Lesen Sie auch den 1. Teil des Revierreports “Von Göteborg nach Sjötorp: Auf dem Trollhätte-Kanal quer durch Schweden”
Es gibt diese Traumstraßen, diese Magistralen der Sehnsucht, auf denen der Weg selbst das Ziel ist. Darunter Legenden wie die Europastraße 6 zum Nordkap, die Panamericana von Alaska nach Feuerland oder die legendäre Route 66, die an den Ufern des Lake Michigan beginnt und bis an die Pazifikküste Kaliforniens führt. Wilde Landschaften und endlose Horizonte gibt es aber nicht nur bei der Fahrt über glänzende Asphaltbänder. Auch eine Wasserstraße kann da mithalten. Sie zieht sich durch den Süden Schwedens, von Küste zu Küste, eine Art nautische Route 66.
Ihre 400 Kilometer lange Strecke lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Den Anfang macht der Trollhätte-Kanal, der von Göteborg nordwärts zum Vänern verläuft. Über diesen größten schwedischen See führt die Fahrt anschließend bis Sjötorp an seinem Ostufer. Beide Etappen haben wir in YACHT 6/2024 beschrieben. Nun geht es weiter. Voraus: der Göta-Kanal. Das Ziel: die Ostsee bei Mem südlich Stockholms.
Der westliche Teil des Göta-Kanals, der sogenannte Västgötadelen, beginnt am unteren Stemmtor von „Sjötorp 1“. Ein kleiner weißer Leuchtturm hilft bei der Ansteuerung. Wer schon einen langen Tag hinter sich hat, kann erst einmal im unteren Vorhafen festmachen. Das Büro der Betriebsgesellschaft des Kanals findet man direkt an der Schleusenkammer. Dort erfolgen Anmeldung und Bezahlung der Passage, wenn beides nicht online erledigt wurde.
Seine Bekanntheit hat Sjötorp gänzlich dem Kanal zu verdanken, gestern wie heute. Zwar sind die Zeiten als wichtiger Warenumschlagplatz vorbei, doch dafür kommen heute Touristen und Tagesausflügler. Das hier ansässige Kanalmuseum stimmt auf die kommenden Törntage ein.
„Sjötorp 1“ ist die erste von acht Schleusen im Bereich des Ortes. Der obere Vorhafen für Gäste liegt zwischen den Doppelkammern Zwei/Drei und Vier/Fünf. Achtung, Ringe und Poller zum Führen der Leinen gibt es nur oben neben dem Kammerrand. Die steinernen Schleusenwände dagegen sind vollkommen glatt. Das bedeutet, dass bei der Bergschleusung ein Besatzungsmitglied schon vor dem Tor mit der Vorleine an Land übersteigen und das Boot nach guter alter Art mit etwas Motorunterstützung in die Kammer treideln muss.
Der durchschnittliche Hub beträgt etwa zweieinhalb Meter; zehn Meter lang sollten die Festmacher wenigstens sein. Nachdem die Vorleine um einen Poller oder durch einen Ring geführt und zurück an Bord gegeben wurde, nimmt die Person an Land die Achterleine an und wiederholt den Vorgang. Das klingt umständlich, sorgt aber für kontrollierte Abläufe und ist spätestens beim Verlassen von Sjötorp ohnehin längst zur Routine geworden – zumal auch das freundliche Schleusenpersonal immer alles im Blick hat.
Allein unterwegs ist man ohnehin fast nie, der Schleusenbetrieb sorgt dafür, dass sich kleine Konvois bilden, die fortan gemeinsam durch die Landschaft ziehen.
Die Felder, Wiesen und Wälder, zwischen denen sich der Wasserweg nun windet, sind Teil der Provinz Västra Götalands län, die sich bis zum Vättern erstreckt. Dieser See bildet die Grenze zu Östergötland. Entsprechend sind die beiden Streckenabschnitte des Göta-Kanals benannt. Västgötadelen verbindet Sjötorp mit Karlsborg über eine Distanz von 65 Kilometern. Hinter Lyrestad klettert er in schneller Folge über drei Doppel- und eine Dreifachschleuse bei Hajstorp bis auf knapp 87 Meter über Meereshöhe.
Töreboda bietet sich für das Ende der ersten Tagesetappe an. Auf diesem Niveau geht es am nächsten Tag einige Kilometer weiter, bis der Göta-Kanal schließlich mit 91,5 Metern seinen höchsten Punkt erreicht: die Lanthöjde, markiert von einem Obelisken. Der steht auf einer kleinen Insel, die entstand, als eine sehr enge Kanalschleife an dieser Stelle nachträglich mittels eines Durchstichs begradigt wurde.
