Groß oder Genua – die Schot sollte in jedem Fall gut in der Hand liegen
Material und Konstruktion bestimmen die Eigenschaften und den Preis des Tauwerks. Wie man die optimale Kombination für Fallen, Schoten und Festmacher auswählt
Egal ob neu oder gebraucht, ohne Tauwerk läuft auf einem Segelboot nix. Trotzdem fristen die Leinen auf vielen Yachten ein trauriges Dasein. Schon bei der Grundausstattung wird gern gespart. Wählt die Werft bei den Fallen statt teurer Hochlastfasern günstige Polyesterprodukte, so halbieren sich die Kosten mindestens. Das Verlockende dabei: Äußerlich sehen die billigen Leinen genauso gut aus wie die Hochpreisprodukte. Im Neuzustand fassen sie sich mitunter auch noch geschmeidiger an.
Das hat auch fürs Nachrüsten Folgen. Wer sich vom vielfältigen Angebot der Ausrüster überwältigen lässt, greift im Wortsinn daneben. Selbst die Auszeichnung der Hersteller ist von begrenztem Nutzen. Gerade im unteren Preissegment werden die Seile oft für alle möglichen Einsatzzwecke zugleich empfohlen. Das ist zwar grundsätzlich nicht falsch, aber die Ernüchterung folgt beim Segeln. Gerade erst gesetzt, sackt das Vorliek in der ersten Bö durch, es bilden sich hässliche Falten. Schlimmer noch, das Tuch ändert sein Profil; es wird bauchiger, erzeugt mehr Krängung und Ruderdruck – Eigenschaften, die das Boot langsamer und das Steuern unkomfortabel werden lassen. Ein beherzter Dreh an der Fallwinsch stellt den ursprünglichen Trimm zwar wieder her, aber nur für kurze Zeit – bis die Leine erneut nachgibt. Besonders ärgerlich ist das Ganze, wenn gerade in hochwertige und dehnungsarme Segel investiert wurde.
Dagegen stets zum teuersten Seil zu greifen freut den Ausrüster, belastet die Bordkasse aber unnötig. Stattdessen sollte man sich über die Anforderungen Gedanken machen. Je genauer feststeht, was das Tauwerk leisten soll, desto einfacher lässt sich das optimale Seil auswählen. Dabei spielen Material und Konstruktion der Leinen eine Rolle. Sie bestimmen nicht nur den Preis, sondern sind auch für das Dehnungsverhalten, die Bruchlast, die Abriebfestigkeit und die Haptik verantwortlich.
Gerade im Zusammenspiel mit Fallenstoppern und Winschen kann schon eine andere Materialmischung im Mantel deutlich bessere Ergebnisse bringen. Zudem muss nicht jedes Fall und jede Schot aus Dyneema bestehen; mitunter ist ein wenig mehr Reck sogar von Vorteil. Ähnlich sieht es bei Festmachern aus. Auch hier haben das verwendete Material und die Flechtung der Leine direkte Auswirkungen auf den Bordalltag.
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Fallentauwerk
Leinen mit Dyneema-Kern sind erste Wahl für das Tauwerk. Mantel und Durchmesser müssen zu den Beschlägen passen.
Foto: YACHT/M. StrauchGutes Material belastet die Bordkasse, zahlt sich aber aus
Bei einer Yacht mit 13 Meter Masthöhe stecken bei gesetztem Groß etwa 15 Meter Leine zwischen Fallenstopper und Kopfbrett. Günstige Dyneemaseile recken beim Setzen etwa um 2,3 Prozent, es müssen also 35 Zentimeter mehr Seil durchgeholt werden, um die Sollspannung zu erreichen. Bei zusätzlichem Winddruck nimmt die Dehnung aber nur um 0,1 Prozent zu, das Fall sackt also gerade einmal 1,5 Zentimeter durch. Selbst bei einem guten Polyesterseil wäre es fünfmal so viel. Die guten Werte der Dyneemafaser lassen sich durch das sogenannte Heißverstrecken noch verbessern. In dem Prozess wird das Geflecht komprimiert , wodurch die Bruchlast steigt und die Dehnung weiter abnimmt. Da die Faser UV-stabil, unempfindlich gegen Knicke und scheuerfest ist, scheint sie wie für Segler gemacht. Doch es gibt auch Schattenseiten. So fordert die extrem glatte Oberfläche spezielle Beschichtungen oder Seilkonstruktionen mit Zwischenmantel.
