Hauke Schmidt
· 07.02.2023
Material und Konstruktion bestimmen die Eigenschaften und den Preis des Tauwerks. Wie man die optimale Kombination für Fallen, Schoten und Festmacher auswählt
In diesem Artikel erklärt:
Egal ob neu oder gebraucht, ohne Tauwerk läuft auf einem Segelboot nix. Trotzdem fristen die Leinen auf vielen Yachten ein trauriges Dasein. Schon bei der Grundausstattung wird gern gespart. Wählt die Werft bei den Fallen statt teurer Hochlastfasern günstige Polyesterprodukte, so halbieren sich die Kosten mindestens. Das Verlockende dabei: Äußerlich sehen die billigen Leinen genauso gut aus wie die Hochpreisprodukte. Im Neuzustand fassen sie sich mitunter auch noch geschmeidiger an.
Das hat auch fürs Nachrüsten Folgen. Wer sich vom vielfältigen Angebot der Ausrüster überwältigen lässt, greift im Wortsinn daneben. Selbst die Auszeichnung der Hersteller ist von begrenztem Nutzen. Gerade im unteren Preissegment werden die Seile oft für alle möglichen Einsatzzwecke zugleich empfohlen. Das ist zwar grundsätzlich nicht falsch, aber die Ernüchterung folgt beim Segeln. Gerade erst gesetzt, sackt das Vorliek in der ersten Bö durch, es bilden sich hässliche Falten. Schlimmer noch, das Tuch ändert sein Profil; es wird bauchiger, erzeugt mehr Krängung und Ruderdruck – Eigenschaften, die das Boot langsamer und das Steuern unkomfortabel werden lassen. Ein beherzter Dreh an der Fallwinsch stellt den ursprünglichen Trimm zwar wieder her, aber nur für kurze Zeit – bis die Leine erneut nachgibt. Besonders ärgerlich ist das Ganze, wenn gerade in hochwertige und dehnungsarme Segel investiert wurde.
Dagegen stets zum teuersten Seil zu greifen freut den Ausrüster, belastet die Bordkasse aber unnötig. Stattdessen sollte man sich über die Anforderungen Gedanken machen. Je genauer feststeht, was das Tauwerk leisten soll, desto einfacher lässt sich das optimale Seil auswählen. Dabei spielen Material und Konstruktion der Leinen eine Rolle. Sie bestimmen nicht nur den Preis, sondern sind auch für das Dehnungsverhalten, die Bruchlast, die Abriebfestigkeit und die Haptik verantwortlich.
Gerade im Zusammenspiel mit Fallenstoppern und Winschen kann schon eine andere Materialmischung im Mantel deutlich bessere Ergebnisse bringen. Zudem muss nicht jedes Fall und jede Schot aus Dyneema bestehen; mitunter ist ein wenig mehr Reck sogar von Vorteil. Ähnlich sieht es bei Festmachern aus. Auch hier haben das verwendete Material und die Flechtung der Leine direkte Auswirkungen auf den Bordalltag.
Leinen mit Dyneema-Kern sind erste Wahl für das Tauwerk. Mantel und Durchmesser müssen zu den Beschlägen passen.
Bei einer Yacht mit 13 Meter Masthöhe stecken bei gesetztem Groß etwa 15 Meter Leine zwischen Fallenstopper und Kopfbrett. Günstige Dyneemaseile recken beim Setzen etwa um 2,3 Prozent, es müssen also 35 Zentimeter mehr Seil durchgeholt werden, um die Sollspannung zu erreichen. Bei zusätzlichem Winddruck nimmt die Dehnung aber nur um 0,1 Prozent zu, das Fall sackt also gerade einmal 1,5 Zentimeter durch. Selbst bei einem guten Polyesterseil wäre es fünfmal so viel. Die guten Werte der Dyneemafaser lasen sich durch das sogenannte Heißverstrecken noch verbessern. In dem Prozess wird das Geflecht komprimiert , wodurch die Bruchlast steigt und die Dehnung weiter abnimmt. Da die Faser auch noch UV-stabil, unempfindlich gegen Knicke und scheuerfest ist, scheint sie wie für Segler gemacht. Doch es gibt auch Schattenseiten. So fordert die extrem glatte Oberfläche spezielle Beschichtungen oder Seilkonstruktionen mit Zwischenmantel.
Das Diagramm macht die Materialunterschiede deutlich: Die Heißverstreckung verringert vor allem die Anfangsdehnung. Im Arbeitsbereich um 400 Dekanewton fallen die Unterschiede geringer aus. SK38 reckt stärker, aber sehr viel weniger als Polyester.
Einsatzbereich und Takelung der Yacht bestimmen das optimale Tauwerk.
