber das entspricht nicht unserem Satzungsziel und unserer Gemeinnützigkeit. Ich habe das alles zurückgefahren in den letzten Jahren, sodass wir uns nur noch auf die beiden Schulen konzentrieren und das Törngeschäft von Glücksburg aus in Nord- und Ostsee und auf den Atlantik machen.“

Geschadet hat dem Verband diese Veränderung nicht. Die Mitgliederzahlen sind so stabil wie die der Ehrenamtlichen, die vom Küchendienst über die Lehrgänge bis zu Events engagiert dabei sind.

Dass sie Kurse und Törns zum halben Preis buchen können, sei eher nachrangig, vermutet der Vorsitzende: „Ich stand gestern hier in Glücksburg auf dem Steg, als die gesamte Hochseeflotte eingelaufen ist, zehn Schiffe zwischen 38 und 60 Fuß, die waren hauptsächlich mit Ehrenamtlichen besetzt. Es war eine einzigartige Stimmung, die macht denen natürlich Freude. Sie haben einen anspruchsvollen Sport, ein tolles Gelände und einen großartigen Bootspark. Das gesamte Konzept, das zieht einfach.“

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