Lars Bolle
, Felix Keßler
· 30.08.2018
Das Beiliegen widerstrebt dem Ehrgeiz vieler Segler. Dabei ist es oft die kraftschonende Alternative zur sinnlosen Kreuz gegenan – Teil I des Sturm-Spezials
"Ich habe das Gefühl, Beidrehen ist irgendwie verpönt, etwa so wie der Spruch: Wer bremst, verliert", sagt Langfahrtsegler Sönke Roever. Und in der Tat scheint das Manöver nicht bei allen beliebt zu sein. "Pausen bei Wind sind was für Sensibelchen", zitiert Astrid Erdmann mit einem Augenzwinkern ihren Mann Wilfried. "In der Tat, ich kann mich nicht erinnern, dass wir bei ordentlich Wind, aber noch nicht Sturm mehr Tuch gekürzt haben als notwendig. Schon gar nicht, um uns Ruhe zu gönnen oder ein Essen zuzubereiten", so die Weltumseglerin. Roever hingegen sagt: "Beidrehen ist keine Schande und bei uns ein fester Bestandteil des Bordalltags."
Ziel des Beidrehens ist, die Yacht durch Trimmen so zu Wind und Wellen zu legen, dass sie sich möglichst wenig bewegt. Dabei soll sie so in der Balance sein, dass niemand rudergehen muss. "Beidrehen erzeugt eine unglaubliche Ruhe, egal, was um einen herum passiert", so Roever.
Das Beidrehen, womit das einleitende Manöver gemeint ist, und das anschließende Beiliegen, jener Gleichgewichtszustand, werden für verschiedene Zwecke empfohlen. Immer wieder taucht es in der Literatur als Taktik auf, einen Sturm abzuwettern. Doch scheiden sich da noch mehr die Geister als bei der eingangs beschriebenen Frage, ob es als guter Stil gilt.
Weltumseglerin Susanne Huber-Curphey beschreibt in in ihrem Buch "Einhand zu zweit" etwa folgendes Szenario: "Wir sind von der Taktik des Beidrehens im Sturm nicht überzeugt, denn ab einem gewissen Punkt von Wind und extremer Welle wird die Yacht trotzdem überrollt werden … Außerdem herrscht in den tiefen Wellentälern manchmal kaum Wind, während die Yacht wenige Sekunden später am Topp der Welle von der vollen Windkraft fast flach aufs Wasser gedrückt werden kann."
Solche Bedingungen erlebt jedoch die große Mehrzahl der Segler nie. Wer vor allem in Küstennähe unterwegs ist, hat zudem oft auch nicht ausreichend Seeraum, um einen Sturm abzuwettern. Da empfiehlt sich eher die Taktik von Astrid Erdmann: "Auf Ost- und Nordsee drehe ich nicht bei, sondern eher ab. Kleine Segel setzen und versuchen, im nächsten Hafen Schutz zu finden. Eine Richtung passt immer."
Dennoch, auch für Otto Normalsegler gibt es sehr viele denkbare Situationen, in denen sich das Beiliegen anbietet – sei es im medizinischen Notfall oder als erste Reaktion beim Mann-über-Bord-Manöver, um etwas zu reparieren, zu reffen, etwas zu kochen oder auf sichere Art auf die Toilette zu gehen. Gerade diesen Punkt sollten Skipper einmal besonders überdenken. Es ist bekannt, dass das Über-Bord-Gehen oft eine Folge des Wasserlassens über die Reling ist.
Doch eignet sich jede Yacht zum Beiliegen? Immer wieder ist in Foren und auch der Literatur zu lesen, dass es nur mit Langkielern gehe, weil diese durch ihren großen, gleichmäßig verteilten Lateralplan einfach auszupendeln seien. Wir haben es ausprobiert. Sind bei 7, in Böen 8 Beaufort mit einer Beneteau Oceanis 34.2 des Charterzentrums Heiligenhafen ausgelaufen. Bei Wellen bis zu geschätzten zwei Meter Höhe haben wir die verschiedenen Arten beizuliegen durchgespielt. Etwa mit unterschiedlich gerefften Segeln oder vor Topp und Takel.
Dazu haben wir Alternativen erprobt, etwa das Gegenanbolzen unter Maschine oder hoch am Wind. Die Ergebnisse waren höchst unterschiedlich, doch sie bestätigten eines: Auch mit einem Kurzkieler ist Beiliegen kein Problem und die klassische Methode – mit backstehendem Vorsegel und austariertem Großsegel – die beste. Die Ergebnisse lassen jedoch nur eine Aussage für diese spezielle Yacht zu. So unterschiedlich die Bootstypen sind, so viele verschiedene Einstellungen gibt es. Die jeweils geeignete muss jeder Skipper selbst herausfinden. Funktionieren sollte das Beiliegen aber in den allermeisten Fällen.
Alternativen wie Seeanker scheinen jedenfalls nicht empfehlenswert: Sie haben kaum Wirkung und sind, einmal ausgebracht, nur sehr schwer wieder einzuholen. Der Sack im Wasser hat sich daher als unbrauchbar zum kurzen Beiliegen erwiesen.
Um die Eindrücke der verschiedenen Manöver und Segelstellungen zu objektivieren, haben wir die Bewegungen der Yacht jeweils mit Messgeräten aufgezeichnet. Die Auswertungen der Ergebnisse finden Sie im zweiten Teil unseres Spezials zum Beidrehen und Beliegen, das in einer Woche an gleicher Stelle auf YACHT online erscheint.