SportseeschifferscheinIst das Webinar besser als Präsenzunterricht?

Morten Strauch

 · 29.09.2025

Sportseeschifferschein: Ist das Webinar besser als Präsenzunterricht?Foto: Morten Strauch
Gemütliches Wohnzimmer anstatt vollbesetzter Seminarraum: Disziplin und Ausdauer braucht es dennoch.
Der Sportseeschifferschein (SSS) ist der Traum vieler Skipper. Doch der Weg ist lang und erfordert viel Disziplin, vor allem für die Theorie. Das Webinar-Format verspricht Hilfe – die YACHT hat es ausprobiert.

Wer den Sportseeschifferschein (SSS) nach der Prüfung in den Händen hält, darf sich zu einem elitären Kreis ambitionierter Freizeitskipper und angehender Profis zählen. Allein die umfassenden Theorieprüfungen unter Zeitdruck zu bestehen, erfordert viel Lernen, Ausdauer und ein hohes Maß an Disziplin. Erschwerend kommt hinzu, dass es im Gegensatz zu den darunter angesiedelten Sportbootscheinen keine Multiple-Choice-Fragebögen oder öffentliche Fragebögen mehr gibt, die im Vorfeld geübt oder gar auswendig gelernt werden können. Es gilt daher, die Disziplinen grundlegend zu verstehen, um bestehen zu können. Es gibt verschiedene Wege, sich das erforderliche Wissen anzueignen. Als Klassiker gilt nach wie vor der Besuch einer Segelschule, wo in einem mehrmonatigen Präsenzkurs das benötigte Wissen häppchenweise vermittelt wird. Auch ein siebentägiger Kompaktkurs mit anschließender Prüfung ist möglich – rauchende Köpfe sind hierbei garantiert. Als in der Coronazeit Videokonferenzen salonfähig wurden, erkannten auch viele Segelschulen das Potenzial des „Von-Zuhause-Lernens“ und setzten auf Online-Kurse. Das Interesse war enorm – es gab einen regelrechten Run auf die webbasierten Angebote.

​Live-Stream nicht ideal

IT-Spezialist und Segellehrer Andreas Konrad hatte schon zehn Jahre vor den Lockdowns damit begonnen, seine Kurse ins Internet zu stellen und dementsprechend Erfahrungen gesammelt, was funktioniert und was eher nicht. Damals zeichnete er seinen Präsenzunterricht einfach auf und stellte die Aufnahmen online zur Verfügung. Das ist praktisch für diejenigen, die einen langen Anfahrtsweg zur nächsten Segelschule haben, aber das Format hat eine große Schwäche: Nachfragen mit direkter Resonanz sind nicht möglich. Die Antworten konnten nur zeitversetzt nachgeliefert werden, beispielsweise per E-Mail. Der Online-Teilnehmer war somit im doppelten Sinne außen vor und konnte bestenfalls hoffen, dass ein „Präsenzler“ eine ähnliche Frage stellt und eine beiderseits befriedigende Antwort bekommt. Nicht ideal für einen so lernintensiven Schein wie den SSS. Dazu das Gefühl, nicht zu der Gruppe zu gehören, die sich vor Ort mit anspruchsvollen Themen wie Gezeitennavigation oder Radarseitenpeilung auseinandersetzt.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

​Klassenzimmer im Internet

Also stellte Konrad seine Onlinekurse auf das Webinar-Format um. Hierbei sitzen die Kursteilnehmer gleichzeitig vor dem Computer, während der Lehrer live referiert, Übungsaufgaben verteilt und auch die Antworten bespricht. Fragen sind genauso möglich wie im Präsenzunterricht. Der Lehrstoff ist in den vier Blöcken Navigation, Schifffahrtsrecht, Wetterkunde und Seemannschaft auf insgesamt 26 zweistündige Einheiten von Oktober bis März verteilt. Alle Vorteile des Präsenzunterrichts und die des Onlinekurses sollen so vereint werden. Und falls jemand einen Termin nicht wahrnehmen kann, gibt es immer noch die Aufzeichnung. Ist das die Zukunft der Theorie-Lehre? Wir haben es ausprobiert und uns unter die Webinar-Teilnehmer gemischt.

