Angst. Es gibt wohl niemanden, der noch keine Angst hatte – vor was auch immer. Manch einer hat Angst vor geschlossenen Räumen, der andere wiederum vor offenen Plätzen. Es gibt die Angst vor dem Unbekannten, manchmal auch vor dem Bekannten, und auch viele Seglerinnen und Segler kennen Angst an Bord sehr gut – in ihren unterschiedlichsten Facetten. Was ist das grundsätzlich mit der Angst? Wo kommt sie her, warum kommt sie überhaupt?
Zunächst einmal: Angst ist wichtig, sagen Experten. Sie ist in vielen Fällen gesund. Angst schärft die Sinne, macht vorsichtig, sie hilft beim Überleben. Und – Angst ist etwas ganz Normales und gehört zu den sieben Grundemotionen: Ekel, Freude, Trauer, Wut, Überraschung und Verachtung sind die anderen. Angst macht den Verstand und den Körper wacher. Und sie ist hilfreich, auch wenn das in der eigentlichen Angstsituation wohl kaum so empfunden wird.
Hätten unsere Vorfahren keine Angst gehabt, wären wohl viel mehr von ihnen entweder gefressen worden oder in eine Schlucht gestürzt. Denn während der Evolution stellte die Fähigkeit, Angst wahrzunehmen, einen hohen Überlebenswert für das Individuum dar, weil Angstgefühle vor Gefahren warnen und damit dazu beitragen, das eigene Überleben, die eigene Unversehrtheit und das persönliche Wohlbefinden zu schützen oder zu erhalten. Grundsätzlich ist daher festzuhalten: Angst ist ein ganz normales Gefühl.
Aber: Überschreitet die Intensität der Angst einen kritischen Bereich, so nimmt die Performance der Leistungsfähigkeit, die für eine Problemlösung abgerufen werden kann, deutlich ab. Je ängstlicher wir sind, desto mehr wird unsere Problemlösefähigkeit beeinträchtigt. Getrieben von Angst treffen wir nicht unbedingt die beste, zielführende Entscheidung. So sagt man ja auch: Angst ist nicht unbedingt ein guter Ratgeber.
Auch an Bord gibt es natürlich unterschiedliche Ängste, auf die jeder gern verzichten würde. Angst vorm Wasser überhaupt, Angst davor, über Bord zu gehen, Angst vor Schräglage, Angst vor dem, was man nicht mehr steuern kann, und damit ist nicht nur das Schiff gemeint. Wer an Bord mit Angst zu kämpfen hat, würde dieses unangenehme Gefühl am liebsten vollständig ausblenden. Aber das funktioniert nicht oder jedenfalls nicht immer.
Um zu verstehen, warum das so ist, hilft ein Blick auf die Entstehung der Angst. „Ängste“, so Gaby Theile, psychologische Psychotherapeutin für klinische Verhaltenstherapie aus Diez, „können im Rahmen des dem Menschen zugrunde liegenden Modelllernens erlernt sein oder ungeprüft übernommen werden.“ Beispielsweise wenn man mit einem Elternteil aufgewachsen sei, das selbst belastende Erfahrungen beim Segeln gemacht hat. Oder auch nur Vorurteile gegenüber dem Segeln hat und das eigene Kind jahrelang mit entsprechenden Statements wie „Segeln ist gefährlich und nur etwas für Abenteurer und Spinner!“ konfrontiert wird, bis es diese dann selbst übernimmt.
Ebenso könne die wiederkehrende Erziehungsbotschaft „Das kannst du sowieso nicht!“ im Laufe der Jahre zu einem inneren Glaubenssatz werden, der in vielen Situationen aktiviert wird, in denen es darum geht, sich einer neuen Herausforderung zu stellen – etwa mit dem Segeln zu beginnen.