Fahrtenboote mit großen, überlappenden Genuas oder moderne Performance-Cruiser mit schmalen Vorsegeln stellen unterschiedliche Anforderungen ans Tauwerk. Trotz des verhältnismäßig großen Vorsegels sind die Schotlasten auf dem Fahrtenschiff überschaubar. Der Durchmesser des Tauwerks wird vornehmlich durch die Handhabung und nicht durch die Bruchlast bestimmt. Selbst die Dehnung ist unkritisch: Das lange Unterliek der überlappenden Genua führt zu flachen Schotwinkeln, womit sich die Form des Segels wenig ändert, selbst wenn die Leine in einer Bö vier Zentimeter nachgibt. Ganz anders auf einem Performance-Cruiser: Die schmal geschnittene Fock reagiert äußerst empfindlich auf Änderungen der Schotspannung und lässt sich mit einem reckenden Seil kaum trimmen. Mit jeder Zu- oder Abnahme des Winddrucks verändern sich auch Anstellwinkel und Verwindung.
Je nach Trommeloberfläche können Winschen wahre Tauwerksfresser sein. Abhilfe schaffen Mantelgeflechte mit Beimischungen aus Technora, Dyneema oder Vectran. Letzteres ist aber nicht UV-stabil und löst sich mit den Jahren auf.
Leinen werden durch Knoten geschwächt. Welche Verknüpfungen am schädlichsten sind.
Dass Knoten die Festigkeit der Leine herabsetzen, ist bekannt – aber wie stark lässt die Bruchlast nach? Wir haben die gängigsten Knoten zum Verbinden zweier Leinen untersucht – und zwar jeweils mit 10 Millimeter starkem Tauwerk. Bei Polyestertauwerk tragen Kern und Mantel fast zu gleichen Teilen. Daher ist es kein Problem, dass sich im Knoten hauptsächlich der Mantel bekneift. Anders verhält es sich es bei Dyneemaleinen, sie beziehen ihre Festigkeit fast ausschließlich aus dem sehr glatten Kern. Rutscht dieser im Knoten, verlagert sich zu viel Last auf den Mantel – und er bricht.
Die Haltekräfte sind unabhängig vom Material gering. Gerade einmal 12 Prozent der Bruchlast des Dyneemaseils sind nutzbar.
Der Klassiker schwächt die Verbindung stark. Polyester bricht bei 36 Prozent, das Dyneematau rutscht bei 12 Prozent.
Zwei Umschlingungen erhöhen die Haltbarkeit bei Polyester auf 65 Prozent. Dyneematauwerk rutscht bei 20 Prozent der Bruchlast.
Diese Verbindung hält bei Polyestertauwerk 42 Prozent der Last. Mit Dyneema versagt sie schon bei 30 Prozent der Bruchlast.
Der Palstek ist beliebt und bewährt. Tatsächlich hält er sogar beim Dyneematauwerk fast 50 Prozent der Bruchlast.
53 bis 70 Prozent der Bruchlast sind sehr gut. Für die maximale Festigkeit dürfen sich die parallelen Parten nicht überkreuzen.
Landleinen müssen robust und dehnbar sein. Das Material ist entscheidend.
Mehr als ein Drittel des Jahres hängt das Schicksal der Yacht allein von den Festmachern ab – das Tauwerk gehört also, wenn auch selten so betrachtet, zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen an Bord. Polyester und Polyamid, auch unter dem Markennamen Nylon bekannt, sind die am häufigsten eingesetzten Kunststoffe. Das ebenfalls erhältliche Polypropylen ist licht- und scheuerempfindlicher und sollte nur zum Einsatz kommen, wenn die Leine schwimmfähig sein muss. Ganz klar im Vorteil ist aus Polyamid gefertigtes Tauwerk, es bietet bis zu 10 Prozent mehr Reck als das beste Polyestertauwerk. Allerdings stand dem lange Zeit eine andere Materialeigenschaft entgegen: Polyamid nimmt deutlich mehr Wasser auf als Polyester, mit der Folge, dass die Fasern schrumpfen. Die Leinen wurden schon nach kurzer Zeit stocksteif und unhandlich. Inzwischen haben die Seiler das Problem weitgehend im Griff.
Die Kurven zeigen zwei Squarelines. Die Polyamid-Version reckt stärker und hat eine höhere Bruchlast. Die Crew kann in doppelter Hinsicht ruhiger schlafen: Die Yacht ruckt weniger hart ein, und falls die Leine irgendwo scheuert, hat sie mehr Reserve.
Die Dimensionierung der Festmacher richtet sich nach der Schiffsgröße. Für eine Zehn-Meter-Yacht mit vier bis fünf Tonnen Verdrängung sind 12 bis 14 Millimeter angemessen. Mindestens sechs Leinen sollten an Bord sein, zwei in etwa der Schiffslänge entsprechend als Heckleinen. Am Bug reichen meist Festmacher mit der doppelten Bootsbreite. Die beiden zusätzlichen Leinen dienen als Manöver- oder Landleinen im Päckchen. Die doppelte Bootslänge oder mehr schadet nicht.
Mantellose Dyneemaleinen sind fester als Draht und vielseitig verwendbar.
Dyneemafasern sind nicht nur sehr UV-beständig, sondern auch noch glatt und abriebfest. Daher benötigen daraus hergestellte Leinen keine schützende Hülle. Diese Einfachgeflechte können beispielsweise zu Tauwerkschäkeln verarbeitet werden, in Kombination mit Alukauschen teure Umlenkblöcke oder gleich komplette Achterstagen ersetzen. Oder sie verhelfen als Softrigging alten Takeltechniken zu neuem Glanz.