SeemannschaftHafenmanöver mit dem Radeffekt

Lars Bolle

 · 27.08.2025

Seemannschaft: Hafenmanöver mit dem RadeffektFoto: Yacht / Nils Günter
Ein Langkieler wird in der Boxengasse gedreht. Der Radeffekt hilft mit
Beim Manövrieren im Hafen macht sich der Radeffekt bei jeder Yacht unterschiedlich stark bemerkbar. Er kann nützlich sein oder aber zu bösen Überraschungen führen. Wie er entsteht und sich ausnutzen lässt.

In diesem Artikel:

Alle Boote mit einem Propel­ler unter dem Rumpf haben ihn, den sogenannten Radeffekt. Er ist je nach Art des Antriebs und der Form des Rumpfs unterschiedlich stark ausgeprägt, aber immer vorhanden. Der Effekt bewirkt, dass das Heck des Bootes beim Anfahren seitlich versetzt wird. Er kann zum Manövrieren bewusst genutzt werden und dann manchen An- oder Ab­leger sehr elegant ablaufen lassen. Rudergängern, die ihn nicht beachten, treibt er dagegen mitunter den Schweiß auf die Stirn.

Das Wissen um den Radeffekt zählt zum Pflichtrepertoire jeden Skippers. Vor allem, wenn es sich um eine unbekannte Yacht wie beim Chartern handelt, sollte man die Wirkung kennen, um das Boot bei Hafenmanövern entsprechend zu positionieren.

Die richtige Bezeichnung ist eigentlich Propellereffekt, da er durch ein Phänomen am Prop entsteht. Durchgesetzt hat sich jedoch die Bezeichnung Radeffekt, da diese die Wirkung beschreibt und intuitiver er­fassbar ist. Denn den Propeller kann man sich wie ein Rad vorstellen, das den Grund berührt und auf ihm entlangläuft.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Bei Achterausfahrt ist der Radeffekt deutlich stärker ausgeprägt als bei Vorausfahrt

Ein rechtsdrehender Propeller, wie auf den meisten modernen Yachten, läuft bildhaft ausgedrückt also nach rechts über den Grund und zieht dabei das Heck mit nach rechts. Im Rückwärtsgang, wenn der Prop linksherum dreht, geschieht dasselbe, nur nach links. Bei Achterausfahrt ist der Effekt auch deutlich stärker ausgeprägt als bei Vorausfahrt, weshalb im Folgenden zunächst das Rückwärtsfahren betrachtet wird. Auch die Zeichnungen auf dieser Seite sind entsprechend angelegt.

Der Radeffekt bei U- und S-Spant

Der Radeffekt entsteht durch einen Wasserstau unter dem Rumpf. Der Bootskörper wirkt dabei wie eine Art Deckel, der den gleichmäßigen Wassertransport behindert. Ohne Rumpf, also an einem freistehenden Propeller, würden die Schaufeln auf ihrer kreisförmigen Bewegung an jeder Position die gleiche Menge Wasser transportieren. Also bei einem im Rückwärtsgang linksdrehenden Propeller auf der linken Seite nach unten, auf der rechten nach oben, auf der Oberseite nach links und unten nach rechts. Durch den Rumpf wird dieser gleichmäßige Transport jedoch behindert. Vereinfacht ausgedrückt, schleudern die Schaufeln bei ihrer Aufwärtsbewegung das Wasser gegen den Rumpf. Dort staut es sich und übt Druck auf den Rumpf aus.

U-Spant: Der Propellerstrahl triff beim Aufsteigen senkrecht auf den flachen Rumpf, das Wasser staut sich gleichmäßig, der Druck wirkt senkrecht nach oben, und der Radeffekt ist nur schwach ausgeprägt
Foto: YACHT
Der Radeffekt bei U- und S-Spant

Davon unbeeinflusst bleibt die Strömung an der Unterseite des Props. Er schaufelt also ständig Wasser nach Steuerbord. Auf der Backbordseite entsteht ein Unterdruck, der das Heck mitzieht. Auf der Steuerbordseite entsteht Überdruck. Je steiler dabei die Rumpfform ausfällt, wie bei einem S-Spant, desto mehr behindert sie den Propellerstrom. Er trifft dann nicht mehr senkrecht auf den Rumpf, sondern schräg und übt so einen größeren Druck aus. Handelt es sich dazu noch um einen Langkieler, bei dem der Prop in einem Tunnel arbeitet, wirkt der Kiel wie eine Trennplatte. Der Prop kann nur Wasser von einer Seite auf die andere befördern, und der Radeffekt ist stark ausgeprägt.