„Manche Menschen neigen dazu“, so Theile, „in ihrer Komfortzone zu verweilen, die gar nicht so komfortabel, sondern eher gewohnt ist, und bleiben damit oftmals weit unter ihren potenziellen Möglichkeiten. Die Grundüberzeugung ,Das kann ich sowieso nicht!‘ wird dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung: da durch diese Einstellung nämlich neuen Herausforderungen ausgewichen wird, gibt es keine Chance auf Korrektur.“
Angst könne durch innere und äußere Auslöser hervorgerufen werden, erklärt Gaby Theile. „Es gibt etwa Erwartungsängste – man hat zum Beispiel Angst davor, dass man seekrank wird oder in ein Gewitter geraten könnte.“
Zudem gebe es vielfältige bekannte wie unbekannte Trigger, die uns zunächst gar nicht bewusst sein müssen: Das können kleinste Aspekte einer Erinnerungsspur sein – beispielsweise ein spezifischer Geruch, ein bestimmtes Geräusch oder eine spezielle Körperempfindung, die unvermittelt in der Gegenwart auftauchen und mit einer belastenden Erfahrung oder Erinnerung aus der Vergangenheit verknüpft sind, so Theile.
„Wer als Kind mit seinen Eltern auf dem Boot unterwegs war, in einen Sturm geraten ist und diesen unter Deck voller Angst miterlebte, während die Eltern oben steuerten, dessen spezifische Erinnerungen an dieses Angst auslösende Ereignis können dann plötzlich und unerwartet wieder hoch kommen, wenn wir den damaligen muffigen Geruch von unter Deck wieder in der Nase haben. Das Gehirn erinnert sich schlagartig an einen auftretenden Auslöser und reagiert sofort mit einer Reaktivierung der intensiven Angstreaktion der Vergangenheit“, sagt die Psychologin.
Wohl jeder hat Beispiele für Angstsituationen parat. Selbst erinnere ich mich daran, dass ich vor über 25 Jahren Angst davor hatte, das Schiff meines damaligen Freundes überhaupt nur zu betreten. Es war alles neu, merkwürdig, unbekannt, und ich hatte keine Ahnung und war, das muss ich zugeben, völlig uninteressiert am Segeln. Ich kam eben mit.
Von Neuhaus an der Oste kommend, waren wir damals unterwegs und hielten Kurs auf Brunsbüttel, um dort durch die Schleuse zu fahren. Ich war zum ersten Mal auf einem Boot – und wusste nichts. Es wackelte, es ruckelte, es kippte zur Seite, dann kam der Baum und schlug dem Skipper mitten ins Gesicht. Er stürzte über die Reling, und da raste das Angstgefühl zum ersten Mal durch meinen Körper – so ein Gefühl hatte ich vorher noch nie erlebt.
»Man kann beim Segeln nicht einfach in eine Schockstarre verfallen. In solchen Angstsituationen muss man weitermachen, das ist dann eben so, da muss man durch. Und man lernt. Die See erzieht zur Demut.« Profisegler Tim Kröger
Zum Glück verfiel der Körper nicht in eine Schockstarre, sondern reagierte wahrscheinlich unbewusst richtig. Ich packte meinen Freund in letzter Sekunde am Gürtel und zog ihn zurück an Bord. Er war schwer verletzt, überall war Blut, das Nasenbein und andere Gesichtsknochen gebrochen. Das war mein erstes Segelerlebnis.
Es hat sich so tief festgebrannt, dass ich heute, so viele Jahre später, immer noch Angst bekomme, sobald unser Schiff schräg liegt und mein Mann nach vorne gehen muss – womöglich noch ungesichert, denn es sei ja, sagt er dann immer, nichts los.
Meistens halte ich dann die Luft an und verkrampfe, weil ich mir vorstelle, wie er über Bord geht. Ich weiß dann nicht, was ich tun soll. Was, wenn er in die Schraube gerät, was, wenn er einfach davontreibt und ertrinkt? Wie soll man ohne Segelerfahrung bei starkem Wind ein 38-Fuß-Boot in die richtige Richtung lenken und ihn retten? Krieg ich ihn an Bord?
