Bottnischer MeerbusenCharter-Abenteuer an Schwedens Höga Kusten

Jan Jepsen

 · 24.09.2023

Yacht bei der Ansteuerung der schmalen Durchfahrt vor der Schäreninsel Ulvön
Foto: YACHT/Jan Jepsen
Schwedens gewaltige Höga Kusten am Bottnischen Meerbusen ist für die meisten Eigner viel zu weit weg. Große Charterbasen gibt es dort auch keine. Aber Boote von privat. Nichts wie hin also!

Höga Kusten, die hohe Küste – aus deutscher Sicht stimmt das in jeder Hinsicht. Nicht nur, dass sich hier Schwedens Insel mit der höchsten Erhebung findet. Die Region liegt auch geografisch hoch oben im Norden, genauer: in der Bottensee, gute 600 Seemeilen von deutschen Häfen entfernt. Nur so lässt sich wohl erklären, dass die Freundin vorschlägt, das Urlaubsziel ausnahmsweise per Wohnmobil zu bereisen.

Moment! Schweden. Schären. Lauter Inseln. Im Wohnmobil? Einspruch! Da muss man doch irgendwo ein Boot mieten können. Sollte man meinen. Aber von wegen, es gibt an der Küste nördlich Stockholms weit und breit keinen Charterstützpunkt. Es sei denn, man freundet sich mit dem Gedanken an, eine Privatyacht zu mieten. Die werden in Schweden in Internetportalen wie zum Beispiel „Rtc Batkontakten“ oder „Skipperi“ angeboten. Da finden sich alle möglichen Schiffe. Mehrheitlich solche, die für gewöhnlich bei kommerziellen Vercharterern nicht zu haben sind: nicht professionell betreut, teils recht alt oder sehr klein. Die Auswahl ist ausgerechnet im Wunschrevier mager, wie eine erste Suche ergibt.

Etwas abenteuerliche, aber charmante Privat-Charter

Wie kann das sein? Ein vermeintlich schöner Küstenabschnitt Schwedens, Weltnaturerbe sogar, berühmt für unberührte Natur, dichtes Grün, charmante Gasthäfen – und dann nur ein einziges Mietboot? Immerhin mittendrin. In einem Ort namens Ullånger. Eine alte Albin Accent. Der Charterpreis liegt für die Woche bei 400 Euro für die 26 Fuß kleine Yacht. Kann man weder meckern noch viel falsch machen, oder!? Kurzerhand nehmen wir via Mail Kontakt zur Eignerin auf, einer Frau namens Heidi.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Das Segelboot sei einsatzbereit, sagt sie. Und im Übrigen, sollte es gefallen, sogar auch käuflich zu erwerben. Sie selbst könne zwar leider keine Übergabe machen, da sie im Urlaub sei. Aber alles, was wir wissen müssten, erfahren wir in einer Folge-Mail: „Hello, the boat is in Ullånger. I think, boatplace is number 13, name of boat acc 32.“ Es folgen einige technische Instruktionen. „When you come to the boat pull the thing in the box right opposite the toilet.“ Wichtig. Sonst stoppt der Motor, schreibt sie. Aha! Das Ding in der Kiste gegenüber der Toilette ziehen! Gemeint ist der Benzinhahn. Privatcharter hat eigene Regeln.

Wo an der Höga Kusten Wasser ist, ist es auch tief genug zum Segeln

Je mehr Infos wir erhalten, desto stutziger wird die Freundin. Allein der kryptische Bootsname: „Acc 32“. Und dass die Eignerin nicht mal weiß, wo ihr Schiff liegt. Wirkt das nach jemandem, der sein Boot liebt und pflegt? Auch, dass Frau Heidi es gleich zum Kauf anbietet, stimmt nachdenklich.

Ich halte dagegen: No risk, no fun. Und außerdem wollen wir mit dem Schiff nicht über die Biskaya. Theoretisch können wir uns innerhalb der Zehn-Meter-Tiefenlinie halten. An der Höga Kusten bedeutet das, dass man beim Segeln mit ausgestrecktem Arm fast das Land berühren kann. Oder mit anderen Worten: Da, wo Wasser ist, ist es auch tief genug zum Segeln.

