Alexander Worms
· 14.04.2023
Sie halten sich hartnäckig: Mythen der Technik. Jedoch stimmen die Behauptungen nicht immer. Manchmal sind sie schädlich fürs Material, im schlimmsten Fall gar gesundheitsgefährdend. Welche Thesen richtig sind und welche nicht!
Diesen Mythen sind wir auf den Grund gegangen:
Stegweisheiten – jeder kennt sie. Unumstößliches zum Thema Segeln: „Gute Schiffe können auch bei 6 Beaufort noch Vollzeug tragen“, zum Beispiel. Oder: „Kunststoffbeschichtungen auf Holzbooten sind Leichentücher.“ „Logbuch-Führen ist vorgeschrieben“ gehört ebenfalls dazu.
Nicht alles aber ist wahr. In vielen Fällen lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Oftmals sind etablierte Weisheiten aber auch schlicht falsch. Und dennoch geistern sie wie Zombies auf den Stegen und in Clubheimen weiter umher. Ein guter Grund also, sie mal kritisch zu beleuchten.
Was liegt dabei näher, als Menschen zurate zu ziehen, die tagtäglich mit den fraglichen Themen in Kontakt stehen? Konstrukteure, Mechaniker, Rigger, Segelmacher und Elektroniker – sie alle wissen, wovon sie reden. Und sie sind auf dem Stand der modernen Technik. Denn was früher einmal richtig war, muss heute nicht unbedingt immer noch stimmen.
„Im Nahbereich funktioniert ein Radargerät nicht“ ist so ein Beispiel für Segel-Mythen. Für ältere Magnetronröhren trifft das zu. Moderne Breitbandgeräte dagegen haben eine geradezu beeindruckende Auflösung in der direkten Umgebung der Yacht. Ein Beispiel von: Es kommt drauf an.
„Papierseekarten sind an Bord unersetzlich“ ist ein Gegenbeispiel: Dieser Mythos stimmt. Sie sind sogar vorgeschrieben, denn nur die Berufsschifffahrt darf rein elektronisch navigieren, unter hohen Auflagen. Demnach sind die gedruckten Wegweiser nach wie vor an Bord im Einsatz.
Schlichtweg falsch ist der Mythos, dass Edelstahl ein ideales Material für Borddurchlässe ist – zu verschieden sind die Legierungen, von denen sich nur sehr wenige wirklich für den Einsatz in Seewasser eignen und aus denen die Kugelhähne zumeist nicht bestehen, zu undurchsichtig ist oft die Herkunft und die tatsächliche Zusammensetzung des Materials. Wer hier dem Stegfunk traut, begibt sich sogar in Gefahr.
Muss man mit einem Festpropeller den Schalthebel in den Rückwärtsgang setzen, um während des Segelns das Mitdrehen und damit den Verschleiß am Getriebe zu verhindern?
ZF ist einer der größten Hersteller von Getrieben weltweit. Zum Portfolio gehören auch mechanische und hydraulische Übersetzungen für Yachten sowie Saildrives. Günther Köppel von ZF sagt: „Es ist schlicht egal, wenn es um mechanische Getriebe und Saildrives geht. Nur bei den hydraulischen Getrieben muss alle paar Stunden neuer Öldruck aufgebaut werden, wenn der Prop mitdreht. Dazu muss der Motor einmal gestartet werden.“
Volvo ist es ebenfalls egal, ob der Prop mitdreht oder nicht, sofern es sich um Saildrives oder mechanische Getriebe handelt.
Anders bei Yanmar: „Ein festgesetzter Propeller bedeutet eine permanente Last auf dem Getriebe. Das ist nicht gut, sondern sorgt für Schlupf“, sagt Stefan Reher vom Yanmar-Importeur Friedrich Marx in Hamburg. Das gelte gleichfalls für mechanische Getriebe und Saildrives.
Logisch: Verfügt die Yacht über einen Drehflügel- oder Faltpropeller, muss der Rückwärtsgang natürlich sehr wohl eingelegt werden. Denn nur wenn die Welle blockiert ist, richten sich die Blätter strömungsgünstig aus. Dadurch ist jedoch auch die Last auf dem Getriebe nahezu nicht vorhanden, Schaden droht somit nicht.
Auch klar: Bei mitdrehender fester Schraube gibt es leichten Verschleiß an Sternlager und Wellendichtung, der dem in Motorfahrt entspricht. Dafür aber bremst der Prop unter Segeln weniger.
Fazit: Gang einlegen ist also nicht zwingend erforderlich – der Mythos widerlegt.
Sie ist das Rückgrat der Yacht. Die meisten Werften bauen sie aus Kunststoff, andere schwören auf Stahl
Stahl kann stärker verformt werden und daher mehr Kraft aus einer Grundberührung absorbieren, bevor er dauerhaft Schaden nimmt, als ein gleichstarkes Konstrukt aus Glas- oder Kohlefasergeweben mit Harz, das deutlich spröder ist. Oder anders: Bei gleichen Schiffen würde ein GFK-Strongback bei einer identischen Grundberührung brechen, und ein Stahlrahmen bliebe ohne Schaden. Weil er größere Kräfte aufnehmen kann, ist ein Rahmen aus Stahl zumeist weniger hoch als ein gleichstarker aus Kunststoff, denn die Höhe steigert die Festigkeit, reduziert allerdings die Innenraumhöhe. Aus Festigkeitsgründen gewinnt also Stahl.