Ja, ich könnte einen Segelkurs machen, sämtliche Scheine, aber es ist nun mal so, dass ich eine „Hafentante“ bin. Auf dem Boot: gern! Rausfahren: Bitte nur, wenn die Sonne scheint, der Wind passt und das Boot gerade fährt. Das wird sich auch nicht ändern, das weiß ich. Und wenn die Angst kommt, fährt das Kopfkino zu Hochtouren auf, und ich vergesse zu atmen, hatte auch schon Panikattacken, ohne zu wissen, was das eigentlich ist.
„Hier helfen oft einfache Atemtechniken“, rät Gaby Theile. „Die können – mit einem hilfreichen Gedanken verbunden – entkatastrophisierend wirken. So könnte man beim Einatmen etwa zu sich sagen ‚Innere Kraft und Stärke‘, und beim Ausatmen ‚Alles wird gut!‘.“ Dabei dann tief in den Unterbauch durch die Nase einatmen, und anschließend mit der Lippenbremse langsam ausatmen, das ist wichtig: Die Ausatmung sollte zwei- bis dreimal so lange dauern wie das Einatmen.“
Es gibt noch mehr Möglichkeiten, mit der Angst umzugehen, so Theile. Sich auf etwas Schönes oder Neutrales in der Umgebung zu konzentrieren, auf die vorbeiziehenden Wolken, die Sonne, das Boot, das sicher durchs Wasser gleitet, obwohl viel Wellengang ist.
Wichtig ist hier allerdings, sich nichts schönzureden, denn das glaubt unser Gehirn uns nicht: Man kann sich nicht selbst belügen. Vielmehr geht es darum, sich hilfreiche und zugleich realistische Gedanken zu machen, von denen man persönlich wirklich hundertprozentig überzeugt ist. Selbst ein geringer Restzweifel am beruhigenden Gedanken von nur drei Prozent könnte sich in einer akuten Angstsituation durchsetzen und würde damit seine Angst reduzierende Wirkung deutlich abschwächen oder sogar ganz verlieren.
Es ist besser, sich auf die Erfahrung der Crew, des Skippers zu fokussieren, der schon viel herausforderndere Situationen bewältigt hat. Auch Reden hilft. Wie sieht die Crew das Wetter, oder, wenn nur zwei Leute an Bord sind, wie sieht der andere die Situation?
Eins ist sicher – mit Angst beim Segeln ist keiner allein, ob Mann oder Frau. Nach Gaby Theiles Erfahrung ist allerdings immer mal wieder zu beobachten, dass sich Geschlechtsunterschiede im Umgang mit Ängsten beobachten lassen, insbesondere bei Menschen der Generationen, die noch in traditionellen Rollenbildern verhaftet sind, was sich schon im Sprachgebrauch manifestieren kann.
Männer empfinden es oftmals schon als schambesetzt, sich überhaupt mit Angsterleben selbst in Verbindung bringen zu müssen, was sie als Makel beziehungsweise Schwäche erleben. In diesem Fall fällt es ihnen schon schwer, über ihre Ängste zu sprechen, und sie umschreiben lieber Auslöser und Reaktionsweisen mit anderen Worten als mit Angst. Frauen haben demgegenüber selten ein Problem damit, Ängste als solche zu benennen, und gehen generell offener mit ihren Emotionen und vermeintlichen Schwächen um. So findet man in ambulanten psychotherapeutischen Praxen häufig auch eine Geschlechterverteilung von einem Drittel männlichen zu zwei Dritteln weiblichen Patienten.