Der Radeffekt bei unterschiedlichen Antrieben

Einfluss auf die Stärke hat jedoch auch die Art und die Position des Antriebs. Je weiter entfernt sich der Propeller von der Drehachse des Boots befindet, desto größer ist das Drehmoment, das er ausüben kann. So wird eine Yacht mit Wellenanlage immer einen stärkeren Radeffekt haben als ein vergleichbares Boot mit Saildrive, da dieser viel dichter an der Drehachse liegt.

Hinzu kommt, dass beim Saildrive der Prop senkrecht im Wasser steht und der Propellerstrahl damit waagerecht von ihm weg führt. Bei einer normalerweise etwa um 15 Grad geneigten Wellenanlage hingegen trifft der Propellerstrahl in ebendiesem Winkel von unten nach oben auf den Rumpf, wodurch sich der Staueffekt verstärkt.

Saildrive: Der Propeller und damit der Druckpunkt  befindet sich nahe an der Drehachse des Bootes, er entwickelt nur ein geringes Drehmoment. Der Propellerstrahl verläuft waagerecht, der Stau ist geringer ausgeprägt

Somit haben moderne Yachten mit flachem U-Spant und Saildrive normalerweise einen deutlich geringer ausgeprägten Rad­effekt als ältere S-Spanter oder gar Lang­kieler. Bei Letztgenannten kann der Effekt sogar derart stark sein, dass die Fahrt achteraus unmöglich wird. Dann zieht der Prop so kräftig zur Seite weg, dass das meist kleine Ruder hinter dem Kiel nicht dagegenwirken kann. In solch einem Fall hilft nur, wie in der Grafik auf Seite 76 gezeigt, mit kurzen Vorausschüben den Kurs zu korrigieren.

Dass der Radeffekt bei Achterausfahrt stärker ist als voraus, hat ebenfalls mehrere Gründe. So trifft der Propellerstrahl im Vorwärtsgang auf wesentlich weniger Rumpf­fläche. Der Prop ist ja hinten angebracht, wo auch der Rumpf endet. Zudem reicht dieser dort nicht so tief, kann den Propellerstrom also weniger stören. Der wichtigste Grund ist jedoch das Ruder. Es wird bei Schub voraus schon im Stand vom Propeller angeströmt, erzeugt entsprechend Druck und wirkt dem seitlichen Auswandern entgegen.

Die Art des Antriebs hat im Gegensatz zum Rückwärtsfahren kaum einen Einfluss auf die Stärke des Radeffekts. Wie erwähnt erzeugt der Prop bei einer Yacht mit Saildrive wegen der Nähe zur Drehachse ohnehin einen relativ geringen Drehimpuls. Dieser ist zwar bei einer Wellenanlage stärker. Da der Prop aber direkt vor dem Ruder sitzt, trifft der Propellerstrom in voller Stärke auf das Blatt, und der Effekt lässt sich meist durch geringes Ruderlegen kompensieren.

Das Gegensteuern erfolgt meist intuitiv

Dieses Gegensteuern gegen den Rad­effekt erfolgt glücklicherweise intuitiv und bedarf meist keiner größeren Übung. Soll aus dem Stand eine Kursänderung nach Backbord erfolgen, dann unterstützt der Rad­effekt diese, da der Prop voraus eingekuppelt rechtsherum dreht und damit das Heck nach Steuerbord versetzt. Es muss nur wenig Ruder gelegt werden. Soll jedoch nach Steuerbord gefahren werden, wirkt der Radeffekt entgegen. Es muss also wesentlich mehr Ruder gelegt werden. Etwas gewöhnungsbedürftig ist allein das Anfahren ge­radeaus mit stärkerem Radeffekt. Dann ist etwas Ruderlage nach Steuerbord nötig.