“Ein Plotter macht aus einem schlechten Navigator keinen besseren. Aber er kann einen guten Navigator wesentlich unterstützen.”
ANDREAS KONRAD, Sportbootschule.TV

​Funkdisziplin

In der ersten Doppelstunde wird über die erforderliche Funkdisziplin informiert. Auch wenn es ein interaktiver Schulort ist, gilt es, Video- und Mikrofunktion zu Beginn des Unterrichts zu deaktivieren. Fragen und Rückmeldungen sind zwar ausdrücklich erwünscht, müssen aber erst per „Handmeldung“ im Chat angezeigt werden. Dazwischenfunken ist ein absolutes No-Go. Klare Regeln, aber anders geht es bei rund 40 angemeldeten Teilnehmern auch nicht, sonst würde das schnell in einem babylonischen Stimmengewirr enden. Störende Hintergrundgeräusche, wie schreiende Kinder, werden genauso ausgeblendet wie peinliche Videosequenzen von halbnackten Menschen im Hintergrund. Man hat aus den Anfängen der Live-Online-Seminare gelernt. Die obligatorische Kennenlernrunde, wie man sie aus Seminaren oder Besprechungen kennt, entfällt zum Glück. Dafür ist ein Teilnehmer aus dem vorherigen Semester eingeladen, über seine erfolgreich bestandenen Prüfungen zu berichten. Ein inspirierender Schachzug, schließlich wollen alle Anwesenden hier sich auch beizeiten die „Krone des Yachtsports“ in Form des Sportseeschifferscheins aufsetzen. Betont wird dabei die Notwendigkeit, sich auch individuell auf die Prüfungen vorzubereiten. Denn nur wer sich „gut geschmiert“ den Prüfern stellt, kann unter Stress und Zeitdruck auch punktgenau abliefern.

Zeitdruck beim Sportseeschifferschein

​Los geht es mit dem größten und aufwendigsten Themenblock, der Navigation. Von Anfang an immer wieder der Hinweis, dass die Zeit der größte Feind bei den Prüfungen ist. Daher der eindringliche Appell nicht nur genau zu arbeiten, sondern bei den Eintragungen in der Seekarte generell auch die Gradzahlen, Peilungen und Uhrzeiten mit anzugeben. Es erspart das Nachmessen und somit Zeit, Nerven und im Zweifelsfall sogar das Durchfallen. Apropos Nerven. Wer den ganzen Arbeitstag schon vor dem Computer gesessen hat, sollte vor dem Unterrichtsbeginn zumindest eine Runde um den Block gehen und sich mit frischem Sauerstoff versorgen. Zwei Stunden konzentriertes Zuhören und Mitarbeiten lassen den Kopf stärker glühen, als eventuell gedacht. Die Themen sind gut strukturiert und werden mit aller für die Lerngruppe erforderlichen Zeit vermittelt. Die gestellten Übungsaufgaben werden dagegen gleich mit etwas Zeitdruck angetrieben. SSS-Skipper sollen schließlich auch unter Druck funktionieren; nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis an Bord. Die Antworten werden vorerst verdeckt an den Ausbilder übermittelt. Die Auflösung erfolgt wieder im Kreise aller und falsche Antworten werden bewusst an den Pranger gestellt. Jedoch nicht, um jemanden bloßzustellen, sondern um den Lerneffekt für alle zu erhöhen. Sollte jemand etwas doch nicht verstanden oder einfach wieder vergessen haben, gibt es im Nachhinein die Aufzeichnungen der Stunden, die sich die angemeldeten Teilnehmer im passwortgeschützten Bereich der Webseite immer wieder anschauen können.

Interaktives Lernen: Übungsaufgaben 
werden am PC erklärt. Gezeichnet 
wird jedoch weiter auf Papier.Foto: Morten StrauchInteraktives Lernen: Übungsaufgaben werden am PC erklärt. Gezeichnet wird jedoch weiter auf Papier.

​Obsoleter Präsenzunterricht?

„Der Dreiklang aus Live-Session mit der Möglichkeit, jederzeit Fragen zu stellen, den Übungsaufgaben und dem regen Austausch über den E-Mail-Verteiler hat für mich sehr gut funktioniert“, bestätigt die 22-jährige Lehramtsstudentin Victoria Regh. Für sie ist das Format des Präsenzunterrichts überholt. „Man spart sich und der Umwelt die Fahrerei und muss auch keine riesigen Papierseekarten durch den Regen schleppen.“ Allerdings braucht es im Homeoffice auch entsprechend Platz. Die meisten Schreibtische stoßen bei Seekarte, Computer, Lehrbüchern und Kartenbesteck an ihre Grenzen. Dann muss der Esstisch oder gleich der Fußboden als Arbeitsplatz eingerichtet und die Familie gegebenenfalls verholt werden.