„Meine Beobachtung beim Segeln ist, dass viele Frauen ihre Segelkompetenzen eher selbstkritisch betrachten und ihre Fähigkeiten tendenziell unter den Scheffel stellen. Wenn etwas gut klappt, sagen sie beispielsweise ‚Das war ja auch total einfach‘ oder ‚Ach, das war Zufall …‘, während Männer nicht selten ihre Fähigkeiten eher über- als unterschätzen. Gleichzeitig sind Männer in der Regel schnell bereit, aktiv Aufgaben auf einem Segelboot zu übernehmen, und konkurrieren durchaus um die Rolle des Skippers, während Frauen gerne durchs Zuschauen lernen und alles genau verstehen wollen, bevor sie es in selbstständiges Handeln umsetzen. Auch bei der Übernahme der Skipperrolle lassen sie nicht selten anderen den Vortritt. Selbstverständlich lassen sich diese persönlichen Beobachtungen aus dem eigenen Praxisalltag und Segelerleben nicht verallgemeinern, und es kommt letztlich immer auf die individuelle Person an“, so Gaby Theile.
„Meine Frau Carla war von Anfang an vergleichsweise furchtlos“, erinnert sich der Weltumsegler Bobby Schenk und sieht das auch mit Humor: „Woran das wohl lag? Weil sie eine Blondine war und folglich das Ausmaß der Gefährlichkeit der Situation nicht umrissen hat? Weit gefehlt! Man sagt von nicht wenigen Bordfrauen, sie seien furchtloser als ihre Männer. Vielleicht liegt das daran, dass sie mit heimlicher Schadenfreude die Angst spüren, die in dem sonst so großen Zampano hochkriecht, und dass sie es ihm jetzt mal zeigen wollen. Egal warum: Alle Frauen, die je bei mir mitgesegelt sind – und das waren nicht wenige, weil wir jahrelang mit zahlenden Gästen unterwegs waren –, zeigten sich in kritischen Situationen überraschend angstfrei.“
Eine persönliche Auffassung – Gaby Theile hat hierfür eine andere Erklärung: „Das liegt eher daran, dass man weiß, dass die Frauen evolutionär die Bewahrer und Beschützer sind. Frauen sind vorsichtiger bei der Antizipation von Gefahren. Sie sagen sich in entsprechenden Situationen vorausschauend, dass es gefährlich wird, und vermeiden dann alle Risiken. Wenn es aber zur Gefahr kommt, wollen Frauen ihre Brut beschützen, und sie laufen zur Hochform auf“, so Theile. „Daher können auch Wildsäue mit Frischlingen sehr gefährlich werden. Das ist evolutionär in der Frau drin. Also: Frauen vermeiden Gefahren, aber wenn die Gefahr da ist, dann ist die Frau sehr aktiv und kämpft ums Überleben für sich und ihre Jungen – und vielleicht auch für ihren Mann. Das hat mit der Rache an Männern nichts zu tun. Aber natürlich kann man das so auffassen, wie Bobby Schenk es getan hat.“
Wer glaubt, dass die Profis wegen ihrer jahrelangen Erfahrung angstfreier sind – der irrt sich. „Ich bekomme unterwegs bei jeder Sturmwarnung Angst vor den Unwägbarkeiten, denen man ausgesetzt sein wird – eine Angst, die mich nie verließ, die ich aber akzeptiert habe, zumal sie insofern hilfreich ist, als dass sie die Sinne schärft“, sagt Bobby Schenk und erinnert sich an seine allererste Angsterfahrung überhaupt: „Das war ganz am Anfang meiner Segellaufbahn, und zwar in der ersten Nacht meiner ersten Atlantiküberquerung. Ich lag in der Koje, und mir wurde plötzlich bewusst, dass mich lediglich fünf Millimeter Kunststoff von 5000 Meter tiefem Wasser trennten. Das war allerdings eine Angst, die zum Glück von alleine verflog.“
Zweimal hatte Schenk Todesangst: „Wir suchten nachts einen Ankerplatz vor Timor – natürlich ohne Motor, das wäre ja unseemännisch gewesen – und hörten plötzlich das Pusten von Walen direkt neben uns. Es hörte nicht auf und wurde so ohrenbetäubend, dass ich mich auf den Boden legte und mir die Ohren zuhielt, bis der Spuk vorbei war.“
Bobby Schenks zweites Grenzerlebnis war der Sturm seines Lebens, „nämlich Bebe im Südpazifik, in Fidschi, das war im Oktober 1972. Damals waren über zwölf Windstärken, Geschwindigkeiten von ungefähr 150 Stundenkilometern. Nachdem wir uns mit letzter Kraft in einen Fluss in den Mangroven geflüchtet hatten, verkrochen wir uns in unserem Schiff und schluckten so viele Beruhigungstabletten, dass wir einschliefen.“
Doch auch wenn andere ebenfalls Angst haben, hilft das vielen Menschen nicht, mit ihren eigenen Ängsten fertig zu werden. Oftmals fängt die Angst schon im Hafen an. Und manch ein Skipper weiß nicht, was er seiner Crew zumuten kann, die vertraut ihm schließlich. Eine Gratwanderung.