Nirgendwo im Reiseverlauf ist man dem Himmel Südschwedens so nah wie auf den stillen Weiten des Viken. Hier verläuft die Wasserscheide zwischen den Küsten. Man kann die Fahrt in aller Ruhe genießen, mit wild bewaldetem Ufer im Hintergrund und winzigen Inseln davor, gerade groß genug für einzelne Kiefern. Enge Stellen wie der Brosundet sind mit Schwimmstangen betonnt. Die Passage endet mit der Durchfahrt des Spetsnäs-Kanals und des Billströmmen. An dieser Stelle rücken die Felswände so dicht heran, dass es eine Einbahnregelung gibt: Fahrzeuge auf Ostkurs haben Vorrang.
In Forsvik erinnert eine Plakette daran, dass König Karl XIII. im Jahr 1813 persönlich anreiste, um die erste Schleuse des Göta-Kanals einzuweihen und auch Schwedens erste eiserne Klappbrücke, heute ein technisches Denkmal.
Weiter geht es über den flachen Bottensjön nach Karlsborg. Der 5.000-Seelen-Ort mit seiner mächtigen Festung von 1870 ist Garnisonsstützpunkt. Doch nicht nur Soldaten prägen das Bild. Sand und Sonne locken an heißen Tagen viele Urlauber an den Strand. Bootsgäste finden Liegeplätze zwischen Bottensjön und Vättern auf beiden Seiten der Klappbrücke am Rödesundet (vastsverige.com/de/karlsborg).
Mit einer Ausdehnung von 120 Kilometern in Nord-Süd-Richtung und 1.900 Quadratkilometer Fläche steht der Vättern nach dem Vänern in Schweden zwar nur an zweiter Stelle – aber er ist immer noch viermal so groß wie der Bodensee. Die Kanalroute führt quer hinüber: 33 Kilometer trennen Karlsborg von Motala am Ostufer. Während Jonköping und die Insel Visingsö im Süden für Abstecher zu weit entfernt sind, liegt der reizvolle Norden in Schlagdistanz. Knapp 50 Kilometer sind es durch den Norra-Vätterns-Schärengarten und den dicht bewaldeten Stora Hammarsundet bis ins hübsche Kleinstädtchen Askersund. Etwas abseits zwar, dafür ein echter Geheimtipp (visitaskersund.se).
Diesen Ort zumindest sollte man auf keinen Fall auslassen – nirgendwo im Revier macht man spektakulärer fest! Tatsächlich befinden sich die Liegeplätze für Gäste direkt im ehemaligen Wassergraben unmittelbar unterhalb der Mauern von Schloss Vadstena. Mitte des 16. Jahrhunderts ließ Gustav Wasa die imposante Anlage errichten. Heute gilt sie als Musterbau für die schwedische Wehrarchitektur der Renaissance (vadstenaslott.com).
In Vadstena findet sich zudem das älteste Rathaus des Landes aus dem 15. Jahrhundert sowie die gotische Klosterkirche des Birgittinnen-Konvents von 1440. Außerdem lässt sich prächtig schlemmen, etwa im „Wasa“ in der Storgatan.
Die moderne „Hauptstadt“ des Göta-Kanals wurde 1810 gegründet. Der Offizier und Politiker Graf Baltzar von Platen erschuf hier im seinerzeit landwirtschaftlich geprägten Schweden den ersten Industriestandort des Landes. Die „Verkstad Motala“ wurde bald zu einem Markenzeichen für Dampfmaschinen weltweit. Noch heute hat die Kanalgesellschaft ihren Sitz am Hafen, und ihr Gründer ist ihr so nah wie eh und je: Es war die Epoche der Spätromantik, als der auf Rügen geborene Graf 1829 in Christiania, dem heutigen Oslo, starb – drei Jahre vor der Fertigstellung seines Kanals. Sein Grab wurde auf eigenen Wunsch hin am Ufer in Motala errichtet, auf einer erhöhten Terrasse mit freier Sicht auf den Wasserweg. 1834 nahm das erste Dampfschiff den Liniendienst zwischen Göteborg und Stockholm auf. Sein Name: „Admiral von Platen“.
Die Schwimmstege des Gasthafens befinden sich an der Einfahrt zur östlichen Kanalhälfte noch vor der ersten Schleuse am nördlichen Ufer (motala.se).
Rund 90 Kilometer fehlen noch auf dem Weg zur Ostsee. Es ist die Strecke des östlichen Kanalteils, des Östgötadelen. Von Motala geht es nun immer weiter abwärts. Den Anfang macht die Schleusentreppe von Borenshult mit fünf unmittelbar aufeinanderfolgenden Kammern hinab zum Boren. Der zehn Kilometer lange, schilfumsäumte See ist so flach, dass es untiefe Stellen sogar in scheinbar offenem Wasser gibt. Sie sind nur auf der Südseite betonnt. Vorsicht deshalb bei schlechter Sicht.