Gesagt, getan, Ankunft Ullånger. Irgendwo in tiefster, schwedischer Provinz. Das Herz des Ortes ist die Tankstelle an der Durchfahrtsstraße. Von hier sind es zehn Minuten zu Fuß zum Boot. Am Steg kein Mensch weit und breit. Aber die Albin liegt da. Im Dornröschenschlaf. Der Schlüssel befindet sich bei der Gasflasche. Unter Deck empfängt uns glücklicherweise kein Muff, sondern viel warmes Teak, keine Stehhöhe (war klar) und wenig Geschirr (war nicht klar). Auf dem Salontisch liegt ein Zettel. Auf Schwedisch verfasst. Von den Gästen vor uns. Eine Art Mängelliste, wie wir mittels Übersetzer-App erfahren: Die Toilette funktioniert nicht. Und der Teppich im Salon soll manchmal nass sein.

Die Albin Accent ist ein früher Entwurf von Peter Norlin

“Na, toll. Genau so hab ich mir das vorgestellt“, seufzt die Freundin. Alles etwas lieblos, findet sie, während ich das kleine Schiff an der neuralgischsten Stelle inspiziere: Bilge und Kielbolzen. Sieht beides gut aus. Und trocken. Der Motor tut auch, was er soll. Es gibt Seekarten und Rettungswesten. Die Segel sehen noch passabel aus. Und gut segeln soll dieser frühe Entwurf von Konstrukteur Peter Norlin sowieso. Was will man also mehr? Die leicht verärgerte Antwort der Freundin folgt prompt: „Ein zweiter Kaffeebecher und eine Bratpfanne wären nicht schlecht.“ Und dass Eimer und Land-WCs die Bordtoilette ersetzen müssen, sei auch nicht ideal.

Klein, aber fein fürs Revier: Die Albin Accent entpuppt sich als preiswertes CharterbootFoto: YACHT/Jan JepsenKlein, aber fein fürs Revier: Die Albin Accent entpuppt sich als preiswertes Charterboot

Wir legen trotzdem ab. Und erleben die erste Überraschung: Um uns herum kaum andere Segler. Trotz Hochsaison! Wir nehmen Fahrt auf. Die Bucht wird zum Fjord, der Fjord weitet sich, davor zeigen sich erste Inseln. Was Wellen und Salzgehalt des Wassers angeht, fühlt sich alles nach einem Binnentörn an. Zudem ist man nie weit von der Küste entfernt, kann sich kommod im Lee der Inseln halten. Ideal für kleine Boote.

Bei wenig Welle geht es zügig voran. In Böen neigt sich die alte Albin vornehm zur Seite und verhält sich fast wie ein ausgewachsenes Dickschiff. Kein In-den-Wind-Schießen, kein hektisches Groß-Fieren. Der Ruderdruck bleibt beherrschbar, und das Boot beschleunigt auf über sechs Knoten. Was sich so nah am Wasser deutlich schneller anfühlt. Mit anderen Worten, die Mundwinkel gehen ein erstes Mal nach oben. Und, Achtung, Spoiler: Da bleiben sie.

Idyllischer und skandinavischer als an der Höga Kusten geht es kaum

Erste Anlaufstelle ist die Insel Mjältön, mit 236 Metern über dem Meeresspiegel Schwedens höchste Insel. Auf der Ostseite liegt die Baggviken. Ein fast kreisrunder Naturhafen mit Stegen, Grillplätzen und Sauna. Idyllischer, sicherer, skandinavischer kann man kaum liegen. Wir sind spät dran, werfen den Heckanker und legen uns nahe der Sauna neben eine andere Yacht an den Steg. Deren Crew hat an der Midsummersail teilgenommen, der längsten und laut Veranstalter härtesten Ostseeregatta von Wismar zur legendären nördlichsten Tonne bei Töre. Da gibt es viel zu erzählen. Nicht die einzige Teilnehmeryacht, der wir in den nächsten Tagen auf ihrem Rückweg gen Südwesten mit Kurs Heimat begegnen.

Wir gehen am nächsten Morgen auf Gegenkurs. Nächstes Etappenziel ist Trysunda. Weiter nördlich. Bietet sich an bei südöstlichen Winden zwischen 3 und 4 Beaufort. Wir segeln durch eine unverbaute, herrliche Landschaft, wie sie vor Tausenden von Jahren kaum anders ausgesehen haben dürfte. Nur etwas flacher vielleicht. Die Höga Kusten wächst noch.

Die Höga Kusten wächst noch. Bis heute hebt sich die Region jedes Jahr um acht Millimeter.

Während der letzten Eiszeit überdeckte ein drei Kilometer dicker Eispanzer das Land. Das wurde infolge des enormen Gewichts nach unten gepresst. Als das Eis schmolz, stieg das Land wieder auf, um bis zu 285 Meter. Bis heute hebt sich die Region jedes Jahr um acht Millimeter.