„Starkwind im Hafen, gruselige Geräusche, dunkle Vorahnungen: Fallen schlagen an den Mast, die Schiffe schwojen an den Murings, der Wind pfeift durch die Riggs, kurze, steile Wellen klatschen gegen die Bordwand, Nieselregen.“ So beginnt das Kapitel „Sicherheit auf See“ im Buch „Psychologie an Bord“ von Michael Stadler. Also exakt die Situation, die viele aus eigener Erfahrung kennen und die einen Vorgeschmack darauf gibt, was noch alles kommen könnte. Nimmt der Regen zu? Was erwartet uns draußen? Sollen wir überhaupt auslaufen? Verdammt, wir müssen 20 Meilen gegenan. Crew und Skipper im Zwiespalt. Erwartungsvoll wird Letzterer angeschaut. Also was nun?
Bleiben oder auslaufen? Ah, auslaufen. Dann kann es ja so schlimm nicht sein. Der Skipper macht sich derzeit andere Gedanken: Was, wenn der Wind zu einem Sturm wird? Ist der Törn bei solchen Bedingungen gut vorbereitet? Ist alles gut verstaut, liegen Rettungswesten griffbereit? Man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen. Murphy’s Law – was passieren kann, wird eintreten –, das bewahrheitet sich leider oft.
Der Skipper entscheidet dann in unserem Fall, dass es losgeht, und er ist der Einzige, der sich letztendlich über diese Entscheidung freut, während seine unerfahrene Crew zum Teil seekrank wird, entsetzliche Angst hat und hofft, dass alles einfach vorbeigeht.
Es ist so: Erfahrene Segler haben in gefährlichen Situationen anders Angst als unerfahrene. Das heißt nicht, dass sie abgestumpft sind, sondern sie haben ihre Ängste zu einem anderen Zeitpunkt als die Crewmitglieder und schlicht mehr Erfahrung auf dem Buckel. Die Angst beschäftigt den Erfahrenen lange vor Eintreten der gefährlichen Situation selbst, und er ist dadurch in der Lage, die Gefahr besser vorauszusehen, sich darauf vorzubereiten, sie zu vermeiden.
Erfahrung heißt: wissen, was einen erwartet. Das hat der Erfahrene den anderen voraus. Das optimale Verhalten des Schiffsführers, das maximale Sicherheit gewährleistet, besteht darin, vor dem Sturm mit Widrigkeiten zu rechnen und im Sturm Optimismus auszustrahlen. Klingt logisch, denn was wäre wohl an Bord los, wenn der Skipper, der Verantwortliche, mit schreckgeweiteten Augen und Sätzen wie „Ich weiß nicht, ob wir das schaffen“ alle verrückt macht.
Gute Vorbereitung der Crew und des Schiffes und auch ein gewisses Maß an Kommunikation sind also enorm wichtig, weiß Gaby Theile: „Genau dies ist der wichtigste Bestandteil der internationalen Ausbildung der Royal Yachting Association (RYA), wo der größte Schwerpunkt bei der Yachtmasterausbildung nicht bei der Durchführung eines Segeltörns liegt, sondern bei deren Planung und Vorbereitung.