Was die Leine können soll
Geringe Dehnung: Für Groß-, Genua- und Code-Zero-Fall gilt: je weniger Reck, desto besser. Bei Gennaker oder Spi ist ein dehnbares Fall dagegen von Vorteil. Wenn das Luvliek dieser Segel aufploppt, entstehen Lastspitzen, die ein Polyesterseil gut auffängt
Robuster Mantel: Fallenstopper sind die größten Widersacher des Seils. Zur direkten Belastung durch die Klemme kommt das Problem des rutschenden Kerns. Bei Dyneematauwerk trägt die Seele die Last. Sie wird im Stopper aber schlecht gehalten, dann kann die Kraft auf den Mantel geleitet werden und dieser reißen. Beschichtete Kerne und Mantelgeflechte aus Technora-, Dyneema- oder Vectranfasern können das verhindern
Bruchlast: Die nötige Bruchlast richtet sich nach der Bootsgröße, beim Einsatz von Dyneema spielt aber eher die Beschlagsausstattung eine Rolle. Die Fallen sind so reißfest, dass der eigentlich ausreichende Durchmesser zu klein ist, um in den Stoppern zu halten oder mit der Hand gefasst zu werden.
Typische Konstruktionen
Parallelkern-Mantel: Bei Polyesterfallen übliche Konstruktion. Die parallel liegenden Kernfasern sollen die Dehnung des Seils verringern. Ein Zwischenmantel ist nötig und macht die Leinen häufig steif.
Foto: YACHT/Archiv
Kern-Mantel: Zwei Geflechte werden hier verarbeitet. Für den Kern kommt Polyester oder beschichtetes Dyneema in Frage. Der Mantel besteht aus Polyester, eventuell mit Technora- oder Vectran-Anteilen.
Foto: YACHT / B. Andersch
Kern-Zwischenmantel-Mantel: Eine Lage aus Polyester-Stapelfaser erhöht die Reibung zwischen Kern und Mantel, wodurch es weniger Probleme im Stopper gibt. Das Zusatzgeflecht mindert den Kerndurchmesser.
Foto: YACHT/Archiv
Übliche Kernmaterialien
Polyester: Günstig und robust, dafür dehnt sich das Material aber vergleichsweise stark. Für Spi- und Gennakerfallen geeignet.
Dyneema SK38: Preiswerte Faser. Sie bietet in etwa die Bruchlast eines Polyesterseils, hat aber deutlich weniger Reck. Gutes Upgrade für Fahrtenyachten mit Basisausstattung.
Dyneema SK78: Standardfaser für Hochleistungstauwerk, sehr hohe Bruchlast und geringe Dehnung. Ideal für Performance-Cruiser und Regattaboote.
Dyneema SK99: Höchste Bruchlast, nur für reine Racer interessant.
Dehnungsvergleich
Das Diagramm macht die Materialunterschiede deutlich: Die Heißverstreckung verringert vor allem die Anfangsdehnung. Im Arbeitsbereich um 400 Dekanewton fallen die Unterschiede geringer aus. SK38 reckt stärker, aber sehr viel weniger als Polyester.
Foto: YACHT
Schoten
Einsatzbereich und Takelung der Yacht bestimmen das optimale Tauwerk.
Fahrtenboote mit großen, überlappenden Genuas oder moderne Performance-Cruiser mit schmalen Vorsegeln stellen unterschiedliche Anforderungen ans Tauwerk. Trotz des verhältnismäßig großen Vorsegels sind die Schotlasten auf dem Fahrtenschiff überschaubar. Der Durchmesser des Tauwerks wird vornehmlich durch die Handhabung und nicht durch die Bruchlast bestimmt. Selbst die Dehnung ist unkritisch: Das lange Unterliek der überlappenden Genua führt zu flachen Schotwinkeln, womit sich die Form des Segels wenig ändert, selbst wenn die Leine in einer Bö vier Zentimeter nachgibt. Ganz anders auf einem Performance-Cruiser: Die schmal geschnittene Fock reagiert äußerst empfindlich auf Änderungen der Schotspannung und lässt sich mit einem reckenden Seil kaum trimmen. Mit jeder Zu- oder Abnahme des Winddrucks verändern sich auch Anstellwinkel und Verwindung.
Was die Leine können soll
Geringe Dehnung: Je schlanker das Segel und je höher die Last auf der Leine, desto eher sollte in dehnungsarmes Tauwerk investiert werden. Bei stark untersetzten Großschottaljen oder großen Genuas spielt der Reck keine bedeutende Rolle.
Robuster Mantel: Curryklemmen und Winschen setzen dem Mantel zu. Auf vielen modernen Booten mit einhandfreundlichem Layout werden die Schoten gar in Fallenstoppern abgeklemmt, dann leiden die Mäntel besonders.