Ist der verzinkt, beginnen jedoch die Probleme. Wird die Verzinkung beschädigt, beginnt der Rahmen im Seewasserumfeld einer Bilge zu rosten. Auch die Anbindung an den Rumpf mittels Glasfasergelegen muss sehr sorgfältig erfolgen. Komposit-Experte Helge von der Linden kennt einen weiteren Nachteil: „Wenn sich der Stahlrahmen einmal verformt hat, ist das Schiff eigentlich ein Totalschaden – denn Schweißen geht genauso wenig wie Austauschen. Einen GFK-Strongback kann man aber immer wieder reparieren, auch im Schiff.“
Fazit: Das Für und Wider für Stahl und GFK hält sich die Waage – hier gibt es ein klares Unentschieden der Werkstoffe.
Mythen rund um die Lagerung der Segel: Gehen die Tücher gleich kaputt, wenn sie nass im Sack verschwinden? Wie verhält es sich bei Laminatsegeln?
„Dacron bekommt Stockflecken, kleine schwarze Punkte; kaputt geht das Segel nicht“, erklärt Jörg Müller-Arnecke von Beilken Sails. Schön seien die Flecken jedoch nicht. Besser also, das Segel wird trocken weggepackt.
Anders bei Laminat. Ist das defekt, bleibt das Wasser zwischen den Lagen stehen und vergammelt, das Segel beginnt unangenehm zu riechen. Ist die Folie intakt, passiert allerdings nichts. Befindet sich aber eine Taffeta-Schutzschicht außen auf den Segeln, was oft bei Cruising-Laminaten der Fall ist, beginnt diese zu schimmeln, was ebenfalls übel riecht und zur Ablösung der Schicht führt.
Fazit: Klarer Fall – besser trocken!
Ein zweites Leben als Leine im Hafen? Manch einer glaubt, so die Investition von einst rentabler machen zu können
Aufgabe einer Schot oder eines Falls ist es, ein Segel in einer einmal eingestellten Form zu halten; mithin sollte solch eine Leine möglichst wenig recken. Ein Festmacher hingegen soll durchaus etwas nachgeben, um beim Einrucken dämpfen zu können und so die Beschläge an Deck zu entlasten. „Auch die Abriebbeständigkeit einer lange Zeit UV-belasteten Schot ist nicht mehr gegeben. Wir raten daher dringend davon ab, die als Festmacher zu nutzen“, sagt Frank Gottesmann, Produktmanager bei Liros. Ausnahme: Wer in Schleusen die guten Festmacher vor Algen schützen will, kann kurzfristig die alten Schätze nutzen.
Fazit: Alte Fallen gehören aussortiert, nicht weiterverwendet!
Zwischen Vorsegel und Groß soll der Vortrieb entstehen – aus der sogenannten Düse
Wenn es dort eine Düse gäbe, die für den Vortrieb sorgt, würde ein Boot nur mit dem Vorsegel gar nicht vorwärtskommen. „Das mit der Düse ist schon seit Jahren widerlegt. Ich kann mich aber selbst noch erinnern, dass man sich dort bei Regatten früher nicht aufhalten durfte, um den Vortrieb nicht zu schmälern“, so Jörg Müller-Arnecke von Beilken Sails.
Richtig ist allerdings, dass das Achterliek der Genua bei optimalem Trimm parallel zur Form des Großsegels liegt – aber nur deshalb, damit die Luft laminar am Segel entlangströmen kann und nicht um irgendwelche Ecken muss; das würde tatsächlich bremsen. „Natürlich wirken beide Segel zusammen besser, und natürlich sorgt das Vorsegel für eine gute Anströmung des Groß. Das ist aber ein anderes Prinzip als die Idee einer Düse“, so der Segelmacher weiter.
Im Diagramm erkennt man die Strömungsgeschwindigkeiten rund um die Segel. Die Geschwindigkeit und damit der Unterdruck ist außen an der Genua am größten, dort entsteht der Hauptvortrieb; zwischen den Segeln nimmt die Windgeschwindigkeit überdruckbedingt eher ab.
Fazit: Die Düse zwischen Vor- und Großsegel gehört also eindeutig zu den Mythen.
Den Jockel lange vor dem Start schon mal anwerfen? Bringt das was?
„Davon ist ganz dringend abzuraten“, erklärt Frank Abraham, Serviceleiter bei Volvo Penta Europe. „Es geht darum, den Motor möglichst schnell auf Temperatur zu bringen, das ist im Leerlauf und ohne Last nicht möglich. Und der Thermostat öffnet bei zweikreisgekühlten Motoren dann nicht mal. Warmlaufen ohne Last bringt also überhaupt nichts – außer Verschleiß“, so der Experte. Natürlich soll man den kalten Motor auch nicht direkt voll beanspruchen.
Ist das dennoch erforderlich, etwa weil nach dem Ablegen direkt gegen ein strömendes Gewässer angelaufen werden muss, so kann man noch am Steg bereits den Gang einlegen. Das allerdings wird nicht jeden Hafenbetreiber erfreuen.
Fazit: Dass ein Motor warmlaufen muss, ist ein Mythos.
Das Gerücht hält sich hartnäckig: Billiger Korn als Frostschutz für das Trinkwassersystem
Ein Liter ungiftiger Frostschutz für Trinkwassersysteme kostet im Handel etwa 4 Euro; eine Flasche Korn mit dreiviertel Liter Inhalt kostet 6 Euro. Gespart wird also schon einmal nicht; aber auch technisch ergibt Korn keinen Sinn. Die Membranen in den Trinkwasserpumpen bestehen aus Santoprene. Das ist ein dauerelastischer Kunststoff, der allerdings nur teilweise beständig ist gegen Alkohole. Zudem verflüchtigt sich der Alkohol im Lauf der Zeit, zurück bleiben die restlichen Bestandteile des Schnaps, die die Membranen verkleben können.
Fazit: Diese pfiffige Idee gehört ins Reich der Mythen