Und so ist es auch in der professionellen Schifffahrt, wo die einzelnen Schritte die folgenden sind:
Nur durch eine gute Planung kann Angst laut der RYA vermieden werden, und daher wird die Ausbildung der RYA auch als so praxisnah und angstlos aufgefasst, denn Segeln soll nach der RYA immer Spaß machen und nie Angst auslösen.“
Auch hier aus eigener Erfahrung: Wir waren vor Jahren auf unserem damaligen 26-Fuß-Boot im dänischen Gedser eingeweht. Tagelang nichts als pfeifender Wind, klappernde Fallen, Schwell ohne Ende. Der Wind tobte und jaulte, es war furchtbar. Und Regen, nichts als Regen. Sogar der Besuch im Kro machte keinen Spaß, selbst das Bier schmeckte nicht mehr. Dann, eines Morgens: unsanftes Wecken um sechs Uhr. „Ich krieg einen Lagerkoller, ich fahr jetzt los!“ So weit, so gut. Nur ist es nicht ganz so toll, sich in Schräglage wetterfest anziehen zu müssen, während das Boot von einer Richtung in die nächste taumelt. Die Welle gegenan, wir wurden stets wieder zurückgeworfen. Das Boot büffelte wie eine giftige Seekuh durch die, kurze, widerliche Ostseewelle.
Und dann: Nichts, nichts war gesichert, weil der Skipper einfach nur „schnell los wollte“. Die Thermoskanne war offen, schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle, der Fernseher baumelte unangebunden hin und her, bis er schließlich so stark gegen eine Wand knallte, dass wir danach keinen Fernseher mehr hatten. Ich hatte nichts gegessen, nichts getrunken. Ich hatte Angst. Schreckliche Angst. Das Schiff: Bäng, krach, donner. Immer gegenan. Blinde Wut. Warum waren wir nicht in Gedser geblieben, bis das verdammte Wetter besser wäre! Er stand draußen ohne Ölzeug, war natürlich klatschnass, „es hat ja heute Morgen nicht geregnet“. Der Toilettengang wurde zu einer todesmutigen Herausforderung, die damit endete, dass die Gängerin samt Klobrille auf dem Boden lag. Noch mehr blinde Wut.
Wann wir im avisierten Warnemünde ankommen würden, stand in den Sternen, denn es ging eher zurück als voran. Der Wind wurde stärker und stärker, das Boot neigte sich so weit, dass ich wirklich dachte, jetzt kentern wir durch. Dazwischen angstvolles Gebrüll meiner- und „Stell dich nicht so an“-Gebrüll seinerseits.
Heute weiß ich, dass er wütend auf sich selbst war. Ich heulte nur noch, bekam rasende Kopfweh. Nach gefühlten Tagen kamen wir im Zielhafen an, und ich packte meine Tasche und fuhr von Rostock aus mit dem Zug nach Hamburg zurück. Urlaub vorbei. Er einhand weiter. Gelobte Besserung. Erstellte eine Liste mit Dingen, die er künftig besser machen wollte. Bessere Vorbereitung, gutes Verstauen. Es endete damit, dass wir ein neues, größeres Boot hatten. Cleverer Schachzug.
Zusammenfassend: Angst ist wichtig, aber zu viel Angst ist wenig hilfreich und kann vermieden werden. Kommunikation und Vorbereitung sind mindestens genauso wichtig wie die Bereitschaft zu lernen, mitzumachen, es zumindest zu versuchen. Und über Ängste sprechen, immer wieder. Die Sichtweisen des anderen verstehen. Selbstkritisch sein. Dann ist alles nicht so schlimm.
Wie sagt es Bobby Schenk? „Was ich aus meinen Ängsten gelernt habe? Gar nichts. Zwar bin ich bisher jeder bedrohlichen Situation unbeschadet entkommen. Aber dass ich dadurch klüger oder furchtloser geworden wäre, kann ich nicht behaupten. Ich hab jedes Mal die gleiche Angst.“ Oder man hält es wie Tim Kröger: „Solange das Boot noch schwimmt, ist alles gut.“