Lehnig: Eine steife, kinkende Genuaschot vermasselt jedes Wendemanöver, daher sollte die Leine möglichst geschmeidig bleiben. Polyestertauwerk ist im Vorteil, es verhärtet auch bei starker Belastung kaum. Dyneemakerne können sehr steif werden.
Griffig: Allzu glatt sollte die Schot nicht sein. Ob aber der flauschige Griff einer Stapelfaser nötig ist, ist eine subjektive Entscheidung.
Mantelkonstruktionen
Grib-Faster: Eins-zu-eins-Geflechte ergeben ein handiges Tauwerk. Speziell behandelte Polyester-Endlosfasern oder beigemischte Stapelfasern ergeben einen robusten Mantel, der sich trotzdem gut greifen lässt.
Foto: YACHT/Archiv
Endlos-Faser: Mäntel aus 20-fach-geflochtenen Polyester-Endlosfasern sind haltbar und verkraften Winschtrommeln und Curryklemmen gut. Sie ergeben ein geschmeidiges Seil, sind aber vergleichsweise glatt.
Foto: YACHT/Archiv
Stapelfaser: Die flauschig weichen Mäntel aus Stapelfaser- oder Kammgarn sind Klassiker. Sie liegen gut in der Hand, verschleißen aber deutlich schneller. Für den Winscheinsatz sind sie nicht empfehlenswert.
Foto: YACHT/Archiv
Kernmaterialien
Polyester: Das günstige Material ist für überlappende Genuas und handbediente Großschottaljen auf Fahrtenyachten okay, es bleibt auch nach starker Belastung geschmeidig.
Dyneema: Die geringe Dehnung von SK38 oder SK78 ist vor allem auf Performance-Cruisern nötig. Wer die Schot für Gennaker oder Spi verjüngen will, sollte zu beschichtetem SK78 greifen; die verklebten Fasern sind robuster und lassen sich leichter verarbeiten.
Mischungen: Um Kosten zu sparen, wird die Dyneemafaser teilweise mit Polypropylen vermischt. Dadurch sinkt die Bruchlast, was für Schoten unkritisch ist. Die Dehnung nimmt nur leicht zu.
Auf der Winsch
Je nach Trommeloberfläche können Winschen wahre Tauwerksfresser sein. Abhilfe schaffen Mantelgeflechte mit Beimischungen aus Technora, Dyneema oder Vectran. Letzteres ist aber nicht UV-stabil und löst sich mit den Jahren auf.
Foto: YACHT/K. Andrews
Festmacher
Landleinen müssen robust und dehnbar sein. Das Material ist entscheidend.
Foto: YACHT/B. ScheurerWichtiger als jede Schot: An den Landleinen hängt immerhin das ganze Boot.
Mehr als ein Drittel des Jahres hängt das Schicksal der Yacht allein von den Festmachern ab – das Tauwerk gehört also, wenn auch selten so betrachtet, zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen an Bord. Polyester und Polyamid, auch unter dem Markennamen Nylon bekannt, sind die am häufigsten eingesetzten Kunststoffe. Das ebenfalls erhältliche Polypropylen ist licht- und scheuerempfindlicher und sollte nur zum Einsatz kommen, wenn die Leine schwimmfähig sein muss. Ganz klar im Vorteil ist aus Polyamid gefertigtes Tauwerk, es bietet bis zu 10 Prozent mehr Reck als das beste Polyestertauwerk. Allerdings stand dem lange Zeit eine andere Materialeigenschaft entgegen: Polyamid nimmt deutlich mehr Wasser auf als Polyester, mit der Folge, dass die Fasern schrumpfen. Die Leinen wurden schon nach kurzer Zeit stocksteif und unhandlich. Inzwischen haben die Seiler das Problem weitgehend im Griff.
Was die Leine können soll
Hohe Dehnung: Je mehr Energie die Leine durch Längenänderung aufnehmen kann, desto weicher ruckt das Schiff ein, was die Belastung für Klampen verringert und den Aufenthalt an Bord komfortabler gestaltet.
Hohe Bruchlast: Die nötige Bruchlast richtet sich nach der Schiffsgröße. Schon kleine Scheuerstellen schwächen das Tauwerk stark, daher sollte eine Reserve eingeplant werden.
Robust: Rostige Eisenringe, Kaianlagen aus Beton oder die Lippklüsen mit Gussnähten: Die Liste der möglichen Scheuerstellen ist lang. Durch Schwell und Wind sind die Festmacher praktisch immer in Bewegung. Diesen Dauerstress überstehen nur sehr robuste Konstruktionen.