Trysunda hat gerade mal zwei Einwohner und einen perfekten Gasthafen

Nach gut zwei Stunden tut sich plötzlich das perfekte Idyll vor uns auf: der Gasthafen von Trysunda. Kein Wunder, dass der Steg schon gegen Mittag gut besucht ist. Saltkrokan lässt grüßen. Das ehemalige Fischerdorf ist bei Schweden und Finnen gleichermaßen beliebt. Aber ein kleines Boot wie die Albin findet immer irgend­einen Platz. Und nicht nur das: Sie ist sogar gern gesehen beim Hafenbetreiber. Zumal pauschal pro Boot bezahlt wird. Der er klärt: „Da die Schiffe immer breiter werden, verlieren wir Jahr für Jahr ein paar Plätze. Vielleicht müssen wir demnächst nach Breite kassieren.“

Kurz darauf laufen wir die Insel ab. Try­sunda ist ein naturgeschütztes Kleinod. Mit gerade mal zwei Einwohnern, die hier ganzjährig ausharren. Alle anderen Häuser werden nur in den Ferien genutzt. Den Winter möchte man vielleicht auch nicht auf dem Eiland verbringen, aber die Sommermonate – unbedingt! Das niederländische Paar, das den Hafen und das kleine Café betreibt, macht jedenfalls einen sehr entspannten Eindruck.

Ulvön ist die Heimat des Surströmming

Tags drauf brechen wir auf nach Ulvön, dem touristischen Zentrum an der Höga Kusten. Die letzten Meilen müssen wir aufkreuzen, um uns ins enge Fahrwasser einzufädeln. Eine Einfahrt wie irgendwo in Kanada. Über Bären am Ufer würde man sich nur kurz wundern. Auf Ulvön gab es einst das größte Fischerdorf von Norrland, weswegen die Insel auch als „Perle der Bottensee“ oder als „Sandhamn von Norrland“ bezeichnet wird. Die historischen Bootshäuser, Wohngebäude und Höfe verraten, wie die Menschen hier einst gelebt haben.

Über Bären am Ufer würde man sich nur kurz wundern

Aus Ulvön stammt auch Surströmming, der berühmt-berüchtigte Stinkefisch. Ein Art Attentat auf die Nase, dass sich der Gaumen kaum traut. Im Frühjahr wird der Hering in Salzlake eingelegt. Später in Konserven verpackt, setzt sich der Gärprozess fort, dass sich Boden und Deckel der Dosen bedrohlich wölben. Nicht von ungefähr ist der Transport der Surströmmingdosen wegen Explosionsgefahr auf Flügen einiger Airlines ausdrücklich verboten. Kein Witz!

Der Gasthafen ist für Teilnehmer einer Regatta reserviert, die nach und nach unter Applaus einlaufen. Doch es findet sich erneut noch ein Platz für unsere Kleine. Wir warten auf das Abendlicht und wandern auf den Lotsenberg. Der Ausblick ist grandios.

Die Häfen sind meist kleine Anleger mit Heckbojen und ein paar Holzhäusern, wie hier in BönhamnFoto: YACHT/Jan JepsenDie Häfen sind meist kleine Anleger mit Heckbojen und ein paar Holzhäusern, wie hier in Bönhamn

Sehenswert: das Fritidsbåtmuseet in Härnösand

Neuer Tag, neues Ziel. Und ein magischer Morgen. Hinter einer luftigen Nebelwand, die wir durchsegeln, liegt Bönhamn. In dem malerischen Dorf scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Rund um den kleinen Hafen in einer geschützten Bucht drängen sich rot gestrichene Bootshäuser. Dahinter die alten Gestelle, auf denen Fischer einst ihre Netze trockneten.

Südlichster Punkt unseres Törns ist Härnösand. Schon, weil es hier das Fritidsbåtmuseet gibt, ein Museum, das sich mit Sport- und Freizeitbooten in Schweden beschäftigt und über 40 einmalige Wasserfahrzeuge gesammelt hat. Ausgestellt wird die Liebe der Schweden zum Meer und die Beziehung zwischen Boot und Besitzer.

Mit einem Schiff pro 13 Einwohnern gehört Schweden weltweit zu den Ländern mit der höchsten Sportboot-Dichte. Einerseits sympathisch, anderseits kaum zu glauben. Jedenfalls nicht, nachdem man eine Woche in der Hochsaison kaum andere Yachten getroffen hat. Vor allem aber: Das Experiment Privatcharter ist geglückt. Dank einem kleinen Boot und einem großartigem Naturschauspiel.