​”Als Frau wird man beim Segeln häufig bevormundet. Manchmal hilft der SSS-Schein, um seine Fähigkeiten zu beweisen.”
PETRA AFFLERBACH, SSS-Skipperin

​Geschmackssache

Wie im echten Leben hängt der Erfolg eines Webinars stark von der Fähigkeit des Referenten ab, die Teilnehmer zu begeistern und ihre Motivation aufrechtzuerhalten. Persönliche Präferenzen spielen ebenfalls eine Rolle; wenn Stimme und Stil des Lehrers eher einschläfernd oder gar nervig auf jemanden wirken, dann wird es schwierig, über 25 Doppelstunden konzentriert am Ball zu bleiben. Tipp: Einige Anbieter bieten auf ihren Webseiten oder auf YouTube Aufzeichnungen an, die es wert sein könnten, sich vor der verbindlichen Buchung anzusehen. Falls nicht, ist es sehr empfehlenswert, nach einer „Hörprobe“ zu fragen. Heino Kuhlemann, medizinischer Informatiker, sagt nach seinen bestandenen Prüfungen: „Das einzige, was ich beim Online-Live-Format nicht so gut fand, ist, dass man sich manchmal jede Frage anhören muss, auch wenn sie einen nicht betrifft. Da geht mitunter viel Zeit ins Land – auch wenn das didaktisch gesehen natürlich völlig richtig ist. Ich habe dann einfach abgebrochen und später in den Aufzeichnungen weitergespult, bis es auch für mich wieder interessant wurde. Beim Präsenzunterricht geht das freilich nicht; dort kann man nicht einfach rein- und rausspazieren.“ Kuhlemann empfiehlt auch, weitere Quellen zum Lernen heranzuziehen. So hat der Informatiker zum Thema Wetterkunde auch mehrere Fachbücher gekauft. „Das Segeln und alles drumherum ist mein Hobby; daher will ich alles darüber wissen und es hilft, komplexe Sachverhalte wirklich zu verstehen.“


Mehr zum Thema Führerscheine und Ausbildung


Modularer Kursaufbau

​Ein großer Vorteil des aufgezeichneten Blockunterrichts ist die Möglichkeit, auch die Theorieprüfungen entsprechend aufzuteilen. So können alle vier Prüfungsfächer entweder zusammen, aber auch einzeln oder frei kombiniert abgenommen werden. Ist man fit in einem Thema, kann geprüft und der Teil abgehakt werden. Einzige Bedingung: Alle Prüfungsteile müssen in einem Zeitraum von 24 Monaten abgelegt werden. Nachteil der Teilprüfungen: höhere Kosten aufgrund der jeweils fälligen Gebühren. Für seine Kursteilnehmer bietet Andreas Konrad eine „Erfolgsgarantie“ an. Sollte jemand durch die Prüfung fallen oder aus irgendwelchen Gründen gezwungen sein, den Kurs abzubrechen, kann der Kurs beliebig oft kostenfrei wiederholt werden. Auch SHS-Schüler dürfen ihr angestaubtes Wissen wieder in den SSS-Kursen auffrischen. Für Petra Afflerbach aus Hamm ist die regelmäßige Teilnahme an den Webinaren schon so zur Gewohnheit geworden, dass sie trotz längst bestandener Prüfungen immer noch regelmäßig reinschaut, um auch Themen wie die britischen Gezeitentafeln, die nicht in ihrem Schiffsalltag vorkommen, präsent zu halten. In einem Punkt sind sich alle Teilnehmer des SSS-Webinars einig: Sie würden es wieder in diesem Format machen - und der Sporthochseeschifferschein (SHS) wirft seine Schatten bereits voraus.


Sportseeschifferschein: Theorie-Online-Ausbildungsangebote (Auswahl)

​Sportbootschule.TV (Andreas Konrad) Interaktives Webinar in 26 zweistündigen Einheiten. Beliebig oft wiederholbar. Kosten: 655 Euro www.sportbootschule.tv

​Yachtschule Eichler Präsenz und/oder Livestream. Auch wechselnde Teilnahme möglich.
Kosten: 750 Euro www.yachtschule-eichler.de

Sailing Island Live-Online-Kurs mit max. 10 Teilnehmern. Aufgeteilt in zwei Semestern mit jeweils 2 Teilfächern. Kosten: 850 Euro www.sailingisland.de

​Deutscher Hochseesportverband HANSA e.V. (DHH) Diverse Angebote deutschlandweit. Kurse finden teilweise in Präsenz und teilweise online statt. Kosten: ab 550 Euro www.dhh.de


Interview mit Andreas Konrad von Sportbootschule.TV

„Lernen im Webinar spart Zeit und Geld“

​Andreas Konrad hat lange vor Corona damit angefangen, seinen Unterricht in das Internet zu verlegen. Heute ist dieses Format nicht mehr wegzudenken.