Wie die Beispiele in diesem Artikel zeigen, kann der Radeffekt Manöver wie das Anlegen längsseits an einer Pier verein­fachen. Er kann jedoch auch Manöver unmöglich machen, wie das Drehen auf engem Raum, wenn dafür die falsche Seite der Yacht gewählt wird. Jeder Skipper sollte sich daher mit dieser Eigenheit seines Schiffes beschäftigen, um sie richtig in die Planung seiner Manöver einzubeziehen.

Dazu bietet es sich an, in einem freien Hafenbereich oder bei ruhigem Wetter vorm Hafen mit einem Fender als Referenzobjekt Übungen zu fahren: Beschleunigen aus dem Stand achteraus, Vollkreise vorwärts und rückwärts sowie Aufstoppen genügen völlig.

Der Radeffekt beim Manövrieren

Mit Fahrt achteraus Kurs halten

Im Stand wirkt der Radeffekt am stärksten, da das Ruder noch nicht angeströmt wird. Bei Schub achteraus wird das Heck nach Backbord versetzt
Foto: YACHT

Ohne Ruderwirkung Voraus einkuppeln

Der Radeffekt bei diesem Lang­kieler ist stark, das Heck wird versetzt
Foto: YACHT

Vorhalten

Vor dem Einfahren in eine Box oder an einen Liegeplatz die Yacht etwas anstellen. Der Radeffekt zieht sie dann gerade in die LückeFoto: YACHTVor dem Einfahren in eine Box oder an einen Liegeplatz die Yacht etwas anstellen. Der Radeffekt zieht sie dann gerade in die Lücke

Drehen über die richtige Seite

yacht/6_8424dbfaa3c8823480ebf5f4f5859849Foto: YACHT

Beim Drehen über die richtige Seite hilft der Effekt

  1. Die Drehung über Steuerbord wird mit Schub voraus und Ruderlage eingeleitet
  2. Beim Aufstoppen versetzt der Radeffekt das Heck weiter nach Backbord und unterstützt damit die Wende. Sobald die Yacht Fahrt aufnimmt, kann nach Backbord Ruder gelegt werden, wenn es Wirkung zeigt. Ansonsten Steuerbord eingeschlagen lassen
  3. Ein kräftiger Schub voraus bei hart Steuerbord beendet die Wende. Sobald die Yacht Fahrt aufnimmt, Gas zurücknehmen

Drehen über die falsche Seite

yacht/4_71b892f2518aab64b886815ed91f4f64Foto: YACHT
  1. Der Steuermann will über die Backbordseite wenden. Ein kurzer Schub voraus sowie die Restfahrt drücken das Heck herum
  2. Beim Aufstoppen erzeugt der linksherum drehende Propeller einen starken Radeffekt nach Backbord, dem das Ruder nicht vollständig entgegenwirken kann. Das Heck dreht nach Backbord zurück
  3. Der neuerliche Schub voraus dreht die Yacht zwar wieder etwas in die richtige Richtung, reicht aber nicht zum Wenden. Durch das ständige Vor- und Zurückschaukeln wird die Yacht nach Lee versetzt, bis der Manö­vrierraum ausgeht. Das Manöver misslingt

Längsseits Anlegen an einer Pier

yacht/5_c2ff4afac880498aad7d2998af26dcf0Foto: YACHT
  1. Die Backbordseite abfendern. Den Liegeplatz mit so viel Fahrt anlaufen, dass die Yacht bei den jeweiligen Bedingung noch gut manövrierbar ist. In einem leichten Bogen das Ende der Lücke anpeilen
  2. Mit einem kräftigen Schub rückwärts die Yacht kurz vor Erreichen der Pier abbremsen, dabei den Bremsweg beachten. Der Radeffekt wird das Heck nach Backbord versetzen und so sanft an die Pier heranziehen. Im Idealfall steht die Yacht in dem Moment, in dem sie parallel zur Pier liegt, und die Crew kann bequem an Land gehen

Mehr zum Thema Hafenmanöver:

Meistgelesen in der Rubrik Wissen