In Borensberg folgt erneut eine Niveauschleuse. Danach zieht der Kanal seine Schleifen ungestört durch die sanft gewellten Felder der alten Kulturlandschaft Östergötlands. Bauernhöfe, Getreidesilos und Alleen prägen das Bild. Auf dem Treidelpfad am Ufer sind Wanderer und Fahrradfahrer unterwegs. Fernbediente Rollbrücken öffnen sich wie von Geisterhand für sich nähernde Yachten.
Die ruhige Landpartie endet jäh. Hinter Ljungsbro fällt das Gelände steil ab zum letzten großen See im Kanalverlauf, dem Roxen. Überwunden wird der Höhenunterschied von nicht weniger als elf Schleusen. Exakt 28,8 Meter liegen zwischen oben und unten, und da der Verkehr immer nur in eine Richtung läuft, wundert es nicht, dass das Erlebnis einige Stunden in Anspruch nehmen kann. Viele Crews übernachten im Hafenbassin auf halber Höhe, noch oberhalb der Schleusentreppe. Hier liegt man geschützter als direkt am See.
Der Roxen bietet die Möglichkeit zu einer weiteren reizvollen Törnverlängerung: Am Südufer bei Linköping zweigt der Kinda-Kanal ab, neben dem Dalsland-Kanal am Vänern die zweite mit dem Hauptsystem verbundene historische Wasserstraße. Hier scheint die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein: ein Revier nah der Natur und voller Ruhe (kindakanal.se).
Der letzte Abschnitt der Reise hat begonnen, kaum mehr als 20 Kilometer sind verblieben, am Ufer wieder Wald und Felder. Der Asplången wird durchfahren. Noch einmal folgt eine Reihe Doppel- und Einzelschleusen, dann ist Söderköping erreicht, der letzte größere Ort am Göta-Kanal. Auch dieses schmucke Städtchen zieht Touristen an; der Gasthafen liegt direkt im Zentrum, umgeben von Cafés und gleich neben der „Lock, Hop & Barrel Brewery“. Den vollen Überblick erhält man vom Aussichtspunkt auf dem Ramunderberg, der nördlich des Kanals aufragt (visit.soderkoping.se).
An der Schleuse von Mem kommt der Göta-Kanal kurz darauf völlig unspektakulär zu seinem Abschluss – und damit auch unsere 400 Kilometer lange Reise auf der maritimen Traumstraße quer durch den Süden Schwedens, Sveriges Route 66. Die Ostküste ist erreicht. Voraus liegen nun der lang gezogene Slätbaken-Fjord, der wunderschöne Schärengarten von Sankt Anna und dahinter schließlich die offene Ostsee.
Nachdem man das untere Stemmtor von Mems sluss hinter sich gelassen hat, locken die Liegeplätze im Vorhafen zu einer allerletzten Nacht am Göta-Kanal – auch wenn das Schiff hier schon wieder Salzwasser unter dem Kiel hat.
Die Distanz zwischen Sjötorp am Vänern und Mem an der Ostsee beläuft sich auf 190 Kilometer, wobei rund 85 Kilometer auf Seen entfallen. Auf den Kanalabschnitten beträgt die maximale Tiefe in Fahrwassermitte 2,80 Meter, die Höchstgeschwindigkeit fünf Knoten. Es gibt mehr als 20 Gasthäfen. Insgesamt müssen 58 Schleusen, die bis auf zwei (die Niveauschleusen in Tåtorp und Borensberg) mit Personal besetzt sind, und eine Vielzahl von beweglichen, fernbedienten Brücken passiert werden.
In diesem Jahr läuft die Vorsaison vom 7. Mai bis 12. Juni, die Hauptsaison vom 13. Juni bis 15. August und die Nachsaison vom 16. August bis 28. September. Das Kanal-Ticket für die einfache Fahrt kostet für ein Zehn-Meter-Boot in der Hauptsaison 8.400 Schwedische Kronen (750 Euro). Bezahlt wird eingangs des Kanals oder im Voraus online: bokning.gotakanal.se
Von Mitte Juni bis Ende August liegen die Tageshöchsttemperaturen im Schnitt bei 20 Grad Celsius. Die Sonne scheint mit neun Stunden täglich im Juni am längsten, im August sind es noch sieben Stunden. Niederschlag fällt am Göta-Kanal im Sommer an rund zehn Tagen im Monat.