Fünf Tipps für den Törn an der Höga Kusten

yacht/image_5bb546194d10ce49c381b1efb9c8d8d6Foto: YACHT

1. Baggviken

Die Traumbucht befindet sich auf Mjältön, der höchsten Insel Schwedens. Ein schöner, geschützter Platz für Selbstversorger. Keine Einkaufsmöglichkeiten oder Restaurants. Skandinavischer geht es kaum. Natürlich mit Sauna am Ufer. Wer sich bewegen will: Der Weg bis zum Gipfel ist etwa zwei Kilometer lang und lohnt sich!

Baggviken auf der Insel MjältönFoto: YACHT/Jan Jepsen

2. Ulvön

Wird die Perle der Bottensee genannt und ist die Hauptattraktion der Höga Kusten. Geschichtsinteressierte können sich im Inselmuseum über die Entwicklung des Fischfangs und des Surströmming schlaumachen. Wer die Verkostung scheut, besucht das exzellente Bistro „Ruben“. Zum Sonnenuntergang unbedingt auf den Lotsenberg wandern.

Bistro Ruben auf UlvönFoto: YACHT/Jan Jepsen

3. Trysunda

Nächstes Highlight des Reviers. Eine der schönste Inseln Schwedens. Wald, Strand und Schären versetzen den Besucher in ein begehbares Bilderbuch. Das Skärgårdscaféet serviert Snacks. An sonnigen Tagen empfiehlt sich ein Abstecher zum feinen Sandstrand von Björnviken. Am Waldrand steht eine alte Lokomotive einer ehemaligen Miene.

Nordküste TrysundaFoto: YACHT/Jan Jepsen

4. Bönhamn

Charmanter Gasthafen in schöner Lage. Gleich hinter den Liegeplätzen beginnt ein lohnender Rundweg über die Schären. Es gibt ein Restaurant und Einkaufsmöglichkeiten. Wer will, kann mit der Fähre einen Abstecher zur felsigen Insel Högbonden unternehmen. Im höchsten Leuchtturm Schwedens befindet sich ein originelles Hotel.

Bönhamn GasthafenFoto: YACHT/Jan Jepsen

5. Härnösand

Die historische Hafenstadt ist das Tor zur Högaküste. Wer abwettern muss, ist hier wohl am besten aufgehoben. Außer einer Kunsthalle und dem Technikmuseum sollten sich Segler auf jeden Fall im sehr schönen Fritidsbåtmuseet umschauen. In der Ausstellung wird die Liebe der Schweden zum Bootfahren auf wunderbare Weise gewürdigt.

Härnösand HafenFoto: YACHT/Jan Jepsen

Revier-Infos Höga Kusten

Charter

Wir waren mit einer Albin Accent unterwegs. Das 26-Fuß-Boot kostet die Woche 5250 Kronen, also 450 Euro. Große Auswahl an Schiffen in ganz Schweden unter skipperi.se oder rtc.se In der Suchmaske „Höga Kusten“ eingeben.

Das Revier

Die „Hohe Küste“ ist Unesco-Welt­erbe. Der etwa 120 Kilometer lange Küstenabschnitt wird geprägt von endlosen Wäldern, wilden Flusstälern und einer teils dramatisch steilen Küste. Trotzdem fühlt man sich häufig wie auf einem Binnenrevier: guter Schutz, kurze Distanzen. Der Salzgehalt im Wasser an der Höga Kusten geht gen null. Touristische Zentren der Region sind insbesondere Härnösand im Süden und Örnsköldsvik im Norden.

Wind & Wetter

Im Idealfall wird der Sommer von einem Skandinavien-Hoch geprägt. Die Winde wehen dann oft moderat aus südlichen Richtungen, und es ist meist warm und trocken. Allerdings ist auch im Sommer wegen des kühlen Wassers mit Nebel zu rechnen.

Navigation & Seemannschaft

Das Revier stellt Segler vor wenige Herausforderungen. Das Wasser ist bis ans Ufer oft tief. Wir sind gut ohne Plotter klargekommen. Es gibt verglichen mit den Stockholmer Schären, den Åland-Inseln oder dem Turku-Archipel wenig Untiefen, dafür genügend charmante, nicht überlaufene Yachthäfen – wenn auch mit eingeschränkten Versorgungsmöglichkeiten. Oft wird ein Heckanker benötigt. Die Liegepreise sind mit 10 bis 20 Euro moderat.

Karten & Handbücher

  • „Küstenhandbuch Ostsee“, Delius Klasing Verlag, 69,90 Euro.
  • „Hamnguiden“, Bd. 10, Skagerrak Verlag, 74,90 Euro.
  • Seekarte: schwedische Serie „Bottenhavet N Norra“, 78 Euro, etwa bei Hansenautic

Mehr zum Thema:

Meistgelesen in der Rubrik Reisen