Lehnig: Je geschmeidiger die Leine ist, desto besser lässt sie sich belegen und aufschießen.
Konstruktionen
Geschlagen: Aus drei Kardeelen geschlagene Leinen sind der Klassiker. Die Konstruktion ist günstig, gut zu spleißen und dehnbar. Das Tauwerk ist aber nicht sehr lehnig und kann Kinken bilden.
Foto: YACHT-Archiv
Squareline: Vier miteinander verflochtene Kardeele ergeben ein sehr geschmeidiges, dehnbares Seil, das sich gut belegen und stauen lässt. Das Tau kinkt nicht, neigt aber zum Fädenziehen.
Foto: YACHT-Archiv
Kernmantel: Der Aufbau entspricht einer Schot, wodurch ein sehr robustes und geschmeidiges Seil entsteht. Die Dehnung ist materialabhängig, in der Regel aber etwas geringer als bei einer Squareline.
Foto: YACHT-Archiv
Dehnung und Bruchlast
Die Kurven zeigen zwei Squarelines. Die Polyamid-Version reckt stärker und hat eine höhere Bruchlast. Die Crew kann in doppelter Hinsicht ruhiger schlafen: Die Yacht ruckt weniger hart ein, und falls die Leine irgendwo scheuert, hat sie mehr Reserve.
Foto: YACHT
Durchmesser und Länge
Die Dimensionierung der Festmacher richtet sich nach der Schiffsgröße. Für eine Zehn-Meter-Yacht mit vier bis fünf Tonnen Verdrängung sind 12 bis 14 Millimeter angemessen. Mindestens sechs Leinen sollten an Bord sein, zwei in etwa der Schiffslänge entsprechend als Heckleinen. Am Bug reichen meist Festmacher mit der doppelten Bootsbreite. Die beiden zusätzlichen Leinen dienen als Manöver- oder Landleinen im Päckchen. Die doppelte Bootslänge oder mehr schadet nicht.
Foto: YACHT
Einfachgeflechte aus Dyneema
Mantellose Dyneemaleinen sind fester als Draht und vielseitig verwendbar.
Foto: YACHT/Hauke SchmidtFür Schlaufen und Vorläufer ist Dyneema das ideale Material.
Dyneemafasern sind nicht nur sehr UV-beständig, sondern auch noch glatt und abriebfest. Daher benötigen daraus hergestellte Leinen keine schützende Hülle. Diese Einfachgeflechte können beispielsweise zu Tauwerkschäkeln verarbeitet werden, in Kombination mit Alukauschen teure Umlenkblöcke oder gleich komplette Achterstagen ersetzen. Oder sie verhelfen als Softrigging alten Takeltechniken zu neuem Glanz.
Was die Leine können soll
Tauwerkschäkel & Lasching: Die Verbinder sind unkritisch und lassen sich auch aus einem Fallenkern spleißen. Kompakte Geflechte fasern weniger stark aus. Sie sollten aber beschichtet sein, damit die Fasern zusammenkleben
Vorläufer: Im Prinzip sind lange, dehnungsarme Flechtlängen von Vorteil. Wenn das Seil über Blöcke läuft, besser ein kompaktes Geflecht wählen
Achterstag: Lange Flechtlänge, Beschichtung und Heißverstrecken sind optimal, sie minimieren die Dehnung
Konstruktionen
Kurze Flechtlänge: Bei dieser Zwölffach-Flechtung laufen die Faserstränge in einem Winkel von etwa 60 Grad. Damit ergibt sich ein kompaktes, rundes Seil, das gut durch Blöcke läuft.
Foto: YACHT-Archiv
Lange Flechtlänge: Ebenfalls eine Zwölffach-Flechtung. Die Fasern liegen aber flacher, dadurch reckt das Seil weniger, drückt sich aber auch schneller platt und kann sich in einem Block beklemmen.
Foto: YACHT-Archiv
Heißverstrecken und beschichten
Komprimiert: Um Dehnungsverhalten und Bruchlast zu optimieren, werden die Seile heißverstreckt – bei der Stronger-than-Steel-Serie von Robline so stark, dass sich die Fasern fast wie Draht verhalten.
Foto: YACHT-Archiv
Verklebt: Mit einer Polyurethan-Beschichtung werden die Fasern verklebt. Das Geflecht hält besser zusammen und ist noch robuster. Die Beschichtung kann auch nachträglich aufgebracht werden.