Andreas Konrad in seinem “Webinar-Studio”Foto: Andreas KonradAndreas Konrad in seinem “Webinar-Studio”

Herr Konrad, welche Scheine können Sie nachweisen?
Ich bin im Besitz aller Scheine, die es in Deutschland gibt, inklusive der drei Trainer-Lizenzen vom DSV. Gelernt habe ich das Segeln aber bereits in jungen Jahren von meinem Vater, der von Beruf Kapitän war.

Seit ​wann bieten Sie die Ausbildung für den Sportseeschifferschein (SSS) an?
Die Kurse zum Sportseeschifferschein biete ich schon seit 20 Jahren in Theorie und Praxis an. Schon im Jahr 2010 habe ich damit angefangen, Aufzeichnungen von Präsenzkursen online zu stellen und diese mit Live-Fragestunden zu verknüpfen. Das war damals noch ziemlich umständlich und schwerfällig, weil niemand Erfahrungen damit hatte. Aber das führte dazu, dass wir zehn Jahre später bestens vorbereitet waren.

Sie meinen für die coronabedingten Lockdowns?
Ja, genau. Auf einmal ist ein riesiger Hype um Online-Schulungen entstanden und wir konnten gleich durchstarten. Allerdings mit dem feinen Unterschied, dass wir von Online-Kursen auf Webinare umgestiegen sind.

Soll das moderner klingen oder gibt es dazwischen einen gravierenden Unterschied?
Session, ähnlich einem Präsenzkurs, in der ein Dozent direkt mit den Teilnehmern interagiert. Fragen können sofort geklärt werden, und Aufgaben werden gemeinsam diskutiert. Ein Online-Kurs besteht aus Videos oder Live-Streams, bei denen Fragen oft erst im Nachhinein per E-Mail gestellt und nicht sofort beantwortet werden. Die fehlende Dynamik erfordert eine weitaus höhere Disziplin.

Und was ist der größte Vorteil eines Webinars gegenüber einem Präsenzkurs?
Der größte Vorteil ist die Zeit- und Fahrersparnis, gerade beim SSS, wo die nächste Schule meist nicht gleich um die Ecke ist. Da sich der Kurs über mehrere Monate erstreckt, spart man auch Geld. Webinare ermöglichen zudem die Teilnahme von überall aus, sei es auf einer Dienstreise oder aus dem Urlaubshotel. Teilnehmer können bei Bedarf auf Aufzeichnungen zurückgreifen, um verpasste Inhalte nachzuholen. In Präsenzkursen hingegen verpasst man bei Abwesenheit Inhalte und verliert leicht den Anschluss.

​Gibt es auch Nachteile?
Ein möglicher Nachteil ist der mangelnde soziale Kontakt, den einige vermissen. Dafür haben wir einen E-Mail-Verteiler, in dem sich die Teilnehmer austauschen können. Außerdem plane ich dieses Jahr, eine Art „Open Mic“ nach dem Unterricht einzuführen, wo Teilnehmer online in der Webinar-Umgebung bleiben und sich austauschen können, ähnlich wie beim informellen Beisammensein nach einem Präsenzkurs.

Haben Sie keine Angst, dass die Teilnehmer im Webinar einschlafen könnten?
Das kann ich natürlich nicht ausschließen, auch wenn ich mein Bestes gebe, die Schüler nebenbei auch gut zu unterhalten. Ich hatte aber tatsächlich mal einen Kursteilnehmer im Präsenzunterricht, der so erschöpft von der Arbeit war, dass er wegnickte. Witzigerweise saß er direkt neben dem Lichtschalter, sodass es plötzlich dunkel wurde im Raum. Solch ein für alle offensichtlicher Fauxpas kann im Webinar nicht passieren.


Voraussetzungen für den Sportseeschifferschein (SSS)

  • ​- ab 16 Jahren
  • - Besitz SBF-See
  • - Nachweis von 1.000 Seemeilen nach Erwerb des SBF mit dem Geltungsbereich Seeschifffahrtsstraße als Wachführer oder dessen Vertreter (davon mindestens 500 Seemeilen vor der theoretischen Prüfung) oder 700 Seemeilen nach Erwerb des SKS auf Yachten im Seebereich.

Meistgelesen in der Rubrik Wissen